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INTERVIEW/001: "Animation" - Ein klassischer Fall von Poesie in Bewegung (SB)


"Animation" - Ein klassischer Fall von Poesie in Bewegung

von Julia Barthel


Der amerikanische Tänzer und Choreograf Johnny Lloyd ist ein Grenzgänger zwischen den Welten verschiedenster Stile wie HipHop und zeitgenössischem Tanz, unter denen man eigentlich kaum eine Gemeinsamkeit vermuten würde. Leichtfüßig wechselt er in seiner Performance zwischen dem Ausdruck der Bewegung, dem Klang von Instrumenten und der Verkündung seiner Gedanken in Worten. Es ist seine Spezialität, all diese unterschiedlichen Bereiche gekonnt miteinander zu verknüpfen und sie zu Trägern seiner künstlerischen Botschaft zu machen. Dabei läßt er scheinbar mühelos moderne Technik wie elektronische Live Musik, Projektionen und Filmsequenzen in die Show einfließen, wobei die Perfektion seiner tänzerischen Fähigkeiten den technischen Vorgaben in nichts nachsteht.

Mit anderen Worten: Johnny Lloyd ist eine Ausnahmeerscheinung, weil er sich als Querdenker weigert, hübsch in der vorgegebenen Ordnung ästhetischer Schubladen zu verschwinden. Er verzichtet nicht darauf, alles auf die Bühne zu bringen, was er hat und sein Publikum zum Mitdenken aufzufordern. Dennoch verbindet er am Ende alle Gegensätze zu einem fließenden Ganzen und bietet den Zuschauern Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Soweit die Eckdaten aus dem Steckbrief über Johnny Lloyd, die viel darüber aussagen, warum die Hamburger sich glücklich schätzen können, daß der weltweit bekannte Spezialist in Sachen HipHop die Hansestadt zu seiner Wahlheimat gemacht hat. Man sagt ihm nach, daß er ein durchmischtes Publikum anzieht und durch seine spannenden Darbietungen eine große Bereicherung für das deutsche Tanztheater ist. Den ultimativen Beweis für die Wahrhaftigkeit dieser Aussagen bekamen die Redakteure des Schattenblick beim Genuß seiner neuesten Performance geliefert, die den Titel "Animation" trägt und am 08. Mai im Hamburger Theaterhaus Kampnagel Premiere hatte.

Hamburger Theaterhaus Kampnagel

Schon der Auftakt der Vorstellung war ungewöhnlich, weil es nämlich gar keinen klassischen Anfang gab. Als das Publikum den Saal betrat, war Johnny Lloyd bereits auf der Bühne und beinahe meditativ in den Fluß seiner Bewegung versunken. Er brauchte sich nicht abzumühen, um uns auf seine Darbietung einzustimmen, denn Johnny hatte den Raum schon zum Reich seiner Fantasie gemacht, bevor wir ihn überhaupt betreten hatten. Die Bühne war nichts weiter als ein nüchterner, massiver Kasten aus hellem Holz, auf dem sich eine ebenfalls hölzerne Stellwand erhob. Ganz sachlich und ohne jede Dekoration bildete sie einen äußerst rationalen, aber griffigen Hintergrund für das Auge der Zuschauer. Rechts daneben befand sich ein unbemanntes, metallicrotes Schlagzeug, zur Linken ein Mischpult und ein Piano, mehr nicht. Johnny selbst war in einer weißen Unterhose ebenso puristisch gekleidet, so daß nichts den Blick von seiner Bewegung ablenkte.

Völlig unbehelligt vom Eintreten der vielen Leute stand er da und malte immer wieder einen weiß leuchtenden Kreis und ein rotes Rechteck auf die nackte Holzwand. Dieser Vorgang wurde so selbstverständlich ausgeführt, als könnte er bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Dabei erinnerte der Tänzer an ein Kind, das mit Fingerfarben an eine Hauswand malen darf und dabei alles andere vergißt. Erst als alle Anwesenden saßen und sich schon auf das Spiel eingelassen hatten, erweiterte Johnny Lloyd seine Bewegungen, während er dem Wandbild weitere, comichafte Elemente hinzufügte. Elektronische Klänge, der leichte Rhythmus einer Rassel und verschiedene Töne wie das Schnalzen einer Beatbox-Folge flogen durch den Raum, wurden vom Tänzer aufgenommen und in präzise Körperaussteuerung umgesetzt.

Das bedächtige Intro bot dem Publikum die Möglichkeit, in aller Ruhe auf die Dynamik des Tanzes einzusteigen, sich fallen zu lassen und ganz dem Geschehen auf der Bühne zu widmen. Man hatte nicht, wie so oft bei einer Performance, das Gefühl, hinter der Geschwindigkeit des Künstlers zurück zu bleiben. Johnny bewies damit seine Fähigkeit, den Zuschauer dort abzuholen, wo dieser sich gerade befand, um ihn dann in seine Welt hinein zu ziehen.

Gerade in dem Moment, wo das Publikum sich in einer wohligen Beobachterposition einzufinden drohte, tat Johnny Lloyd genau das, was seine Stücke als außergewöhnliche Experimente bekannt gemacht hat. Er kappte plötzlich den ästhetischen Fluß seines Tanzes, um eine philosophische Grundsatzfrage in den Raum zu stellen: "What is the most important thing?", was soviel bedeutet wie: "Was ist unser wichtigstes Gut?" Von einer Minute auf die andere hatte er damit die Gedanken der Zuschauer in eine schwierige Frage verwickelt, um dann ganz provokant jene Antwort vorzuschlagen, die wahrscheinlich vielen auf der Zunge lag: Nahrung könne die wichtigste Sache für uns sein. Allerdings, so führte Johnny die These weiter, könne man als Mensch auch geraume Zeit ohne etwas zu essen auskommen. Er wollte auf etwas anderes hinaus, das essentiell in jeder Sekunde lebenswichtig für uns ist.

Die überraschende Lösung des Rätsels lautete: Bewegung. In vollem Bewußtsein darüber, daß die wenigsten auf diese Antwort gekommen wären und sich in manchem ein innerer Widerspruch dagegen regte, untermauerte Johnny Lloyd diese Aussage sogleich mit Tatsachen. Würde der Fluß des Blutes in unserem Körper gestoppt werden, müßten wir auf der Stelle sterben. Ebenso sind wir auf einen fortlaufenden Strom von Elektrizität in uns angewiesen, um Muskeln und Gehirn funktionsfähig zu halten. Ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen, könnte man nicht einmal mehr etwas sagen, geschweige denn sein Leben retten. Ein gekonntes Beispiel von angewandter Logik hatte so seinen Weg in eine Tanzperformance gefunden. Nachdem Johnny die Bewegung in dieser Weise kompromißlos zur entscheidenden Basis für unser Überleben erhoben hatte, betrachtete man seinen Tanz natürlich auch unter einem ganz anderen Gesichtswinkel. Das Wort "Animation" bekam damit eine tiefere Bedeutung und alles Folgende wurde durch diese zentrale Idee aus dem Status reiner Unterhaltung herausgehoben.

Johnny Lloyd
Mit offenem Sinn war man anschließend in der Lage, die feine motorische Aussteuerung des Tänzers richtig zu würdigen, der nun vermeintlich spielend leicht die anspruchsvollen Techniken des Popping demonstrierte, auf welche er spezialisiert ist. Ohne angestrengt zu wirken integrierte Johnny Lloyd jeden einzelnen Muskel seines Körpers in einen Bewegungsfluß, der nicht mehr zu stoppen war. Ein einziger Impuls an einer beliebigen Stelle seiner Gliedmaßen genügte, um eine Welle in Gang zu setzten und alles andere mit zu erfassen. Es gab kein Halten für den Künstler, der zwischenzeitlich in einen glänzenden, goldenen Ganzkörperanzug geschlüpft war und dadurch einen glitzernden Hauch von Las Vegas mit auf die Bühne holte.

Das Thema des Abends war ja neben dem philosophischen Grundgedanken auch jene Magie, die von der fabelhaften Welt der Trickfilme und ihren erstaunlichen Bewohnern ausgeht. Mit Hilfe der Stop-Motion Technik werden darin alle erdenklichen Lebewesen zum Leben erweckt und man vergißt schnell, daß es sich in Wirklichkeit nur um Zeichnungen handelt. Gerade weil man die Bewegungen der bunten Cartoonfiguren beliebig in ihre Einzelteile zerlegen, verlangsamen und beschleunigen kann, sind diese zu Aktionen fähig, die in der Realität schlicht unmöglich zu sein scheinen. Sie verwandeln sich, rasen blitzschnell von A nach B, können ihre Gliedmaßen unabhängig vom Körper bewegen, schwerelos über den Boden schleichen oder in einen Slow-Motion Modus umschalten. Johnny Lloyd zeigte uns an diesem Abend, daß ein Mensch durchaus in der Lage ist, all diese lieb gewonnenen Illusionen aus unserer Kindheit mit dem eigenen Körper herzustellen. Vor unseren Augen schlich er in Zeitlupe durch den Raum, setzte die Füße geschmeidig wie ein Raubtier auf oder ließ alle Muskeln von den Zehen bis zu den Fingerspitzen tanzen, ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen. Er veränderte den Ausdruck seines Körpers, bis man meinte, hier stünde eine andere Person auf der Bühne, schnitt wilde Grimassen und kommunizierte mit seiner eigenen Hand, kurzum, er ließ nichts aus, was man mit Armen, Beinen, Kopf und Rumpf alles machen kann. Die Holzbühne mit der nackten Stellwand wurde ganz ohne Dekoration nach Belieben zum Dschungel oder in die Oberfläche des Mondes verwandelt, je nachdem, als was Johnny Lloyd gerade darüber sprang, kroch oder rollte.

Johnny Lloyd und sein Musiker Sven Kacirek

Johnny Lloyd und sein Musiker
Sven Kacirek
Das wilde Treiben auf der Bühne war einerseits ein Ausdruck großen Könnens, mit dem Elemente aus allen Bereichen des HipHop wie Popping und Locking, aber auch Swing, Jazz und Contemporary Dance in einem faszinierenden Solo miteinander verschmolzen wurden. Andererseits erinnerte es in seiner Leichtigkeit und haltlosen Freude an jene vergessenen Tage unserer Kindheit, in denen wir selbst noch in der Lage waren, mit unserem Spiel das Kinderzimmer zum Raumschiff und den Garten zum fremden Planeten zu machen. Als Zuschauer verspürte man einfach nur Lust, selbst auf die Bühne zu springen, um in die Abenteuer einzusteigen, die Johnny Lloyd dort gerade erlebte. Selbstironie, Witz und Hemmungslosigkeit machen hier den Unterschied zwischen einer netten, technisch perfekten Performance und einem packenden Erlebnis, in dem das Publikum mit auf eine unvergessliche Reise genommen wird. Johnny stellt dabei die Sehgewohnheiten immer wieder gründlich auf den Kopf, indem er streckenweise selbst hinter der Stellwand aus Holz verschwindet und nur noch in einem darauf projizierten Film in Schwarz-Weiß zu sehen ist. Dieser Wechsel vom dreidimensionalen Raum auf eine zweidimensionale Leinwand würfelt unser geradliniges Verständnis von Wahrnehmung teilweise in befremdlicher Weise durcheinander. Tanz und Bewegung sind dabei der Klebstoff, der alle Illusionen zusammenhält und dem Wahnsinn Methode gibt.

Bei allem Bezug zur Welt der medialen Animation hat sich Johnny Lloyd beim Erstellen seiner Choreografie letzten Endes dafür entschieden, den menschlichen Faktor und seine eigene Präsenz zum Kernelement der Show zu machen. Aus diesem Grund ist man als Zuschauer zunächst irritiert davon, das angekündigte Ensemble aus Cartoonfiguren in der Show überhaupt nicht vorzufinden. Es sei daher jedem empfohlen, die Beschreibung des Stückes einfach beiseite zu legen und sich live auf ein Stück einzulassen, das zwar kaum bunte Bilder beinhaltet aber dafür voller Artistik, Musik und Magie steckt wie ein Musical im Kleinformat.


Weitere Vorstellungen: 13. bis 15.05. um 20.00 Uhr
Karten: 040/270 949 49
Mo-Fr. 13-19 Uhr, Sa-So 16-19 Uhr
Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg, www.kampnagel.de
"Animation" ist eine Produktion von Johnny Lloyd und Kampnagel.

Unterstützt und gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg.
Von und mit Johnny Lloyd (Animation), Sven Kacirek (Musik), Oliver Helf (Bühne), Christian Sellin (Licht), Ilka Hundertmark (Kostüm), Sönke Held (Film, Cut)



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Interview mit Johnny Lloyd

Direkt nach der Premiere seines neuesten Tanzstücks "Animation" trafen wir Johnny Lloyd zu einem Interview, in dem der Tänzer uns erzählte, wie er zum HipHop gekommen ist und welche Motivation ihn als Künstler antreibt. Nachdem er gerade eben über eine Stunde lang ein schweißtreibendes Solo absolviert hatte, kam er kurz nach der Vorstellung völlig gelöst und entspannt auf uns zu, als hätte er gerade einen Kurzurlaub hinter sich. Obwohl er ein weltweit bekannter Spezialist für afroamerikanische Tanzstile ist, legte er nicht die geringste Spur von Starallüren an den Tag. Sein Gesicht wurde von großen, braunen Augen beseelt, die voller Leben steckten und einen sofort für Johnny Lloyd einnahmen. Da wir keinen ausgewiesenen Platz für unser Gespräch hatten, ließen wir uns einfach am Rande des bunten Foyers von Kampnagel an einem kleinen Holztisch nieder. Um uns herum war der Theaterbetrieb noch in vollem Gang, aber Johnny ließ sich von der allgemeinen Unruhe nicht ablenken. Er beantwortete unsere Fragen konzentriert und auf den Punkt. Wir erhielten einen Eindruck von seiner unsterblichen Leidenschaft für Bewegung und erfuhren, welche Bedeutung die Sprache des Tanzes aus seiner Sicht für die Seele aller Menschen hat. Leider blieb uns von den angekündigten 20 Minuten für unser Interview am Ende nur die Hälfte der Zeit übrig, da Johnny Lloyd doch recht plötzlich zu seiner Premierenparty aufbrechen mußte. Allerdings bot er uns an, unsere restlichen Fragen via E-Mail an ihn zu richten, so daß wir am Ende trotz widriger Umstände ein rundes Bild von dem vielseitigen Künstler zusammenstellen konnten.


Johnny Lloyd: Hat es euch gefallen?

Julia Barthel: Ja, wir haben viel Spaß gehabt.

JL: Ja, es ist ein bißchen modern, ein bißchen strange dabei. (lacht)

JB: Das war aber das Gute, das sieht man nicht so oft.

JL: Eben.

JB: Ich hatte den Eindruck, daß wirklich alle Spaß gehabt haben, also ich hab niemanden gesehen, der sich irgendwie gelangweilt hätte.

JL: Das war eine gute Zuschauergruppe heute.

JB: Und das war ja auch wirklich spannend, bei so verschiedenen Elementen, man hat nach der Ankündigung ein bißchen was anderes erwartet, ich hatte ursprünglich gedacht, daß mehr Figuren und Cartoons mit drin sind...

JL: Ja, das stimmt, das war auch geplant, und die Auseinandersetzung mit dem Videomaterial war für mich eine große Frage in dem Prozeß des Choreografierens, also, es ist sowieso fraglich, während einer Tanzproduktion Videomaterial zu benutzen. Man fragt sich: "Worum geht es und wie kann man es gut einsetzen?" So wie bei dem Einsatz von Sprache ist es immer eine Auseinandersetzung mit dem Material und darüber, wieviel Material man benutzen will. Ich habe auch viel mehr an Humor gedacht und an Zeichentrick, aber das wird letzten Endes durch den Prozeß des Choreografierens bestimmt. Irgendwann in dem Prozeß haben wir gemerkt, daß das Videomaterial ausreicht. Das muß nur angedeutet werden, das darf nicht zu viel werden, also es soll eine Tanzproduktion bleiben, wo ein lebendiger Mensch sehr präsent auf der Bühne ist und das Bewegungsmaterial und die Energie auch 'rübergibt. Das dürfte durch zu viel Videomaterial verloren gehen.

JB: Da hast du dich dann eigentlich mehr selbst zur Comicfigur oder zu verschiedenen Figuren gemacht, statt einfach auf das Videomaterial zurückzugreifen?

JL: Ja, also das, was am Ende wichtig war, ist, wie man mit mit Raum umgeht, denn natürlich ist das Videomaterial zweidimensional und ich spiele ja auf einer dreidimensionalen Bühne. Das ist für mich die Challenge gewesen, die Herausforderung: "Wie mache ich eine Produktion mit Charakteren, die zweidimensional sind?" Ich habe herausgefunden, daß die einfachste oder die beste Lösung war zu versuchen, selbst in die zweidimensionale Welt zu gehen, deshalb gehe ich in die Box hinein, um das Zweidimensionale in das Dreidimensionale zu bringen. Deshalb die Projektion auf dem Boden, die sich auch nach vorne und hinten bewegt und um die ich herum gehen kann. Ich hab auch noch viele Ideen gehabt, wie ich das sonst machen könnte, ich wollte zum Beispiel mit Nebel arbeiten und Bilder auf den Nebel oder verschiedene Medien projizieren. Am Ende war aber dieses solide Holz ein schöner Gegenstand, weil man von Holz und bei so einem massiven Objekt gar nicht erwartet, daß darauf etwas erscheint wie auf einer Leinwand.

JB: Das hat man auch gesehen, das war ein richtiger Gegensatz und für das Publikum auch schön, weil man sich da ein bißchen an was festhalten konnte. Außerdem hast du dann auch den ganzen Raum für dich in Anspruch genommen, also nicht nur diese Holzbühne und die Stellwand, sondern einfach auch die Teile des Raums, die daneben oder dahinter waren, das ging ja einmal richtig von vorne nach hinten und über die Wand herüber, das sieht man auch nicht häufig.

JL: Ja, genau.

JB: Kommen wir zu ein paar Fragen, die nicht direkt mit dem Stück zu tun haben.

JL: Ja klar, frag!

JB: Du hast dich mit so vielen verschiedenen Tanzstilen so intensiv beschäftigt... Ich habe mich gefragt, wie du ursprünglich zum Tanz gekommen bist. Gab es da ein besonderes Erlebnis oder einen anderen Beweggrund?

JL: Das ist eine einfache Frage, denn ich glaube für uns alle, die den Tanz so lieben, ist es so, daß wir es einfach einmal gesehen haben und dachten: "Das will ich machen!" (lacht)

Johnny Lloyd

JB: Und wo war das, wo hast du es das erste Mal gesehen?

JL: Das war in Disneyland in L.A., da habe ich Swingtänze gesehen, das war so diese schnelle, alte Jazzmusik und ich habe gedacht: "Das will ich machen!" Gleich danach habe ich auch bei jemandem diese sehr technische Old School HipHop Form Popping gesehen und dabei war es genauso. Das ist auch ein bißchen amerikanisch, als ich das gesehen habe, habe ich entschieden, das will ich tun und dann nicht mehr aufgehört zu tanzen. Ich habe jeden Tag stundenlang getanzt, seit ich angefangen habe, habe aber erst spät angefangen.

JB: Trotz all der Dinge, die du sonst noch machst, also, Lyrik, Dichten, Musizieren, ist der Tanz immer dein Hauptanliegen geblieben?

JL: Also irgendwann war der Punkt gekommen, wo ich mich entscheiden mußte und ich habe mich gegen die Musik entschieden.

JB: Warum?

JL: Weil ich mit der Gitarre zum Beispiel nichts Neues darbieten konnte. Ich habe auch technisch große Schwierigkeiten gehabt, beim Trompetespielen zum Beispiel ist mein Gesicht auf einmal taub geworden und das hilft beim Trompetespielen gar nicht, es macht es unmöglich. Und ich schwitze gern, ich weiß, daß sowohl Musik als auch Tanzen Teile des Menschseins sind, aber ich hab dann auch gemerkt, daß ich mit Tanz das Potential habe, etwas Neues anzubieten. Ich bin nicht der beste HipHopper, ich bin überhaupt nicht der beste zeitgenössische Tänzer, ich bin ziemlich gut im Swingtanz, aber es gibt in jedem Genre jemand Besseren als mich oder jemanden, der andere Sachen besser macht. Ich habe aber die Möglichkeit, die verschiedenen Sachen, die ich gelernt habe, schön zu mischen und das ist meine Stimme, ich mische und das tue ich gut und deshalb gibt es keinen anderen, der sich bewegt wie ich, es gibt manche in jedem Genre, die besser Tricks machen können oder bessere Sachen können...

JB: Was hat dich denn dazu gebracht, so in die Tiefe zu gehen im HipHop, das heißt, diese ganze Forschung nach den Ursprüngen, all die einzelnen Stile zu lernen, das ist ja eine Wahnsinnsarbeit.

JL: Ich verstehe mich, was diese Tanzform betrifft, als Anthropologen. Also HipHop ist ein Lebensstil, und wenn man so tief mit etwas beschäftigt ist, daß man es zehn Stunden am Tag tut, soll man es auch irgendwie verstehen. Die afro-amerikanische Geschichte ist mir sehr, sehr nah und wichtig, auch weil ich in L.A. groß geworden bin. In meiner Familie gab es durch Heirat viele Verbindungen mit schwarzen Leuten und ich war darunter zum Teil der einzige Weiße. Ich habe gesehen, daß HipHop viel mehr wegen der Musikvideos und durch Pop bekannt ist, als durch authentische Bewegung und deshalb war es mir auch wichtig, nicht nur das Poppige zu verstehen, sondern zu wissen, was es heißt, HipHopper zu sein oder was dieser Lebensstil bedeutet. Und dieses Gefühl ist etwas, was ich verstehe, weil es am Ende immer alles Blues ist.

JB: Da hätten wir nämlich auch die Frage, was Blues für Dich bedeutet und wie du ihn definieren würdest?

JL: Blues ist eine Stimmung. Es ist eine Art von Trauer, eine Lebenstrauer, die man in Kunst verwandelt. Und das kommt oft durch sehr schwierige Lebenssituationen. Und deshalb, glaube ich, gibt es viele Künstler wie mich, die Kunst machen, weil sie es müssen. Wenn ich nicht tanze, dann weiß ich nicht so richtig, was ich mit meinem Leben und meiner Energie machen soll. Deshalb spiele ich auch nicht mehr so oft Gitarre, weil ich die ganze Lebensenergie viel besser durch Tanz ausschwitzen kann. (lacht)

JB: Neben dem Tanz hast du am College in Amerika auch kreatives Schreiben, Poesie und Musik studiert. Trotzdem sagtest du in einem früheren Interview, daß der akademische Weg des Lernens nichts für Dich sei und du dich in erster Linie als Autodidakt mit dem Tanzen, Schreiben und Spielen beschäftigt hättest. Warum hast du dich gegen die festen Leitlinien des akademischen Systems entschieden und woher nimmst du die innere Freiheit dazu?

JL: Handwerk und Technik sind sehr wichtig. Aber Institutionen sind auch dazu da, um uns eine bestimmte Routine zu geben, wie etwa die Disziplin, jeden Tag dort hin zu gehen. Diese Disziplin hatte ich ohnehin schon von ganz alleine, weil ich das Tanzen liebe. Natürlich ist es schön, Lehrer zu haben, aber gute Lehrer sind unterwegs immer schwer zu finden. Dafür gibt es dann YouTube, Bücher und die Inspiration von Kollegen. Ich habe gelernt, wenn ich etwas schaffen will, muß das aus meinem eigenen Leib kommen. Meine Tanzarten sind kulturelle Formen. Manchmal ist es schade, diese Motive im akademischen Zusammenhang wieder zu finden. Im Studio geht etwas vom HipHop verloren, genauso wie beim Tango, Swing, Salsa, Capoeira, etc. Wenn man das richtig lernen will, ist das Tanzstudio nur eine Haltestelle, beziehungsweise ein Zwischenstop. Deshalb heißt es schließlich auch Straßentanz.

JB: HipHop und auch Blues sind ja beide ursprünglich in unterdrückten beziehungsweise armen Bevölkerungsschichten entstanden...

JL: Das stimmt.

JB: ...wie viel von dieser Wut oder von diesem Aufbegehren gegen Unterdrückung steckt bei dir mit in der Arbeit, wie wichtig ist das für dich beim HipHop?

JL: Ich bin nicht schwarz. Das ist erst mal ganz wichtig, also diese Unterdrückung habe ich nicht selbst erlebt. Wenn man etwas Bluesiges in den Tanz einbringt, muß das aus der eigenen Geschichte heraus entstehen. Diese eigene Geschichte habe ich und das muß man eigentlich nicht immer wieder erzählen, aber der Blues ist einfach in mir drin. Wenn man hiphopt oder Bluesmusik macht, dann drückt man dadurch seine eigene Geschichte aus. Anthropologisch beschäftige ich mich zwar mit den Wurzeln des Tanzes, das ist mir sehr wichtig, aber ich kann nicht behaupten, ein Teil davon zu sein. Ich bin eine junger Weißer, der nicht mehr in Amerika lebt. (lacht)

Johnny Lloyd

JB: Inwiefern spielen die Armut auf der Welt und die sich verschärfenden Konflikte eine Rolle in deiner Arbeit?

JL: Ich verarbeite eher meine eigene Geschichte, also ich nehme diese Sache nicht als Thema an. Ich unterrichte gerne, woher es kommt, was in Amerika geschehen ist, ich äußere mich gerne gegen Rassismus, um der Authentizität des Tanzes gerecht zu werden und so weit gehe ich. Ich mache nur das in meinem eigenen Tanz, was ich selbst verstehen kann und das kommt aus meiner eigenen Erfahrung.

JB: Hast du das Gefühl, anderen Leuten, die in einem armen Umfeld oder Ghetto leben, ein Mittel an die Hand zu geben, mit dem sie sich da selber rausziehen können?

JL: Ich bin kein Sozialarbeiter. Was ich gerne mache ist, Leuten das Tanzen beizubringen, also wenn sie Lust haben zu tanzen, dann unterrichte ich gern und ich freue mich zu sehen, wie Tanz eine wichtige Rolle im Leben von anderen einnimmt. Ich sehe auch Leute, bei denen der Tanz wirklich etwas Gutes bewirkt und ich glaube daran, daß Tanz ein Kern des Menschseins ist, den wir so benutzen wie unsere Stimme. Und so weit gehe ich, weiter nicht.

JB: Du sagst in deinem Stück "Animation", daß Bewegung das wichtigste Element und die Voraussetzung für Leben ist, da ein Körper ohne Bewegung tot wäre. Außerdem meintest du gerade, jeder Mensch würde den Tanz als Stimme in sich tragen. Wir leben aber momentan in einer Gesellschaft, in der die Menschen sich immer weniger bewegen und den Bezug zu ihrem Körper oft verloren haben. Was hältst du von dieser Entwicklung und würdest du sagen, daß eine Person, die sich kaum bewegt, gewissermaßen stumm ist?

JL: Ich denke, daß jemand, der sich nicht bewegt, einfach einen gewissen Teil des Lebens verpaßt. Bewegung und Tanz sind ein wichtiger Teil des Selbst, so wie die Stimme, oder eine Meinung. Für mich ist beispielsweise ein Mensch, der sich gut bewegen kann, attraktiver als eine Person, die nur gut aussieht.

JB: Würdest du uns verraten, worum es in den laufenden Produktionen "Tracing Dance" und "Genre" geht, in denen du im ersten Fall als Tänzer und beim zweiten Projekt als Produzent und Choreograph mitwirkst?

JL: Mein nächstes Projekt heißt "Hamburg Allstars" und ist ein Versuch, Tänzer aus verschiedenen Genres zusammen zu bringen, um gemeinsam im gleichen Proberaum zu trainieren, ohne Lehrer. Die Inspiration kommt dann voneinander und der Ehrgeiz entsteht aus dem sozialen Prinzip des Tanzes. Neben diesen offenen Proberäumen werden wir auch Tanz-Jams veranstalten und eine Serie von Abendvorstellungen ausrichten, in denen Hamburger Tänzer aus verschiedenen Genres portraitiert werden. Dabei stehen die sozialen Tanzrichtungen als Ausdrucksform auf der Bühne gleich neben Ballett, Modern und zeitgenössischem Tanz. Diese Arten werden miteinander vermischt und diskutiert.

JB: Vielen Dank für das Gespräch.

JL: Danke, daß ihr gekommen seid.


Das Interview führte J. Barthel.

Johnny Lloyd mit Interviewpartnerin Julia Barthel

Johnny Lloyd mit Interviewpartnerin Julia Barthel

11. Mai 2009