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TIERVERSUCH/757: Neues Duo für eine tierversuchsfreie Wissenschaft (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Neues Duo für eine tierversuchsfreie Wissenschaft

von Dr. Christiane Baumgartl-Simons und Dr. Christiane Hohensee


Dieses Jahr möchten wir Ihnen etwas Neues vorstellen: Das "tierversuchsfreie Verfahren des Jahres", kurz "Replacement des Jahres", genannt. Damit wollen wir aus der Anwendungspraxis eines tierleidfreien Verfahrens berichten, seine Stärken und Mängel aufzeigen und - ganz wichtig - Optimierungen einfordern. Parallel dazu ernennen wir - in diesem Jahr zum 16. Mal - das "Versuchstier des Jahres".

Warum nun beides, Versuchstier und Replacement des Jahres? Die Antwort ist einfach. Beide sollen auf unterschiedliche Weise einen Beitrag dazu liefern, dass der Wechsel vom Tierversuch zu tierversuchsfreien Verfahren tatkräftig angepackt wird. An der Durchsetzung des Paradigmenwechsels will sich aber noch immer kein Politiker die Hände verbrennen. Bestes Beispiel dafür ist das Totschweigen dieser Aufgabe im aktuellen Koalitionsvertrag. Das "Versuchstier des Jahres" beleuchtet die komplexe Situation im rückwärtsgerichteten tierexperimentellen Forschungssystem, während das "Replacement des Jahres" das Ankommen der tierversuchsfreien Verfahren in der Praxis, die Weiterentwicklung der Methoden und ihre verpflichtende Anwendung aufgreift. Fallbeispiele untermauern unsere Forderung nach einem koordinierten und kooperativen Handeln aller Stakeholder. Denn eins ist klar: Der Ausstieg aus dem Tierversuch ist kein Selbstläufer, sondern braucht durchsetzungsstarke Verantwortliche.


Was steckt hinter dem Versuchstier des Jahres?

Bei dieser Auslobung fokussieren wir uns ganz bewusst auf die Tier-Perspektive im Tierversuch. Als Versuchstier verliert ein Tier jeglichen Anspruch auf seine arteigene Lebensweise sowie körperliche und emotionale Unversehrtheit. Die Tiere haben lediglich den Anspruch, dass ihre Schmerzen, Schäden und Leiden im Rahmen des Versuchs so gering wie möglich zu halten sind. Die Rechtsgrundlage dafür liefert das Tierschutzgesetz. Doch wie schwer dürfen die Verletzungen und wie groß die Einschränkungen des Lebensbereichs aus tierschutzrechtlicher Sicht überhaupt sein? Das bleibt in letzter Konsequenz dem persönlichen Ermessen der Forscher und Kontrollbehörden überlassen.

Mit dem "Versuchstier des Jahres" beschreiben wir die Belastungen, körperliche und psychische, denen die Tiere bis zu ihrem gewaltsamen Tod ausgesetzt sind. Es ist unsere Aufgabe, aus der Sicht des "Versuchstiers" auf die Situation zu blicken. Wir verstehen uns als Pflichtverteidiger der empfindungsfähigen Tiere, um ihre Rechte auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit durchzusetzen.


Was steckt hinter dem Replacement des Jahres?

Das "Replacement des Jahres" beleuchtet die Anwendungspraxis eines tierversuchsfreien Verfahrens, das in der Regel nicht einen gesamten Tierversuch ersetzt, sondern zur Untersuchung von Teilfragen verwendet wird. Heute ist es an der Tagesordnung, dass behördlich vorgeschriebene Tests, aber auch Fragen aus der Grundlagenforschung durch die Kombination von tierversuchsfreien Methoden und Tierexperimenten durchgeführt werden. Die Tierversuche erfolgen mit der Begründung, dass das Leistungsspektrum der vorhandenen tierversuchsfreien Verfahren eingeschränkt ist. Daraus ergibt sich ein spezifisches Problem, das wir mit dem "Replacement des Jahres" aufzeigen: Das Leistungsspektrum der tierversuchsfreien Methode(n) muss kontinuierlich und so schnell wie möglich weiterentwickelt und die Methoden verpflichtend angewendet werden. Konkret heißt das: Der Abbau der Tierversuche verlangt nach einem perfekten System zur Aktualisierung der Prüfvorschriften und des Leistungsspektrums der tierversuchsfreien Methoden. Nur so kann verhindert werden, dass Tierversuche und veraltete tierversuchsfreie Verfahren eingesetzt werden, obwohl es bereits bessere gibt.


Ethische Vertretbarkeit - ein Luftschloss muss verschwinden

Unser Rechtssystem lässt die experimentelle Nutzung der Tiere zu, sofern die Versuche als ethisch vertretbar bewertet werden. Was genau für diese Vertretbarkeit qualitativ und quantitativ vorliegen muss, bleibt bis heute ein ziemliches Lotteriespiel. Es gibt keine standardisierten und anerkannten Prüfregeln, so wie dies vergleichsweise für die Ermittlung der Giftigkeit eines Stoffes der Fall ist. Da hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) tatsächlich Ordnung geschaffen. Denn sie hat Regularien zur Beurteilung der Gefährlichkeit von Chemikalien vereinbart. Diese gelten in Nord- und Südamerika, Europa und Asien.


Justiz hat keine belastbare Grundlage

Auch die Zulassung von Arzneimitteln erfolgt in Europa, USA und Japan nach einheitlichen Richtlinien und Kriterien. Es wäre schon ein gewaltiger tierschutzrechtlicher Fortschritt, wenn der Gesetzgeber, also Bund und Länder, für Deutschland endlich anerkannte Regeln und Normen zur Feststellung der rechtlich vorgeschriebenen "ethischen Vertretbarkeit" vorlegen würde. Bisher drückt er sich vor dieser wesentlichen Aufgabe. Solange aber substanzielle Vorgaben fehlen, wird auch das Instrument der Tierschutz-Verbandsklage vor Gericht scheitern. Denn die Richter haben keine belastbare Grundlage, um zu Gunsten der Lebensrechte der Tiere zu urteilen. Diese Situation unterstreicht auch noch einmal, wie wichtig es ist, dass die tierversuchsfreien Methoden zügig entwickelt und ihre Anwendung verbindlich vorgeschrieben wird. Damit hätte sich die "ethische Vertretbarkeit" auf eine wirksame Weise erledigt.


Maßnahmenpaket umsetzen

Entscheidend für die zügige Entwicklung leistungsfähiger tierversuchsfreier Verfahren ist und bleibt eine angemessene Förderung. Die Realität sieht derzeit noch anders aus und der Großteil der Forschungsgelder fließt immer noch in Forschung an und mit Tieren. Darum fordert der Bundesverband eine Umschichtung der Fördermittel, um das schon in der EU-Tierversuchsrichtlinie klar definierte Ziel, den Ausstieg aus dem Tierversuch, schnellstmöglich zu erreichen. Dazu haben wir einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zusammen gestellt und fordern von der Politik eine Gesamtstrategie für eine tierleidfreie Wissenschaft.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018, S. 4-5
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2018

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