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INTERVIEW/013: "Alles so schön beknackt hier" - Hans Scheibner im Gespräch (SB)


Interview mit Hans Scheibner im Theater Die Komödianten in Kiel am 4. Januar 2013



Hans Scheibner, Jahrgang 1936, ist einer der bekanntesten deutschen Satiriker, Liedermacher und Kabarettisten. Seine erste eigene Komödie schrieb er mit Anfang 20. So einschlägige Titel wie "Ich mag so gern am Fließband stehn", "Schmidtchen-Schleicher" oder die immer noch höchst aktuelle Anti-AKW-Ballade "Was in Achterndiek in der Nacht geschieht ..." stammen aus seiner Feder. 1980 holt ihn die ARD für eine satirische Sendung "... scheibnerweise" ins Abendprogramm. 1985 kommt es in der NDR-Talkshow zum Eklat. In einer Ballade über Lysistrata singt Hans Scheibner in Abwandlung eines Tucholsky-Zitats zum dreißigjährigen Bestehen der Bundeswehr: "Die Frauen (von heute) sind ja selbst nicht zu retten. Ihre Söhne schicken sie noch immer in den Krieg und mit Mördern teilen sie die Betten!" "... scheibnerweise" wird abgesetzt. Und auch das Hamburger Abendblatt trennt sich öffentlich von seinem Kolumnisten.

Über die Jahre erscheinen diverse Bücher und CDs mit satirischen Liedern, Gedichten und Geschichten, neue Programme und Theaterstücke entstehen. 1992 holt ihn die ARD zurück für den "Nachschlag", zur besten Sendezeit nach der Tagesschau. Erneut kommt es zu Streitigkeiten wegen (zu) kritischer Äußerungen gegen den Bundespräsidentschafts-Kandidaten Heitmann.

Aber Scheibner läßt sich das Spott- und Lästermaul nicht verbieten. Zur Zeit tourt er mit "Auf ein Neues! 2013" durch Deutschlands Norden. Im Gespräch mit dem Schattenblick kurz vor Beginn der Premiere am 4. Januar in Kiel erwies sich Hans Scheibner einmal mehr als ein echter Komödiant, der trotz allen Ernstes der Lage an der Welt nicht verzweifelt, sondern vor allem über sie lachen kann - und über sich selbst.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Hans Scheibner im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Tucholsky beantwortete im Jahr 1919 die Frage: Was darf die Satire? noch mit: Alles. Sie haben in über 50 Jahren politischen Kabaretts mehr als einmal die Erfahrung gemacht, daß Satire eben nicht alles darf. Ich denke da an 1985, als die ARD Ihre Sendung "...scheibnerweise" wegen der Kritik an den Soldatenmüttern abgesetzt und sich auch das Hamburger Abendblatt von Ihnen öffentlich distanzierte. Ist der Druck von Sendeanstalten, besonders den öffentlichen, und von Verlagen auf die Kabarettisten seitdem gewachsen, was die Deutlichkeit und die Schärfe ihrer Kommentare betrifft?

Hans Scheibner (HS): Also erstmal darf Satire selbstverständlich alles, nach wie vor. Nur gibt es immer wieder Leute, die das nicht begreifen wollen, und wenn sie gerade mal in einer entsprechenden Position sind, was dagegen tun. Das ist ein großer Unterschied, deswegen trifft das, was Tucholsky gesagt hat, nach wie vor unbedingt zu.

Und seit 1985, das ist ja nun schon 28 Jahre her, hat sich doch einiges getan. Die politische Situation in der Welt hat sich geändert, vor allen Dingen auch hier bei uns. Damals gab es noch zwei Deutschlands, einen Ost- und einen Westblock, die sich mit Atombomben gegenüberstanden, wo man wirklich damit rechnen mußte, daß da mal was passiert. Das ist nicht mehr so. Trotzdem ist man heute in bestimmten Dingen immer noch empfindlich, vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen, besonders, was religiöse Themen und die Kirche angeht. Das kommt daher, weil sie mit der Kirche einen Staatsvertrag haben, was ich nicht richtig finde.

SB: Man kann die Frage auch andersherum stellen: Gibt es eine Schmerzgrenze, also Themen, über die man keine Satire machen kann oder darf?

HS: Das kann man nicht pauschal beantworten. Man kann nicht sagen, es gibt etwas, über das man keine Satire machen darf, auch nicht über Krebs oder so etwas. Es kommt auf die Situation an, auf das, was im Augenblick passiert. Soll ich keine Satire machen über Lebertransplantationen, weil das eine schwierige Sache ist, wo es für manchen auf Leben und Tod geht? Man muß das gerade machen!

SB: Was waren für Sie die herausragendsten Themen im Jahr 2012 und was werden die 2013 sein?

HS: Es gab in 2012 viele herausragende Themen, die ich nicht behandelt habe, denn man kann ja nicht alles machen. Ich verstehe mich sowieso nicht als Kasper der Politiker, wie der Narr früher, der einfach alles aufgreift, und dann ist es abgearbeitet. Ich denke nach wie vor, daß man einfach aufpassen muß in jeder Beziehung, in der die Meinungsfreiheit und das freie Denken beschnitten werden, ganz besonders bei den religiösen Idiotien. Und dann, das hört sich schon wieder wie ein Klischee an, auf die sogenannte Schere zwischen Arm und Reich, die tatsächlich immer größer wird und offenbar nicht aufzuhalten ist, nicht nur bei uns. Auch in den USA zeigt der Kapitalismus gerade mal wieder seine Fratze.

Foto: © 2013 by Schattenblick

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SB: Gott kommt ja in Ihrem Programm relativ häufig vor. Welche möglicherweise wieder anwachsende Rolle spielt Religion aus Ihrer Sicht in der Gesellschaft?

HS: Religion wird immer eine Rolle spielen, weil die Menschen immer - und mit Recht - Sehnsucht haben nach einer Kraft hinter all dem, was wir das Sein nennen. Es kann ja nicht angehen, daß der eigene Körper und die ganze Wirklichkeit von selbst da sind, sondern hinter all dem scheint irgendetwas zu sein und danach kann man fragen, danach muß man fragen.

Bloß darf man sich nicht einbilden, daß man die Lösung hätte. Es kommen ja immer irgendwelche Zampanos und erklären, sie wissen es, und alle leichtgläubigen Leute laufen hinterher. Ich finde, wir leben in einer Zeit, wo zum Beispiel die Physik enorme Antworten gibt. Natürlich weiß auch die Physik nicht, wo Gott wohnt, aber es ist doch zumindest so, daß die Kirche sich lächerlich macht, wenn so ein katholischer Idiot - ich sage das mit Absicht - in den Schulen in Kroatien den Aufklärungsuntericht verbieten will - weil das gegen den lieben Gott sei! Die haben doch nicht alle Tassen im Schrank, sind selber so anfällig und leisten sich die größten Schweinereien.

SB: Spiegelt sich darin eine neue anti-aufklärerische Tendenz, die keineswegs auf die christliche Kirche beschränkt ist?

HS: Das ist geradezu die Tradition der Kirche. Ich kenne hauptsächlich die christliche und die hat schon immer alle Aufklärung zu verhindern versucht. Erst 1996 zum Beispiel hat man Galilei freigesprochen. Wo sind wir denn überhaupt!

SB: Sie haben sich 1977 mit der LP 'Heiliger Marx' Ihren guten Ruf bei der bundesrepublikanischen Linken verspielt, heißt es. Was war da los?

HS: Da war gar nichts los. Ich hab nur bemerkt, daß die Intellektuellen hier in Deutschland plötzlich fast alle Marxisten waren und gesagt haben, Marx ist das Größte und der Kommunismus ist die Rettung der Menschheit. Das hat sich nachher als völlig falsch herausgestellt, aber das will natürlich keiner mehr so richtig wahrhaben. Ich habe damals gesagt: Eine Lehre, die nicht mehr duldet, daß man an ihr zweifeln darf, ist auch so eine Ersatzreligion und das mache ich nicht mit. Und dann habe ich die natürlich auf die Palme getrieben, weil ich Parallelen zum Nationalsozialismus gezogen habe. Das meinte ich nicht vollkommen ernst, aber satirisch ist das doch immerhin zu machen. Wenn ich an Stalin gezweifelt hätte, dann wäre ich in den Gulag gekommen und bei Hitler ins KZ. Das ist nach wie vor nicht zu vergleichen, aber wenn man die Millionen Toten, die unter Stalin umgebracht wurden, gegen die im Nationalsozialismus aufrechnet - das ist sowieso eine traurige Sache.

SB: Wo haben Sie sich damals politisch verortet und wo würden Sie es heute tun?

HS: Ha! Das ist eine ganz listige Frage. Ich habe mich damals irgendwie zu den Sozialdemokraten gezählt, obwohl ich kein Mitglied war. Ich habe sie aber im Wahlkampf unterstützt, als Willy Brandt noch da war. Ich komme aus einem Arbeitermilieu, mein Vater war Kraftfahrzeugschlosser bei der Werft Blohm & Voss und deswegen war für mich immer klar, daß ich zu diesen sogenannten kleinen Leuten gehöre. Ich konnte deswegen auch nicht studieren, weil ich kein Geld hatte.

Aber dann hat sich die SPD ja leider unter Schröder so gewandelt, das finde ich sehr, sehr enttäuschend. Und gerade erleben wir einen Anführer der SPD, der kein anderes Ziel hat, als ordentlich reich zu werden. Vielleicht ist das ja das neue sozialdemokratische Ziel, mit wenig Arbeit möglichst viel zu verdienen. Und das sehen wir an Herrn Steinbrück!

SB: Satire, ohne daß man was dazutun müßte.

HS: Ja genau.

Foto: © 2013 by Schattenblick

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SB: Satire kann Kritik, Polemik, Didaktik oder Unterhaltung sein, wo fühlen Sie sich am meisten zu Hause?

HS: Ich fühle mich einfach in der Wirklichkeit zu Hause.

SB: Und wo würden Sie die Grenze zu den Comedians ziehen wollen?

HS: Da gibt es keine Grenzen. Wenn Sie Karl Valentin zu den Comedians rechnen, dann muß man sagen, es gibt geniale Komödianten. Und wenn man bei Mario Barth sagt, das ist ja furchtbar, folgt man wieder der Meinung der Masse, der hat zum Teil auch ganz lustige Sachen gemacht. Ich gucke mir das nicht an, aber ich bin auch nicht so hochnäsig, daß ich denke, ein ganzes Stadion mit 70.000 Zuschauern, das will ich nicht haben? - Doch, das will ich schon ganz gerne haben.

SB: Für Schiller gehört zur Satire ein Ideal, dem die mängelbehaftete Wirklichkeit gegenübergestellt wird. Könnten Sie kurz skizzieren, wie für Sie eine ideale menschliche Gesellschaft aussähe?

HS: Es gibt keine ideale menschliche Gesellschaft, insofern brauche ich das auch nicht darzustellen. Das ist ja eben gerade immer das Ziel, daß irgendwann die große heile Welt kommt - kostenlose Musik und alles Friede, Freude, Eierkuchen -, aber das entspricht nicht der menschlichen Natur.

SB: Das heißt, Sie arbeiten sich eher an den Mängeln, den Widersprüchen und den Widerständen ab?

HS: Ich habe nicht den geringsten Ehrgeiz, irgendetwas wirklich zu verbessern. Es genügt, wenn man Menschen findet, mit denen man sich einig ist darüber, wie traurig und wie urkomisch die Welt eigentlich ist. Wenn man zu mir sagen würde, du kannst jetzt die Menschheit verändern, dann wäre ich ja der liebe Gott und der möchte ich um Himmels Willen nicht sein.

Foto: © 2013 by Schattenblick

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SB: Man siedelt Sie bisweilen zwischen Tucholsky und Bert Brecht an, so ist zu lesen. Was sind Ihre Vorbilder?

HS: Das habe ich zwar noch nicht gelesen, aber das sollten Sie immer wieder schreiben, das würde unheimlich meinem Image dienen, das würde mir so gefallen, das könnte ich mir dann an die Tür schreiben, aber ich glaube das nicht, das ist zu hoch gegriffen.

SB: Haben Sie denn Vorbilder?

HS. Ja eben, Tucholsky, Brecht. Vor allen Dingen Heinrich Heine, den ich über alles liebe und auch die englischen Satiriker und viele der lyrischen Klassiker. Einer der größten für mich ist Kleist, und auch Aristophanes zähle ich zu den Satirikern.

SB: Der satirische Jahresausblick "Auf ein Neues" hat ja inzwischen Tradition. Ist es so, daß Themen bleiben oder schreiben Sie das Programm jedes Jahr komplett neu?

HS: Nein, nein. Ich schreibe übers Jahr alles Mögliche und daraus baue ich das Programm zusammen. Natürlich nehme ich gerade Aktuelles mit rein, ich bin aber nicht jemand, der nur politisch ist, das ist nämlich nicht meine Stärke. Vor allem jetzt im Wahljahr wird noch genügend über die Politiker zu sagen sein, da wird man sich noch gründlich mit diesen Großkabarettisten auseinandersetzen müssen. Deswegen kümmere ich mich in diesem Programm eigentlich nur um uns, um die Leute von hier und um mich selbst.

SB: Sie sind nicht zum ersten Mal bei den Komödianten in Kiel. Was schätzen Sie an diesem Theater und an den Menschen, die es betreiben, ganz besonders?

HS: Ich finde so ein intimes, kleines Theater schön, das macht Spaß. Ich bin auch mal so angefangen im 'theater 53' in Hamburg. Das war das Theater von Markus Scholz, und dort habe ich mein erstes eigenes kleines Stück mit Uwe Friedrichsen zusammen gespielt. So kehrt man ein bißchen zu seinen Anfängen zurück.

SB: Sie sind ja damals vom Theater zur Satire gekommen. Was hat den Ausschlag gegeben?

HS: Eigentlich das Geldverdienen. Ich konnte es mir nicht leisten, noch eine große dramaturgische Ausbildung zu machen oder so etwas, denn ich habe auch Stücke geschrieben, die damals nicht gespielt wurden. Aber während der Zeit, in der ich als Angestellter arbeiten mußte, habe ich gemerkt, daß ich nebenbei Gedichte schreiben kann, die satirisch sind und die die Leute gernhaben. Damit bin ich in einem ganz kleinen Keller aufgetreten und so ist das immer mehr geworden, bis dann eines Tages der Hörfunk und nachher das Fernsehen kamen und es aufgezeichnet haben. Da bin ich dabei geblieben und es macht mir Freude. Aber im übrigen bin ich zum Theater zurückgekehrt. Ich habe eine dramatische Komödie geschrieben, die im nächsten Jahr in Hamburg von Axel Schneider aufgeführt werden wird. Sie heißt 'Die Geiselnahme'.

SB: Kein satirisches Stück?

HS: Jedenfalls keine reine Satire.

SB: "Spott ist allmächtig" lautet der Titel eines Ihrer Bücher, das 1977 erschienen ist. Wie hieße dieser Satz aus Ihrem Munde im Jahre 2013?

HS: Heute hieße das so, wie mein neuestes Buch heißt, nämlich "Alles so schön beknackt hier".

SB: Herr Scheibner, wir bedanken uns für das Gespräch.

10. Januar 2013