Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/515: Massentierhaltung unter Wasser (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Massentierhaltung unter Wasser -
Fischzucht und -haltung meist nicht artgerecht

Von Heinzpeter Studer


Nicht nur landlebende Nutztiere leiden, wenn ihre arteigenen Bedürfnisse in der industriellen Intensiv-Tierhaltung verletzt werden. Mehr und mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass auch Fische Stress, Angst und Schmerz empfinden. Daraus folgt: Wer Fische züchtet und hält, muss deren Wohl statt deren Leiden fördern - oder die Fischzucht bleiben lassen. Doch bei der Planung neuer Aquakulturen (der gewerblichen Haltung und Zucht wasserlebender Tiere) stehen Überlegungen zum Tierwohl bis heute nicht am Anfang der Planung, sondern werden bestenfalls angestellt, wenn es Probleme gibt. Die Aufmerksamkeit von Industrie, Behörden und Wissenschaft konzentriert sich auf ein schnelles Wachstum der Aquakultur. Ökologische Kriterien treten dabei allzu oft in den Hintergrund und Tierschutzfragen werden vernachlässig.


Zu rasch, zu viel, zu unwissend

Die Branche wächst rasant, und so bleibt keine Zeit für grundlegende Fragen. Darum sind die Beförderer der Aquakultur-Industrie bis heute nicht in der Lage, drei zentrale Probleme zu lösen: die Verfütterung von Wildfisch, die Belastung der Umwelt und das Elend in der Massentierhaltung, die ein qualitativ schlechtes Ergebnis liefert.

Weil Industrie und Behörden sich erst zaghaft für das Fischwohl interessieren, ist auch die von ihnen finanzierte Wissenschaft weitgehend unfähig, dem Praktiker zu sagen, wie er das Wohl seiner Fische sicherstellen kann. So gibt es zwar reihenweise Literatur, wie sich die Effizienz in der Intensivhaltung steigern lässt. Verhaltensbiologische (ethologische) Studien über die Lebensbedürfnisse der Fischarten dagegen sind rar. Und laufend werden weitere Arten der Aquakultur unterworfen, von deren angeborenen Verhaltensweisen und Bedürfnissen man noch weniger weiß als das Wenige, was bei Karpfen, Lachsen und Forellen als gesichert gilt.


Tierwohl ist mehr als Tiergesundheit

Die Aquakultur-Branche neigt dazu, das Fehlen manifester Erkrankung der Tiere als Beleg für gewährtes Tierwohl zu verstehen. Das spiegeln selbst noch die Standards des neuen WWF-Fischzucht-Labels ASC wider (www. ascworldwide.org).

Gesundheit ist immer relativ, und sie ist nur einer von mehreren Indikatoren für Tierwohl, welches nur an ethologischen Kriterien beurteilt werden kann. Während für Hühner, Rinder oder Schweine solche Kriterien längst bestimmt sind, fehlen sie bei Fischen weitgehend. Das hat damit zu tun, dass Fische in einem uns fremden Element leben - und dass wir in Zucht und Haltung von Landtieren auf eine viel längere und breitere Erfahrung zurückgreifen können.

Wenn in der Aquakultur tatsächlich das Tierwohl beachtet werden soll, kann das bis auf weiteres nur heißen: Langsam! Nicht Wachstum fördern, sondern ethologische Forschung! Regelmäßiges ethologisches Monitoring bestehender Anlagen! Denn ohne ein Erarbeiten von Grundlagen werden systematische Tierwohl-Defizite nie zu beheben sein.


Künstliche Reproduktion

Fischzucht besteht aus der Mast bis zur Schlachtreife - und aus der Zucht im eigentlichen Sinn: Zeugen und Aufziehen von Nachkommen. Von einem "geschlossenen" Kreislauf spricht man, wenn eine Fischart ohne Rückgriff auf Wildbestände künstlich vermehrt werden kann - auf der Grundlage der so genannten "Geschlechtsprodukte", der reifen Eier und Samen, die man den "Elterntieren" durch "Streifen" entnimmt.

Beim Streifen wird mit der Hand Druck auf den Hinterleib ausgeübt; bei allen Methoden zur Streifung müssen die Fische "behändigt", also einzeln in die Hand und aus ihrem Element genommen werden. Die Prozedur belastet den Fisch, auch in jenen Betrieben, welche vor dem Streifen betäuben; kein Fisch würde sich freiwillig in diese Situation begeben, sondern ihr entfliehen wollen. Viele Elterntiere werden mehrmals pro Laichperiode behändigt, bis die Reife ihrer Geschlechtsprodukte feststeht. Etliche Betriebe setzen auch Hormone ein, um bei allen Tieren gleichzeitige Reife zu erzeugen.

Auch wenn es heute praxisfern klingt: Das Maß, in dem eine Art bereit ist, sich in der Aquakultur selber zu reproduzieren, wäre ein Indikator dafür, wie artgerecht deren Zucht angelegt ist. Ähnliches gilt ja auch in der ländlichen Nutztierhaltung, sofern sie nicht bereits auf künstlicher Reproduktion basiert.


Besatzdichte: Wie viel Fisch pro Liter?

Bei der Diskussion über die Tierfreundlichkeit von Fischzuchten steht die Besatzdichte oft im Zentrum: Wie viele Kilo Fisch dürfen/müssen pro Kubikmeter Wasser (= 1000 Liter) gehalten werden? Die Fachliteratur nennt die Besatzdichte neben der Wasserqualität und der Fütterung als entscheidenden Faktor für Tiergesundheit und Tierwohl. Während die Industrie aus ökonomischen Gründen zu möglichst hohen Dichten tendiert, verlangen Tierschützer und Bio-Labels möglichst niedrigen Besatz. Sie stützen sich dabei auf wissenschaftliche Studien, wonach hohe Besatzdichten zu folgenden Problemen führen können:

• erhöhter Stress;

• erhöhte Anfälligkeit für und erhöhte gegenseitige Ansteckung durch Krankheiten;

• erhöhte Verletzungsgefahr, vor allem der Flossen, und dadurch erhöhte Infektionsgefahr durch eindringende Keime;

• verminderte körperliche Fitness;

• Beeinträchtigung des natürlichen Schwimmverhaltens;

• Verminderung von Aufnahme und Verwertung des Futters;

• vermindertes Wachstum;

• Verschlechterung der Wasserqualität;

• vermehrte Aggressivität.


Aus diesen Gründen werden für verschiedene Arten unterschiedliche, der Art entsprechende maximale Besatzdichten empfohlen: z.B. Lachs 10-15 kg/m3, Forelle 20-30 kg/m3, Kabeljau 10-15 kg/m3. Doch die in der Praxis üblichen Besatzdichten sind erheblich höher.


Sind zu niedrige Besatzdichten tierquälerisch?

Praktiker halten dem entgegen, dass gerade räuberische Arten in einer höheren Mindestdichte gehalten werden müssten, da sie sonst mit zunehmendem Alter ihr territoriales Verhalten entfalten würden, was zu Aggressivität und gegenseitigen Verletzungen führe. Dem hält Peter Stevenson von Compassion in World Farming aber entgegen: "Die Tatsache, dass bei niedrigen Besatzdichten Tierschutzprobleme entstehen können, weist darauf hin, dass Fische grundsätzlich nicht für die Zucht geeignet sind. Niedrige Besatzdichten stellen in der Natur kein Problem dar, wo Fische, die von Artgenossen angegriffen werden, einfach wegschwimmen. In der Begrenzung eines Käfigs ist eine Flucht hingegen unmöglich."

Auf die Enge der meisten Anlagen angesprochen, machen Praktiker oft geltend, in ihrer natürlichen Umgebung würden sich viele Fischarten ja auch im Schwarm auf engem Raum aufhalten. In der Natur ist jedoch zu beobachten, dass sich ein Schwarm nicht stets am selben Ort aufhält, sondern sich fortbewegt, dass er also mehr Raum benötigt, als dies in einer Momentaufnahme der Fall zu sein scheint. Die meisten Anlagen bieten aber nur gerade den Raum, der einer solchen Momentaufnahme entspricht, und frieren den Schwarm und jedes seiner Individuen geradezu darin ein. Tatsächlich aber bewegen sich die Tiere stets, wobei ranghöhere die bevorzugten Plätze einnehmen und rangniedere nur begrenzt ausweichen können. Das führt zu dauernden Konflikten, die durch möglichst dichte Haltung bloß unterdrückt werden; die nicht artgerechte Beeinträchtigung aber bleibt. Selbst in vergleichsweise sehr extensiven Bio-Zuchten erhalten beispielsweise Forellen bei weitem nicht den ihrer Art entsprechenden Raum.


Eingesperrte Wanderer

Ganz drastisch ist der Unterschied zwischen dem in der Zuchtanlage gewährten und dem in der Natur verfügbaren Raum bei wandernden Arten, die weite Strecken zurücklegen, wie etwa Salmoniden (Lachs, Forelle, Saibling), Aalen oder vor allem bei Thunarten. Viele der heute für den westlichen Markt gezüchteten Fische bedürfen eines Lebensraums, der die Enge von Zuchtanlagen um das Vielfache übersteigt.

Allerdings fehlen bisher wissenschaftliche Grundlagen, um zu beurteilen, ob das Wandern ein biologisches Bedürfnis der Thunfische ist oder ob sie es lieber bleiben lassen, wenn sie ihre Nahrung nicht mehr selber suchen müssen.

Bei der Nutztierhaltung generell kommt eine zweite, unseren Leib betreffende Frage hinzu: Was ist das denn für eine Nahrung, die wir uns zufügen von Tieren, die auf zu engem Raum leben mussten? In Anwendung des von Marthe Kiley Worthington formulierten Kompensationsprinzips in der Nutztierhaltung muss gelten: Entspricht der zur Verfügung gestellte Raum schon nicht der für eine Fischart angemessenen Größe, so muss er mindestens so gestaltet werden, dass die übrigen Bedürfnisse der Art befriedigt und schädliche Folgen der Raumenge vermieden werden.


Strukturierung des Lebensraums

Die branchenübliche Ansicht, eine Mindestbesatzdichte sei unumgänglich, um die Aggressivität unter den Fischen einzudämmen, kann so nicht stehenbleiben.

Beobachtet man etwa Forellen in einem Fließgewässer, lässt sich leicht feststellen, dass sie nicht andauernd in derselben Strömung stehen, sondern je nach Absicht ihres Tuns (Fressen, Ruhen) unterschiedliche Strömungen aufsuchen, die durch Bachlauf, Steine usw. verursacht werden. Die in der Forellenzucht weitverbreiteten Beton-Fließkanäle nehmen hierauf keine Rücksicht: Ein Leben lang sind die Tiere der monoton gleichen Strömung ausgesetzt. Konventionelle Fließkanäle weisen weder im Querschnitt noch in der Länge irgendwelche Strukturen auf, die unterschiedliche Strömungen oder Rückzugsmöglichkeiten bieten würden. Dass sich dies relativ einfach ändern lässt, zeigen etwa Bio-Forellenzuchten in der Schweiz.

Auf Anregung von fair-fish schreibt Bio Suisse seit 2001 vor, dass Fliesskanäle im Querschnitt mit Blenden zu "möblieren" sind, welche nur am Boden Strömung zulassen. Damit entstehen mindestens drei Geschwindigkeiten: vor, unter und nach der Blende.

In der Regel dürfte die Beachtung arteigener Bedürfnisse auch ökonomisch vorteilhaft sein: geringere Sterblichkeit, bessere Qualität. Oder wie ein vietnamesischer Fischzuchtexperte bündig sagte: "Es gibt immer Probleme, wenn man die spezifischen Bedürfnisse und Verhaltensweisen einer Fischart nicht berücksichtigt."


Immenser Forschungsbedarf

Geeignete Strukturen können helfen, die unnatürlichen Beschränkungen einer Art im künstlichen Lebensraum zu kompensieren, indem sie etwa der Aggressivität vorbeugen, das individuelle Aufsuchen verschiedener Umgebungen ermöglichen, zum Abbau von Stress beitragen, usw.

Bloß: Was genau muss ein Fischzüchter denn berücksichtigen? Es gibt bisher noch kaum ethologische Erkenntnisse darüber, wie eine Anlage strukturiert ("möbliert", "enriched") sein müsste, damit sie der darin gehaltenen Art entspricht. Selbst die meisten Aquakultur-Labels kümmern sich nicht um die Gewährleistung des Tierwohls. Und die Bio-Labels, die sich die Frage zumindest stellen, tun dies mangels Forschung - wie auch fair-fish - mehr "aus dem Bauch heraus". fair-fish bemüht sich, Studien anzuregen; doch dem kleinen Verein fehlen die Mittel, sie auch zu bezahlen.

Was an ethologischer Forschung gefordert ist, lässt sich an einem anderen Beispiel aus der terrestrischen Nutztierhaltung deutlich machen. In den 1970er Jahren erhielt der Schweizer Ethologe Alex Stolba die Chance, veredelte Landschweine in einem großen Gebiet frei leben zu lassen und ein Jahr lang zu beobachten. Er stellte dabei nicht nur fest, dass die Tiere binnen Tagen das ganze Verhaltensrepertoire ihrer Wildschwein-Vorfahren auszuleben begannen, sondern er konnte aus seinen Beobachtungen alle für ein Schwein essentiellen Verhaltensweisen ableiten. Daraufhin entwickelte er ein nach ihm benanntes Stallsystem, das bei unveränderter Bauhülle der üblichen Intensivställe den Schweinen erlaubt, alle essentiellen Verhaltensweisen auszuleben. Damit löste der leider früh verstorbene Forscher die Entwicklung vieler weitere Stallsysteme aus (Offenfrontstall, Dreiflächenbucht, usw.), welche den Tieren Bedingungen schaffen, die ihrer Art besser entsprechen, ohne dabei die Produktion pro Fläche wesentlich zu verringern.


Die Industrie muss handeln

Will die Aquakultur-Industrie vermeiden, zunehmend unter Druck von Tierschützerinnen und Konsumenten zu geraten, tut sie gut daran, aus diesem Beispiel zu lernen. Wie einst Stolba müssen Ethologen das Verhalten einer Fischart in ihrem natürlichen Lebenszyklus beobachten und daraus ableiten, wie eine Anlage eingerichtet werden muss, um dem Verhalten und den Bedürfnissen dieser Art gerecht zu werden. Im Sinne des Verursacherprinzips ist es Aufgabe der Aquakultur-Industrie, die Mittel für entsprechende Forschung bereitzustellen - bei völliger Freiheit der Forschenden und voller Transparenz der Forschungsarbeiten.

Artgerechte Strukturierung von Fischzuchtanlagen war bis heute kaum ein Thema. Es ist jedoch so dringend wie wichtig. Denn der Streit über die zulässige bzw. nötige Besatzdichte bringt für sich allein weder mehr Tierwohl noch mehr Qualität in die Fischzucht. Immerhin kann als Faustregel gelten: Je höher die Besatzdichte, auf die eine Anlage ausgelegt ist, desto schwieriger wird später deren artgerechte Strukturierung.


Heinzpeter Studer, www.fair-fish.net

Den ungekürzten Original-Beitrag und zahlreiche weitere Quellen zur artgerechten Fischzucht finden Sie in der Fachbroschüre "fishfacts 7", erhältlich gegen eine Schutzgebühr von 4.- EUR (zzgl. Versand) direkt bei fair-fish oder über PROVIEH.


*


Was sagen Labels über Fische aus Zuchten?

Bio-Labels stellen höhere Anforderungen bezüglich:

• Herkunft: Die Fische müssen die letzten zwei Lebensdrittel auf einem Bio-Betrieb verbringen. Keine genetische Veränderungen oder hormonelle Behandlung.
• Fütterung der Fische: Pflanzliche Komponenten aus Bio-Landbau. Tierische Eiweiße aus Abfällen der Verarbeitung von Bio-Zuchtfischen oder von nachhaltig gefangenen Wildfischen.
• Schlachtung: Betäubung und Tötung.
• Verarbeitung: nur Hilfsstoffe, welche vom Bio-Label akzeptiert sind.
• Soziales: Mindestnormen

www.naturland.de www.bio-suisse.ch www.biofisch.at


Friend of the Sea (FOS)

Das FOS-Label zertifiziert neben Wildfang auch Zucht von Fischen. Die Richtlinien sind mit jenen der Bio-Labels vergleichbar, mit folgenden Ausnahmen:

• keine Vorgaben für Bio-Futter
• keine Vorgabe für die Schlachtung
• keine Vorgaben für die Verarbeitung

www.friendofthesea.org


ASC (WWF)

Was das Label MSC beim Fang, soll ab 2011 das vom WWF entwickelte Label ASC in der Fischzucht bringen. Das Niveau der Richtlinien ist mit jenem von FOS vergleichbar, mit dem Unterschied, dass sie für jede einzelne Fischart gesondert erarbeitet werden.

www.ascworldwide.org


fair-fish

Wie bei der Fischerei regelt fair-fish auch die Fischzucht am strengsten (und ist daher bis jetzt nicht auf dem Markt). Die Richtlinien lassen sich mit jenen der Bio-Labels vergleichen, mit folgenden Unterschieden:

• strengere Vorgaben zum Tierwohl
• Einsatz von Fischmehl/-öl stark limitiert
• keine Vorgaben für Bio-Futter
• keine Vorgaben betr. Verarbeitung

www.fair-fish.net


*


Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 6-13
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010