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TIERVERSUCH/461: SATIS - für eine humane Ausbildung mit tierverbrauchsfreien Lehrmethoden (tierrechte)


tierrechte Nr. 52, Mai 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

SATIS - für eine humane Ausbildung mit tierverbrauchsfreien Lehrmethoden

Von Astrid Schmidt


Immer mehr Tiere werden in Tierversuchen eingesetzt und getötet. Es sind überwiegend Naturwissenschaftler sowie Tier- und Humanmediziner, die diese Tierversuche durchführen. Intelligente Menschen, die nach langem Studium für das Wohl von Mensch und Tier forschen. Leider ist Vielen der Respekt vor dem Leben abhanden gekommen. Immer neue Veröffentlichungen sind für die persönliche Karriere wichtig, und der Tierversuch als Standardmethode, um neue Erkenntnisse zu erlangen, wird kaum angezweifelt.


Zu dieser Situation trägt das Studium auch bei. Denn an vielen Universitäten wird in der naturwissenschaftlichen und medizinischen Ausbildung versäumt, einen Grundstein zu ethischem Bewusstsein zu legen. Es gibt zoologische Präparationsübungen und physiologische Praktika an zum Teil lebenden Tieren, es fehlen aber vielerorts Ethik-Vorlesungen und Alternativen-Seminare. Mit dem Studium beginnt somit ein 'Desensibilisierungsprozess, in Tieren nur noch den instrumentellen Wert zu sehen, anstatt ihren Eigenwert als Lebewesen' [1].


Situation an deutschen Hochschulen

In Deutschland ist ein Biologie- oder medizinisches Studium mit Tierverbrauch bislang leider noch die Regel. Nur ausnahmsweise werden Kurse ohne Tierverbrauch angeboten. Selbst Humanmediziner präparieren teilweise aus der Tradition heraus noch an Tieren, bevor sie an die Präparation menschlicher Leichen herantreten. Veterinärmediziner und Biologen sind fraglos an der Anatomie der Tiere interessiert und werden darum von Studienbeginn an mit Präparationsübungen und physiologischen Versuchen an Tieren konfrontiert, die zum Teil extra für diesen Zweck verwendet und getötet werden.


SATIS und InterNICHE

SATIS (lat. genug) wurde 1988 als Verein studentischer Gruppen mit dem Ziel gegründet, Studierenden ein Studium ausschließlich mithilfe innovativer tierverbrauchsfreier Lehrmethoden zu ermöglichen. Gleichzeitig mit der Gründung von SATIS bildeten sich auch in vielen anderen Ländern Europas Vereine mit dieser Zielsetzung. Da es dem Verein nach seinen aktivsten Jahren an Nachwuchs in der Studentenschaft mangelte, lösten die SATIS-Mitglieder den Verein im Jahr 2000 auf und schlossen sich als Arbeitsgruppe dem Bundesverband Menschen für Tierrechte an. Nachdem SATIS viele Jahre von Studierenden organisiert wurde, unterstützt der Bundesverband aktuell die Aktivitäten der Arbeitsgruppe. Auf der Internetseite von SATIS [2] finden sich Neuigkeiten und Übersichten zu verschiedenen Alternativen und Lehrmethoden, Tipps und Anregungen für Studierende und weiterführende wissenswerte Informationen.

Auf globaler Ebene arbeitet SATIS mit dem Internationalen Netzwerk für Humane Ausbildung - InterNICHE [3] zusammen. InterNICHE hat Kontakte und Partner in etwa 30 Ländern und verfolgt das Ziel, weltweit humane Ausbildungsmethoden und alternative Lehrmaterialien zu verbreiten. Im nun auch auf Deutsch vorliegenden Buch 'Vom Versuchstier zur Computermaus' [4] und einer ebenfalls auf Deutsch zugänglichen Online-Datenbank werden über 500 Alternativen für den Ausbildungsbereich detailliert beschrieben [5].


Auswahl humaner Lehrmethoden und tierverbrauchsfreier Materialien

Spendertiere
An einigen Universitäten der USA und Australiens sind bereits Programme etabliert, in denen Tierhalter, Tierärzte und Institute eng vernetzt sind, so dass natürlich gestorbene bzw. aus medizinischen Gründen eingeschläferte Tiere für Ausbildungszwecke gespendet werden können, analog zum Spenden von Menschenleichen für das Medizinstudium.

Plastinationen
Verfahren, bei dem natürliches Gewebe durch den Austausch von Wasser gegen aushärtendes Plastik dauerhaft haltbar gemacht wird. Plastinierte Tiere können in verschiedenen Präparationsstadien in anatomischen Übungen verwendet werden.

Modelle
Teilansichten oder vergrößerte Modelle von Tieren aus Kunststoff.

Phantome
Lebensechte Nachbildungen, die für Erste-Hilfe-Übungen sowie zum Einüben von Untersuchungen und chirurgischen Handgriffen verwendet werden, z.T. mit Herzschlag oder künstlichen Adern.

Video
Lehrfilme zu Untersuchungen, Präparationen, Verhalten u.v.m. auf VHS oder DVD.

Computerprogramme und CD-ROMs
Sehr leistungsfähige, multimediale, virtuelle Laboratorien zum Ersatz physiologischer und pharmakologischer Tierversuche.

Selbstversuche
Einsatz nicht-invasiver Geräte zur Messung von Körperfunktionen der Studenten statt z. B. physiologischer Versuche am Froschnerv.


Rechtliche Situation in Deutschland

Immer wieder treten Abiturienten und Studierende an SATIS heran, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, sich an Übungen und Versuchen mit lebenden oder extra zu diesem Zweck getöteten Tieren zu beteiligen. Zwar sind im Grundgesetz die Freiheit des Gewissens (Artikel 4, Absatz 1), die freie Berufswahl (Artikel 4, Absatz 12) und das Staatsziel Tierschutz (Artikel 20a) festgeschrieben. Außerdem muss nach Paragraf 10 des Tierschutzgesetzes der Einsatz von Tieren behördlich geprüft und ethisch abgewogen werden. Demgegenüber steht jedoch das ebenfalls grundgesetzlich gesicherte Recht des Hochschullehrers auf Freiheit der Lehre (Artikel 5) und damit auf freie Wahl der Lehrmethoden [6] [7]. Diese Rechtsgüter müssen im Konfliktfall gegeneinander abgewogen werden. Wie diese Entscheidung ausfallen und welcher Stellenwert dem Tierschutz zugebilligt würde, sollte ein Student gegen die Verwehrung einer alternativen Ausbildung klagen, kann bislang nur gemutmaßt werden. Denn seit der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz 2002 wurde noch kein solches gerichtliches Verfahren durchgeführt. Die rechtliche Situation in mehreren europäischen Ländern sieht bereits anders aus: So gibt es in Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden und der Ukraine Richtlinien oder sogar Gesetze, die es ermöglichen, Tierverbrauch in der Ausbildung ohne nachteilige Folgen abzulehnen.


Ukraine-Projekt 'Computer statt Tiere'

Während mehrerer Jahre hat sich der Bundesverband engagiert, um ein tierverbrauchsfreies Studium in der Ukraine voranzutreiben. Erfreulicherweise sind dort etliche Hochschullehrer den Alternativen gegenüber sehr aufgeschlossen. Mithilfe zahlreicher Spender ist es gelungen, mehreren ukrainischen Hochschulen die technische Ausrüstung zum Ersatz von Tierversuchen zur Verfügung zu stellen. Damit wird Jahr für Jahr Tausenden Tieren das Leben gerettet. Auch die weitere Verbreitung der Alternativen soll vorangebracht werden. So hat der Bundesverband die Produktion eines Lehrheftes und einer DVD mit Lehrfilmen finanziert, die in den tierverbrauchsfreien Kursen angewendet werden. Diese Lehrmaterialien sind auf Russisch übersetzt worden, um auch in Russland statt Tieren eingesetzt zu werden. Wertvoller Mitarbeiter vor Ort ist der Biologe Dimitrij Leporskij, ohne den diese Entwicklungen nicht möglich gewesen wären.

Weitere Informationen:
www.ukraine.tierrechte.de


Aktuelles

Um einen detaillierten und aktuellen Überblick über den Einsatz von Alternativen und die Möglichkeit eines Studiums ohne Tierverbrauch zu bekommen, führt SATIS derzeit eine Umfrage an allen deutschen Universitäten durch, deren Ergebnisse demnächst auf der SATIS-Internetseite abrufbar sein werden. Gleichzeitig sollen Kontakte zu interessierten Dozenten aufgebaut werden, um beim Einsatz neuer Alternativen Beratung anzubieten. Außerdem können Lehrende, Studierende, aber auch Vereine und andere Interessenten aus den SATIS- und InterNICHE-Ausleihsystemen tierverbrauchsfreie Lehrmaterialien zu Demonstrationszwecken, Vorführungen und zur Kaufentscheidung entleihen [2].

Auch wenn die Entwicklung hin zum tierverbrauchsfreien Studium in Deutschland bislang nur zögerlich vonstattengeht, ist sie nicht aufzuhalten. Im Projekt SATIS wird sich der Bundesverband weiterhin dafür einsetzen.


Astrid Schmidt ist Biologin und seit vielen Jahren bei SATIS und als InterNICHE-Kontakt für Deutschland aktiv.


Quellen
[1] Vom Versuchstier zur Computermaus, N. Jukes und M. Chiuia, Zitat von Gill Langley, Seite 9
[2] www.satis-tierrechte.de, weiterführende Links in den News
[3] www.interniche.org, www.interniche4germany.wordpress.com
[4] www.mag.tierrechte.de/64
[5] dev.interniche.org/de/database/list
[6] Über Tierleichen zum Examen (akut 9), Broschüre des Bundesverbandes März 2010
[7] Tierversuche im Studium, Flugblatt der Ärzte gegen Tierversuche, 2009


*


Quelle:
tierrechte - Nr. 52/Mai 2010, S. 18-19
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2010