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KOMMENTAR/231: Pflaster für den Wundbrand ... (SB)


Feudale Beruhigungspille: Katar plant "Labour citys" für seine modernen Arbeitssklaven


Die Meldung wirkt skurril, ist aber blutiger Ernst: Die Arbeitsmigranten, die unter sklavenhalterischen Bedingungen und zu Hungerlöhnen die gigantischen Bauwerke und Infrastrukturprojekte im hochmodernen Feudalstaat Katar errichten, sollen nun auch noch ihre eigenen Vorzeigeghettos bauen. Wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtet, sollen im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2022 sieben Städte errichtet werden. In diesen können dann insgesamt 285.000 Arbeitsmigranten Platz finden. Das sei die "Zukunft", bestätigte Arbeits- und Sozialminister Dr. Abdullah bin Saleh al-Khulaifi, der zur reichen Oberschicht der katarischen Staatsbürger gehört, denen etwa acht Mal so viele ausländische Arbeitskräfte (derzeit rund 1,8 Mio. - bis 2020 rund 2,5 Mio.) gegenüberstehen, die unter härtesten Bedingungen und mit minimalsten Rechten ausgestattet für das industrielle Wachstum des monarchisch regierten Emirats sorgen. Es bedarf nicht der Rede, daß mit der Ausbeutung der Arbeitsmigranten auch die Profite der Privatinvestoren, Bauunternehmen oder Sportkonzerne in Katar ermöglicht werden. Alle sieben Städte, die selbstverständlich streng von den luxuriösen Arbeits- und Lebensbereichen des Herrscherclans separiert sind, könnten bis Ende 2016 fertiggestellt werden. Die größte "Labour city" - mit 55 Gebäuden einschließlich eines Einkaufzentrums und einer Klinik für 70.000 Menschen gebaut - soll bereits in Kürze bezugsfertig sein. Besonderes "Bonbon" für die migrantischen Arbeitskräfte: ein Cricketstadion mit 24.000 Sitzplätzen. [1]

Bekanntlich stammen die meisten Wanderarbeiter aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal oder Sri Lanka - Länder, in denen britische Kolonialsportarten wie Cricket weit verbreitet und als Mittel herrschaftlicher Disziplinierung sowie Massensoma gut erprobt sind. In der Demokratischen Bundesrepublik Nepal, die mit rund 40 Prozent den Hauptanteil aller Beschäftigten im Bausektor von Katar stellt, ist das Mannschaftsspiel Cricket nach Fußball die zweitpopulärste Sportart. Das Wurf- und Schlagspiel war während der durch Tyrannei, Ausschweifung, wirtschaftliche Ausbeutung und religiöse Verfolgung gekennzeichneten Rana Dynastie (1846-1951) durch in England studierende Eliten in den 1920er Jahren in Nepal eingeführt worden. Was die Adligen zunächst nur unter ihresgleichen betrieben, daran durfte später auch das Volk teilhaben.

Wie so oft in der Instrumentalisierungsgeschichte des Sports dienten auch Mannschaftsspiele dazu, die Menschen an das Befolgen strenger Regelwerke und die Einordnung in funktionelle Hierarchien und Arbeitsprozesse zu gewöhnen. Wer von der Pike auf gelernt hat, gegen die Uhr anzurennen, diszipliniert seinen Platz in der Mannschaft einzuhalten oder die Entscheidungsgewalt von übergeordneten Instanzen wie Schiedsrichtern, Trainern oder Funktionären zu akzeptieren, der wird auch eher bereit sein, in der sengenden Hitze von Katar die extremen Arbeitsbedingungen zu ertragen, statt dagegen zu rebellieren. Dem meist ungelernten und in großer Abhängigkeit stehenden Migranten, der dort zu arbeiten hat, wo ihn der Polier oder Aufseher hinstellt, bleibt ohnehin kaum eine Wahl: Wie im Mannschaftsport gilt, daß ersetzt wird, wer nichts bringt.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist der Agrarstaat Nepal mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 730 US-Dollar (2013) das zweitärmste Land Südasiens und zählt mithin zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Demgegenüber verfügen die katarischen Staatsbürger über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Erde (99.731 Dollar pro Kopf und Jahr). Da dürfte es schon mal drinliegen, den nach Angaben internationaler Gewerkschaften wie Leibeigene behandelten Migranten neben Labour citys auch ein von ihnen selbst gebautes Cricketstadion zu spendieren, in dem sie zur Auffrischung ihrer Arbeitskraft Zerstreuung finden können. Was die Bevölkerungen in den westlichen Metropolengesellschaften am Band hält, sollte eigentlich auch im Brot-und-Spiele-Paradies Katar funktionieren. Dieser Zusammenhang wird allerdings weder von Arbeits- noch von Menschenrechtsorganisationen kritisiert - soweit wollen sich die NGOs dann doch nicht aus dem Fenster lehnen. Ist doch schön, wenn sich die ausgelaugten Arbeiter nach dem harten Tageswerk im Stadion vergnügen und zusammen mit ihren Gönnern und Bürgen (siehe Kafala-System) auf den vollklimatisierten VIP-Plätzen klassenübergreifende Jubel- und Schmähgemeinschaften bilden können ...

Als der "Guardian" im September 2013 erstmals darüber berichtete, daß binnen zwei Monaten desselben Jahres mindestens 44 nepalesische Arbeiter in Katar im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen bzw. den -bedingungen zu Tode gekommen waren, und darüber hinaus eine nepalesische Botschafterin in Doha mit den Worten zitierte, Katar sei für ihre Landsleute ein "Freiluftgefängnis" [2], lief auf allen Ebenen sofort die Beschwichtungsmaschinerie an - auch im bettelarmen Nepal. Kaum hatte sich die katarische Regierung über den Vergleich beschwert, zog Nepal seine Botschafterin aus der Hauptstadt ab. Ihr Handeln entspreche nicht dem diplomatischen Anstand und gefährde die Beziehungen ihres Landes, hieß es in der Begründung. [3] Zieht man vor dem Hintergrund der jüngsten schweren Erdbeben in Nepal in Betracht, daß die Not der Bevölkerung noch einmal dramatisch angestiegen ist, dürfte die Bereitschaft der nepalesischen Regierung, die ausbeuterischen Verhältnisse in Katar zu thematisieren, inzwischen unter null liegen. Armut und Abhängigkeit sind wesentliche Gründe, warum sich auch die anderen süd- und südostasiatischen Staaten mit offiziellen Protestnoten gegen die Lohnsklaverei in Katar zurückhalten.

Ein vielsagendes Beispiel, wie die "Völkerverständigung" durch Sport tatsächlich funktioniert und welches Verhältnis die Golfmonarchie zu ihren Gastarbeitern hat, lieferte Ende März ein mißlungener Weltrekordversuch in der Wüste um Doha. Wie die FAZ unter Berufung auf Facebook-Einträge und Meldungen der "Doha News" berichtete, sollten 50.000 Läufer zum größten Marathon der Welt antreten. Ein großer Teil der beim "Qatar Mega Marathon" startenden Läufer sollen Arbeiter von den Baustellen Katars gewesen sein. "Auf Bildern der Veranstalter auf Facebook waren zahlreiche Personen mit Startnummern in weißen T-Shirts, langen Hosen, Flip-Flops und anderen Sandalen sowie Sicherheitsschuhen zu sehen. Teilnehmer seien gezwungen worden, mehrere Kilometer zu Fuß zu gehen, bis klar geworden sei, dass sie den Halb-Marathon nicht beenden würden", zitiert die FAZ Augenzeugenberichte. Erschöpfte Läufer seien in Busse verladen und abtransportiert, andere Teilnehmer gezwungen worden, weiter zu laufen. Wer aufgeben wollte, sei angeschrien worden, es bis ins Ziel schaffen zu müssen. Am Ziel angekommen, erhielten viele weder Wasser noch die versprochenen Teilnehmermedaillen. Laut FAZ war Ende Januar in einer Mitteilung des mitveranstaltenden Sportklubs Al Saad zu lesen gewesen, Ziel des Mega Marathons sei nicht allein der Weltrekord, sondern die "Vermittlung des wahren Geistes des Sports, Respekt vor Sieg und Niederlage, Durchhaltevermögen, Geduld und Herausforderungen". [4]

Diese Reden über die "positiven Werte des Sports" werden überall auf der Welt geschwungen, in deutschen Parlamenten ebenso wie in den Weltregierungen des Sports (FIFA, IOC etc.). Offenbar hat sich hier über alle Ländergrenzen, politischen Systeme, Weltanschauungen und Organisationen hinweg ein Herrschaftskonsens etabliert, der es den Funktionseliten möglich macht, die arbeitende Bevölkerung je nach Bedarf an die sportliche Leine zu legen. Labour citys neben Stadiontempeln und Wüsten-Marathons für moderne Sklavenarbeiter sind das neofeudale Ergebnis eines historisch gescheiterten Arbeitersports, der schon bei seiner Erweckung von den ausbeuterischen Imperativen der aristokratischen Muskelreligion kontaminiert war.

Fußnoten:

[1] http://www.theguardian.com/world/2015/may/06/qatar-builds-seven-cities-to-house-258000-world-cup-migrant-labourers. 06.05.2015.

[2] http://www.theguardian.com/global-development/2013/sep/26/qatar-world-cup-migrant-workers-dead. 26.09.2013.

[3] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/stadienbau-in-katar-tod-im-freiluftgefaengnis/8859394.html. 27.09.2013.

[4] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/qatar-zwingt-arbeiter-zum-halb-marathon-in-flip-flops-13514405.html. 31.03.2015.

31. Mai 2015


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