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FORSCHUNG/213: Das haut die stärkste Fledermaus um (verbundjournal)


verbundjournal - November 2014
Das Magazin des Forschungsverbundes Berlin e.V.

Das haut die stärkste Fledermaus um

Von Gesine Wiemer



An Windrädern kommen Fledermäuse in großer Zahl um. Forscher haben in einer aktuellen Studie die Herkunft der Tiere ermittelt: Sie stammen nicht nur aus der lokalen Umgebung, sondern manche legten vorher zum Teil große Flugstrecken zurück. So trägt Deutschland nicht nur Verantwortung für den heimischen Artenschutz, sondern auch für Populationen anderer Länder.


Windräder sind wichtig für die Energiewende. Die Technologie ist weit fortgeschritten und Wind ist vor allem im Norden ausreichend vorhanden. Neben dem Problem des Energietransports und der Ästhetik gibt es allerdings noch ein weiteres Problem: Für viele Vögel und Fledermäuse sind die Rotorblätter eine tödliche Gefahr. So könnten jedes Jahr schätzungsweise 300.000 Fledermäuse an Windkraftanlagen in Deutschland verunglücken, wenn die Kollisionsgefahr nicht über nächtliche Abschaltzeiten der Anlagen während der Hauptaktivitätsphasen der Fledermäuse reduziert wird.

In einer aktuellen Studie, die im wissenschaftlichen Fachblatt PLOS ONE publiziert wurde, hat ein Forscherteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) die Herkunft von Großen Abendseglern - einer migrierenden Fledermausart - bestimmt, die an Windrädern in den östlichen Bundesländern tödlich verunglückten. Es zeigte sich, dass es sich bei über einem Viertel der Fledermäuse nicht um standorttreue Tiere handelte, sondern um Tiere, die sich auf dem Weg in ihr Winterquartier in Deutschland oder im südwestlichen Europa befanden. Sie kamen aus dem nordöstlichen Verbreitungsgebiet, das sich vom Baltikum über Russland und Weißrussland bis nach Polen erstreckt.

Fledermausexperte Christian Voigt vom IZW betont: "Die Studie zeigt, dass wir in Deutschland nicht nur Verantwortung für den Artenschutz heimischer Fledermausarten tragen, sondern aufgrund der zentralen Lage als Durchreiseland auch für migrierende Fledermäuse aus entfernten Ländern."

Die Methode, mit der die Forscher die Herkunft der Fledermäuse bestimmten, stammt aus der Forensik. Wenn ein Kadaver unbekannter Herkunft auftaucht, untersuchen die Forensiker das Verhältnis von schwerem zu leichtem Wasserstoff im Keratin der Haare. Dieses Verhältnis variiert mit der Umgebungstemperatur; in nördlichen, kühleren Breiten gibt es weniger Deuterium im Niederschlagswasser als in südlichen Breiten. Menschen und Tiere nehmen dieses Wasser direkt oder über die Nahrung auf, wo es sich im Körpergewebe ablagert. Da Keratin im Haar oder Fell biologisch inaktiv ist, bleibt das Isotopenverhältnis dort über lange Zeit erhalten. Wie ein geografischer Fingerabdruck weist es auf die Herkunft des Menschen oder des Tieres hin. Das Praktische an dieser Methode: Die Wissenschaftler können die Herkunft jeder Fledermaus bestimmen, ohne sie vorher beringt zu haben - was einen immensen Aufwand bedeuten würde.

Besonders fatal sind Windräder, weil sie Fledermäuse anlocken. Die Zugzeit ist auch Paarungszeit, dann geraten die Fledermäuse regelrecht ins Schwärmen - im wahrsten Sinne des Wortes. Und das geschieht am liebsten an landschaftlich markanten Strukturen wie Felsen, Kirchtürmen, oder eben Windrädern. Christian Voigt wundert sich darüber, dass nur wenige weitreichende Maßnahmen gegen diese tödlichen Fallen ergriffen werden: "Fledermäuse sind sowohl nach nationalem Recht als auch nach EU-Recht geschützt und migrierende Fledermäuse stehen zudem unter dem Schutz einer UN-Konvention, die von Deutschland unterzeichnet wurde. Wer eine einzige Fledermaus tötet, kann strafrechtlich belangt werden." Bei den Windkraftanlagen würde dagegen großzügig weggeschaut, weil die Energiewende politisch im Hau-Ruck-Verfahren umgesetzt werden soll. "Hier werden Klimaschutz und Artenschutz gegeneinander ausgespielt - doch müssten sie im Sinne eines umfassenden Umweltschutzes Hand in Hand gehen." Dabei würden Windräder und Fledermäuse eigentlich gut zusammenpassen: Fledermäuse mögen keinen starken Wind. Sie sind nur bei Windgeschwindigkeiten von maximal sechs bis acht Metern pro Sekunde aktiv. Genau da fangen Windräder erst an, richtig Energie zu produzieren. Würden die Anlagen nur bei kräftigem Wind laufen, ließen sich Kollisionen vermeiden - auch die zwischen Klima- und Artenschützern.



DOI 10.1371/journal.pone.0103106

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Quelle:
verbundjournal Nr. 99, November 2014, Seite 17
Herausgeber: Forschungsverbund Berlin e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2015


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