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KOMMENTAR/204: Paralymp - die Laus im Fell (SB)


DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher - Held der Westpropaganda



Als früherer Berufspolitiker weiß sich Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), gut in Szene zu setzen. Einen Boykott der Paralympischen Spiele im russischen Sotschi wollte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag vor dem Hintergrund der Krim-Krise nicht unterstützen. Aber eine Einladung zum Mittagessen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auszuschlagen, das könnte schon gefallen. "Es war eine spontane Entscheidung", berichtete Beucher einen Tag vor dem Ende der Paralympics der Zeitung "Die Welt". "Danach sind Athleten zu mir gekommen, haben den Arm um mich gelegt und gesagt: 'Friedhelm, das war wundervoll!'" [1]

Was für ein Held! Geradezu geschaffen für die westliche Berichterstattung, die die Konflikte in der Ukraine und die militärische Intervention Rußlands auf der Krim vor allem auf die Person Wladimir Putins zuspitzte. Einige Sportjournalisten, so scheint es, haben einen regelrechten Putinkoller entwickelt, der sich vor dem Hintergrund des im Juni 2013 von der russischen Staatsduma verabschiedeten Gesetzes, das Minderjährige vor der "Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen" schützen soll, in farbenfroh ausgemalten Feindkennungen widerspiegelte. Als gäbe es keinen "Schwulenhaß" in deutschen Fußballstadien, welcher es aktiven Profikickern praktisch unmöglich macht, sich als homosexuell zu outen, und als gäbe es in Deutschland keine schwulen- und lesbenfeindliche Kirchenpolitik, wurde Putin zum großen "Schwulenhasser" stilisiert. Die Diskriminierung von Homosexuellen wurde anläßlich der Winterspiele in Sotschi bis zur Systemfrage hochgejazzt - für so manchen Kalten Krieger offenbar eine willkommene Gelegenheit, die Frustration darüber, daß auch im grünen Kapitalismus Sozialrassismus, Korruption und Menschenrechtsverletzungen einen guten Nährboden finden, an Rußland abzuarbeiten.

Die permanente Ausdehnung des NATO-Gebietes über die Elbe, von der Springerpresse als "Einkreisungsängste" und "Verschwörungstheorien bei den russischen Machthabern" abgetan, sowie die Unterstützung oder Herbeiführung von Umsturzbewegungen durch den Westen dürften entscheidend dazu beigetragen haben, daß sich der Kreml nun ebenfalls das Recht herausnahm, seine Einflußzone auszudehnen. Ende Februar wurde die Krim besetzt. Schnell wurde Putin auch in den Sportmedien als "Völkerrechts-Brecher" verteufelt, der die Lunte zu einem Pulverfaß entzündet und die Sportlerinnen und Sportler in Sotschi als "Komparsen für seine persönliche Propaganda-Show eingekauft" habe [2]. Schon vorher hatte das Wort von der politischen Instrumentalisierung eines Sportgroßereignisses die Runde gemacht, womit gleichzeitig die Unterstellung transportiert wurde, es gäbe auch nicht-instrumentalisierte Massensportevents, etwa im "demokratischen Westen". Das manifestierte sich in so selbstgefälligen Relativierungsreden wie von Friedhelm Julius Beucher, der in einem Interview erklärte: "Je demokratischer ein Land aufgestellt ist, umso weniger missbräuchliche Instrumentalisierung gibt es." [3]

Während der russische Übergriff nach Kräften verurteilt wurde, verloren die unter dem Motto "Wir für Deutschland" nach Sotschi gereisten Sportfunktionäre kein Wort darüber, daß in der Ukraine unter völkerrechtswidrigen Umständen und tätiger Mitwirkung des Westens gerade ein gewaltsamer Regimewechsel stattgefunden hatte, der ohne die militante neonazistische Swoboda-Partei ("Freiheits"-Partei) und die rechtsextreme Kampftruppe Prawji Sektor ("Rechter"-Sektor) wohl kaum möglich gewesen wäre. Die offen faschistische Swoboda-Partei, die mit der deutschen NPD kooperiert, besetzt inzwischen fünf Schlüsselpositionen in der neuen Regierungskoalition, darunter auch die des Generalstaatsanwalts und des Verteidigungsministers, während die nationalistische Paramilitärgruppierung Prawji Sektor, die auf dem Kiewer Maidan ebenfalls eine tonangebende Rolle spielte, u.a. den Vizechef der Nationalen Sicherheit stellt. Die meisten der rechten nationalistischen Gruppen sind vor allem antikommunistisch und antirussisch, zuweilen auch stark antisemitisch und rassistisch geprägt. Die Anerkennung der ukrainischen Übergangsregierung, in der sich lupenreine Faschisten tummeln, durch Berlin stellt zweifellos einen schwerwiegenden Tabubruch in der deutschen Außenpolitik dar.

In den hiesigen Leitmedien, die den mit Geldern der Konrad-Adenauer-Stiftung hochgepäppelten ehemaligen Profiboxer Vitali Klitschko zur Ikone der Freiheitsbewegung stilisierten, wurde alles unternommen, um den Einfluß der rechtsextremen Schlägertruppen auf den vom Westen erwünschten oder sogar initiierten "Demokratieprozeß" in der Ukraine herunterzuspielen. Die den Grünen nahestehende Heinreich-Böll-Stiftung brachte es sogar fertig, im Internet eine Erklärung einer Gruppe von Sozial- und Geisteswissenschaftlern zu veröffentlichen, die insbesondere Kommentatoren aus dem linken Spektrum bat, "bei ihrer berechtigten Kritik des radikal ethnonationalistischen Lagers im EuroMaidan vorsichtig zu sein, da entsprechende Texte leicht von Moskaus 'Polittechnologen' instrumentalisiert werden können, um Putins geopolitische Projekte umzusetzen". Ohne "größeres Interesse" und "tiefergehendes Wissen über die Ukraine" sollten sich Medienschaffende gar nicht erst "an Kommentaren über die verwirrenden politischen Verhältnisse dieses Transformationsstaates" versuchen. [4]

Berlins "Polittechnologen" plädierten vor dem Hintergrund der Krim-Krise zwar nicht für einen Boykott der Paralympics in Sotschi. Doch sie sandten ein "ganz klar politisches Zeichen an Rußland", wie die zwölfmalige Paralympics-Siegerin Verena Bentele im "ZDF-Morgenmagazin" versicherte. Die neue Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, die sich auf eine Politkarriere in der SPD vorbereitet, sagte die geplante Reise nach Rußland ab. Sie berief sich dabei auf einen Beschluß des Auswärtigen Amtes in Zusammenarbeit mit den weiteren G7-Staaten, "daß kein deutsches Regierungsmitglied, kein deutscher Beamter, keine Beauftragte hinfliegt", so Bentele [5]. Die russischen Gastgeber und das Internationale Paralympische Komitee (IPC) nahmen den Affront mit Bedauern zur Kenntnis. Bentele wurde auch ohne ihr persönliches Erscheinen in die Hall of Fame des paralympischen Sports aufgenommen.

Nach Ende der Paralympischen Spiele zeigte sich Friedhelm Julius Beucher höchst zufrieden mit dem Abschneiden der deutschen Mannschaft. Sie gewann in Sotschi insgesamt 15 Medaillen, darunter neun goldene, und belegte Platz zwei in der Nationenwertung hinter Gastgeber Rußland. Als bestünde die Gefahr eines Bürgerkriegs in der Ukraine sowie neuer, sich weit über die Landesgrenzen ausbreitender Weltordnungskriege nicht, von denen auch Deutschland massiv betroffen wäre, behielt der 67jährige seinen stetig Öl ins Feuer gießenden Tonfall bei. Nach der Schlußfeier in Sotschi äußerte Beucher seine Enttäuschung über Philip Craven, den Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees: "Eine Jubelarie nach der andern abzuspulen, gehört sich nicht angesichts der Lage. Von einem Briten, dem Demokratie wichtig ist, hätte ich mehr erwartet." [6]

Vielleicht sollte Friedhelm Julius Beucher doch in die große Politik zurückkehren. Dort könnte er für die deutschen Hegemonialinteressen sicherlich mehr bewirken. Als Mitglied der SPD-Regierung, die 1999 am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligt war (Ex-Kanzler Gerhard Schröder am 9. März 2014 auf der "Zeit"-Matinee in Hamburg: "Da haben wir unsere Flugzeuge [...] nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt - ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluß gegeben hätte."), hatte Beucher im Bundestag auch dem Afghanistan-Krieg zugestimmt.

2009 wurde er zum Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes gewählt. Zu seinen umstrittensten Entscheidungen zählt der kürzlich abgeschlossene Kooperationsvertrag des DBS mit der Bundeswehr. [7] Daß die neue Interventionsarmee ihre behinderten Sportsoldaten auch für Werbemaßnahmen und zur Imageförderung des "Arbeitgebers Bundeswehr" einsetzt, der immer mehr Kriegsversehrte und Traumatisierungsopfer produziert, gehört zu den vielen Tabuthemen des vom Bundesinnen- und Verteidigungsministerium über die Finanzen gelenkten Spitzensports. Friedhelm Julius Beucher weiß schon, warum auch er lieber Jubelarien über "ein sensationelles Abschneiden" des DBS-Teams anstimmt, als die Instrumentalisierung des Sports für Medaillenziele der Bundeswehr anzuprangern. Aber zum Glück leben wir ja in einer Demokratie, dort kann der Mißbrauch nur relativ klein sein.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/sport/olympia/article125843802/Die-zwei-verschiedenen-Gesichter-der-Paralympics.html. 16.03.2014.

[2] http://www.faz.net/aktuell/sport/wintersport/paralympics/paralympics-in-sotschi-olympische-havarie-12836460.html. 07.03.2014.

[3] http://www.welt.de/sport/article125502653/Ich-begruesse-keinen-russischen-Regierungsvertreter.html. 06.03.2014.

[4] https://www.boell.de/de/2014/02/20/euromaidan-freiheitliche-massenbewegung-zivilen-ungehorsams. 20.02.2014.

[5] http://www.tagesspiegel.de/sport/paralympics-in-sotschi-bentele-bundesregierung-plant-boykott-putin-kommt/9577710.html. 06.03.2014.

[6] http://www.neues-deutschland.de/artikel/927285.ein-paar-jubelarien-zu-viel.html. 18.03.2014.

[7] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek198.html

20. März 2014