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TIERVERSUCH/608: Es geht immer besser ohne Tierversuche (tierrechte)


tierrechte 2.14 - Nr. 67, Juni 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Es geht immer besser ohne Tierversuche

Von Christiane Hohensee



Ob Zellkulturen oder künstliche Organe (in vitro-Methoden), Computersimulationen (in silico-Methoden), bildgebende Verfahren oder der Einsatz von Probanden - es gibt bereits heute viele Hightech-Methoden, die frei von Tierleid sind und hervorragende Ergebnisse liefern können. Hier ein paar Beispiele, die sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Toxikologie zur Beantwortung von Fragestellungen dienen.


Hirnforschung Schlaganfall: Radiokarbonmethode widerlegt Tierversuchsergebnisse

Ein deutsch-schwedisches Forscherteam hat aktuell mit einer radiokarbonbasierten Altersdatierung von humanen Nervenzellen nachweisen können, dass eine Regeneration von Nervengewebe der Hirnrinde nach einem Schlaganfall nicht möglich ist (Huttner et al. 2014). Ergebnisse früherer Experimente an Nagetieren (Ratten), bei denen der Schlaganfall künstlich herbeigeführt wurde, hatten eine Neubildung von Nervenzellen gezeigt und Forscher bisher irrtümlicherweise annehmen lassen, dass die Hirnrinde nach einem Schlaganfall auch beim Menschen neue Zellen bilden kann und somit ein Regenerationspotenzial bestünde (z. B. Arvidsson et al 2002, Jin et al 2006).


Individuelle Hirnstrukturen beim Menschen

Bildgebende Verfahren (wie Computertomografie (CT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET), funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)) ermöglichen es, kleinste Strukturen zu erkennen. Mit dem '7-Tesla-Magnetresonanztomografen' hat ein Forscherteam aus Freiburg und Magdeburg vor Kurzem die Grenze zwischen den beiden Hirnregionen Amygdala und Hippocampus bei gesunden Probanden erfasst (Derix et al. 2014). Dieser Tomograf erzeugt ein vielfach stärkeres magnetisches Feld als die in Kliniken bislang üblicherweise eingesetzten Geräte. Dadurch wurde festgestellt, dass es individuelle Unterschiede gibt, d.h. die Grenze zwischen Amygdala und Hippocampus verlief bei jeder Person deutlich anders und unterschied sich sogar zwischen linker und rechter Hirnhälfte. Das Forscherteam vermutet, dass diese Variationen auch für Unterschiede in der Persönlichkeit verantwortlich sein könnten. Folglich sollten - insbesondere um Fehldiagnosen zu vermeiden - diese Hirnstrukturen genau vermessen werden, wenn Menschen wegen psychiatrischer Erkrankungen wie Angststörungen untersucht werden. Diese wichtigen Erkenntnisse wurden völlig ohne Tierversuche erzielt.


Alzheimer: Mechanismus per Zellkultur entdeckt

Ein internationales Wissenschaftlerteam hat durch Untersuchungen an Patientenzellen einen wichtigen Aspekt bei der Entstehung der Alzheimererkrankung entdeckt: Auf eine untypische Art und Weise bindet das Hitzeschockprotein Hsp90 an das Tau-Protein (Karagöz et al. 2014). Bei Alzheimerpatienten sind abgestorbene Nervenzellen mit verklumpten Tau-Proteinen zu finden. Tau-Proteine haben eine wichtige Funktion, wenn sie sich verändern (Mutationen) können u.a. erbliche Erkrankungen verursacht werden. Das Hitzeschockprotein ist bedeutsam für die Faltung anderer Proteine oder schützt sie vor Stress und Hitze. Die neue Erkenntnis, dass das Hsp 90 sich an das Tau-Protein anbindet, es aber nicht mitfaltet, eröffnet nun neue Forschungsansätze. Zu dieser neuen Erkenntnis führte kein künstlich erzeugtes 'Tiermodell', sondern Untersuchungen am Original-Patienmaterial mit Hilfe einer Kombination aus Kernspinresonanz-Spektroskopie, Röntgenkleinwinkelstreuung und Computer-Modellierung. Derartige Befunde stehen und fallen mit der Entwicklung moderner Detektionsverfahren.


Kombinierte in vitro-Modelle testen Hautreizung

Im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH sowie auch bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln sind Augen- und Hautreizungstests vorgeschrieben. Für die Herstellung und Vermarktung von Kosmetika ist der Tierversuch inzwischen verboten. Bis vor Kurzem wurden Haut- und Augenreizungstests meistens in qualvollen Tierversuchen vorgenommen, traditionell vor allem am Meerschweinchen (Ginea pig Maximization Test) und am Kaninchen (Draize Test).

Mittlerweile sind hier Tests in überzeugender Weise ohne Tiere möglich. Dabei werden mehrere Testmodule hintereinander gekoppelt um zu beantworten, ob eine Substanz eine Haut- oder Augenreaktion hervorruft oder nicht. Dafür gibt es inzwischen insgesamt sieben Methoden auf dem Gebiet der Augenreizwirkung, der Hautätz- und Hautreizwirkung sowie der Hautsensibilisierung. Einige der Verfahren sind bereits in die OECD-Prüfrichtlinien aufgenommen worden, für die übrigen wird dies gerade überprüft. Wenn Tests in diese Prüfrichtlinien (Testguidelines) aufgenommen sind, müssen sie verpflichtend angewandt werden, es sei denn, der Gesetzestext sagt etwas anderes, z. B. wenn die tierversuchsfreie Methode lediglich als eine Alternative zum herkömmlichen Test angegeben ist.

Die Augenreiz-Tests arbeiten entweder mit humanen dreidimensionalen Augenhornhautmodellen oder mit isolierten Augen von Hühnern oder Rindern, die aus Schlachtungen stammen.(*) Die Hautsensibilisierung kann ein einzelner Test nicht abdecken. Daher wurde ein integriertes Testsystem aus einzelnen Bausteinen dreier in vitro-Tests entwickelt (Direct Peptide Reactivity Assay (DPRA), human Cell Line Activation Test (h-CLAT) sowie KeratinoSensTM oder LuSens-Assay). Diese Dreierkombination stellt sozusagen künstlich die Immunreaktion der Haut durch Simulation körpereigener Proteine nach und kann ermitteln, ob die Substanz zu einer Hautreaktion führen kann oder nicht.


(*)ANMERKUNG:
Da der Bundesverband die 'Nutztierhaltung' ablehnt, kann für ihn die Verwendung von Organen aus einem Schlachthof nur eine Übergangslösung sein, bis künstliche humane Augenhornhäute in Massen erschwinglich hergestellt werden können.


Quellenangaben auf Wunsch über die Autorin.
KONTAKT: Dr. rer. nat. Christiane Hohensee
eMail: satis@tierrechte.de

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Quelle:
tierrechte 2.14 - Nr. 67/Juni 2014, S. 12
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2014