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TIERVERSUCH/600: Versuchstier des Jahres 2014 - Der Affe (tierrechte)


tierrechte 1.14 - Nr. 66, März 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Versuchstier des Jahres 2014: Der Affe

Von Stephanie Elsner



Die Jury des Bundesverbandes hat den Affen - speziell die Makaken als typische Vertreter - zum 'Versuchstier des Jahres 2014' ernannt. Anlass für die Nominierung ist der skandalöse Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerWG), der am 20. Januar festlegte, dass die Affenversuche des Hirnforschers Kreiter an der Bremer Universität fortgeführt werden dürfen (siehe Seite 5). Hinzu kommen die katastrophalen Zustände auf Mauritius (siehe Seite 12) und die Gefahr, dass Versuche mit Affen in das außereuropäische Ausland verlagert werden.


Trotz intensivster Anstrengungen ist es der Europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen (ECEAE), in der unser Verband Mitglied ist und aktiv mitarbeitet, nicht gelungen, ein totales Verbot der Versuche an Affen in der 2013 in Kraft getretenen neuen EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU durchzusetzen. Es gelang uns, dass Versuche mit Affen in der Richtlinie erheblich erschwert wurden. Das Verbot für Experimente mit Menschenaffen zählt auch hierzu. Unverständlicherweise sind hier aber noch immer Ausnahmen mit Menschenaffen möglich, z. B. bei Fragestellungen zur Arterhaltung und lebensbedrohlichen Humanerkrankungen.


Tierversuchsstatistik: Einsatz in der Grundlagenforschung nimmt zu

Begehrte Primaten für Versuche sind Makaken. Zu dieser Gattung gehören 22 Arten, darunter die Javaner- und Rhesusaffen. Die Versuchstierstatistik der Bundesregierung fasst alle eingesetzten Tiere dieser Gruppen unter 'Altweltaffen'(*) zusammen. Zur Herkunft der Tiere fällt auf, dass nur knapp 10 Prozent aus registrierten Einrichtungen in Deutschland stammen, 41 Prozent aus einem EU-Land und 49 Prozent aus einem anderen, außereuropäischen Staat. Die Zahl der Affen, die in Versuche mussten, schwankt in den letzten zehn Jahren. Gemäß aktueller Statistik wurden 2012 in Deutschland 1350 Affen in Tierversuchen eingesetzt. Gegenüber 2011 ist dies insgesamt ein Rückgang um knapp 15 Prozent, festzustellen im Bereich der toxikologischen Prüfung sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Zugenommen hat jedoch der Einsatz der Affen in der Grundlagenforschung und zur Entwicklung medizinischer Produkte oder Geräte.


Haupteinsatzbereich: Qualvolle Giftigkeitsprüfungen

Die meisten Affen, 72 Prozent bzw. 972 Tiere, wurden 2012 in toxikologischen Tests und anderen sogenannten Sicherheitsprüfungen eingesetzt; vielfach im Rahmen von Arzneimittelzulassungen. Die Prüfung auf giftige (toxische) Eigenschaften von Produkten und Stoffen ist gesetzlich vorgeschrieben. Dazu gehören auch Langzeittoxizitätstests, bei denen neben einer Nagerspezies (meist Ratte) an einer Nicht-Nagerspezies getestet werden muss. Hier kann zwischen Schwein, Hund und Affe gewählt werden; meist werden Hunde genommen, da Affen teurer sind und in Experimentatorenkreisen ethisch kritischer betrachtet werden. Affen werden überwiegend in der Entwicklungstoxikologie eingesetzt, weil z.B. der Reproduktionszyklus und -vorgang dem des Menschen ähnlicher ist. Trotzdem mussten 2012 laut Statistik 558 Affen in subchronischen (90 Tage lang) oder chronischen (6-24 Monate lang) Langzeitversuchen leiden. Qualvolle Experimente müssen die Tiere auch besonders in der Grundlagenforschung ertragen. Hier stehen Impfstoffentwicklung und Hirnforschung an erster Stelle.


Tierversuchsfreie Verfahren

Im Bereich Toxikologie hat sich in der tierversuchsfreien Forschung zwar schon einiges bewegt, insbesondere bei der Prüfung von Substanzen auf Schädigungen von Haut und Auge (lokale Toxizitätstests). Affen wurden dort aber nicht eingesetzt. Sie werden in anderen Testkategorien verwendet, z.B. der Reproduktionstoxikologie. Dort können zwar einzelne Tests tierversuchsfrei erfolgen, aber ein komplettes tierversuchsfreies Testsystem für alle Prüfparameter steht noch immer nicht zur Verfügung. Hier müssen wir unaufhörlich den Finger in die Wunde legen, denn in die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden wird nach wie vor zu wenig investiert, das gilt für Geld wie auch Eliteforscher gleichermaßen.

Im Bereich der Grundlagenforschung stehen der Hirnforschung heute moderne, bildgebende Verfahren zur Verfügung. Je nach Krankheitssymptom ermöglichen diese, verschiedene Hirnregionen direkt am Menschen zu untersuchen, z.B. per Computertomografie (CT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Auch gibt es Ansätze mit Computermodellen, wie das 'Human Brain Project'. Es will zukünftig Neurowissenschaftlern Untersuchungen an einem 'virtuellen menschlichen Gehirn' auf Superrechnern ermöglichen, die am lebenden Organismus aus praktischen oder ethischen Gründen gar nicht durchführbar wären.

Auf dem Gebiet der Impfstoffforschung wurde eine in vitro-Methode für Kinderlähmungs-Tests entwickelt. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) akzeptiert diese auch für Teil-Prüfungen, aber auch hier gilt das Gleiche wie bei der Reproduktionstoxikologie: Die Methode wurde bisher nicht weiterentwickelt, so dass ein komplettes tierversuchsfreies Testsystem nicht vorhanden ist.

Derzeit wird in Deutschland mit Gewebekulturen aus menschlichen Rachenmandeln im Rahmen eines Verbundprojektes verschiedener Institute geforscht. Ist die Forschung erfolgreich, könnten Affenversuche bei der vorklinischen Testung von Pharmaka und zu speziellen Fragestellungen in der Grundlagenforschung abgeschafft werden.

Tierversuchsfreie Testmethoden sind der Weg zum Ende der Tierversuche. Wir werden nicht aufhören, von Politik, Wissenschaft und Industrie immer wieder ihre Verantwortlichkeit für diesen Paradigmenwechsel einzufordern. Der noch immer praktizierte Schlendrian der Verantwortlichen steht nach wie vor am Pranger! Wir fordern: drastische Erhöhung der Forschungsgelder, Auflegen von Förderprogrammen, Einrichten von Lehrstühlen und Professuren, Ausloben von Forschungspreisen für tierversuchsfreie Verfahren. Wir als Bundesverband der Tierversuchsgegner setzen weiterhin auf diese Strategie. Erste zarte Erfolge zeigen sich in der EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU. Die Richtlinie formuliert als letztendliches Ziel, Tierversuche 'zu ersetzen' und verlangt von den Mitgliedstaaten, zu dieser Entwicklung beizutragen. Das verlangen wir unaufhörlich von allen Beteiligten mit Nachdruck.

(*) Altweltaffenarten sind in Asien und Afrika verbreitet, Neuweltaffen in Mittel- und Südamerika. Ausführliche Informationen unter: www.versuchstier-des-jahres.info


KASTEN 1
 
Positive Entwicklungen

Seit 2003 ernennt der Bundesverband Menschen für Tierrechte ein 'Versuchstier des Jahres'. Damit sollen Tierversuche an einer bestimmten Tierart öffentlich gemacht und die Situation der tierversuchsfreien Forschung aufgezeigt werden.
Erfolge zu Versuchstieren vergangener Jahre gab es bereits zur Goldorfe (2003), zur 'Muschelmaus' (2006) und zum Kaninchen (2009). Der Tierversuch mit der Süßwasserfischart Goldorfe zur Giftigkeitsbestimmung von industriellem Abwasser wurde durch einen Fischeier-Test abgelöst. Die Ermittlung von Algengiften in Muscheln zum Verzehr in qualvollen Mäuseversuchen ersetzte die EU durch ein physikalisch-chemisches Verfahren, und statt des Kaninchenversuchs zur Medikamentenprüfung auf fieberauslösende Substanzen ist seit 2010 EU-weit ein Test mit menschlichem Blut anerkannt.


KASTEN 2
 
Der Fall TGN1412

Gerade die immuntoxikologischen Studien zeigen Speziesunterschiede auf. Der Fall TGN1412 ist hierfür ein gutes Beispiel. TGN1412 ist ein agonistischer monoklonaler Antikörper, der gegen das CD28-Antigen auf T-Lymphozyten gerichtet ist und zur Behandlung von Multipler Sklerose, Blutkrebs und Rheuma vorgesehen war. Trotz vorheriger gesetzlich vorgeschriebener Tests an Zellkulturen und in Tierversuchen an Makaken erlitten die sechs männlichen Probanden der ersten klinischen Phase I-Studie trotz der geringen Dosis von 1/500stel der Dosis, die im Tierversuch eingesetzt worden war, ein multiples Organversagen. Nur durch wochenlange Behandlungen auf der Intensivstation konnten die jungen Männer gerettet werden. Ein Test auf Basis von menschlichen Geweben hätte diese entsetzliche Wirkung vorhersagen können. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Übertragung von im Tierversuch gewonnenen Erkenntnissen auf den Menschen nicht nur fehlerhaft ist, sondern auch lebensgefährliche Risiken mit sich bringt. Diese Risiken bestehen auch noch nach der Zulassung von Medikamenten, wenn diese eigentlich als unbedenklich gelten sollten. In Deutschland sterben jährlich über 58.000 Menschen an tödlichen Nebenwirkungen von Arzneimitteln.

*

Quelle:
tierrechte 1.14 - Nr. 66/März 2014, S. 10-11
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2014