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SPIELZEIT/069: Hamburg - Das Kampnagel Theaterprogramm 2019/2020 (Kampnagel)


Theaterprogramm [k] Kampnagel, Spielzeit 2019/2020


Mit dem Stück 10.000 GESTEN des französischen Choreografen Boris Charmatz eröffnet Kampnagel am 27. September die neue Spielzeit auf der großen Bühne und setzt damit ein erstes Highlight in der Serie zeitgenössischer Tanzproduktionen, die in den kommenden Monaten gezeigt werden, u.a. von Sasha Waltz & Guests, Trajal Harrell, Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir, Constanza Macras sowie von Ousmane Sy, einem der neuen Leiter des Centre Chorégraphique National in Rennes.

Die Spielzeit 2019/20 steht für Kampnagel unter dem Auftrag #1000TATEN und setzt einen Fokus auf die praktische Hinterfragung von Erinnerungskultur. Der meist sehr einseitige westliche Wissenskanon soll mit ästhetischen, aktivistischen und theoretischen Formaten immer wieder durchbrochen werden: zur Spielzeiteröffnung u.a. mit der dokumentarischen Theaterarbeit HERERO_NAMA von Nuran David Calis (26. - 28.09.), einem Vortrag der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy über die Restitution afrikanischer Kulturgüter (28.09.), einer Podiumsdiskussion über das Konzept der "Solidarischen Institution" (26.09.) sowie einem performativen Rundgang durch die Hafencity, wo die Choreografin Yolanda Gutiérrez mit Tänzer*innen aus Tansania und Hamburg auf die noch heute gegenwärtige deutsche Kolonialvergangenheit aufmerksam macht (5. & 6.10.). Die Regisseurin Anta Helena Recke, die mit ihrer »Mittelreich«-Inszenierung 2018 zum Theatertreffen eingeladen war, ist im März mit ihrer neuen Arbeit DIE KRÄNKUNGEN DER MENSCHHEIT auf Kampnagel, in der sie die eurozentrische Behauptung einer universellen Menschheits- und Kunstgeschichte auf den Prüfstand stellt.

Diskurs und Performance zu queerer muslimischer Subkultur kommen am zweiten Eröffnungswochenende (3. - 5.10.) zusammen: WE MOKHTALEFS ist der Titel des dreitägigen Themenfokus', der die verdrängte Geschichte eines queeren Islam aktiviert, historische Referenzen aufzeigt und neue Ästhetiken aus dem Libanon, Marokko und Pakistan/USA präsentiert u.a. mit einer Arbeit des Bildenden Künstlers und Performers Zulfikar Ali Bhutto Jr., einer Lecture Performance der Künstlerin und Kuratorin Nuray Demir sowie einer Installation des marokkanischen Queens Collective.

Künstlerische Arbeiten, die sich mit Fragen nach Geschlecht, Sexualität und Identität auseinandersetzen, werden in der kommenden Spielzeit in verschiedenen inhaltlichen Kontexten immer wieder präsentiert: zum Beispiel im Dezember beim NORDWIND FESTIVAL, das den Dialog zwischen (globalem) Norden und (globalem) Süden mit Fokus auf Geschlechterkonstruktionen und Frauenbilder in den jeweiligen Regionen fortsetzt.

Und weil das Internet die Ungleichheiten und Machtmonopole der globalen Gesellschaften oft reproduziert, wird das Netz im November im künstlerischen Themenschwerpunkt DIGIFEM! aus ebenfalls feministischer Perspektive unter die Lupe genommen. In performativen Installationen, Lecture Performances, Workshops und Virtual Reality-Formaten sollen Kritik geübt, aber auch utopische Visionen einer zukünftigen digitalen Medienlandschaft entwickelt werden.

Ideen für die zukünftige Gesellschaft liefert das Kampnagel-Programm u.a. mit der zweiten Ausgabe des Generationen-übergreifenden Festivals DANGEROUS MINDS in Kooperation mit dem FUNDUS Theater, das sich im Mai 2020 dem politischen Dialog der Generationen widmet und für das verschiedene internationale Künstler*innen partizipative Projekte mit Kindern und Jugendlichen entwickeln, wie zum Beispiel das Kinderparlament des Belgiers Michiel Vandevelde.

Das Migrantpolitan auf dem Kampnagel-Gelände ist schon seit einigen Jahren ein gesellschaftlicher Mikrokosmos und Katalysator für diasporische Künstler*innen. Erfolgreiche Klassiker wie ORIENTAL KARAOKE, der Arab-Techno-Club-Abend DUB-KE und das Solicasino (das inzwischen auch auf Tour geht), sind in dieser künstlerischen Brutstätte entstanden und füllen eine Lücke in der Ausgehlandschaft Hamburgs, auch mit der neuen AFRO-PRIDE Partyreihe von DJ Waxs. Mit der Web-Soap RAMADRAM und dem Video-Format LET'S GET KRITIKAL von Larry Macaulay wird das Migrantpolitan auch zunehmend in Neuen Medien aktiv.

Um die Realität der syrischen Revolution, die 2011 zum bis heute anhaltenden Bürgerkrieg führte, geht es in dem Projekt REVOLUTIONARY SOUK. Eine Gruppe syrischer Künstler*innen in Hamburg macht im März 2020 in einem zum Basar umgestalteten Bühnenraum die Ereignisse von damals noch einmal erlebbar und reflektiert zivilgesellschaftliches Engagement und die staatliche Machtstrukturen.

Ihre Lebensrealität lassen auch der libanesische Künstler Rabih Mroué und Tianzhou Chen, einer der prominentesten Vertreter einer jungen Generation chinesischer Kunstschaffender, in ihre Arbeiten einfließen, mit denen sich beide an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst und Performance bewegen. Rabih Mroué zeigt im November seine zweite Zusammenarbeit mit dem Dance On Ensemble, das aus Tänzer*innen über 40 besteht. Tianzhou Chen, dessen Arbeiten vor allem in Museen und Galerien zu sehen sind, ist im Mai zum dritten Mal auf Kampnagel mit der Uraufführung seiner neuen großen Bühnenarbeit KSANA.

Viele der programmatischen Schwerpunkte spiegeln sich in den Arbeiten der Hamburger Künstler*innen wider, die neue Produktionen auf Kampnagel zeigen: Die Choreografin Ursina Tossi betrachtet in ihrer Uraufführung WITCHES zum Spielzeitstart (26.9.) die Figur der Hexe als feministische Kämpferin gegen patriarchale Strukturen, Nachwuchs-Choreografin Carolin Jüngst macht im Dezember an der Amazone einen Körper- und Geschlechterdiskurs auf, Daniel Chelminiak lädt im Februar 2020 zum Lernen in der dritten Queer B-CADEMY ein, Annika Scharm und Hannah Wischnewski widmen sich in ihrer Performance MIEZEN dem Phänomen der Internet-Katzen und Moritz Frischkorn stellt im Januar in seiner performativen Installation THE GREAT REPORT einen Zusammenhang zwischen Choreografie und Logistik her.

Die aus Südafrika stammende Hamburger Choreografin Jessica Nupen bespielt im März mit ihrer neuen Arbeit THE NOSE zum ersten Mal die große Kampnagel-Bühne. Sie interpretiert Gogols Erzählung »Die Nase« mit einem internationalen Ensemble aus Tänzer*innen, Sänger*innen und Musiker*innen als fantasievolle Tanz-Rap-Oper, für die der kanadische Musiker Josh »Socalled« Dolgin die Musik komponiert.

Im Februar 2020 kann sich Hamburg eine Woche lang Tanz-Stadt nennen, denn es treffen sich Schüler*innen aller Tanz-Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum und von verschiedenen internationalen Ausbildungsstätten auf Kampnagel, im K3 I Zentrum für Choreographie Tanzplan Hamburg und der Ballettschule des Hamburg Ballett zur 7. Ausgabe der Biennale Tanzausbildung. Flankiert wird das größte Treffen dieser Art, das jährlich an einem anderen Ort stattfindet, von einem internationalen Tanz-Programm fürs Hamburger Publikum.

Viele der Projekte für die neue Spielzeit entstehen mit Mitteln aus dem Bündnis Internationaler Produktionshäuser, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert ist. Kampnagel kooperiert mit den sechs größten international produzierenden Häusern Deutschlands, um neue Formate für das Theater der Zukunft zu entwickeln. Zum Abschluss der Spielzeit im Juni 2020 findet die dritte Ausgabe des im Produktionshäuser-Bündnis entstandenen Festivals CLAIMING COMMON SPACES auf Kampnagel statt und setzt sich auf künstlerisch vielfältige Weise mit den Folgen des Klimawandels auf Demokratie und Gesellschaft im 21. Jahrhundert auseinander.


Kartentelefon:
Mo. bis Sa. 10:00-19:00 Uhr
Telefon: +49 (0)40 270 949 49
E-Mail: tickets@kampnagel.de

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Quelle:
Kampnagel Hamburg
Jarrestr. 20, 22303 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 270 949 0, Fax: +49 (0)40 270 949 11
E-Mail: mail@kampnagel.de
Internet: www.kampnagel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2019

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