Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/488: Der Biohaltung droht die Konventionalisierungsfalle (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Massenweise BIO?
Der Biohaltung droht die Konventionalisierungsfalle

Von Stefan Johnigk


Die industrielle Intensiv-Tierhaltung ist ein Produkt der letzten 50 Jahre. Der Nachkriegsgeneration ging es noch darum, die Nahrungsmittelversorgung flächendeckend zu sichern und die Kosten für Lebensmittel sozial verträglich zu halten. Spätestens ab den 1970er Jahren breitete sich der Renditewahnsinn in der Landwirtschaft aus. Die Betriebe wurden immer kapitalintensiver, die Tierhaltungsverfahren wurden immer technisierter, die landwirtschaftlichen Nutztiere verkamen zu Produktionsmitteln, und viele kleine Bauern verloren ihre Selbständigkeit. Als Gegenbewegung begann PROVIEH - VgtM e.V. 1973 mit seiner Aufklärungsarbeit, und die artgerechtere, ökologische Viehhaltung erhält seit den 1980er Jahren immer mehr Zuspruch. Doch Preiskampf und das Prinzip "wachse oder weiche" machen auch den Öko-Bauern zu schaffen.

Seit Jahrzehnten stagnieren die Erzeugerpreise für Lebensmittel oder sinken sogar. Ein Kilo Eier zu erzeugen verursachte 2005 nur noch halb so viel Kosten wie 1950, und auch die Erzeugerpreise für Schweinefleisch oder Weizen fielen im gleichen Zeitraum deutlich. Die Kaufkraft für Lebensmittel stieg drastisch an. Ein Industriearbeiter musste in den 1970er Jahren noch rund 1,5 Stunden schuften, um sich ein Kilo Schweinefleisch als Sonntagsbraten leisten zu können. 2005 waren es nur noch 20 Minuten. Ein "Broiler" von einem Kilo Gewicht kostete ihn 1970 noch 45 Minuten Arbeitseinsatz, heute wird er schon nach weniger als 7 Minuten erschwinglich.

Billige Lebensmittel verführen zu Maßlosigkeit. In den Wirtschaftswunderjahren brach eine wahre Fresswelle über die junge Bundesrepublik herein. Jeder Bundesbürger aß damals im Schnitt 19,4 Kilo Schweinefleisch und 1,2 Kilo Geflügelfleisch pro Jahr. Das hatte Folgen: Schon 1952 stellte die Süddeutsche Zeitung fest, dass der Durchschnittsmann 1,5 Kilo und die Durchschnittsfrau 1 Kilo Übergewicht auf die Waage brachten. Heute wäre der Begriff "Fress-Tsunami" besser angebracht. Im Jahr 2005 verzehrte jeder Bundesbürger etwa sein eigenes Gewicht an Fleisch. Jeder Zweite gilt heute als übergewichtig und belastet damit massiv seine Gesundheit. Übermäßiger Verzehr tierischer Produkte ist neben Bewegungsmangel Hauptgrund für die Zunahme zivilisationsbedingter Erkrankungen. Das ist mittlerweile Allgemeinwissen, wird aber von den meisten Menschen erfolgreich verdrängt.

Würde ein Familienhaushalt sein Budget für Fleisch, Eier und Milch für Bio-Erzeugnisse statt für konventionelle Produkte ausgeben, so kämen bei identischen Kosten weniger tierische Nahrungsmittel auf den Tisch. Das wäre gesünder für Mensch und Tier und gut für die Biobauern. Doch das Bewusstsein bei Konsumgewohnheiten ändert sich nur schwerfällig, vor allem, wenn es um Geld geht. Die Einstellung "Bio, aber bitte billig!" steigert daher den Druck zur Intensivierung in der Bio-Landwirtschaft.

Der Einstieg der Discounter in den Bio-Markt hat den Preiskampf bereits spürbar verschärft. Die Durchschnittstierbestände der Biohalter wachsen. Biobetriebe spezialisieren sich zunehmend. Sie halten in vielen Fällen nur noch eine Tierart pro Hof und teilen die Arbeitsabläufe zwischen den Höfen auf. In der Bio-Schweinemast hat nicht einmal mehr jeder zweite Bauer auch eigene Sauen. Die meisten Bio-Geflügelbetriebe beziehen ihre Küken von Großbrütereien statt aus ökologisch gehaltenen Elterntierherden. Kaum ein Bio-Legehennenhalter zieht noch eigene Junghennen auf.

Besonders bei Bio-Milchvieh und Bio-Legehennen steigen die Leistungen pro Tier und Jahr immer weiter. Seit Bio-Eier bei fast allen Discountern in den Regalen zu finden sind, wächst die Zahl der Betriebe, die Hennen nach EU-Ökoverordnung in großen Beständen halten. Hohe Besatzdichten und große Herdengrößen aber führen zu vermehrten sozialen Stress bei den Tieren, so dass Federpicken und Kannibalismus zunehmen.

Auch bei Bio-Milchviehbetrieben nimmt die Intensivierung zu. Heute liefert eine Bio-Kuh rund eine Tonne mehr Milch pro Jahr als noch vor 10 Jahren. In derselben Zeit hat sich der Einsatz von Kraftfutter bei Bio-Kühen nahezu verdoppelt. Intensiv gehaltene Hochleistungstiere werden aber schneller krank, und so nahm auch bei Bio-Kühen die Häufigkeit von Erkrankungen an Euter und Klauen drastisch zu. Das durchschnittlich erreichte Lebensalter einer Biomilchkuh sank von 5,7 auf heute 5,4 Jahre.

In der Bio-Tierhaltung drohen ähnliche Fehlentwicklungen wie in der konventionellen Landwirtschaft. Auch in der Biobranche beginnt sich die Teufelsspirale zwischen Preisdruck und Leistungssteigerung immer schneller zu drehen. Das geht zuallererst auf Kosten der Nutztiere und dann zu Lasten aller. Ein Ausweg aus dieser Konventionalisierungsfalle kann sich nur öffnen, wenn der Preis- und Leistungsdruck von den Schultern der Biobauern genommen wird. 79% aller Deutschen wollen Umfragen zufolge ihre Lebensmittel aus artgerechter Tierhaltung beziehen. Dazu müssten solche Produkte beim Einkauf aber auch eine höhere Wertschätzung genießen, denn "Bio" und "billig" passen schlecht zusammen, selbst wenn die Discounter uns das glauben machen wollen.

Eine artgerechtere Tierhaltung wie im Öko-Landbau üblich muss den Kunden einen fairen Preis wert sein, denn sie dient der eigenen Gesundheit und schont die Tiere. PROVIEH setzt sich auf politischer und anderen Ebenen ein für eine verbesserte Aus- und Fortbildung in der Bio-Landwirtschaft, eine bessere Berücksichtigung der Tiergesundheit in den Öko-Richtlinien, einen Ausbau der Beratungsangebote für Öko-Tierhalter und eine bessere finanzielle Unterstützung bei der Extensivierung der Tierhaltung. PROVIEH wird sich weiterhin gemeinsam mit den Bio-Anbauverbänden dafür stark machen, dass sich das Dasein ökologisch gehaltener Nutztiere verbessert statt verschlechtert.


Quellen:
- Statistisches Jahrbuch Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2006
- Vortrag Prof. Dr. Bernhard Hörning, 37. Fortbildungskurs SIGÖL, März 2008


*


Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2009