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INTERNATIONAL/005: Libanon - Rollenspiele fördern Rehabilitierung, Schauspielerin arbeitet mit Gefangenen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2011

Libanon: Rollenspiele fördern Rehabilitierung - Schauspielerin arbeitet mit Gefangenen

Von Dalila Mahdawi


Baabda, Libanon, 19. August (IPS) - Vom Band kommt ein Hämmern von Fäusten gegen Eisentüren. Die libanesische Dramatherapeutin Zeina Daccache muss sich einiges einfallen lassen, um von einer Gruppe Häftlinge im Baabda-Frauengefängnis beachtet zu werden. Die meisten der 45 Frauen sind auf Drogenentzug. Einige sind unruhig, andere völlig lethargisch.

Daccache, die oft als Komödiantin im libanesischen Fernsehen zu sehen ist, schafft es dennoch rasch, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nach ein paar Aufwärmübungen beginnen die Frauen, über ihr Leben und ihre Pläne für eine Zukunft jenseits der Gefängnismauern zu sprechen.

Als bislang einzige Organisation dieser Art in der arabischen Welt unterstützt Daccaches Libanesisches Zentrum für Dramatherapie (CATHARSIS) die Rehabilitierung von Strafgefangenen. Mit Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses Roumieh führte Daccache eine Adaption des US-Justizdramas 'Die zwölf Geschworenen' von Reginald Rose auf. Statt '12 Angry Men' hieß das Stück nun '12 Angry Lebanese'. Danach beschloss die Schauspielerin, ihr Projekt auch in anderen Haftanstalten im Libanon umzusetzen.

Unterstützt von der Drosos-Stiftung bildet sie außerdem Dutzende Dramatherapeuten in der Arbeit mit Strafgefangenen aus. In Baabda stellte Dacchache schon bald einen Erfolg ihrer Bemühungen fest. Nach wenigen Wochen gelang es einigen Frauen ihre anfängliche Zurückhaltung zu überwinden. Sie machen inzwischen bei der Therapie mit.

"Ich bin sehr traurig über meine Lage und auch darüber, dass meine Tochter so weit weg ist", sagte eine Gefangene, die wegen Drogendelikten in Baabda einsitzt. "Ich konnte nicht Gut von Böse unterscheiden."


Therapie verhilft zu größerem Selbstwertgefühl

Dramatherapie wird seit den siebziger Jahren in Schulen, Reha-Kliniken, bei der Trauerarbeit und in Haftanstalten praktiziert, um Menschen zu helfen, ihre Probleme zu überwinden und sich besser in die Gemeinschaft zu integrieren. Durch Rollenspiele gewinnen die Frauen in Baabda größeres Selbstbewusstsein und reflektieren die Ereignisse, die sie mit dem Gesetz in Konflikt brachten.

"Unser Ziel ist, am Ende des Projekts in Baabda ein Theaterstück aufzuführen", sagte Daccache. Da ständig neue Gefangene dazukommen, wird das Stück aus Monologen konstruiert. Neuankömmlinge haben also jederzeit die Möglichkeit, sich mit ihrer Geschichte einzuklinken. "Jeder von ihnen füllt einen Raum", meinte Daccache.

"Meine frühere Rolle war die einer Süchtigen. Dadurch wurde ich erniedrigt", erzählte eine Gefangene, die Rauschgift nimmt, seit sie 15 war. Die wegen Drogenhandels angeklagte Frau ist noch nicht verurteilt. Sie träumt aber bereits von der Freiheit und wünscht sich, als Frau und Mutter respektiert zu werden.

Daccache ist davon überzeugt, dass die Dramatherapie Straftäter davor bewahren kann, rückfällig zu werden. Im Roumieh-Gefängnis hätten die Insassen an sich selbst gearbeitet, statt immer nur die Gesellschaft für ihre Situation verantwortlich zu machen, erklärte sie. Ihnen sei es damit gelungen, depressive Phasen zu überwinden und Pläne für eine Zukunft außerhalb des Gefängnisses zu schmieden.

Angesichts der trostlosen Zustände in den Haftanstalten des arabischen Landes erscheinen solche Therapieansätze als notwendig. Die 20 Gefängnisse seien nicht nur chronisch überfüllt, sondern ursprünglich zu einem ganz anderen Zweck gebaut worden, sagte Ghassan Moukheiber, der den Vorsitz im parlamentarischen Menschenrechtsausschuss führt. Kürzlich legte er einen umfassenden Bericht zu einer geplanten Reform des Strafvollzugs vor.


Zustände hinter Gittern sind "Folter"

"Die derzeitigen Zustände in den Gefängnissen sind als Folter zu betrachten, als grausame und erniedrigende Bestrafung", kritisierte er im Gespräch mit IPS. Es sei dringend notwendig, die Haftanstalten in Orte der Rehabilitierung umzuwandeln.

Weibliche Straffällige sitzen im Libanon in speziellen Trakten der allgemeinen Haftanstalten sowie in vier Frauengefängnissen ein. Frauen machen nur 300 der insgesamt rund 5.000 Gefangenen im Land aus.

Die schlechten Haftbedingungen führten bereits häufig zu Revolten hinter Gittern. Im April kam es in Roumieh zu dem folgenschwersten Aufstand in der Geschichte des libanesischen Strafvollzugs. Die Insassen, die besseren Zugang zu medizinischer Versorgung forderten, brachen Türen auf, legten Feuer und brachten einen großen Teil des Gefängnisses unter ihre Kontrolle. Bei den Auseinandersetzungen wurden vier Häftlinge getötet.


Warnungen vor Gefängnisrevolte

Anfang August zündeten sich drei Gefangene selbst an, um gegen die parlamentarische Ablehnung eines Vorschlags zu protestieren, die Haftjahre von zwölf auf neun Monate zu kürzen. Ein Insasse starb an seinen schweren Verletzungen. Hunderte weitere traten in einen Hungerstreik. In diesem Monat brachen außerdem fünf Männer aus dem Roumieh-Gefängnis aus, indem sie sich an Bettlaken von ihren Zellen aus abseilten. Beobachter warnen davor, dass eine weitere Revolte unmittelbar bevorsteht. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2011