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KOMMENTAR/289: Des Westens Pressemacht ... (SB)



"Allgemeinpolitisch verständlich, aber sportpolitisch bedenklich ist die Art von 'sportlichem' Wettlauf, der unmittelbar nach der russischen Invasion unter Sportorganisationen und -veranstaltern um die Pole Position in der Sanktionierung alles Russischen in der Sportwelt einsetzte." [1]
(Prof. Dr. Sven Güldenpfennig, Sport- und Kulturwissenschaftler)

Der organisierte Leistungs- und Wettkampfsport, seit jeher als staatstragend und politisch opportunistisch verschrien, wird seiner instrumentellen Rolle im Dienste herrschender Interessen einmal mehr gerecht. Nicht die Kriege im Irak, in Syrien, Libyen, Afghanistan, Palästina, im Jemen oder in Mali, um nur einige Beispiele zu nennen, oder der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien 1999, der den Krieg nach Europa zurückbrachte, hat die Funktionäre und Sporteliten vornehmlich westlicher Provenienz auf die menschenrechtlichen Barrikaden getrieben, sondern Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Hatte der vom Bundesinnenministerium gesponserte Lobbyistenverein "Athleten Deutschland" kurz vor den Winterspielen in Beijing noch erklärt, dass ein sportlicher Boykott der Spiele in China aus verschiedensten Gründen nicht infrage komme, etwa weil für die AthletInnen keine echte Wahl bestehe, "sich frei für oder gegen die Spiele zu entscheiden" [2], so galt das einen Monat später, nachdem die russischen Truppen in die Ukraine einmarschiert waren, plötzlich nicht mehr. So forderte die deutsche Athletenvertretung den vollständigen Ausschluss russischer und belarussischer AthletInnen von internationalen Wettbewerben sowie den vollständigen Ausschluss russischer und belarussischer Verbände aus dem internationalen Sportverbandssystem. Der internationale und nationale Sport müsse jetzt alle Möglichkeiten ausschöpfen und geschlossen Sanktionen mit voller Härte aussprechen, um seinen Werten treu und glaubwürdig zu bleiben, verkündete "Athleten Deutschland" ungeachtet dessen, dass der kommerzielle Olympismus diese "Werte" längst an die Meistbietenden verraten und verkauft hat. "Schweren Herzens sind wir uns darüber bewusst", so "Athleten Deutschland" weiter, "dass solche Maßnahmen auch russische und belarussische Athlet*innen treffen werden. Der russische Angriffskrieg lässt keine andere Wahl, als dass Sanktionen auch unschuldigen Dritten Schaden zufügen." [3]

Damit schloss sich auch die deutsche Athletenvertretung den fast schon pogromartigen Ausfällen und Übergriffen gegen alles an, was mit Russland oder "den Russen" in Verbindung gebracht wurde. Wer den Krieg nicht im Sinne der EU- und NATO-Propaganda verurteilte und sich nicht zu einem öffentlichen Statement "gegen den irren Putin" nötigen lassen wollte, lief in Sport, Kunst, Musik oder Literatur Gefahr, als "Putinversteher" und "Feind" gebrandmarkt und mit sozialen und beruflichen Sanktionen belegt zu werden. Schon der Hinweis, dass auf beiden Seiten der geopolitischen Fronten Fehler gemacht wurden, reichte aus, um als vermeintlicher Kriegsbefürworter verfemt und ausgegrenzt zu werden. Das konsensträchtige Lügenarrangement des internationalen Sports, sich möglichst aus der großen Politik herauszuhalten, Neutralität zu wahren und die Athleten nicht dafür verantwortlich zu machen, was die polit-ökonomischen Eliten an Konflikten und Kriegen verzapfen, wurde auf massiven Druck des westlichen Militärbündnisses, das seine Hände in Unschuld wäscht und in der Regel sanktionsfrei die eigenen Interventions- und Besatzungskriege vorantreibt, aufgegeben. Im Kielwasser der westlichen Dominanzpolitik distanzierten sich Sponsoren, Verbände, Vereine, Funktionäre und SportlerInnen von Russland, unterbrachen politische, wirtschaftliche, kulturelle oder sportliche Kontakte und ließen sich zum Spielball der bellizistischen Weltinnenpolitik machen.

Zwei Tage nachdem "Athleten Deutschland" den vollständigen Ausschluss von Russland und Belarus aus dem Weltsport gefordert hatte, empfahl auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) den internationalen Fachverbänden, russische und belarussische SportlerInnen von ihren Wettkämpfen auszuschließen. Der westlichen Diktion folgend, dass es sich um "Putins Krieg" handele, entzog das IOC dem russischen Präsidenten umgehend den Olympischen Orden. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), dem bis vor kurzem noch nachgesagt wurde, dass in seinen Reihen eine "Kultur der Angst" herrsche, schwenkte vollständig auf die westliche Boykottlinie ein und teilte seinen lieben Sportlerinnen und Sportlern mit, dass weltweite Sanktionen auf allen gesellschaftlichen Feldern umso wirksamer seien, je mehr gesellschaftliche Akteure sich daran beteiligten und der Sport seiner Verantwortung nachkommen und entsprechende Einschränkungen in Kauf nehmen müsse. [4]

Auch die Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), den Start der Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus unter neutraler Flagge bei den Winterspielen in Beijing zu genehmigen, hielt keine 16 Stunden. Offizieller Grund für die Vergraulung der russischen und belarussischen Behindertensportler: Mehrere Verbände, Teams und Athleten hätten mit einem Boykott der Spiele gedroht, was die Durchführbarkeit der Paralympischen Winterspiele gefährdet hätte. Laut IPC sei auch die Situation in den Athletendörfern "eskaliert", wodurch die Wahrung der Sicherheit für die Sportler "unhaltbar" geworden sei. "Dieser Beschluss ist im Einklang mit den übergreifenden Empfehlungen. Wir haben vollen Respekt für diese Entscheidung", sagte IOC-Präsident Thomas Bach in einer Medienrunde [5], was einer Bankrotterklärung seiner bisherigen Position glich, dass Boykotte immer und zuallererst den Athleten und der olympischen Bewegung schaden.

Warum haben sich denn die beteiligten Paralympics, anstatt mit Boykott zu drohen, nicht an einen Tisch gesetzt, um unter Ausschluss der Funktionäre ihre Möglichkeiten einer friedlichen Einflussnahme auf den Kriegsverlauf zu diskutieren - verbunden vielleicht mit einem Statement, dass der Sport und die Athleten nicht als Sanktionsinstrument der Kriegsparteien missbraucht werden dürften? Dass diese Möglichkeit so abwegig erscheint, dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass bei den von staatlicher Alimentierung abhängigen Eliteathleten gar nicht die Ideale von Inklusion, gemeinsamem Sporttreiben und Völkerverständigung im Vordergrund stehen, sondern das gegenseitige Niederkonkurrieren für Prämien, Marktwertsteigerung und Nationalprestige.

Die Zehn-Punkte-Liste von "Athleten Deutschland", in der aufgeführt wird, wie dem russischen Sport bzw. den SportlerInnen maximaler Schaden zugefügt werden kann, liest sich vom Duktus her wie das Agenda-Setting oliv-grüner MenschenrechtskriegerInnen, die sich ideologisch zur schärfsten Kriegs- und Aufrüstungspartei im Bundestag gemausert haben. Geht es gegen Putin, dann scheinen die Grünen mitunter sogar den Neocons der USA, die freedom & democracy propagieren, aber Unterwerfung unter die US-amerikanische Hegemonie meinen, den Rang abzulaufen. Schon vor dem Überfall Russlands warben die Grünen für Waffenlieferungen in die Ukraine, schließlich wollte man keinen Vasallen in EU und NATO aufnehmen, der sich nicht bis an die Zähne bewaffnet als Bollwerk gegen den russischen Feind verdient gemacht hätte.

"Athleten Deutschland" fordert zwar keine Waffen für die Ukraine, doch auch den deutschen Vorzeigesportlern ist klar, dass der Feind im Osten steht. "Russland vereinnahmt den Sport für seine politischen Ziele und schadet der Integrität des Sports seit Jahren. Präsident Putin hat zum dritten Mal nach 2008 und 2014 den Olympischen Frieden gebrochen und damit die Werte des Sports - Frieden, Nicht-Diskriminierung, Menschenwürde und Völkerverständigung - wiederholt mit Füßen getreten", heißt es in der selbstgerechten Sprache hiesiger Politstrategen, die weder die eigenen Weltordnungskriege zwecks Ressourcen- und Energiesicherung noch das eigene Sportwashing im Dienste der nationalchauvinistischen Selbstrepräsentation wahrnehmen wollen. Dabei kann sich kein Staat auf der Welt von einer Vereinnahmung seiner sportlichen "Aushängeschilder" freisprechen.

Die Mär vom "Olympischen Frieden", der im übrigen auch von den USA gebrochen wurde, als der frühere Präsident George W. Bush während der Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City keine besondere Feuerpause im sogenannten Afghanistan-Krieg einlegen wollte, wird zwar immer wieder gern erzählt, zumal die UN-Generalversammlung im Olympiajahr stets zu einer weltweiten Waffenruhe auffordert, doch der Ausdruck "Olympischer Friede" bezeichnete in der Antike eine Art "Immunität für die Athleten, die auf dem Weg zu den Olympischen Spielen geschützt waren", wie der Sporthistoriker Diethelm Blecking reklamierte. Die Vorstellung, dass in der Antike für die Zeit der Spiele alle Waffen still standen, sei "historisch falsch und bereits mehrfach widerlegt". [6] Der "Olympische Friede", da sind sich fast alle Experten einig, ist eher eine utopische, denn eine realistische Idee der Moderne. Er sei nicht mehr als ein "ethisches Statement", ein "Kommunikationsdeal", um den olympischen Gedanken zu verbreiten, wie der Friedensforscher Wolfgang Dietrich von der Uni Innsbruck in einem Deutschlandfunk Olympia-Podcast erläuterte. Die UN-Generalversammlung sei natürlich ein perfektes Forum, um das zu verstärken und umzusetzen. [7] Bei den Olympischen Winterspielen in Beijing hatten nur 174 von 193 Staaten diese Resolution eingebracht, die USA und Australien waren nicht darunter. Dennoch wurde die Resolution ohne Abstimmung im Konsens angenommen.

Einen allumfassenden olympischen Frieden hat es zweifelsohne niemals gegeben. Vielmehr wird den Menschen mit dem Postulat, dass jeweils ab sieben Tage vor Beginn der Sommer- und Winterspiele bis sieben Tage nach Ende der Paralympics Friede herrsche, eine olympische Harmonie vorgegaukelt, die im völligen Widerspruch zu den real existierenden Macht- und Gewaltverhältnissen in der Welt steht. Zudem wäre zu fragen, ob der Krieg nicht bereits in Friedenszeiten beginnt, nämlich dann, wenn z.B. Länder wie die Bundesrepublik Waffen und Rüstungsgüter im großen Stil an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten liefern. Dass die deutsche Ampelkoalition entgegen früheren Vorsätzen nun auch Waffen in Kriegsgebiete wie die Ukraine sendet, was nur in eine blutige Verlängerung des Krieges mit noch mehr Zerstörung und Toten münden kann, sowie die allgemeine Kriegsablehnung in der Bevölkerung nutzt, Milliardenpakete ungeheuren Ausmaßes für die Rüstungsindustrie zu schnüren, spricht ebenfalls dafür, dass es veritable Interessen gibt, die den kalten Krieg der imperialistischen Staaten, wozu auch Russland zählt, zu einem heißen machen wollen.

Man darf indessen gespannt sein, wann "Athleten Deutschland" konsequenterweise auch die katarischen Sportlerinnen und Sportler dafür haftbar macht, dass das Herrscherhaus in zahlreiche verdeckte und offene Kriege involviert war und ist. Doch jetzt, wo sich Deutschland von Erdgaslieferungen aus Russland "unabhängig" machen und dafür in die Abhängigkeit des katarischen Herrscherhauses begeben will, dürfte sich die Bereitschaft, die Fußball-WM in Katar zu boykottieren (wie einst von der grünen Außenministerin Baerbock angeregt), weil das Feudalregime Frauen und Homosexuelle diskriminiert und die Menschenwürde der wie Arbeitssklaven gehaltenen Baustellenarbeiter mit Füßen tritt, in Grenzen halten. Wie immer wird es darauf hinauslaufen, dass bei der Verletzung von Menschenrechten mit zweierlei Maß gemessen wird. Das geht fast automatisch: Der Medienkonsument braucht nur Radio und Fernsehen einzuschalten.

Fußnoten:

[1] https://cdn.dosb.de/user_upload/www.dosb.de/Newsletter/DOSB-Presse/2022/9_DOSB_PRESSE_web.pdf. 01.03.2022.

[2] https://athleten-deutschland.org/2022/01/26/vor-den-winterspielen-2022-sport-und-menschenrechte-handlungsoptionen-fuer-athletinnen-staaten-verbaende-und-sponsoren/. 26.01.2022.

[3] https://athleten-deutschland.org/nach-angriffskrieg-gegen-die-ukraine-vollstaendiger-ausschluss-russlands-und-belarus-aus-dem-weltsport-gefordert/. 26.02.2022.

[4] https://www.dosb.de/sonderseiten/news/news-detail/news/dosb-appelliert-solidaritaet-mit-der-ukraine. 02.03.2022.

[5] https://www.sportschau.de/paralympics/paralympics-russland-ukraine-teilnahme-ausschluss-100.html. 03.03.2022.

[6] https://www.deutschlandfunk.de/sporthistoriker-diethelm-blecking-olympischen-frieden-hat-100.html. 14.08.2016.

[7] https://www.deutschlandfunk.de/olympischer-frieden-die-waffen-schweigen-nicht-dlf-2b6b7a7a-100.html. 10.02.2022.

4. April 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 173 vom 9. April 2022


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