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ABWASSER/224: Spurenstoffe - Schweiz will Kläranlagen aufrüsten (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 939 vom 07. März. 2010 - 29. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Spurenstoffe: Schweiz will Kläranlagen aufrüsten


In Verantwortung gegenüber den Unterliegern will die Schweiz die Einleitung von Spurenstoffen (Mikroverunreinigungen) drastisch reduzieren. Dazu sollen innerhalb von acht Jahren (bis 01.01.2018) die zwölf größten Kläranlagen (über 100.000 Einwohnerwerte) mit weitergehenden Reinigungsstufen ausgerüstet werden. Innerhalb von zwölf Jahren (bis 01.01.2022) sollen etwa 90 mittelgroße Kläranlagen mit zusätzlichen Reinigungsstufen zur Spurenstoff-Eliminierung ausgestattet werden. Bei den mittelgroßen Kläranlagen (zwischen 10.000 und 100.000 Einwohnerwerten) werden die Anlagen ausgesucht,

die bei Niedrigwasser (Q347) "nach weitgehender Durchmischung des eingeleiteten Abwassers im Gewässer einen Anteil von gereinigtem Abwasser von insgesamt mehr als 10 Prozent aufweisen" oder
die an Gewässern liegen, die "für die Trinkwasserversorgung von Bedeutung sind" - also Seen, Bäche und Flüsse, die in Grundwasservorkommen infiltrieren, aus denen Rohwasser für die Trinkwassergewinnung entnommen wird.

Insgesamt soll damit das Abwasser von 3,7 Millionen Einwohnern - das entspricht rund der Hälfte der Schweizer Bevölkerung - mit einem weitergehenden Verfahren behandelt werden. Mit der Aufrüstung von etwa 100 der insgesamt 700 eidgenössischen Kläranlagen kann die Einleitung von Spurenstoffe in die Schweizer Gewässer aus Abwasserreinigungsanlagen um die Hälfte reduziert werden. Damit sollen "nachteiligen Effekte auf empfindliche Ökosysteme an kritischen Gewässerabschnitten beseitigt und die Gewässer, die der Trinkwassergewinnung dienen, geschützt werden". Bis zum April 2010 läuft in der Schweiz eine Anhörung über die Änderung der eidgenössischen Gewässerschutzverordnung (GSchV). Mit der Novelle der Gewässerschutzverordnung soll die Reduktion der Einleitung von Spurenstoffen über den selektiven Ausbau der Abwasserreinigungsanlagen (ARA) initiiert und gesteuert werden. Gegen über dem Rohabwasser soll in dafür vorgesehenen Kläranlagen eine Spurenstoff-Eliminierung von mindestens 80 Prozent erreicht werden. Mit der Novelle der Gewässerschutzverordnung sollen zudem Anforderungen an die Wasserqualität der oberirdischen Gewässer mit einer generellen Anforderung bezüglich der problematischen Spurenstoffe ergänzt werden. Die neu formulierten Anforderungen legen fest, "dass die Wasserqualität so beschaffen sein soll, dass Spurenstoffe die Fortpflanzung und Entwicklung empfindlicher Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen über deren gesamten Lebensdauer nicht beeinträchtigen". Diese allgemeine Anforderung soll in einer Vollzugshilfe mit einem Erhebungs- und Beurteilungskonzept präzisiert werden (vgl. auch RUNDBR. 927/2-4, 924/3-4, 921/2, 916/1-3).


1,2 Mrd. Franken für die Spurenstoffentfernung

Ferner wird mit der Ergänzung der Gewässerschutzverordnung eine weitergehende Zentralisierung der Kläranlagen in der Schweiz angestrebt. Diese "Professionalisierung der Abwasserreinigung" wird deshalb favorisiert, weil man sich durch "weniger, aber größere und damit effizientere Anlagen" Kosteneinsparungen verspricht. Zugleich soll mit der Konzentration auf weniger Kläranlagen die Energie- und Reinigungseffizienz der Anlagen verbessert werden. Die Verantwortung für den Ausbau der Kläranlagen obliegt den Kommunen und den Kantonen in der Schweiz. Die Berner Bundesregierung lehnt bislang mit dem Verweis auf das Verursacherprinzip und die knappen Bundeskassen im Anschreiben zur Anhörung eine Mitfinanzierung des Ausbauprogramms durch den Bund ab. Die Investitionskosten für die weitergehenden Reinigungsstufen werden auf 190 Schweizer Franken pro Einwohnerwert bzw. auf 1,2 Mrd. SFr insgesamt veranschlagt (1 SFr = 0,65 Euro). Die jährlichen Betriebskosten (einschl. Zins und Abschreibung) werden mit 130 Mio. SFr beziffert. Daraus ergibt sich eine Anhebung der Abwassergebühren um etwa sechs Prozent.

Weitere Auskunft:
Bundesamt für Umwelt, Abteilung Wasser
Herrn Michael Schärer
CH-3003 Bern
Tel.: 0041/31 324 79 43; Fax: 0041/31 323 03 71
E-Mail: michael.schaerer@bafu.admin.ch


Auf indirektem Weg zur Spurenstoffentfernung

Die Anforderungen an die Spurenstoffeliminierung werden indirekt formuliert:

Zum einen wird hierzu bestimmt, dass die Abflusskonzentration für gesamte ungelöste Stoffe 5 mg/l nicht überschreiten darf. Um diese Vorgabe erfüllen zu können, müssen die betreffenden Kläranlagen eine Filtrationsstufe (z.B. Sandfilter, Membranfilter) einbauen, die der weitergehenden Reinigungsstufe vorgeschaltet wird. Die Filtrationsstufe gewährleistet eine ausreichende Sicherheit und Effizienz der nachfolgenden Spurenstoffeliminierung.
Zum anderen werden die Anforderungen für Ammonium-Stickstoff von 2 mg/l auf 1 mg/l verschärft. Die Einhaltung dieser Anforderung bedingt, dass die betreffenden Kläranlagen eine ganzjährig funktionierende weitgehende Nitrifikation (Umwandlung von Ammonium in Nitrat) aufweisen. Dies ist wiederum Beleg für eine gute biologische Reinigungsleistung.

Eine gute biologische Reinigung sowie die Filtration sind Voraussetzung, dass die weitergehenden Reinigungsschritte zur Spurenstoffentfernung (beispielsweise Ozonung, Aktivkohlezugabe, Membranverfahren) einen genügend hohen Wirkungsgrad aufweisen. Späterhin sollen in der oben erwähnten Vollzugshilfe Indikatorsubstanzen festgelegt werden, mit denen der Eliminierungsgrad von mindestens 80 Prozent für Spurenstoffe beispielhaft nachgewiesen werden kann. Derzeit ist vorgesehen aus folgenden Substanzgruppen repräsentative Spurenstoffe als Indikatorsubstanzen auszuwählen:

Arzneimittel:
- Antiepileptika: Carbamazepin
- Antibiotika: Sulfamethoxazol
- Analgetika: Diclofenac
Haushaltchemikalien:
- Benzotriazol (Korrosionsschutzmittel)
Biozide:
- Herbizid: Mecoprop


Die Schweizer Spurenschadstoff-Strategie auf Deutschland übertragen?

Mit dem Vorhaben, die relevanten Kläranlagen so aufzurüsten, dass die Spurenstoffe mit hohem Wirkungsgrad aus dem Abwasser entfernt werden können, steht die Eidgenossenschaft bislang einzigartig in Europa da. Wenn die Schweizer Regierung die Novelle der Gewässerschutzverordnung tatsächlich gegen alle Zweifler und Gegner durchsetzen sollte, stellt sich spätestens dann die Frage, warum Deutschland dem Schweizer Vorbild nicht nacheifert? Ganz massiver Widerstand hat sich in den Bundesländern formiert. Die Bundesländer wollen die Aufrüstung von Kläranlagen zur Spurenschadstoff-Eliminierung auf wenige Einzelfälle beschränkt wissen. Verwiesen wird in den Umweltministerien der Länderhauptstädte auf einen Beschluss der 67. Umweltministerkonferenz (UMK) vom Oktober 2006. Damals hatten die UmweltministerInnen beschlossen, dass die UMK "einem Einsatz der weitergehenden Technik in den Ländern in begründeten Einzelfällen positiv gegenüber" steht. Die UMK lege "besonderen Wert" darauf, dass der Ausbau der Kläranlagen "in erster Linie über Anreizsysteme und weniger über das Ordnungsrecht erfolgen" sollte. Das bedeutet, dass mit dicken Zuschussprogrammen für einzelne Kläranlagenbetreiber wenige Pilotprojekte realisiert werden. Die Masse der kommunalen Kläranlagenbetreiber wird ohne klare gesetzlich Regelungen keinen Euro in die Hand nehmen, um die Kläranlagen zu ertüchtigen. "Und das ist gut so!", tönt es aus den Länderumweltministerien. Denn bislang sei noch gar nicht klar, ob die Konzentrationen von Spurenstoffen in der aquatischen Umwelt tatsächlich einen Handlungszwang nach sich ziehen. Niemand habe bislang Zielmargen begründen können, welche Konzentrationen unterschritten werden müssen. Ob die Absenkung von Spurenstoffkonzentrationen überhaupt erforderlich sei, um den »guten ökologischen Zustand« à la EG-Wasserrahmenrichtlinie zu bewahren oder zu erreichen, sei längst nicht ausgemacht. Insofern sei es viel zu früh, mit einem pauschalen Gebot zur Aufrüstung der Kläranlagen den AbwassergebührenzahlerInnen Milliardenkosten aufs Auge zu drücken. Auch das gemeinsame Memorandum von drei wesentlichen Verbänden aus der Wasserwirtschaft zur Eindämmung von Mikroverunreinigungen hatte sich 2009 nur wenig vorwärtstreibender als drei Jahre zuvor die Umweltministerkonferenz geäußert:

"Die Abwasserreinigung sollte letztlich ergänzend nur dort wirken, wo andere Vermeidungsstrategien von Gewässerverunreinigungen allein nicht ausreichen. (...) Im Einzelfall ist zu prüfen, inwieweit die Modifikation bestehender Reinigungsstufen oder zusätzliche Reinigungsstufen (z. B. Ozonung oder Aktivkohle) zur Entfernung chemischer Belastungen notwendig werden",

heißt es in dem gemeinsamen Positionspapier von Deutscher Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall (DWA), Deutscher Vereinigung des Gas- und Wasserfachs (DVGW) und Wasserchemischer Gesellschaft (siehe RUNDBR. 916/2-3).


Wie der Rhein von der Spurenstoffeliminierung profitieren würde

In der Administration und in der Internationalen Rheinschutzkommission gibt es allerdings auch andere Meinungen. Habe man das gesamte Rheineinzugsgebiet im Auge, dann sei der Ausbau von Kläranlagen nur in "begründeten Einzelfällen" einfach zu wenig - vor allem dann, wenn man berücksichtige, dass im Verlauf der Rheinstrecke Konzentrationen und Frachten an Spurenstoffen sukzessive ansteigen. Die Befürworter des breiten Ausbaus der Kläranlagen machen folgende Rechnung auf: Im internationalen Rheineinzugsgebiet werden von 3.200 Kläranlagen mindestens 98 Millionen Einwohnerwerte gereinigt. 191 dieser Kläranlagen (d.h. 6% aller Kläranlagen) verfügen über eine Ausbaugröße von über 100.000 Einwohnerwerten. Diese Kläranlagen weisen aber mehr als die Hälfte der gesamten Klärkapazität (54%) im Einzugsgebiet des Rheins auf. Mit einem Ausbau dieser 191 Großkläranlagen mit weitergehenden Aufbereitungsverfahren könnten die Einträge an Spurenstoffen in den Rhein um mindestens 25 Prozent reduziert werden. Dadurch würde die Belastung mit Mikroverunreinigungen im Unterlauf des Rheins deutlich reduziert. Und damit wiederum könnte ein deutlich verbesserter Schutz der Trinkwassergewinnung entlang des Hauptstromes des Rheins gewährleistet werden. Wir weisen zudem darauf hin, dass die Phosphatfrachten im Rheineinzugsgebiet partiell immer noch zu hoch sind (s. RUNDBR. 935/1-2). Da für eine effiziente Spurenstoffentfernung eine Filtrierung des Abwassers Voraussetzung ist, würde eine Spurenstoffeliminierung - eben wegen der Filtrierung - auch zu einer weiteren Absenkung der Phosphatfrachten im Rheineinzugsgebiet führen.


Spurenstoffe: Warum es sinnvoll ist, die Kläranlagen zu optimieren

Dem Ausbauprogramm liegt "eine umfassende Strategie" des Eidgenössischen Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zur "Verringerung der Einträge aus der Siedlungsentwässerung mit einem optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis" zu Grunde. Die Resultate wurden am 1. Oktober 2009 in der Publikation Umwelt-Wissen 17/09 "Mikroverunreinigungen in den Gewässern - Bewertung und Reduktion der Schadstoffbelastung aus der Siedlungsentwässerung" veröffentlicht. Den negativen Auswirkungen von organischen Spurenstoffen in den Gewässern war man in der Schweiz bereits im Projekt "Fischnetz" (s. RUNDBR. 637/3-4, 589/2-3) sowie im nationalen Forschungsprogramm NFP 50 "Hormonaktive Stoffe: Bedeutung für Menschen, Tiere und Ökosysteme" nachgegangen. Dabei hat man erkannt, dass hormonaktive Stoffe auch in der Schweiz zu einer Verweiblichung von männlichen Fischen führen. Ferner wurde festgestellt, dass bestimmte Arzneimittelwirkstoffe zu einer Schädigung von Fischen und Kleinkrebsen führen. "Gemäß Projekt Fischnetz Plus zählt die Belastung der Gewässer mit organischen Spurenstoffen zu den drei wichtigsten Ursachen für den Fischrückgang in den Schweizer Fliessgewässern." In der Begründung zur Novelle der Gewässerschutzverordnung heißt es zudem:

"Die Tatsache, dass für hunderte bis tausende organische Spurenstoffe in den Gewässern nur ungenügendes Wissen zu deren Toxizität vorliegt, unterstreicht den deutlichen Handlungsbedarf. Bei den Trinkwasserressourcen für die Bevölkerung besteht zurzeit keine Gefährdung, trotzdem müssen aus Gründen des vorsorglichen Verbraucherschutzes Maßnahmen getroffen werden. Die Anzahl verwendeter Stoffe in Produkten dürfte in Zukunft weiter zunehmen. Ihre Verbrauchsmengen dürften ebenfalls ansteigen, einerseits wegen steigender Bevölkerungszahl und andererseits wegen höherer Lebenserwartung (Medikamente und Körperpflegeprodukte). Die Einschränkung dieser Stoffe beim Einsatz ist punktuell sinnvoll und wirtschaftlich, jedoch gerade für Medikamente nicht möglich."

Deshalb müsse man auch bei den Kläranlagen ansetzen, um die Belastung der Gewässerökologie mit Spurenstoffen zu verringern.


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Nahezu 100 StudentInnen haben bislang ein Praktikum beim Ak Wasser im BBU absolviert. Dabei gewannen sie Einblicke in die deutsche Wasserwirtschaft, die in keinem Studiengang vermittelt werden. Wir suchen ständig weiter wasserbegeisterte Studis, die daran interessiert sind, bei uns ihr wasserwirtschaftliches Wissen abzurunden.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 939/2010
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010