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TIERVERSUCH/367: Tierverbrauch im Studium (tierrechte)


tierrechte 1.07 - Nr. 39, Februar 2007
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Umbringen und wegschmeißen
Tierverbrauch im Studium

Von Corina Gericke


An den meisten deutschen Hochschulen werden Semester für Semester Tausende von Ratten, Fröschen und anderen Tieren für Lehrzwecke 'verbraucht'. So sind in den Studiengängen der Humanmedizin, der Veterinärmedizin und der Biologie Versuche an lebenden oder extra für diesen Zweck getöteten Tieren immer noch Bestandteil des Studiums. Allein für den Pflichtteil der studentischen Ausbildung in diesen drei Fächern werden in Deutschland jährlich rund 60000 Tiere(1) getötet, darunter 15000 Wirbeltiere. Dieser sogenannte Tierverbrauch ist jedoch nicht an allen Universitäten vorgeschrieben. Vielerorts werden zwar schon moderne Lehrmethoden ohne Tiere eingesetzt, dennoch beharrt immer noch der größte Teil der Hochschullehrer auf 'Übungen' an Tieren. So muss sich auch heute noch mancher Student zwischen seinem Gewissen und dem Studium entscheiden. Eine unhaltbare Situation - 'tierrechte' stellt daher den Tierverbrauch im Studium in den Schwerpunkt dieser Ausgabe.


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Durch die Übungen an Tieren wird den Studenten längst bekanntes Wissen vermittelt. Im Zoologie-Praktikum beispielsweise werden Ratten, Schnecken, Insekten und andere Tiere getötet und aufgeschnitten, um Aussehen und Lage der Organe kennenzulernen. Im Physiologie-Praktikum sind Versuche an Organen von Fröschen weit verbreitet. Den Fröschen wird der Kopf abgeschnitten, um Nerven, Muskeln oder das Herz zu entnehmen. Auch abgetrennt vom Körper reagieren die Organe auf Reize wie Stromschläge oder Auftragen bestimmter Medikamente. So soll den Studierenden die Funktion der Organe vermittelt werden.

Gewissensentscheidung

Für etliche Studierende sind die Übungen und Versuche an lebenden oder extra für diesen Zweck getöteten Tieren eine erhebliche Gewissensbelastung. Zwar ist die Freiheit des Gewissens im Grundgesetz verankert und seit 2002 ist der Tierschutz Staatsziel. Wer sich an der Hochschule jedoch aus Gewissensgründen weigert, am Tierverbrauch teilzunehmen, bekommt keinen Leistungsnachweis und kann das Studium nicht erfolgreich absolvieren. Dass Tiere ein eigenes Lebensrecht haben und es ethisch nicht vertretbar ist, sie für Lehr- und Studienzwecke zu töten oder an ihnen zu experimentieren, spielt im Praktikumsalltag vieler Universitäten keine Rolle. Nicht selten entscheiden sich Studierende für den Studienabbruch. In der Vergangenheit haben Einzelne auch immer wieder versucht, durch gerichtliche Auseinandersetzung mit den Universitäten ihr Studium ohne Tierverbrauch und im Einklang mit ihrem Gewissen zu absolvieren. Allerdings waren nur einige wenige von ihnen erfolgreich.

Moderne Lehrmethoden

Dabei stehen tierverbrauchsfreie Lehrmethoden in großer Auswahl zur Verfügung. So kann der Aufbau von Organismen an plastinierten Modellen - das sind in einen plastikartigen Zustand überführte Organe und Tiere - sowie an natürlich gestorbenen oder aus medizinischen Gründen eingeschläferten Tieren studiert werden. Für das Studium der Körperfunktionen eignen sich zum Beispiel Computersimulationen und schmerzlose Selbstversuche wie z. B. Messen von EEG und EKG, also Hirn- und Herzströmen.

Die jahrelangen studentischen Proteste gegen die Verwendung wehrloser Tiere als Anschauungsobjekte und die immer zahlreicher entwickelten tierverbrauchsfreien Lehrmethoden haben zu einigen positiven Veränderungen an den bundesdeutschen Universitäten geführt. So verzichtet mittlerweile die Hälfte der 36 humanmedizinischen Fakultäten auf die verpflichtende Teilnahme an tierverbrauchenden Übungen. An den meisten tiermedizinischen Fakultäten kann inzwischen mit erheblich geringerem Tierverbrauch studiert werden als noch vor 20 Jahren. Im Studiengang Biologie gelten solche Praktikumsaufgaben allerdings auch weiterhin größtenteils als unabdingbar.

Anleitung zur Abstumpfung

Während Jahr für Jahr Tausende Studierende erfolgreich in den reformierten Praktika ohne Tierverbrauch ausgebildet werden, beharren viele Professoren allerdings weiterhin auf ihre tierverbrauchenden Lehrmethoden. Was an einigen Universitäten als unverzichtbar gilt, scheint an anderen unnötig zu sein. Da aber an allen Fachbereichen der jeweils gleiche Abschluss, also der jeweils gleiche Qualifikationsnachweis vergeben wird, kann von der Notwendigkeit der einzelnen Übungen keine Rede sein.

Die Hartnäckigkeit, mit der an manchen Hochschulen geradezu krampfhaft am Tierverbrauch festgehalten wird, lässt als Erklärung nur einen Schluss zu: Die Studierenden sollen sich frühzeitig an den Tierverbrauch gewöhnen und gewissermaßen abstumpfen. Denn Versuche an lebenden und extra getöteten Tieren gelten als selbstverständlicher Bestandteil der Wissenschaftswelt. Wer in der Tradition der Tierversuche groß geworden ist, wird sie auch später nicht mehr anzweifeln.

Besonders in den medizinischen Fächern steht der Tierverbrauch in der Ausbildung einem ganzheitlichen Ansatz entgegen. Angehende Mediziner geraten in die Gefahr, Menschen oder auch Tiere nicht mehr als Ganzes zu erfassen. Eine kritische Begegnung mit all den negativen Auswirkungen des linearen Denkens in der modernen Medizin, die z. B. mit Schlagworten wie 'Apparatemedizin' beschrieben werden, kann deshalb bei ihnen erschwert sein. Statt Mitgefühl und Einfühlungsvermögen der angehenden Ärzte und Wissenschaftler zu fördern, wird durch den Tierverbrauch eine systematische Desensibilisierung betrieben.

Bewusstseinswandel ist notwendig

Ein grundlegender Bewusstseinswandel vor allem bei den Lehrkräften, aber auch bei vielen Studierenden, ist unbedingt notwendig, um Qual und Tod von Tieren in der universitären Ausbildung endgültig abzuschaffen. Doch auch konkrete Maßnahmen für ein tierverbrauchsfreies Studium sind möglich und müssen ergriffen werden. Dafür setzt sich der Bundesverband ein. So haben wir den Bundestagsfraktionen umsetzbare Vorschläge gemacht und werden auf ihre Umsetzung drängen (siehe auch Seiten 9 und 14).


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(1) Diese von SATIS ermittelte Zahl umfasst die in den Pflichtpraktika der Studiengänge Biologie, Tier- und Humanmedizin getöteten Wirbeltiere und wirbellosen Tiere. Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium erfasst seit 2000 die Zahl der in Aus- und Weiterbildung getöteten Tiere. Diese Zahl beinhaltet die für die gesamte Aus- und Weiterbildung getöteten Tiere, z. B. auch in der Weiterbildung bereits ausgebildeter Mediziner oder Naturwissenschaftler und bezieht ausschließlich Wirbeltiere ein. Sie betrug im Jahr 2005 rund 38000.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 39/Februar 2007, S. 4-5
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2007