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SCHLACHTEN/062: Der Kugelschuss auf der Weide (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Der Kugelschuss auf der Weide

Von Dipl. Ing. Lea Trampenau


Tierschutz am Tag der Schlachtung ist noch immer ein heikles Thema. Professor Troeger vom Max-Rubner Institut kritisierte im April 2010 öffentlich, wie wenig der Tierschutz bei der Schlachtung Beachtung finde. Dabei ging es in erster Linie um Defizite im Betäubungsverfahren von Rindern und Schweinen. Bei Rindern belaufe sich der Anteil von Fehlbetäubungen auf 4-7 %. Dies entspricht einer Anzahl von 150.000-260.000 Rindern pro Jahr - denn allein 2006 wurden in Deutschland 3.742.308 Rinder geschlachtet. Schon aus diesem Grund lohnt es sich, nach Alternativen zu herkömmlichen Schlachtverfahren zu suchen.


Stress am Tag der Schlachtung

Doch nicht nur Fehlbetäubungen spielen eine Rolle hinsichtlich des Tierschutzes, sondern auch die notwendigen Maßnahmen zur Schlachtung: Die Rinder müssen eingefangen, von der Herde separiert und verladen werden. Es folgt der Transport zum Schlachtbetrieb. Am Schlachtbetrieb angekommen, treffen sie auf eine neue Umgebung, fremde Artgenossen, fremde Menschen und auf unbekannte Geräusche und Gerüche. Während dieser Prozedur sind die Rinder häufig großem physischen und psychischem Stress ausgesetzt. Auslöser sind klimatische Bedingungen, Erschöpfung, Verletzungen, Hunger, Durst und Furcht. Neben diesen neuen Eindrücken ist jedoch auch der Umgang mit den Rindern durch das Schlachtpersonal von Bedeutung - wird Ruhe ausgestrahlt und den Rindern Zeit gegeben, die neue Umgebung zu erkunden, können die Umstände vor Ort positiv beeinflusst werden. Doch dies ist nicht die gängige Praxis, denn häufig wird bei Niedriglohn im Akkord gearbeitet. Dann herrscht Hektik, und der Einsatz von Elektrotreibern gehört zum Alltag. Unverzüglich nach der Ankunft oder nach einer Wartezeit im Stall werden die Rinder vom Schlachthofpersonal durch spezielle Treibgänge in die Betäubungsbox getrieben und dort - je nach technischer Ausstattung - mit oder ohne Fixierung am Kopf durch den Bolzenschuss betäubt und anschließend durch Blutentzug getötet.

Rinder, die in ganzjähriger Freilandhaltung aufwachsen, haben in der Regel weniger Kontakt zu Menschen. Häufig sind sie keine Fixierung und räumliche Enge gewohnt, so dass die üblichen Maßnahmen am Schlachttag noch stärker als Stressoren wirken. Dies ist nicht nur aus Tierschutzsicht bedenklich, sondern hat häufig eine schlechtere Fleischqualität zur Folge. Das kann so weit gehen, dass einzelne Rindfleischteile nicht mehr zum menschlichen Verzehr geeignet sind.

Zwar kaufen Fleischesser, denen das Wohl der Tiere am Herzen liegt, vorwiegend oder ausschließlich Fleisch von Tieren aus ökologischer, artgerechter Tierhaltung - das ist auch gut so -, doch kann uns die Haltungsart in der Regel keine Garantie geben, wie die Tiere sterben.


Die Alternative: Der Kugelschuss auf der Weide

Das Schlachtverfahren des Kugelschusses auf der Weide ist nach der Tierschutzschlachtverordnung (TierSchlV) bei Rindern und Schweinen aus ganzjähriger Freilandhaltung anwendbar. Das Verfahren hat den entscheidenden Vorteil, dass die Tiere dort sterben dürfen, wo sie gelebt haben.

Sie werden nicht von der Herde getrennt, nicht lebend transportiert und nicht durch enge Treibgänge in die Betäubungsbox getrieben. Sie verbleiben in der Herde und werden üblicherweise aus einer geringen Distanz von max. 20 Metern per Kugelschuss betäubt. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Herdenmitglieder auf den Vorgang des Schießens gering bis gar nicht reagieren. Was jedoch immer bleibt, und das ist unvermeidbar, ist der Verlust eines Herdenmitgliedes.

Das Kugelschussverfahren sollte immer nach festgelegten Kriterien vorbereitet und durchgeführt werden. Mit dem Metzger muss ein Liefertermin für das getötete Rind vereinbart werden. Der Schütze muss in Ruhe eine geeignete Position gegenüber dem zu schießenden Tier einnehmen. Das Kaliber und die Munition müssen entsprechend ausgewählt sein, und die gewünschte Auftreffenergie muss kalkuliert werden. Die Abgabe des Schusses erfolgt normalerweise in die aborale Stirnhöhle (ARS-Region). Unverzüglich nach dem Betäubungsschuss muss geprüft werden, ob sich das Rind in dem gewünschten, tiefen, wahrnehmungslosen Zustand befindet. Die Überprüfung erfolgt anhand der Vitalzeichen - sofortiges Zusammenbrechen, keine oder nur unregelmäßige Atmung, keine Aufstehversuche - und anhand des Lid- und Cornealreflexes. Ist alles gewährleistet, wird das Tier unverzüglich durch Blutentzug getötet und unter Einhaltung der Hygienebestimmungen zum Metzger zur weiteren Zerlegung gebracht.

Einen geeigneten Transport- und Entblute-Hänger (TE-Trailer) hat die Firma ISS (Innovative Schlachtsysteme) - Tacke Trampenau GbR in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel-Witzenhausen, mit Metzgern und einem Hängerbauer entwickelt und gebaut. Derzeit prüft die Universität Kassel-Witzenhausen, Fachgebiet Agrartechnik, im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung, ob und wie sich die stressfreie Schlachtung des Kugelschusses auf der Weide im Vergleich zur herkömmlichen Schlachtung auf die Fleischqualität auswirkt. Die ISS bietet Beratung und Vorträge an. Der TE-Trailer kann käuflich erworben oder gemietet werden. Weitere Informationen sind im Internet unter www.iss-tt.de zu finden.

Wir sehen das Schlachtverfahren des Kugelschusses auf der Weide als "die konsequente Folge artgerechter Nutztierhaltung". Das ist der erste Schritt.

Für jene Rinder, die nicht ganzjährig im Freien leben, gibt es ebenfalls Alternativen. Auf diese wird im nächsten Schritt der Fokus gelegt.


Quellen:

1) Detzel, K. (2010): Interview mit Klaus Troeger. Chiemgau Online.
http://www.chiemgau-online.de/portal/lokales/trostberg-traunreut_Debatte-um-Schlacht-Methoden-_arid,270293.html
Zugriff am 27. Juli 2010

2) Statistisches Bundesamt (2006): Tierische Erzeugung. Anzahl der geschlachteten Tiere aus dem In- und Ausland.
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/ destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/LandForstwirtschaft/TierischeErzeugung/Tabellen/Content75/AnzahlSchlachtungen,templateId=renderPrint.psml
Zugriff am 27. Juli 2010

3) Ferguson, D.M.; Warner, R.D. (2008): Have we underestimated the impact of pre-slaughter stress on meat quality in ruminants? Meat Science 80, 12-19.


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 22-24
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2011