Schattenblick → INFOPOOL → THEATER UND TANZ → REPORT


INTERVIEW/042: Auflehnung - wenn nein, was dann ...    Henri Hüster im Gespräch (SB)



Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Henri Hüster
Foto: © 2019 by Schattenblick

"Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" - als der Rezensent das erste Mal den Titel dieses Stücks am Lichthof Theater las, fiel ihm spontan dazu ein: Nein zu sagen ist doch gar nicht schwierig! Aber zu dem Nein zu stehen, es nicht zu verleugnen, die eigene Ambivalenz aufzugeben, das fällt den Menschen in der Regel schwer. Wie also würde der Regisseur Henri Hüster den gleichnamigen Essay "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" des Religionsphilosophen Klaus Heinrich in seinem Theaterstück umsetzen?

Daß ein Freies Theater dieses Stück bringt, scheint schon mal eine gute Voraussetzung zu sein, denn Experimentierfreude muß man haben, wenn man sich solch ein hochverdichtetes, philosophisches Werk vornimmt. Wie der 1989 in Berlin geborene Hüster auf das Buch aufmerksam wurde, was ihn daran angesprochen hat und vieles mehr war er bereit, im Anschluß an die Premiere am 10. Januar 2019 im Lichthof Theater in Hamburg-Bahrenfeld dem Schattenblick zu erzählen.

Schattenblick (SB): Ihr Theaterstück bezieht sich auf den Essay "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" von Klaus Heinrich aus dem Jahr 1964. Sind Sie durch Ihr Philosophiestudium auf dieses Buch gestoßen?

Henri Hüster (HH): Ehrlich gesagt habe ich nur eine kurze Zeit Philosophie studiert und nach drei Semestern abgebrochen. Weil ich damals das Gefühl hatte, entweder lese ich mich viele Jahre durch alles Mögliche durch und darf irgendwann vielleicht einmal ein Wort in einem Seminar sagen oder ich gehe zum Theater und mache etwas in der Praxis. Trotzdem habe ich die Philosophie nicht vergessen. Und dieser Essay ist mir über meinen Vater zugekommen. Er hatte eine Zeitlang bei Klaus Heinrich studiert und mir eines Tages das Buch hingelegt. Jahrelang lag es zunächst nur so da, doch irgendwann habe ich angefangen, es zu lesen. Zu der Zeit hatte ich Lust, mit Tanz zu arbeiten, und dachte, der Essay ist zwar ziemlich kompliziert, aber man könnte vielleicht einzelne Abschnitte daraus sehr gut mit Tanz verknüpfen. Das war meine Hoffnung, und so kam es zu der Entscheidung, mich da zu bedienen.

SB: Enthält der Essay bestimmte Aussagen, die Sie besonders angesprochen haben?

HH: Darin wird eine Zeit heraufbeschworen, in der es anscheinend als wichtig angesehen wurde, Haltung zu beziehen. Aber mit jeder Entscheidung, die man trifft, läuft man auch Gefahr, einen Teil von sich zu verlieren. Heute hat man oft das Gefühl, daß es DEN richtigen Weg nicht gibt. Dennoch muß man sich entscheiden, sonst wird man zerrissen. So eine Zeit, in der Ursprungsmächte wieder wichtig werden und Konflikte in der Gesellschaft auftreten, scheint mir jetzt wieder eingetreten zu sein - eine Zeit, in der es total wichtig ist, wieder Haltung zu beziehen, sich zu fragen, ob das geht und wie das auf eine Art geht, die einen selber nicht zerstört. Deswegen dachte ich, es wäre interessant, von der Antike ausgehend über '68-Texte hinaus nach heute zu schauen: Was ist das eigentlich, Widerstand, und wie könnte er heute aussehen?

SB: "Nein heißt Nein" ist vor wenigen Jahren ins deutsche Sexualstrafrecht aufgenommen worden. Die Gelbwestenproteste zur Zeit in Frankreich und die Proteste beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg haben ein klares Nein formuliert. Hat das Stück für Sie eine eindeutige politische Aussage?

HH: Ich würde nicht sagen, daß wir uns auf die Seite dieser Bewegungen stellen. Die Aufführung bezieht ja keine klare politische Stellung, sondern sie zeigt beide Seiten: Wie ist es, wenn man sich weigert? Welche Gefahren treten dann auf? Manchmal gerät die Weigerung nur noch zu einem Wutschwall. Der Protest der Gelben Westen funktioniert meines Erachtens so gut, weil sie erstmal kein Programm haben und sich lauter Leute vereinen, die wütend sind. Das hat zunächst einmal eine Kraft, vor der auch hiesige Politikerinnen und Politiker Respekt zeigen. Aber jene Kraft ist auch in Frage zu stellen, denn es findet kein Gespräch statt. Das ist dann eine reine Wut auf der Straße - das will man eigentlich auch nicht. Auf der anderen Seite will man natürlich ebenfalls nicht, daß alles so bleibt, wie es ist. Man möchte ja auch etwas ändern. Ich würde also sagen, daß der Abend nicht versucht, selber direkt Stellung zu beziehen, indem er fordert: Wir müssen jetzt alle auf die Straße gehen! Sondern er stellt eher die Frage: Sollte man es tun?

SB: Geht das Nein für Sie über die politische Frage hinaus? Ich denke da an eine Szene, in der immer hektischer getanzt wurde und eine Tänzerin anfing, nein dazu zu sagen, und versucht hat, durch Umklammerung eine andere Tänzerin ebenfalls davon abzuhalten, sich weiter fremdbestimmt nach der antreibenden Musik zu bewegen.

HH: Zunächst einmal hatte sie es sogar geschafft, sich selbst dem Zwang zu entziehen. Manchmal gerät man ja plötzlich in seinem Leben in eine Situation, in der man sich fragt, äh, wie bin ich da überhaupt reingeraten? Aus einer solchen Lage ist es manchmal sehr schwer, wieder herauszukommen. So war das bei der Tänzerin, die rhythmisiert worden war. Wir haben versucht, Bilder dafür zu finden.

Zu lernen, nein zu sagen, halte ich für sehr wichtig. Dennoch ist es kein politisches Allheilmittel, denn es verhindert irgendwann die Kommunikation. Dann hat man das Gefühl, die, die sich ihrer Kraft bewußt sind, können Nein sagen, doch auf einmal sind so viele Neins präsent, daß sie gar nicht alle verstehbar sind.

SB: Deuten Sie das so, daß dieses politische Nein möglicherweise auf andere Menschen übergriffig wirken kann und diese dann das Nein deshalb ablehnen, weil sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen?

HH: Das war auch ein Gedanke, der mir wichtig erschien. Beispielsweise war der Wahlkampf zur letzten Bundestagswahl sehr von Neins zur AfD und der Abgrenzung zu dieser Partei aufgeladen. Alle schienen von ihr gejagt zu werden. Als würde allein das Nein reichen, brachten sie wenig Positives. Es kamen kaum konstruktive Vorschläge, so daß man nicht das Gefühl hatte, daß man ein Ja wählt. Das finde ich gefährlich. Deswegen habe ich den vielleicht naiv zu nennenden Ansatz gewählt, erstmal einen Raum zu öffnen und zu schauen, wer da reinkommt.


Nach den Gelbwestenprotesten am 25.11.2018 auf dem Les Champs-Élysées in Paris: Zerstörte Einrichtungen und Trümmer auf der Straße, von Weihnachtsschmuck an den Baumreihen illuminiert, dazwischen vereinzelte Gelbwestenträger - Foto: LNicollet, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via flickr.

Wenn es Nacht wird in Paris (Gelbwestennein)
"Das ist dann eine reine Wut auf der Straße - das will man eigentlich auch nicht. Auf der anderen Seite will man natürlich ebenfalls nicht, daß alles so bleibt, wie es ist." (Henri Hüster)
Foto: LNicollet, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via flickr.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß es ein Nein als Lebenseinstellung gibt, das an keine Adresse gerichtet ist?

HH: Das wird sogar an einer Stelle thematisiert. Es gibt Momente von Starrheit, die sind für mich ein Beispiel. Ich habe dazu einen kurzen Text von Elias Canetti aus der Geschichte "Der Nimmermuß" gewählt: "Er hört nicht auf rechts, er hört nicht auf links, hört er vielleicht überhaupt nicht? Statt eines Rückgrats hat er ein kräftiges Nein." Führt nicht auch das zu jener Selbstzerstörung, von der Heinrich spricht? Ich habe den Eindruck, wenn man das Nein komplett zur Lebenshaltung macht, wie es auch manche '68er getan haben, kann es passieren, daß man sich irgendwann enttäuscht von der Gesellschaft abwendet. Man konnte sie nicht ändern, hat sich rausgehalten und kleinere Schlupfwinkel gesucht.

SB: Wie nach 1968 von einigen Leuten der Gang in die Innerlichkeit?

HH: Ja, ich war zwar nicht dabei, aber wenn man sich manche Lebensläufe ansieht, kommt es einem so vor.

SB: Wie streng handhabt ein Regisseur das Drehbuch? Bleibt da noch Platz für Improvisation?

HH: Der Teil, über den wir vorhin sprachen, wo die Tänzerin zunächst Nein zu sich sagt und dann zu den anderen, ist komplett improvisiert. Das geht so: Man probiert das Nein aus, schiebt die Wände aufeinander, dann stellt jemand - nach Camus - die Frage: "Was ist das Nein in der Revolte?" Solche kleinen Textabschnitte haben alle zur Verfügung und können sie bringen, wann sie wollen, oder sie auch weglassen. Das ist sehr improvisiert und bei jeder Aufführung neu. Improvisiert war auch der Moment, wo sie ein gemeinsames Lied suchen, was ja zunächst gescheitert ist, bis dann Bella Ciao angestimmt wurde.

SB: Wurde bei den Proben ein anderes Lied gesungen?

HH: Genau, ein anderes Lied. Die Improvisation betrifft aber auch die Frage, wer setzt zuerst ein und wer wird wann unterbrochen. Da gibt es zum Beispiel immer den Satz, "kein Vogel hat das Herz in einem Dickicht aus Fragen zu singen" [Anm. d. SB-Red.: Von dem französischen Dichter René Char] - das gehört alles zum Improvisationsmaterial. Mir ist es wichtig, eine Mischung zu machen aus Improvisationen und längeren Szenen, die festgelegt sind. So ist die Erzählung von Roberto Bolano [Anm. d. SB-Red.: Amuleto] Bestandteil der Choreographie und es ist jedem klar, wer was sagt. Dann gibt es auch Abschnitte wie zum Beispiel manche Tanzsequenzen, die jedes Mal improvisiert sind. Würden wir jetzt hinter die Bühne gehen, könnten wir sehen, wie jeder für sich die Bewegungen des Stücks noch einmal nachvollzieht. Sie sollen sich jedes Mal daran erinnern, was sie an dem Abend körperlich gemacht haben.


Hüster beim Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Nein impliziert auch immer die Möglichkeit dessen, was ich will. Das Nein ist also an sich auch positiv.
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Ist geplant, das Stück noch in anderen Städten oder auf anderen Bühnen in Hamburg aufzuführen?

HH: Wir versuchen, Berlin möglich zu machen, aber dafür brauchen wir noch die Finanzierung.

SB: Werden Sie von der Kulturbehörde unterstützt?

HH: Ja, das reicht dann für die sechs Vorstellungen hier im Lichthof Theater. Hamburg sollte eigentlich für die Freie Szene mal so etwas wie einen Gastspielfonds oder Wiederaufnahmefonds eröffnen. Ich finde es bitter, daß ein Team unglaublich lange an etwas arbeitet und seine Produktion dann nur wenige Male zeigen kann. Ansonsten gibt es noch verschiedene Stiftungen, die sich um das Theater kümmern. Da wollen wir uns natürlich bewerben. In Berlin würden wir jedenfalls sehr gerne spielen.

SB: Das Publikum nimmt nach so einem Abend sicherlich etwas mit nach Hause. Gilt das gleiche auch für den Regisseur?

HH: Ja, es war zum Beispiel total interessant zu erleben, wozu nein gesagt wird. Der Teil, wo sie ausrufen, "ich sage nein zu ...", ist nämlich auch jedesmal Teil der Improvisation. Oder wenn sie nicht mehr sich selbst, sondern Teile der Gesellschaft verkörpern, die zu irgend etwas nein brüllen. Dazu gibt es zwar vorgegebenes Material, aber das wird jedesmal neu vorgetragen.

Als wir so etwas das erste Mal gemacht haben, hatte ich gesagt, probieren wir gemeinsam einfach mal zehn Minuten aus, nur zu verschiedenen Dingen nein zu sagen. Da war wahnsinnig viel Schweigen im Raum. Auch wenn wir das eigentlich positiv finden, haben wir uns wenig getraut, nein zu sagen. Bis jemand bemerkte, ich sage ungern nein, weil ich dann das Gefühl habe, ich grenze damit Möglichkeiten aus.

Aber das Nein impliziert auch immer die Möglichkeit dessen, was ich will, hat mal ein Philosoph gesagt. Das Nein ist also an sich auch positiv. Ich glaube, wir alle haben durch das Stück gelernt, viel besser nein sagen und uns dadurch freier im Leben bewegen zu können. Gleichzeitig haben wir festgestellt, daß es so etwas wie die theoretische Freiheit des Neins gibt, wenn man sich vor Augen hält, daß man jederzeit nein sagen kann. Manchmal ist das vielleicht sogar die größere Freiheit, wenn man sich das bewahrt.

Es gibt da die Geschichte vom Bartleby. Das ist eine Erzählung von Herman Melville. Darin sagt der Bartleby immer wieder den Satz: "Ich möchte lieber nicht." Die Geschichte geht nicht gut aus, denn irgendwann verendet er. Häufig in den Geschichten endet der Nein-Sager nicht gut. Aber vielleicht stimmt das gar nicht, dachten wir bei den Proben. Das theoretische Nein kann auch etwas Gutes sein.

SB: Zum Schluß des Stücks ging es um die Utopie, den Nicht-Ort. Haben Sie selber eine Utopie?

HH: Ich glaube, daß es wichtig für eine Gesellschaft ist, offene Räume zu haben, welche sie auch seien. Aber ich habe das Gefühl, daß diese in Deutschland immer mehr in Gefahr sind. Solche Orte werden von der AfD oder anderen politischen Strömungen in Frage gestellt. Es werden ja auch Theater und öffentliche Einrichtungen angegriffen. Meiner Meinung nach könnten kleine Orte geschaffen werden, und sei es eine Bar, wo Begegnung möglich ist, wo jedweder Mensch mit dem oder der anderen ins Gespräch kommen könnte. Und daß Begegnung und Kommunikation immer möglich ist, wäre dann vielleicht eine Utopie, denn oft hat man das Gefühl, man kann gar nicht mit allen Menschen ins Gespräch kommen. Die Utopie wäre auch, daß es Sachen wie Kunst gibt. Das fände ich wichtig. Allerdings ist mein Eindruck, wie gesagt, daß Kommunikation untereinander in der Gesellschaft zur Zeit sehr schwierig ist.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Nebeneinander auf der Bühne stehend - Foto: © Jakob Schnetz

(Von links:) Pauline Stöhr, Julia Franz Richter, Lukas Gander und Vasna Aquilar mit dem Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen
Foto: © Jakob Schnetz

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → THEATER → REPORT zu der Aufführung "Versuch über die Schwiergkeit nein zu sagen" am Lichthof Theater in Hamburg erschienen:

BERICHT/101: Auflehnung - gezieltes Streben ... (SB)
INTERVIEW/043: Auflehnung - zuspitzen und stechen ...    Lena Carle und Leila Etheridge im Gespräch (SB)


15. Januar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang