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KOMMENTAR/233: Imagesüchtig, wahrheitsflüchtig ... (SB)


Mit und ohne Kostenexplosion: Olympische Spiele in Hamburg bleiben ein Albtraum


Wenn es nur Roßtäuscherei wäre, derer man die Olympiamacher in Hamburg zeihen könnte, dann gäbe es wenigstens Anzeichen dafür, mit welchen Tünchen und Retuschen gearbeitet wurde, um den Eindruck eines stimmigen Gesamtbildes zu erwecken. Doch wie nennt man es, wenn die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt Hamburg, die am 29. November 2015 in einem Referendum über die Frage abstimmen sollen, ob sie dafür sind, "dass sich der Deutsche Olympische Sportbund mit der Freien und Hansestadt Hamburg um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele im Jahr 2024 bewirbt", dem Gaul noch nicht einmal ins Maul schauen dürfen - hanseatisches Kaufmannsgeschick?

Die "Pfeffersäcke" sind sogar noch dreister. Sie drehen den allgemein beklagten Umstand, daß die Olympiamacher zum Zeitpunkt des Referendums keine belastbare, geschweige denn rechtsverbindliche Abschätzung der finanziellen Kosten des Megaevents vorlegen können, sogar noch zum Proargument für die Bewerbung - schließlich möchte man den Bürger/innen mit vorschnellen Kostendarstellungen, die sich später als haltlos erweisen, keine falschen Versprechungen machen!

Obwohl die endgültigen Kosten erst im Laufe der weiteren Planungen und mit der finalen Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im September 2017 etwas transparenter werden (ab diesem Zeitpunkt kann das IOC weitere kostentreibende Bedingungen dem Olympiaausrichter diktieren), soll bereits in fünf Monaten das Bürger-Referendum durchgeführt werden. Zu Recht kritisieren die Olympiaskeptiker und -gegner, daß unter dem presserischen Vorwand einer Olympiabefragung ein Bürger-Referendum in die Hamburger Verfassung geschrieben wurde, das weder der Bewerbungsproblematik noch dem gesellschaftlichen Postulat nach mehr "direkter Demokratie" gerecht wird. Denn mit dem "Referendum von oben", so lautet etwa die gesalzene Kritik des Vereins "Mehr Demokratie", haben sich Senat und Bürgerschaft ein Instrumentarium geschaffen, das "Volksinitiativen von unten", die von der neuen Verfassungsänderung ebenfalls betroffen sind, aufgrund damit verbundener Hürden, Fristen und Bedingungen behindern und ausbremsen könnte. Noch kurz vor der Verfassungsänderung hat "Mehr Demokratie" deshalb zwei Volksinitiativen nach altem Recht angemeldet ("Lex Olympia" und "Rettet den Volksentscheid" [1]), die Kontrapunkte zum Obrigkeitsreferendum der Olympiaparteien bilden sollen. Eine dritte Volksinitiative ("Stop Olympia Hamburg"), die sich direkt gegen die Bewerbung richtet, wurde gerade an den Start gebracht.

Schon jetzt steht die drängende, aber unbeantwortete Frage im Raum, ob es zu einem späteren Zeitpunkt, falls deutlich würde, daß die Kosten für das Megaevent immer mehr in den Himmel zu wachsen drohen, für die Bürger/-innen noch möglich sein wird, auf dem Wege eines Volksbegehrens oder anderer Mechanismen die Notbremse zu ziehen. Bis dato sind keine verbindlichen Leitplanken oder Ausstiegsklauseln für die Feuer-und-Flamme-Spiele vorgesehen, die einem finanziellen Flächenbrand nach Art der Elbphilharmonie vorbeugen könnten.

Anders als bei den Bewerbungen Leipzigs oder Münchens, wo sich die hohe Politik mit Steuergeschenken an die Olympiawirtschaft noch etwas mehr zurückhielt, hat der Haushaltsauschuß des Deutschen Bundestages eine zusätzliche Förderung von 30 Millionen Euro für die Bewerbung Hamburgs beschlossen. Weitere 15 Millionen sollen von der Stadt und 25 Millionen von der deutschen Wirtschaft kommen. Die Gelder sind verbrannt, wenn Hamburg nicht gegen die starke internationale Konkurrenz gewinnt. Da internationale Großereignisse, wie die Erfahrung lehrt, nicht deshalb an den Meistbietenden versteigert werden, weil sie so überzeugende Konzepte oder Präsentationen haben, sondern weil sie den Stakeholdern die größten ökonomischen Gewinne und Vorteilsmitnahmen versprechen, muß davon ausgegangen werden, daß im Hintergrund weitere Millionendeals laufen werden, von denen Otto Normal nur etwas mitbekommt, wenn die Strippenzieher der Sportwirtschaft und ihre politischen und juristischen Reinemacher nicht aufgepaßt haben.

Während die Global Player mit Milliarden-Summen für die Spiele in Hamburg rechnen (Hafenumzug 7 Mrd., Sicherheitskosten 1,4 Mrd., Gesamtkosten 14 Mrd.), scheinen die kleineren Millionenbeträge kaum noch der Rede wert zu sein, wenn sie denn überhaupt in den offiziellen Kostenrechnungen auftauchen. 2015 hatte der Bund bereits 15 Millionen Euro zusätzlich in die Spitzensportförderung gesteckt, um die Medaillenerträge deutscher Athleten zu steigern. Die geplante Strukturreform der nationalen Kaderschmieden im "Leistungssportstandort Deutschland", die die Athleten zu neuer Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich trimmen soll, wird weitere Millionen verschlingen. Innenminister Thomas De Maizière (CDU), der von den Zivil- und Militärathleten mehr Medaillen fordert, hat im Bundestag bekräftigt, daß für ihn die Strukturveränderung in der Spitzensportförderung auch eng mit einer Olympiabewerbung zusammenhänge. Bereits jetzt buttert der Bund 153 Millionen Euro in den glorifizierten Elitesport - Bundeswehr, Polizei und Zoll dürften zusammengenommen noch einmal rund 130 Millionen beisteuern.

Damit das paradigmatische Kontrollgefängnis des Hochleistungssports weiter ausgebaut werden kann, wurde vor kurzem der Etat der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) von 7,8 Millionen Euro (2014) auf 9,8 Millionen Euro (2015) erhöht. Sollte Hamburg den Zuschlag für 2024 oder 2028 bekommen, werden weitere Millionen in die Big-Brother-Institutionen fließen - das Werbemantra vom "sauberen Sport", der sich immer mehr zu einem jedwede Privatsphäre negierenden Panoptikum bis in den Schlaf verfolgter Leistungssubjekte entwickelt, wirkt hier wie ein Sesam-öffne-dich. Die Mehr- und Opportunitätskosten, die die geplante Kriminalisierung von Spitzensportlern (und später auch Normalbürgern) unter dem Vorwand des Gesundheits- und Wettbewerbsschutzes nach dem neuen Anti-Doping-Gesetz verursachen wird, sind indessen kein Thema öffentlicher Erörterung. Wie noch bei jeder mit staatlicher Gewalt durchgesetzten Prohibition wird das bittere Erwachen, wenn überhaupt, erst später kommen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) geht davon aus, daß Deutschland allein für die Verfolgung von Cannabisdelikten 1,6 Milliarden Euro pro Jahr ausgibt. Damit liegt Berlin europaweit an der Spitze. Was der Anti-Doping-Krieg kosten wird, wenn die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit für indexierte Substanzen und Medikamente, die vorsätzlich auch zu Dopingzwecken eingesetzt werden könnten, wie geplant kommt, kann niemand beantworten. Sicher ist nur, daß Deutschland nicht nur im Medaillenspiegel glänzen, sondern auch im strafbewehrten Anti-Doping-Kampf mit leuchtendem Beispiel vorangehen will. In diesem Zusammenhang von einem blinden Fleck im vermeintlich kritischen Sportjournalismus zu sprechen, der im Gleichschritt mit den Law-and-Order-Vertretern aus Sport, Politik und Legitimationswissenschaften marschiert, kommt geradezu einer Beschönigung gleich.

Inzwischen kristallisiert sich auch immer mehr heraus, welchen Schub die Sicherheits- und Überwachungsindustrie durch die Olympischen Spiele erhalten soll. Wie "Die Welt" Mitte Juni berichtete [2], sollen 120 Millionen Euro für eine "lückenlose Videoüberwachung" Hamburgs investiert werden. Das präventive Polizeikonzept wird mit dem Argument gerechtfertigt, dadurch Personal und weitere Kosten zu sparen. Auch hier wird der Kostenfaktor zum Proargument für den technologischen Ausbau des Überwachungsstaates gedreht, der seine Repression lieber hinter omnipräsenten Kameralinsen und Horchposten versteckt, als sie offen zur Schau zu stellen. Bei den Sommerspielen in UK und der Fußball-WM in Brasilien (und sicherlich auch bei den Spielen 2016 in Rio) zeigten indessen Polizei und Militär ungeschminkte Präsenz. Es gehört zu den vielen Legenden im sportpolitischen Komplex, daß die Absicherung des "circus maximus" in Demokratien bürgerfreundlicher wäre.

Ähnlich wie bei den Militärfestspielen in London soll auch in Hamburg ein Sicherheitszaun rund um das Olympische Dorf gezogen werden (Kostenpunkt: 4 Mio. Euro). Allerdings steht zu befürchten, daß dieser Hochsicherheitstrakt nicht der einzige mit NATO-Draht und eventuell sogar Starkstrom gesicherte Gefahrenort sein wird. Mit Olympia werde Hamburg zum Mega-Gefahrengebiet, kritisierte Die Linke und verweist auf rund 90 Sport- und Trainingsstätten in der ganzen Stadt, die mit Sicherheitszäunen gesichert werden müßten. Neben abgesperrten Straßen und Vierteln sowie Hubschraubern und Drohnen in der Luft könnte auch der Bundeswehreinsatz im Innern zur Debatte stehen. Das liegt vor dem Hintergrund weltweit wachsender Krisenherde und der steigenden Bereitschaft der führenden Industriestaaten, ihre als Friedensmissionen maskierten Weltordnungskriege immer aggressiver zu führen, mehr als nur nahe.

Die "Grüne Jugend Hamburg" hat sich inzwischen von den olympiafiebrigen Koalitionsgrünen im Rathaus abgesetzt und sich klar gegen die Feuer-und-Flamme-Spiele positioniert. Die Nachwuchsorganisation der Grünen wirbt für ein "Nein" beim Olympia-Referendum und wird mit dem Bündnis NOlympia zusammenarbeiten. Auch das Studierendenparlament der Universität Hamburg hat sich gegen die "Kommerzspiele" ausgesprochen und den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) damit beauftragt, ein Anti-Olympisches Komitee an der Uni Hamburg zu gründen. "Die Olympia-Fans aus Handelskammer und Senat wollen das 'große Gemeinschaftserlebnis' dafür nutzen, die hegemonial abgeschmackte Schuldenbremsen- und Standortpolitik verschärft fortzuführen und die massive soziale Spaltung in Hamburg im verordneten Freudentaumel des Mega-Events zu überpinseln", kritisiert die Verfaßte Studierendenschaft, die sich stadt-, hochschul- und wissenschaftspolitisch dafür einsetzen will, "dass die Olympischen Spiele verhindert werden - in Hamburg und überall". [3]

Der AStA der Uni Hamburg hat sich unterdessen dem NOlympia-Bündnis angeschlossen und will mit einem eigenen Informationsangebot ein "Gegengewicht zur emotionalen Politik des Hamburger Senats" bilden, damit die Studierenden nicht nur die olympiafreundlichen Werbekampagnen von Politik und Wirtschaft zu hören und zu sehen bekommen. Gedeckt durch das Leitbild der Uni Hamburg und den Bildungsauftrag will der AStA "gegen die Lügen, Verschleierungen und falschen Versprechungen über die wirkliche Funktion und Folge von Olympia aufklären". [4] Wie nicht anders zu erwarten, hat der konservative Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gedroht, weil er dem AStA einseitige Stimmungsmache gegen Olympische Spiele vorwirft, die nicht mit dem Hochschulgesetz vereinbar sei.

Daß intransparente Kostenfallen zu Lasten der Bevölkerung, Blanko-Schecks an das IOC sowie emotionales "Chancen"-Marketing auf seiten der Olympialobbyisten auch (einseitige) Negativstimmungen in der olympiakritischen Bewegung hervorrufen können, würde wohl niemand ernstlich bestreiten wollen. Der CDU-nahe RCDS sollte sich lieber ein Beispiel an der Jungen Union Garmisch-Partenkirchen nehmen. Als die Olympiawirtschaft in München und Umgebung die Winterspiele 2018 austragen wollte, stellte sich die Nachwuchsorganisation der CSU gegen die Pläne der Altvorderen mit einem bemerkenswerten Credo: "... auch ohne Kostenexplosion ist eine Investition des Freistaates von rund einer Milliarde Euro für sechs Wochen Olympische und Paralympische Spiele viel zu viel. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, wie z.B. bei dem Ausbau von Kindergärten und Schulen, der Anstellung weiterer Lehrer und der Förderung sozialer Projekte. Ein ausgeglichener, generationengerechter Haushalt rückt in weite Ferne! Grundsätzlich gilt, die Jugend muss die Schulden zahlen!" [5]

Fußnoten:

[1] Siehe: www.lex-olympia.de und www.rettet-den-volksentscheid.de

[2] http://www.welt.de/regionales/hamburg/article142548678/1-38-Milliarden-Euro-fuer-sichere-Spiele-in-Hamburg.html. 15.06.2015.

[3] http://www.sds-uhh.de/?p=1638. 19.06.2015.

[4] http://www.welt.de/regionales/hamburg/article143277070/Studenten-Vertretung-gegen-Olympia-in-Hamburg.html. 29.06.2015.

[5] http://data6.blog.de/media/337/5020337_5c6666ed96_d.pdf.
Pressemitteilung des Kreisverbandes der Jungen Union Garmisch-Partenkirchen vom 04.10.2010.

4. Juli 2015


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