Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

INITIATIVE/342: Projekt zur Wiederansiedlung des Europäischen Nerzes an der Ill (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/09
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Wasserwiesel mit Bart
Neue Chancen für den Europäischen Nerz

Von Annika Natus


Dr. Vadim Sidorovich ist Spezialist für Fährtensuche. Der Wissenschaftler ist aus Weißrussland angereist, um ein Tier aufzuspüren, das es in Deutschland lange Zeit gar nicht mehr gab. Die Rede ist vom Europäischen Nerz, auch Wildnerz genannt, ein flinkes Geschöpf mit schickem weißen "französischen Bart" und weichem, schokoladenbraunen Fell.

"Sumpfotter" wird der Nerz auch genannt - biologisch nicht ganz korrekt, denn er gehört zwar wie der Otter zur Familie der Marder, ist aber näher mit den Wieseln verwandt, worauf auch sein melodischer lateinischer Name verweist: Mustela lutreola, das "am Ufer lebende Wasserwiesel".

Dass der Wildnerz in Deutschland ausgestorben ist, liegt nur zum Teil an seinem edlen Äußeren. Nachdem auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 die ersten Nerzmäntel gezeigt worden waren, verbreitete sich die Mode schnell in ganz Europa - im Gegenteil zum Nerz, der von Spanien bis Sibirien gejagt wurde.


Zerstörte Lebensräume

Doch schon bevor sein Pelz so wertvoll wurde, war der Nerz in Mitteleuropa selten. Dass sich kleinere Vorkommen heute nur noch in einem überschaubaren Gebiet in Westfrankreich, in Russland und in wenigen osteuropäischen Ländern behaupten, liegt vor allem daran, dass der Mensch seinen Lebensraum fast vollständig zerstört hat. An dicht bewachsenen Ufern, in Bruchwäldern und Sümpfen kann sich der Nerz vor Feinden verstecken. Wo aber Flüsse begradigt, Wälder gerodet und Gewässer verschmutzt werden, hat er keine Chance.

Der Verein EuroNerz will nun den Wildnerz an den Ufern der saarländischen Ill wieder ansiedeln, unterstützt von einer breiten Allianz, der unter anderem das Landesumweltministerium, der Zweckverband Illrenaturierung, der Zoo Neunkirchen, die Universität Osnabrück und der NABU Saarland angehören.


Modellprojekt an der Ill

Es gibt bislang nur ein vergleichbares Projekt zur Ansiedlung des Europäischen Nerzes in Estland. Die Daten aus dem Saarland sind deshalb bedeutend für die Zukunft der Tierart. Studenten reisen sogar aus Spanien an, um von den Experten zu lernen, denn das Projekt läuft erfolgreich: 2008 ging das erste Jungtier in eine Lebendfalle, das in der saarländischen "Wildnis" gezeugt und aufgewachsen war. "Eine kleine Bestätigung dafür, dass unsere Arbeit Wirkung zeigt", sagt Wolfgang Festl, Vorsitzender von EuroNerz.

Der Fang war ein Glücksfall. Wenn schon ausgewachsene Tiere kaum einmal in Fallen tappen, so gelingt es noch viel seltener, Jungtiere zu überlisten. 78 Nerze hat der Verein bislang angesiedelt. Wie viele überlebt haben und wie es ihnen ergeht, ist nicht bekannt. Festl kann nur schätzen: Ihm zufolge leben zurzeit 40 bis 50 Nerze an der Ill.

"Auch wenn wir einige Tiere mit Mikrochips gekennzeichnet haben und intensives Monitoring mit Telemetrie und Lebendfang betreiben, wissen wir immer noch viel zu wenig über die ausgewiderten Tiere und die Entwicklung der Population", erklärt Festl. "Effektiv schützen kann man eine Tierart aber erst, wenn man sie wirklich kennt." Umso gespannter warten die Nerz-Freunde deshalb auf die Erkenntnisse Sidorovichs. Auch erhofft sich EuroNerz von ihm Hinweise, wie der Verein mit der dritten großen Bedrohung des Nerzes umgehen kann, zu der ebenfalls der Mensch beigetragen hat.


Verwandtschafts-Probleme

Es handelt sich um einen entfernten Artverwandten, der dem Nerz zum Verwechseln ähnlich sieht. Gewiss, der Amerikanische Nerz, auch Mink genannt, trägt einen kessen Spitzbart - im Gegensatz zum Europäischen Nerz ist nur seine Unterlippe weiß gefärbt - und sein Fell kann unterschiedliche Schattierungen, teils auch weiße Flecken haben. In Deutschland jedoch gibt es fast nur schokoladenbraune Minks, denn so wurden sie gezüchtet.

Die Tiere stammen aus Pelztierfarmen, die zur Zeit des Wirtschaftswunders wie Pilze aus dem Boden schossen, da sich das Fell des Minks besser verarbeiten lässt als das des Nerzes. Die Pelzindustrie boomte, weil der Wohlstand auch in die Mittelschichten einzog, und die Nerzstola wurde zum Symbol dieser Prosperität.

Je "gewöhnlicher" jedoch der Nerzpelz wurde, desto uninteressanter war er für die Modewelt, bis in den 1960er und 1970er Jahren die Tierschutzbewegung das Ende der Salonfähigkeit einleitete: "Die einzige Frau, die einen Nerzpelz wirklich nötig hat, ist das Nerz- Weibchen", lautete das Credo nicht nur des Schauspielers und Schriftstellers Curt Goetz.


Befreiung mit Folgen

Tierschützer befreiten Minks, anderswo brachen Tiere aus und siedelten sich in Gebieten an, in denen ehemals der Wildnerz heimisch war. Dort besetzen die Tiere eine ökologische Nische, die der Europäische Nerz so schnell nicht wieder zurückerobern könnte. "Der Mink ist größer und robuster als der Europäische Nerz und eine potentiell invasive Art", erklärt NABU-Artenschutzexperte Magnus Herrmann. "Wo die Tiere in freier Wildbahn aufeinandertreffen, bekämpfen sie sich sogar, wobei der Mink die besseren Karten hat."

Im Saarland wurde noch kein Mink entdeckt. Was geschieht, wenn er einmal einwandert, kann niemand vorhersehen: "Über die Zusammenhänge von Mink und Nerz ist noch wenig bekannt", sagt Festl. Für möglich hält er aber, dass auf lange Sicht Mink und Nerz nebeneinander existieren könnten. EuroNerz knüpft daher zurzeit Kontakte zu Tierparks in Sachsen, um Möglichkeiten auszuloten, künftig Nerze in einer Mink-Region anzusiedeln. Für das kommende Jahr ist in Niedersachsen, am Steinhuder Meer, zunächst ein weiteres Projekt zur Nerz-Ansiedlung geplant - in einem von Mink und Mensch noch weitgehend unberührten Gebiet.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Nach der Paarung im Spätwinter bringt das Nerzweibchen im Frühjahr im Schnitt vier bis fünf Jungtiere zur Welt.
- Das Gebiss mit den scharfen Eckzähnen weist den Nerz als Fleischfresser aus. Er jagt Mäuse, Amphibien und auch Fische.


*


Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/09, S. 46
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1500, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de

"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2009