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TIERHALTUNG/666: Rinder wie durch Zauberhand bewegt - Low-Stress-Stockmanship (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Rinder wie durch Zauberhand bewegt - Low-Stress-Stockmanship

Von Stefanie Pöpken


In der Reiterszene gibt es so genannte "Pferdeflüsterer". Diesen Menschen gelingt es wie durch Zauberei mit Pferden ohne Stress und auf respektvoller Ebene verschiedene Lektionen zu erarbeiten und vorhandene Probleme zu beheben. Dem Außenstehenden fällt nur auf, mit welcher Leichtigkeit das vonstatten geht, wenn denn ein echter Profi am Werk ist.

Die "Rinderflüsterer" sind ein wenig rarer gesät, dennoch gibt es sie. Einer davon ist Philipp Wenz, der die Methode des Low-Stress-Stockmanship (LSS) an interessierte Landwirte weitergibt, seien es nun Mutterkuh- oder Milchviehhalter. Wenz hat die Methode in den USA erlernt, wo sie von Bud Williams bereits in den 1960er Jahren entwickelt wurde. Es gibt einige alte Filmaufnahmen, die Williams bei der Arbeit mit Rindern aber auch Rentieren zeigen - LSS ist für die Arbeit mit allen Weidetieren geeignet.


Was ist das Ziel von LSS?

Laut der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft geschehen von allen Unfällen in der Landwirtschaft ungefähr 46 Prozent im Umgang mit Rindern. Jedes Jahr kommen Landwirte durch falsche Handhabung mit Bullen zu Tode.

Low-Stress-Stockmanship verspricht einen stressfreien Umgang mit den Tieren, egal welche Größe die Herde hat. Ziel ist es, jedes Tier nur mit Hilfe von Körpersprache, Position zum Tier und Bewegungsmustern zu lenken. Und es lässt sich auch mit Bullen praktizieren - ein Umstand, der vielen Landwirten Unfälle ersparen könnte.

Wichtig ist eine ehrliche und geradlinige Beziehung zu den Tieren, damit sie das tun, was der Mensch von ihnen möchte. Je mehr sich Tier und Mensch an das LSS gewöhnen, desto ruhiger und sozialer werden die Tiere, bis hin zur völligen Akzeptanz im Umgang mit dem Menschen. Der Mensch gilt bei der Beziehung zu den Tieren als größter Einflussfaktor. Durch sein Verhalten fördert er entweder eine Herde, die ihn respektiert und ihm Vertrauen schenkt oder aber Tiere, die völlig respektlos und damit gefährlich für den Menschen sind. Dann kommt es zu Unfällen.


Fünf Regeln, die helfen, die Tiere zu treiben

LSS beruht auf dem Prinzip des Treibens. Viele Landwirte sagen, dass sie die Tiere locken können. Es gibt allerdings Situationen, in denen sich Rinder nicht locken lassen. Haben Tiere Angst, wird das Locken nicht mehr funktionieren. Das Treiben nach LSS ist eine ruhige Methode, die im Schritt stattfindet. Macht der Treibende alles richtig, wird er nicht zu rennen brauchen.

1. Tiere wollen sehen, was oder wer sie treibt.
2. Tiere gehen dorthin, wohin sie schauen.
3. Bewegung erzeugt Bewegung
4. Tiere haben wenig Geduld (der Mensch braucht nur ein bisschen mehr davon).
5. Tiere haben nur eins (eine Aktivität) im Sinn.

Rinder haben im Gegensatz zum Hund praktisch keine Mimik. Daher wird die Kuh von uns eher missdeutet, weil sie viel feinere Signale aussendet.

Wenz betont immer wieder, dass es wichtig ist, sich auch auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Hat der Landwirt ein mulmiges Gefühl, wenn er in eine Herde geht, dann sollte er sich nicht dazu zwingen, sondern die Arbeit entweder an einen Mitarbeiter delegieren oder zu einem anderen Zeitpunkt einen neuen Anlauf starten. Das Bauchgefühl ist bei der tagtäglichen Arbeit nicht zu unterschätzen und kann sogar vor leichtfertig verursachten Unfällen schützen.

Die Arbeit mit den Rindern beginnt im günstigsten Falle direkt nach der Geburt. Übermäßiges Streicheln und Betüddeln bis hin zum Tolerieren von Belecken oder Anstupsen ("Büffeln") kann später zu Tieren führen, die die Distanz zum Menschen nicht wahren und ihn im schlimmsten Falle niederrennen, an die Wand drücken oder auf die Hörner nehmen (sofern welche vorhanden sind). Lernen die männlichen wie weiblichen Kälber von Anfang an, dass der Mensch in der treibenden, also Chefposition ist, dann wird es auch in Zukunft zu keinen nennenswerten Konfliktsituationen kommen.


Wie funktioniert das Treiben?

Jedes Tier besitzt einen Balancepunkt im Bereich der Schulter. Bewegt sich der Treibende von seitlich vorne auf das Tier zu, flieht es nach hinten. Ein Treiben von seitlich hinten erzielt eine Flucht nach vorne. Jedes Tier hat eine individuelle Bewegungszone. Am Rande dieser Zone ist die gezielte, kontrollierte Bewegung des Tieres möglich. Geht der Treibende in die Bewegungszone hinein, bringt er das Tier zum Flüchten. Hält er sich zu weit von der Bewegungszone entfernt, kommt er in die Wahrnehmungszone des Tieres und provoziert höchstens, dass ihn das Tier anschaut. LSS arbeitet durch Druckaufbau und Drucknachlass. Der Druck wird aufgebaut, wenn sich der Mensch dem Tier nähert. Erhält er die gewünschte Reaktion (= das Tier setzt sich in Bewegung), belohnt er das Tier, indem er den Druck wegnimmt, also sich vom Tier entfernt. Fazit: LSS ist eine intelligente Methode, um mit Weidetieren stressfrei, ohne Lärm und hektische Bewegungen zu arbeiten. Angst und Panik werden vermieden, Betriebsabläufe vereinfacht. Das wirkt sich sowohl positiv auf die Tiere als auch auf den Menschen aus.


INFOBOX

Wer mehr über LSS und Philipp Wenz erfahren möchte, erhält auf seiner Internetseite weitere Informationen:
www.stockmanship.de

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015, Seite 33-35
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2015

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