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INTERVIEW/019: Feiern, streiten und vegan - Von hinten aufrollen ...    Aktivistin Sandra im Gespräch (SB)


Gegen Massentierhaltung, für Tierbefreiung

Interview auf dem Vegan Summer Day in Leipzig am 6. September 2014



Sandra ist im Bündnis Tierfabriken Widerstand aktiv, das gegen den Neubau von Mastanlagen, Legehennenbetrieben, Milchviehbetrieben und Schlachthöfen in Ostdeutschland kämpft. Am Rande des Vegan Summer Day in Leipzig, auf dem sich das im März 2014 gegründete Bündnis - wie auch beim Veganen Straßenfest in Hamburg - vorstellte und mit einem Stand vertreten war, beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu den Grundsätzen und Bedingungen ihres Eintretens für das Ende der Tierausbeutung.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Sandra
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Sandra, was war der unmittelbare Anlaß für euer Engagement?

Sandra: Wir sind alle schon länger tierrechts- und tierbefreiungsaktiv, aber haben uns in dieser Konstellation erst im Rahmen der Kampagne "Grüne Woche demaskieren" gefunden. Die Grüne Woche findet einmal im Jahr statt, aber was machen wir den Rest des Jahres? Wenn man sich gegen Tieranlagen einsetzt, dann verhindert man, daß Millionen von Tieren pro Jahr ausgebeutet werden. So hat eine 350.000er-Masthuhnanlage mindestens acht Durchgänge im Jahr. Verhindert man einen Neubau dieser Kategorie, dann hat man 2,8 Millionen Hühner vor einem qualvollen Leben bewahrt. Deswegen fanden wir es sinnvoll, uns in diesem Bereich einzusetzen. Wir sind auch sehr gut mit dem Mastanlagen-Widerstand aus Bayern vernetzt.

SB: Welche Aktionen habt ihr während der Kampagne "Grüne Woche demaskieren" im einzelnen gemacht und was war euer Gesamtziel?

S: Die Grüne Woche ist eine große Landwirtschaftsmesse, die jeden Januar in Berlin stattfindet. Dort wird die industrielle Landwirtschaft als das Nonplusultra dargestellt. Im Grunde wird alles grüngewaschen. Unsere Aktionen zielten darauf, diese Riesenpropagandaveranstaltung als Schwindel aufzudecken. So gibt es auf der Grünen Woche immer einen Erlebnisbauernhof, wo Tierhaltung von seiner sauberen Seite gezeigt wird. Die Tiere sehen toll aus, aber das ist nur eine geschönte Darstellung. Im letzten Jahr war ein Schlachttransporter ausgestellt mit dem Slogan: Wir transportieren Tierschutz. Diesen Transporter haben wir gestürmt und ein Banner angebracht. Zur gleichen Zeit sind einige von uns den Funkturm hochgeklettert und haben dort ebenfalls ein Banner aufgehängt mit der Aufschrift: Bloß nicht genau hinsehen. Darüber hinaus haben wir Mahnwachen an vier verschiedenen Tagen vor der Grünen Woche aufgestellt und Infoveranstaltungen organisiert, darunter mit Hilal Sezgin, die ihr neues Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" vorgestellt hat. An einer anderen Infoveranstaltung hat der bekannte Aktivist Jörg Bergstedt teilgenommen. Zudem haben wir sehr viele Flyer verteilt.

SB: Wie war die Resonanz seitens der Messebesucher?

S: Das ist eine Landwirtschaftsmesse, zu der viele Bauern hingehen, und die haben uns bei der Aktion auf dem Erlebnisbauernhof ausgebuht. Daneben sind auch viele Familien auf der Messe. Das sind in der Regel weniger kritisch eingestellte Besucher. Ob sie verstanden haben, was wir wollen, weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir ein großes überregionales Presseecho gehabt und damit, glaube ich, schon ziemlich viele Menschen erreicht, und wir haben es geschafft, daß Tierrechtsthemen in die Nachrichten kommen.

SB: Ist Ostdeutschland Neuerschließungsland für Mastbetriebe oder gibt es die dort schon länger?

S: Die meisten Anlagen werden in Niedersachsen genehmigt, aber auch in Ostdeutschland entstehen viele neue Betriebe. Dort stehen noch die riesengroßen Altanlagen aus der DDR , von denen viele nicht mehr in Betrieb sind und die zu dem Zweck neu instandgesetzt werden. Schweinemäster wie Straathof wandern inzwischen aus den Niederlanden ab und kriegen staatlicherweise sogar Geld dafür, wenn sie in ein anderes Land gehen. In Ostdeutschland finden sie Superbedingungen für einen Neuaufbau.

SB: Leistet die Bevölkerung der Ortschaften, in denen eine Mastanlage gebaut werden soll, eher Widerstand oder ist sie solchen Entwicklung gegenüber, etwa aus dem Interesse an neuen Arbeitsplätzen, eher positiv eingestellt?

S: Das ist ganz unterschiedlich. In einem Fall haben wir eine Pressemitteilung veröffentlicht, und als die Leute davon erfuhren, haben sie sofort eine Bürgerinitiative gegründet und extrem viel Widerstand geleistet. In anderen Orten dagegen haben wir wer weiß wie viele Vereine und einzelne Leute angeschrieben, ohne daß sich jemand dafür interessiert hat. Dann wird so ein Mastbetrieb eben gebaut. Natürlich hängt es auch immer davon ab, wer die Anlage bauen will. Wenn das ein Bauer im Ort ist, wird es von den Leuten eher akzeptiert, als wenn es ein Investor von außerhalb ist. Dann kann man auch mit Widerstand rechnen. Da spielen viele Faktoren mit hinein.

SB: Wie ist eure Zusammenarbeit mit Leuten, die aus Gewissensgründen gegen Tierleid sind, selbst aber Fleisch konsumieren, nur nicht möchten, daß es aus Fleischfabriken kommt?

S: Solche Leute findet man eher in Bürgerinitiativen.

SB: Kooperiert ihr mit ihnen?

S: Das ist auch total unterschiedlich. Manchen sind wir zu extrem, so daß sie mit uns nicht einmal eine Infoveranstaltung machen wollen. Vielleicht sind sie dankbar dafür, daß wir etwas lostreten, aber distanzieren sich doch von uns. Wenn in Bürgerinitiativen auch Veganer sind, erleichtert es die Zusammenarbeit. Wir versuchen auch immer, mit dem BUND zusammenzuarbeiten, weil nur er, wenn eine Mastanlage genehmigt wird, klageberechtigt ist. Dazu muß er eine eigene Einwendung gegen den Neubau schreiben. Auch mit dem BUND haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In einem Bundesland wurden die Leute vor Ort sogar vor uns gewarnt, weil wir zu radikal wären, aber in einem anderen Bundesland hat der BUND mit uns zusammen eine Infoveranstaltung gemacht. Das kommt immer auf die einzelnen Mitarbeiter an.

SB: Bekommt ihr Unterstützung von politischen Parteien?

S: Das Thema Massentierhaltung ist ja inzwischen ein Grünen-Thema geworden und wird auch im Wahlkampf plaziert. Als es einmal um den Bau einer Schweinezuchtanlage in Mecklenburg-Vorpommern ging, habe ich versucht, Leute vor Ort zu finden, die sich dagegen engagieren wollen. Damals zeigte sich die Linkspartei an dem Thema nicht so interessiert, hat aber zumindest auf meine Anfrage geantwortet. Das mag aber von Ortsgruppe zu Ortsgruppe, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein.

Generell ist es eher ein grün-spezifisches Thema, aber dennoch geht uns die Position der Grünen nicht weit genug. Wir sind nicht nur gegen Massentierhaltung, sondern gegen jede Form von Tierausbeutung. Es gilt, jeweils im Einzelfall auszutesten, ob eine Zusammenarbeit mit den Grünen funktioniert. Wenn wir eine gemeinsame Infoveranstaltung planen, geht es uns in erster Linie darum, unseren Standpunkt zu vertreten. Wir machen es dann so, daß wir die Infoveranstaltung organisieren und die Grünen dazu einladen. Die erzählen dann etwas zu den Umweltthemen, machen dann aber keine Propaganda für sogenannte artgerechte Tierhaltung, wogegen wir auch sind.

SB: Du hast hier auf dem Vegan Summer Day Werbung für den Widerstand gegen Tierfabriken geworben. Wie fiel die Resonanz unter dem Publikum, das tendenziell wohl eher aus tierethischen Gründen auf Fleischkonsum verzichtet, auf eure Arbeit aus?

S: Es gibt solche und solche Veganer. Was mich auf solchen Veranstaltungen immer ein wenig frustriert, sind die Konsum-Veganer, die sich zwar darüber informieren, was wir machen, aber eigentlich nur irgend etwas kaufen wollen. Natürlich machen wir Infostände auch mit dem Gedanken, Leute für unsere Sache anzuwerben. Wir brauchen mehr Leute, um all die Arbeit stemmen zu können. Daher ist es immer wieder enttäuschend, daß die Resonanz dann doch nicht ausreicht. An sich finden sie unsere Arbeit gut, aber für den Schritt zum Aktivismus reicht es dann doch nicht.

SB: Ihr seid maßgeblich in Berlin organisiert. Wie ist es für euch, in andere Orte zu fahren und dort auf die lokale Bevölkerung zu treffen? Kommt ihr euch so ein bißchen wie Kreuzritter vor, wenn ihr in eine gewachsene Dorfgemeinde geht?

S: Genau deshalb ist es ja wichtig, daß wir schon vorher Kontakte vor Ort aufgebaut haben, denn sie geben uns letztlich die Legitimation, dort zu sein. Wenn wir da einfach einreiten würden, wären wir für sie so etwas wie die Aliens aus Berlin. Alles in allem haben wir fast nur positive Erfahrungen gemacht. Die Ortsbevölkerung nimmt uns gerne auf und ist dankbar für die Energie, die wir von außen reinbringen. Am schwierigsten ist es jedoch, den Leuten unsere eigene Tierrechtsperspektive nahezubringen. Das wollen sie nicht hören.

SB: Vertretet ihr einen tierexklusiven Standpunkt, oder gehören Tier- und Menschbefreiung für euch als politisches Anliegen zusammen?

S: Natürlich sehen wir auch die Menschen, die in den Anlagen arbeiten, als Opfer des Systems. Das macht doch keiner freiwillig, tagtäglich Tiere zu schlachten und die Kadaver auszunehmen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch, Sandra.

Sandra auf der Bühne - Foto: © 2014 by Schattenblick

Tierfabriken Widerstand auf dem Vegan Summer Day in Leipzig
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


Webseite des Bündnisses Tierfabriken Widerstand:
https://tierfabriken-widerstand.org/


Berichte zum Veganen Straßenfest in Hamburg unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → TIERE → REPORT:

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24. September 2014