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KOMMENTAR/225: Finanzdoping - nur an der Spitze gibt's die Spritze ... (SB)


"Fröhlich, leistungsorientiert, patriotisch und weltoffen" - olympisches Krötenschlucken im Bundestag


Sport und Krieg liegen nicht soweit auseinander, wie man vielleicht meinen möchte. Als Thomas de Maizière im Oktober 2012 noch Verteidigungsminister war, da bat er die Sportsoldaten bei einer öffentlichen Ehrung nicht nur um ein Bekenntnis zur Bundeswehr, sondern hegte auch die Hoffnung, daß durch die Sportler in Uniform das Image der Bundeswehr, ein Patriotismusgefühl sowie ein unverkrampfter Leistungsbegriff gefördert werden könnten. "Wir wollen etwas für Sie tun, aber Sie sollen auch etwas für Deutschland tun", so die eindringlichen Worte des CDU-Politikers. Bei der Gelegenheit äußerte er auch den Wunsch nach einer eigenen Sportfördergruppe für Sportler mit Behinderung, die dann an den Paralympics teilnehmen sollten. Sein großer Traum war, "dass ein oder zwei verwundete Soldaten dabei sein können, die etwas für sich und für uns erreichen" [1]. Bundeswehr und Deutscher Behindertensportverband (DSB) vereinbarten Ende 2013 eine entsprechende Kooperation. Nun fehlen nur noch die leistungssporttauglichen Verwundeten, damit sie als Medaillengewinner Werbung für die Bundeswehr und Deutschland machen ...

Inzwischen ist Thomas de Maizière wieder in das Bundesinnenministerium zurückgekehrt, neben dem Verteidigungsministerium der größte Finanzier des symbolträchtigen Spitzensports. Und wieder appellierte der Minister an das Nationalgefühl, diesmal im Gewand des Olympiapromoters: "Ich glaube, Olympische Spiele sind eine einmalige Möglichkeit und Chance, der Welt unser Land so zu präsentieren, wie wir sein wollen: fröhlich, leistungsorientiert, patriotisch und weltoffen." [2]

Diese Botschaft verbreitete der CDU-Innenminister bei der Vorstellung des 13. Sportberichts der Regierung im Bundestag. Der schwarz-rot-goldene Nationalchauvinismus, als "positiver Patriotismus" während der Fußball-WM 2006 in Deutschland salonfähig gemacht, ist ernst gemeint - und kein Leitmedium, das die Rede des Ministers wiedergab, nahm Anstoß daran. Offenbar bedarf es heute nicht einmal mehr des Wörtchens "positiv", um den Konsens der Patrioten zu beschwören, dessen Saat nun in rechtspopulistischen Netzwerken wie den "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) oder der "Alternative für Deutschland" (AfD) aufgeht.

Die Deutschlandkampagnen von Bertelsmann & Co ("Du bist Deutschland"), der Bild-Zeitung ("Ja zu Deutschland"), der Stiftung Deutsche Sporthilfe ("Dein Name für Deutschland") und Bundeswehr ("Wir.dienen.Deutschland."), um nur einige zu nennen, haben ihren Teil dazu beigetragen, daß Thomas de Maizière unwidersprochen erklären kann, "wir" wollten "patriotisch" sein. Doch der sportive "Party-Patriotismus" ist keineswegs so spaßig, wie er erscheint. Locker und unverkrampft soll die Bevölkerung lediglich die Kröte schlucken, die der Innenminister mit dramatischen Worten auftischte. "Wir stehen am Scheideweg", sagte de Maizière im Bundestag. Der deutsche Spitzensport müsse sich neu aufstellen, um im Weltvergleich mit den großen Nationen konkurrenzfähig zu bleiben. "Entweder gehen wir allmählich immer mehr ins Mittelmaß - mit sinkender Tendenz, überdeckt durch einige herausragende Einzelsportler -, oder wir finden den Weg zurück in die Spitzengruppe der großen Nationen der Welt, wo wir als Spitzensportnation hingehören." Bereits im März werde ein sogenannter Lenkungsausschuß, dem er und DOSB-Chef Alfons Hörmann persönlich vorsitzen werden, über neue Strukturen im Spitzensport beraten. [2]

Bei seiner Einschätzung berief sich Thomas de Maizière auf eine Reihe von industriellen und institutionellen Spitzensportproduzenten, die alle von einem heißen Medaillenkrieg im Sport profitieren würden. Schon 2012 hatte der damalige DOSB-Chef und heutige IOC-Präsident Thomas Bach zusätzliche Mittel in Höhe von 25 Millionen für die kommenden vier Jahre gefordert, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Das hatte die Politik damals noch abgelehnt, obwohl Bach wirklich alles tat, um die Beteiligung Deutschlands am weltweiten Rüstungswettlauf einsichtig zu machen: "Die Konkurrenzsituation war noch nie so hart. Nicht mal in den Zeiten des Kalten Krieges ist so viel Geld und Know-how in den Spitzensport geflossen wie heutzutage", sagte der Wirtschaftsanwalt vor den Olympischen Spielen in London. Eingedenk des immer gnadenloser geführten Leistungswettbewerbs plädierte er nicht etwa für eine Mäßigung oder eine Abkehr vom hierzulande vielkritisierten "Gigantismus" in der olympischen Bewegung. Im Gegenteil, die kollektiven Anstrengungen sollten sogar noch gesteigert und zur persönlichen wie gesellschaftlichen Identitätsbildung beitragen. Der Sport sei, so Bach, "ein sehr wichtiges Aushängeschild für die Darstellung der Leistungsfähigkeit Deutschlands". Weil "wir Deutschen" im Ausland oft gesehen würden als "die Satten, die Gemächlichen, die nicht mehr bereit sind, etwas Neues richtig anzupacken", könne dieses Bild kaum besser korrigiert werden als durch den Sport. Ganz der FDP-Parteigänger betonte Bach zugleich die "Botschaft nach innen" - "dass wir Leistung wollen, Leistung brauchen und Leistung sich auch lohnt". [3]

Daß Exportweltmeister Deutschland "von außen" eher als Einpeitscher einer über Leichen gehenden Austeritätspolitik gesehen wird, der "nach innen" einen Wettbewerbsdruck entfaltet, dem immer mehr Bundesbürger durch Niedrigentlohnung, Armut und Burnout Tribut zollen, war nicht das Thema von Thomas Bach. Als sozialer Kitt, der die Widersprüche der neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft mit dümmlichsten Leistungsappellen, launigen Megaevents und nationalen Wir-Gefühlen in gefällige Formen bringt, kann "der Sport" aber durchaus dienen. Da sind sich die Funktionseliten von Sport und Politik vollkommen handelseinig.

Die sogenannte Schuldenbremse hatte 2013/14 noch dazu geführt, daß den hochfliegenden Forderungen der Leistungssportplaner eine Absage erteilt wurde. Eine interne DOSB-Kommission hatte einen Mehrbedarf in Höhe von 38 Millionen Euro ermittelt - pro Jahr wohlgemerkt! Der Testballon, der durch alle Medien flog, veranlaßte selbst das BMI zu der Bemerkung: "Forderungen des deutschen Sports nach mehr Fördermitteln haben fast rituellen Charakter." Und: "Sehr fragwürdig erscheinen die angeblichen Pläne des DOSB, durch Einsatz einer Werbeagentur - auf Kosten seiner Mittel - seinen Vorstellungen Nachdruck verleihen zu müssen." [4]

Damit der Steuerzahler den Braten nicht riecht, mußte eine andere Art von Werbeveranstaltung inszeniert werden - möglichst eine mit seriösem Anstrich. Die organisierte dann der als überparteilicher Lobbyistenverein verschriene Bundestagssportausschuß im Oktober 2014 mit dem Ergebnis, daß ein paar Wochen später das BMI 15 Millionen Euro mehr locker machte, als ursprünglich vorgesehen. Zur öffentlichen Anhörung zum Thema "Neue Strukturen für die Spitzensportförderung" waren handverlesene Sachverständige aus Sport, Wissenschaft und Gesellschaft geladen worden - unter anderem VertreterInnen des DOSB, der Sporthochschule Köln, des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) und des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) sowie AthletenvertreterInnen. Die geladenen Akteure zeichnete eine ausgesprochene Nähe zum Hochleistungssport und seinen Technik-, Schulungs- und Legitimationsapparaten aus - sportunabhängige Experten Fehlanzeige! Während der öffentlichen Anhörung kam dann auch nur jene "Kritik" an der Spitzensportförderung zur Sprache, die der internationalen Hochrüstung auf dem Felde der körperlichen Leistungssteigerung und des effizienteren Mitteleinsatzes (Technik, Forschung, Wirtschaft, Management, Verwaltung) das Wort redete. Profunde Kritik am immer heißer werdenden Medaillenkrieg der Industriestandorte? Ebenfalls Fehlanzeige! [5]

Zur Kritik an der mangelnden Transparenz in der Spitzensportförderung sei gesagt: Wenn die Abgeordneten meinen, "die Förderungsmechanismen müssen klarer werden" (SPD), und dies dann darauf hinausläuft, daß das, was früher auf den sportpolitischen Hinterbühnen ausgekungelt wurde, nun auf den Vorderbühnen mit ausgesuchten Kulissenschiebern stattfindet, dann hat der mediale Hoffnungsträger "Transparenz" lediglich zum Gelingen einer guten Vorführung, vergleichbar mit einem Illusionistentrick, beigetragen. Das ist keine Absage an Transparenz, sondern soll heißen, daß die Probleme des selbst von Innenminister Thomas de Maizière bekrittelten "Gigantismus" im kommerziellen Sport sehr viel tiefer liegen, als sie in der Öffentlichkeit auch nur ansatzweise diskutiert werden.

Nicht nur die gegenwärtigen Stimmungskampagnen von Politik und Wirtschaft im Zuge einer möglichen Bewerbung Berlins oder Hamburgs für die Sommerspiele 2024 oder 2028, die bewußt darauf verzichten, der Bevölkerung reinen Wein über die sozialen und materiellen Kosten der Megaevents einzuschenken, machen deutlich, daß eine ergebnisoffene Debatte darüber, welchen Sport die Gesellschaft möchte, mit allen Mitteln verhindert wird. Das ließ auch die Aussage von Dr. Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, erahnen, der im Bundestagssportausschuß zwar für "klare Medaillenvorgaben" und eine wettbewerbliche Unternehmenskultur mit vertraglich festgelegten Entscheidungs- und Kompetenzbereichen in der Spitzensportförderung plädierte, aber zur aktuellen Situation immerhin anmerkte: "Ich kann weder den unbedingten Willen zum maximalen spitzensportlichen Erfolg in Form von möglichst vielen Medaillen erkennen oder auch als ein mögliches Ziel einen Konsens darüber, daß die Medaillen eben nicht das Wichtigste sind und Deutschland seiner Kultur, seiner gewachsenen Sportkultur treu bleiben will und möglichst breit fördern will. Weder zu dem einen noch zu dem andern gibt es einem wirklich breit getragenen Konsens, weil es auch keine breit angelegte Diskussion darüber gibt."

Diese wichtige Redepassage aus der über dreistündigen öffentlichen Anhörung, die der Bundestag in seiner Mediathek in Bild und Ton zur Verfügung stellt, ist merkwürdigerweise nicht im Wortprotokoll der 14. Sitzung des Sportausschusses (auf das auch viele Medienschaffende zugreifen) enthalten - ein Versehen? [6]

Tatsächlich ist der unbedingte Wille "zum maximalen spitzensportlichen Erfolg in Form von möglichst vielen Medaillen" längst die unausgesprochene Leitlinie einer mit den Sportverbänden eng verzahnten Regierungspolitik, die immer lauter die Trommeln für einen Sportkrieg rührt, der Deutschland wieder "zurück in die Spitzengruppe der großen Nationen der Welt" führen soll - so zumindest die Ansage von Thomas de Maizière. Dafür werden immer mehr Millionen in die Spitzensportförderung und in den Anti-Doping-Kampf gesteckt - was sich zweifellos bedingt, denn wer letzte Leistungsreserven bei den Athleten mobilisieren und nicht "den Anschluß an die absolute Weltspitze" (de Maizière) verlieren will, der muß auch zu immer repressiveren Maßnahmen greifen, damit der sportliche Funktionssklave unter dem steigenden Erfüllungsdruck nicht von der Kette geht und zu unerlaubten Mitteln greift. Das kann Politikern vom Schlage de Maizières, die die Kriminalisierung von Dopingsündern ab dem ersten Milligramm anstreben, allerdings egal sein, schließlich hatte auch der CDU-Minister die Erhöhung des Sportetats um weitere 15 Millionen damit bekräftigt, daß "wir das ja nicht aus Nächstenliebe [tun], sondern wir reden über Förderung des Spitzensportes. Und dann müssen auch Spitzenleistungen herauskommen..." [7]

Fußnoten:

[1] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYuxDsIwDET_yE46ARulCytLG7a0jSKjOqmMUxY-nmTgTnrDPR0-sTb5g6JXyslvOKFb6DJ_YOYjwisXqSswJXprECqMY_usAZacgjZqSEqVUbxmgT2Lbs0UkWqAVnTGDr2x5h_7PbnxPN060w33_oE78_UHIJ3XMw!!/. Stand vom: 03.12.2013.

[2] http://www.bundestag.de/blob/359846/1abdfc00cecf94e6bff6185f5ce5d83e/18086-data.txt. 06.02.2015.

[3] http://www.welt.de/print/wams/sport/article13504353/Die-Konkurrenz-war-noch-nie-so-hart.html. 24.07.2011.

[4] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/dosb-innenministerium-haelt-geldforderung-fuer-unverstaendlich-12628598.html. 22.10.2013.

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek219.html
Knallharte Wettbewerbs- und Standortpolitik: In der Spitzensportförderung soll unternehmerisch gearbeitet werden

[6] http://www.bundestag.de/blob/353008/6d2ca5d5e00a6c6978fd9b3357ac5c0c/14-protokoll-data.pdf.
Wortprotokoll der 14. Sitzung Sportausschuss vom 13.10.2014 in Berlin. Letzter Zugriff: 27.02.2015.

[7] http://www.deutschlandfunk.de/sportgespraech-jetzt-wollen-alle-fussball-spielen.892.de.html?dram:article_id=304751.
Sportgespräch am 30.11.2014.

1. März 2015


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