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INTERVIEW/045: Omphalos - zügellose Disziplin ...     Tänzer der CEPRODAC-Company im Gespräch (SB)


CEPRODAC [1], das Zentrum zeitgenössischen Tanzes, fördert die kreative Freiheit und unterstützt das choreographische Schaffen in Mexiko. CEPRODAC unterhält eine Company mit zwanzig Tänzern und schafft Verbindungen zu internationalen Choreographen weltweit. Zuletzt erarbeiteten die Tänzer das Bühnenwerk OMPHALOS, entstanden unter der Leitung des Choreographen Damien Jalet. Im Anschluß an die letzte Darbietung der europäischen Erstaufführung auf Kampnagel am 16. März 2019 nahm der Schattenblick die Möglichkeit wahr, ausser dem Choreographen auch einigen Tänzern der CEPRODAC-Company Fragen zu stellen.



Plakat zur Aufführung OMPHALOS - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Ihr seid alle Tänzer der CEPRODAC-Company. Wie lange seid ihr schon Teil davon?

Paulina del Carmen Fernández Sánchez: Ich bin jetzt in meinem sechsten Jahr.

Marlene Coronel Ortiz: Dies ist mein zweites Jahr.

Ernesto Peart Falcón: Es ist mein drittes.

SB: Habt ihr bereits vor OMPHALOS mit Damien Jalet gearbeitet?

Ernesto: Es war unser erstes Stück.

SB: Gefiel euch das gemeinsame Schaffen mit ihm?

Ernesto: Ja, sehr gut!

SB: War die Arbeit durchgängig herausfordernd?

Paulina: Ja, es war sehr herausfordernd. Natürlich haben wir vorweg einige seiner Produktionen auf Video gesehen, daher wussten wir ein klein wenig wie es sein würde. Beim ersten Mal, als er nach Mexiko kam, gab er uns einen einwöchigen Workshop. Dort sahen wir einige seiner Werke und konnten die Bewegungen an unserem eigenen Körper ausprobieren. Er gab uns Material von anderen Produktionen, an denen er gearbeitet hat, oder auch von Unterrichtsstunden. Doch dies war natürlich etwas ganz anderes als das, was dann in Omphalos geschehen ist. Wenn man mit ihm ein Stück erarbeitet, ist er ein sehr fordernder Choreograph, sehr physisch, sehr körperbetont. Er will, dass man sehr schnell in die Symbolik hineinfindet. Daher war es eine große Herausforderung, aber brachte auch sehr viel Spaß!

Diese Art zu Arbeiten war wirklich intensiv, sowohl mit dem Körper als auch mit dem Kopf, denn es gab viele mathematische Aufgaben, beispielsweise mit den Zählzeiten. All dies zu kreieren war sehr kompliziert. Der Teil des Zodiacs zum Beispiel war schwer mit allen zusammen zu gestalten, da alle wirklich im gleichen Moment auf dem Punkt sein mussten. Wenn eine Person aus dem Takt kam, dann funktionierte es nicht.


Gruppe sitzend um die Mitte der Schüssel, die Arme miteinander verschränkt - Foto: © by Emmanuel Adamez

Foto: © by Emmanuel Adamez


SB: Es entsteht ein sehr schönes Bild, wenn ihr euch alle zusammen bewegt.

Paulina: Ja. Damien gibt uns so viel und versetzt uns so in die Lage, auch ihm wieder geben zu können. Es ist also immer eine sehr ausgewogene Beziehung.

Ernesto: Ich denke, die nächste Herausforderung war, dass wir am Anfang ohne das Bühnenbild geprobt haben.

SB: Wie lange hattet ihr Zeit, um euch an die Bühne zu gewöhnen?

Ernesto: Es war nur ein Monat Zeit vor der Premiere, um mit dem Bühnenbild und der Antenne zu arbeiten. Dies war sehr schwierig, denn wir mussten einiges ändern. Die Antenne ist sozusagen ein weiterer Tänzer (lacht). Wir haben alles angepasst und es mit der Antenne geteilt. Eine weitere Schwierigkeit für mich war, dass wir normalerweise im zeitgenössischen Tanz am Anfang erst einmal über uns selbst als Personen reden. Doch worüber wir nun redeten, war eine sehr spezifische Dramaturgie und spezielle Sprache. Es war wirklich schwierig, alles in drei Monaten fertig zu stellen. Es handelt sich um ein sehr komplexes Universum. Und wir mussten einfach alles von uns selbst dort hinein geben.

Marlene: Ich möchte etwas zu dem, was Ernesto sagte, hinzufügen. Ein harter Teil war, sich an dieses Universum zu gewöhnen. Wir sind zwanzig Tänzer aus verschiedenen Staaten in Mexiko, also über das ganze Land verteilt und haben viele verschiedene Sprachen in unserem Körperwissen. Wir mussten das Stück aber als Gruppe zusammen erarbeiten, um gemeinsam im gleichen Moment zu hören, zu sehen und zu fühlen. Es war eine große Offenbarung.

SB: Damien hat eine starke Verbindung zu Mythen, Legenden oder auch Hexerei und Ritualen. Daher ist selbst schon das Thema sehr spezifisch. Fiel es euch schwer, euch in diese Thematik hinein fallen zu lassen? Sind die Menschen in Mexiko allgemein mehr mit ihren Ahnen, Ritualen und Wurzeln verbunden als beispielsweise viele Menschen aus der europäischen Kultur?

Ernesto: Nein, ich denke es kommt auf den Hintergrund der Person und deren Familie an. Die Menschen, die zentraler oder im Süden leben, sind sehr damit verbunden. Doch ich bin aus dem Norden und wir haben diese Art des Wissens nicht und auch keine derartigen Familienverbindungen.

SB: War es dann schwierig, dich mit dem Thema auseinander zu setzen?

Ernesto: Naja, es war nicht so schwierig. Am ersten Tag musst du halt komplett leer sein und alles aufnehmen.

Marlene: Ich bin aus dem Norden, sozusagen aus der Nachbarschaft von Kalifornien und Los Angeles, und meine Stadt ist die jüngste in ganz Mexiko. Sie ist 100 Jahre alt und wir haben praktisch gar nichts. Wir wissen um die Geschichte Mexikos, aber beziehen es nicht so auf uns selbst. Ich spreche hier aber nur für mich. Für mich war es eine neue Möglichkeit, etwas zu schaffen und die gesamte Geschichte Mexikos und auch etwas aus der prä-kolumbianischen Zeit kennen zu lernen und mein eigenes Kopfkino zu erstellen. Das gesamte Stück war für mich im Endeffekt wie ein Film. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand dort gewesen wäre, um zu filmen, wie wir die ersten Schritte in der Schüssel machten, und all die Geräusche aufzunehmen, die das Stück unterstützen.


Foto: © 2019 by Schattenblick

Paulina, Ernesto und Marlene beim Interview
Foto: © 2019 by Schattenblick


SB: Arbeitet ihr oft mit unterschiedlichen Choreographen?

Alle: Ja, jedes Mal.

SB: Empfindet ihr es als schwierig, immer in unterschiedliche Projekte zu schlüpfen oder müsst ihr wirklich wie ihr sagtet am Anfang einfach nur komplett 'leer' sein?

Paulina: Du lernst dich zu öffnen.

Marlene: Denn wenn du dich nicht öffnest, wird der Weg sehr schwer. CEPRODAC ist durch ein Programm der National Foundation of Arts entstanden, das Kollaborationen mit vielen Choreographen oder anderen Programmen hat, mit denen sie ein unglaublich großes Netzwerk aufbauen. Daher kommt und geht alles. Es ist wirklich gut.

SB: Bei Omphalos waren es drei Monate Arbeit bis zur Aufführung. Geht ihr immer nach kurzer Zeit auf Tour oder ist die Struktur jedes Mal anders?

Paulina: Ich glaube die längste Zeit, die wir mit jemandem gearbeitet haben, waren drei Monate. Manchmal waren es auch nur zwei Wochen. Dies sind dann sehr schnelle Prozesse und nicht alle Stücke werden fortgeführt. Doch manche haben Erfolg und können daher auf Tournee gehen, es kommt auf die Produktion an. Dann performen wir auch außerhalb von Mexiko City. Wir haben immer die Möglichkeit, mit anderen Choreographen zu arbeiten, was sehr schön ist. Letztes Jahr zum Beispiel haben wir mit einem kolumbianischen Choreographen gearbeitet, mit einem französischen und einem japanischen, mit Damien, mit einem mexikanischen und einem argentinischen. Natürlich waren die alle sehr unterschiedlich. Der kolumbianische Choreograph war mehr auf das Theater bezogen, die japanische Choreographin hat mit Butoh und Kabuki gearbeitet und Damien hatte natürlich auch sehr viele verschiedene Einflüsse mit einbezogen.

SB: Wie lange werdet ihr mit Omphalos auf Tour sein?

Ernesto: Dies war unsere letzte Show in Europa. Doch wir werden im Mai einige weitere Shows in Mexiko haben.

Paulina: Es gibt außerdem immer noch einige Diskussionen über Performances in Japan und New York.

Marlene: Wir haben nicht den Überblick über die gesamte Tour, die eventuell stattfinden kann. Sie sagen uns nur, welche Auftritte fest gebucht sind.

SB: Was hat euch am meisten an der Arbeit an Omphalos gefallen?

Ernesto: Ich sehe diese Show auf zweierlei Weisen. Die eine ist die intuitive und emotionale Seite, wie ich meine innere Welt konstruiere. Und die andere Seite ist die mathematische und technische Seite. Heutzutage sind die choreographischen Prozesse sehr schnell-lebig und man achtet nicht so sehr auf Details, doch hier waren wir sozusagen gezwungen, dies zu tun. Es gab einfach keinen anderen Weg. Dies war wahrlich fordernd, doch hat es gleichzeitig sehr viel Spaß gebracht, auf eine ernste Art und Weise.

Ilse Orozco Corona: An erster Stelle steht, dass ich meine Kollegen besser kennen lernen konnte. Wir arbeiten täglich zusammen, doch ich musste feststellen, dass ich nicht wirklich viel von ihnen wusste. Dieser Prozess war sehr kollektiv. Wir haben uns gegenseitig wirklich spüren können. Du musstest verstehen, wie die anderen arbeiten, wie sie atmen und ihren eigenen Rhythmus kennenlernen. Ich musste meinen Rhythmus verlangsamen und auch mich selbst und ihnen zuhören. Dies war eines der wichtigsten Dinge, dass ich nicht die einzige hier bin und dass es um die Gruppe geht.

SB: Man kann im Stück sehen, dass ihr alle sehr verbunden miteinander seid. Dies zu erreichen, muss viel Arbeit sein.

Ilse: Es war hart. Es war schwierig, denn wir sind alle so unterschiedlich, und wir hatten viele Auseinandersetzungen während des Prozesses, sodass wir wirklich ein Geben und Teilen und Akzeptieren erarbeitet haben. Offen sein, das ist das Allerwichtigste. Es ist nicht gerade einfach. Als Tänzer sind wir sehr egozentrisch und manchmal auch egoistisch. Daher ist es ein großer Schritt.

Marlene: Oder auch Stolz! Das ist das Schlimmste. Wenn du stolz bist und sagst, dass eine Bewegung auf 'drei' gezählt wird, aber ein anderer sagt, dass es 'drei UND' ist, dann muss man dort kollaborieren können.

Ilse: Man muss wirklich demütig sein.

Marlene: Ich denke, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, mich ein wenig selbst zu verlieren. Es ist, als ob du doppelte Aufmerksamkeit leisten musst, einmal wie der Körper sein soll und wie du selbst bist - wie es ist, alles zu verlieren und loszulassen. Ich mag es sehr, wie es jetzt endet, nach alldem was wir durchgemacht haben und wie wir den Weg bis zum Ziel gemeinsam gegangen sind, die Art wie wir uns kennen gelernt und uns gemixt haben. Wenn jemand sich schlecht fühlt oder sich zurück zieht, dann weiß ich nun wie ich ihm helfen kann. Oder auch, dass ich manchmal einfach den Mund halten muss, da ich so laut bin! Das erkenne ich dann an einem einzigen kleinen Blick.

Ilse: Ich glaube, wir haben eine Familie geschaffen. Das ist das Wunderschöne daran und wir erleben die Dinge gemeinsam und wissen ganz genau, dass alles am richtigen Fleck ist und wir uns gegenseitig helfen.

SB: Ihr habt also jede Menge Vertrauen entwickelt.

Ilse: Ja, nach diesem Wort habe ich gesucht.

SB: Also auch physisches Vertrauen. Selbst wenn man auf dem flachen Boden agiert, muss man der Person, mit der man arbeitet, vertrauen können.

Ernesto: Ich denke Omphalos ist eine Show, die dich an einen anderen Ort transportiert, anders als andere Stücke. Es gibt viele technische Aspekte mit dem Set und dem Licht. Man fühlt sich wirklich wie in einer anderen Realität. Die Fiktion ist recht einfach zu erschaffen, denn man ist nicht an einem normalen Ort. Das ist ein guter Faktor.

SB: Wie lange werdet ihr noch bei CEPRODAC sein? Wird das von den Direktoren entschieden? Nehmt ihr dafür immer wieder an einer neuen Audition teil?

Paulina: Ja, alle zwei Jahre müssen wir uns neu bewerben und die längste Zeit, die wir dort verbringen können sind sechs Jahre. Dies ist mein letztes Jahr.

SB: Weißt du schon, was du danach machen möchtest?

Paulina: Nein, ich weiß es noch nicht genau. Ich schaue aber bereits.

SB: Choreographiert ihr auch neben eurer Arbeit als Tänzer? Habt ihr überhaupt Zeit, noch irgendetwas anderes zu tun?

Alle: Wir haben einige Arbeitspausen.

Paulina: In der Company helfen sie uns, an unseren eigenen Projekten zu arbeiten. Sie unterstützen uns, diese auf die Bühne zu bringen.

SB: Es gibt also zwanzig Tänzer in der ganzen Company? Oder sind es mehr und es werden immer nur eine gewisse Anzahl von euch für bestimmte Projekte ausgewählt?

Paulina: Nein, es sind nur zwanzig.

Ilse: Alle zwei Jahre bewerben wir uns wieder neu und dann müssen sie die Hälfte der Company ersetzen. Einige bekommen die Möglichkeit nochmals zwei Jahre dort zu sein. Manchmal würdest du gerne noch bleiben, doch du kannst nicht. Es ist schwierig.

Marlene: Zumindest vier von uns werden sicherlich sechs Jahre dabei bleiben.

SB: Wann werdet ihr das nächste Mal wieder an einer Audition für die Company teilnehmen?

Alle: Im Oktober oder November.

SB: Viel Glück dabei. Ihr seid großartige Künstler.


Drei Tänzerinnen und ein Tänzer der CEPRODAC-Company mit SB-Redakteurin im Gruppenbild - Foto: © 2019 by Schattenblick

Von links: Ilse, Paulina, SB-Redakteurin, Marlene und Ernesto
Foto: © 2019 by Schattenblick

Anmerkung:

[1] Die Company CEPRODAC war bereits 2017 mit HORSE[M]EN auf Kampnagel zu Gast.


Im Schattenblick sind zur Aufführung OMPHALOS unter THEATER UND TANZ → REPORT erschienen:

BERICHT/103: Omphalos - Tanz der Kulturen ... (SB)
INTERVIEW/044: Omphalos - physikentlassen und mythenfrei ...     Damien Jalet im Gespräch (SB)
INTERVIEW/045: Omphalos - zügellose Disziplin ...     Tänzer der CEPRODAC-Company im Gespräch (SB)


Im Rahmen des Kampnagel-Festivals "Kontext Mexiko" veröffentlichte der Schattenblick 2017 zur Aufführung von HORSE[M]EN folgende Interviews unter THEATER UND TANZ → REPORT:

INTERVIEW/031: Mexikospektive - Die junge, alte, neue Sicht ...     Uta Lambertz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/034: Mexikospektive - im Spiegel der Kämpfe ...     Jaciel Neri im Gespräch (SB)


29. März 2019


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