Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

PFLANZEN/130: Die seltene Else. Elsbeere - Baum des Jahres 2011 (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 108/1.2011

Die seltene Else
Elsbeere - Baum des Jahres 2011

Von Rudolf Fenner


Elsbeere? Den meisten Menschen zaubert dieser Namens ein Fragezeichen auf die Stirn. Doch wenn Forstleute auf diesen Baum zu sprechen kommen, schwingt in ihren Worten immer auch ein Hauch Ehrfurcht mit. Woher kommt das? Ist sie von imposanter Gestalt, die Elsbeere? Oder liegt es vielleicht einfach daran, dass man ihr nur ganz selten begegnet? Ich jedenfalls stand erst vor wenigen Jahren vor meinem ersten Exemplar. Und ich muss sagen, es war eine ziemliche Enttäuschung!

Im Nationalpark Hainich war's. Zwischen Buchen, Eichen und Bergahorn - ein nicht sehr dicker Stamm. Mit einer zwar charakteristischen, doch nicht sehr ins Auge fallenden, streifig-schuppigen Borke. Hätte ich nicht genau hingesehen, hätte ich ihn als Stamm einer schwach gebliebenen Eiche links liegen lassen. Und tatsächlich passiert es wohl auch immer mal wieder, dass Waldarbeiter bei Durchforstungsarbeiten erst beim Anblick der ganz und gar nicht eichenähnlichen Blätter in der vor ihnen liegenden Baumkrone ahnen, dass sie hier wohl gerade einen ungewöhnlichen Baum umgelegt haben.

Viele der heute noch bei uns vorkommenden Elsbeerbäume fristen solch ein Schattendasein unter hochgewachsenen Waldbäumen. Das hat viel mit den großen Veränderungen in unseren Wäldern während der letzten zweihundert Jahre zu tun. Denn an sich kann die Elsbeere durchaus ein stattlicher Baum werden: 35 Meter hoch, 1,45 Meter dick und über 300 Jahre alt. Das sind allerdings singuläre Rekord-Eckdaten einzelner Elsbeeren-Giganten. 25 Meter hoch, 1,0 Meter dick und 200 Jahre alt - das wäre auch schon ein überdurchschnittliches Exemplar. Die Elsbeere braucht eher wärmere Standorte zum kräftigen Wachstum. Und nach anfänglich hoher Schattentoleranz in den ersten Lebensjahren braucht sie auch viel Licht dazu. Und beides - viel Sonnenwärme und viel Sonnenlicht - findet sie in unseren heutigen Wäldern nur noch selten. Früher war das anders, zumindest in den seit dem Mittelalter kräftig übernutzten Wäldern, die durch Streusammeln, weidendes Vieh und den starken Brennholzeinschlag immer schütterer und krüppeliger wurden. Dort gab es genug Plätze, wo die wärmenden Sonnenstrahlen bis auf den Waldboden reichten. Und in den Mittel- und vor allem den damaligen Kurzumtriebswäldern, den brennholzliefernden Niederwäldern, da wurde kein Baum so groß, dass er die Elsbeere in den ungeliebten Schatten stellen konnte.

Elsbeeren waren in den Niederwäldern sogar durchaus beliebt und wurden bevorzugt. Ihr Brennwert war hoch und einmal abgeschlagen sorgte ihre reichhaltige und schnellwüchsige Wurzelbrut für ausreichend Ersatz. Und in den Mittelwäldern, wo ja einzelne Bäume als so genannte Überhälter über das Kronendach der ansonsten niederwaldartig bewirtschafteten Bestände herauswachsen durften, um auch stärkeres und wertvolleres Holz zu produzieren, dort ließ man dann neben Eichen, Buchen und einigen weiteren Baumarten recht häufig auch Elsbeerbäume zu prächtigen Exemplaren heranwachsen.

Als dann aber im neunzehnten Jahrhundert - man muss schon sagen: gottseidank - langsam Abschied von dieser intensiven und beileibe nicht nachhaltigen Nieder- und Mittelwaldwirtschaft genommen wurde, da verlor die Elsbeere nach und nach wieder ihre so zuträglichen Standorte. Es bleiben ihr aber immerhin die trockeneren Bergrücken, die südexponierten Steilhänge sowie die Waldränder und Feldgehölze. Dass sie trotzdem auch heute noch immer, wenn auch als eher kümmerndes Schattenwesen, in den Wäldern anzutreffen ist, liegt an ihrer bereits erwähnten enormen Fähigkeit, eine große Zahl von schnellwachsenden und zunächst auch schattentoleranten Trieben aus ihren Wurzeln wachsen zu lassen, sobald der oberirdische Baum in der anhaltenden Düsternis des Waldes eingeht. Wer die Elsbeere als vitalen und wirtschaftlich interessanten Baum trotzdem auch auf den produktiven Waldstandorten halten will, obwohl dort die dominierenden Waldbaumarten lässig 12 Meter und mehr über jede Elsbeere hinauswachsen können, der müsste, so warnt der Elsbeerenspezialist Prof. Wedig Kausch-Blecken von Schmeling, ein mehrere Förstergenerationen übergreifendes Programm von bis zu 150 Jahren sicherstellen, in denen die Elsbeerenbäume immer wieder und konsequent von den benachbarten, sie bedrängenden und beschattenden Bäumen freigestellt werden.

Die Frage ist natürlich, warum sich ein Waldbesitzer überhaupt auf ein solch anspruchsvolles, schwerlich zu garantierendes Langzeitprogramm einlassen sollte. Die Antwort ist simpel. Und sie ist letztlich wohl auch die entscheidende Antwort auf die eingangs gestellte Frage, warum Forstleute der Elsbeere eine solch auffällige Hochachtung entgegenbringen.

Es geht um das Holz der Elsbeere. Es ist wunderschön, in der Färbung zunächst hell, weißgelblich bis leicht rötlich, mit der Zeit dunkelt es dann etwas nach. Es hat einen samt-seidigen Schimmer und es fasst sich auch so an. Es ähnelt dem Holz der Vogelkirsche oder - mehr noch der Birne und wird deswegen gelegentlich auch unter dem irreführenden Namen "Schweizer Birnbaum" vermarktet. Hochwertige Produkte wie Wandtäfelungen, Möbel und auch Musikinstrumente werden gerne daraus hergestellt. Elsbeerenholz gehört zudem auch zu den härtesten europäischen Hölzern, das sich, wenn es einmal gut durchgetrocknet ist, auch nicht mehr wirft und verzieht. Für Lineale und andere Maßstäbe, aber auch für stark beanspruchte Maschinenteile wie bei der Klaviermechanik oder früher bei Saftpressen, Webstühlen und Spinnrädern war die Elsbeere häufig das Holz der Wahl.

Die kostbare Else

Schönheit, Härte und Seltenheit, all das macht das Elsbeerenholz zu dem wohl teuersten europäischen Holz überhaupt. Wer einen kräftigen, hochgewachsenen Elsbeerbaum mit einem für die Herstellung von Furnieren geeigneten Stamm in seinem Wald stehen hat, der kann ein kleines Vermögen erwarten. Rund 20.000.- EUR pro Festmeter wurden 2009 für einen solchen Stamm hingeblättert. Da erstaunt es nicht, dass Waldbesitzer über aufwändige und generationenübergreifende Förderprogramme durchaus mal nachdenken. Und es überrascht dann ebenfalls nicht, dass bei derartigen finanziellen Aussichten ökologische Bedenken gegen eine solche Einzelbaumförderung durch permanentes Anarbeiten gegen die natürliche Wachstumsdynamik des Waldbestandes gerne hintenan gestellt werden.

Die seltene Else

Die Elsbeere ist ein heimischer Baum. Doch liegt ihr Verbreitungsschwerpunkt eher in den etwas wärmeren Regionen weiter südlich - in Nordspanien, Frankreich und Italien, in den Balkanländern und bis hin zur türkischen Küstenregion entlang des Schwarzen Meeres. Frankreich ist das Land, in dem die meisten gut verkäuflichen Elsbeerenstämme heranwachsen. Das allerdings liegt weniger am Klima, als vielmehr daran, dass dort das Zeitalter der Mittelwaldwirtschaft noch immer im Gange ist.

In Deutschland ist die Elsbeere vornehmlich im Süden bis hinauf nach Südhessen zuhause, weiter nördlich sind es dann nur noch inselartige Vorkommen. In Dänemark, im Stadtwald von Aarhus, steht zwar der dickste bekannte Elsbeerenbaum, doch die nördliche Verbreitungsgrenze ist schon am südlichen Rand der Norddeutschen Tiefebene erreicht. Die Elsbeere ist hier bei uns eine durchweg seltene Baumart. Das gilt auch für den Süden Deutschlands, wo sie ja noch am häufigsten vorkommt. Seltenheit - ganz allgemein - ist erst einmal nichts, was uns Sorgen machen muss. Sie ist kein automatisches Indiz für eine akute Gefährdung. Seltenheit ist schlicht eine ganz normale Eigenschaft vieler Tier- und Pflanzenarten, die sich im Verlauf der Evolution an ihre zum Teil sehr speziellen Lebensräume und Standorte angepasst haben, auf denen sie dann konkurrenz-, sprich überlebensfähig sind.

Die Elsbeere war sicherlich schon damals, als sie nach der letzten Eiszeit aus ihren Rückzugsgebieten nach Mitteleuropa gekommen war, eine eher seltene Baumart. Sie erlebte dann im Zeitalter der Rodungen, Verwüstungen und Übernutzungen von Wäldern einen jahrhundertelangen, nun aber weitgehend abgeklungenen Verbreitungs-Boom. Heute ist die Elsbeere in Deutschland, abgesehen von wenigen lokalen Ausnahmen in einigen Bundesländern, weder als gefährdet eingestuft, noch ist sie gesetzlich geschützt. Trotzdem brauchen seltene Arten unseren wachsamen Blick. Vor allem müssen ihre natürlichen Standorte, die sonnenbeschienenen Bergkuppen und Steilhänge, erhalten bleiben. Darüber hinaus bietet unsere Kulturlandschaft mit ihren Waldrändern und Feldgehölzen auch zusätzliche Standorte, an denen die Elsbeere sich ohne viel Zutun dauerhaft ansiedeln lassen würde.

Die genussvolle Else

Es gibt ein weiteres hochpreisiges Produkt der Elsbeere, das ebenfalls ehrfurchtsvolles Staunen auslöst. Und das ist der Branntwein, der aus der Maische der Früchte hergestellt wird. 200,- bis 300,- Euro pro Liter - gelegentlich auch deutlich mehr - werden für den leicht nach Mandeln schmeckenden "König der Obstbrände" bezahlt. So viel muss er wohl auch kosten, denn die Herstellung ist ungeheuer zeit- und arbeitsaufwändig. Die ein bis zwei Zentimeter großen, rotbräunlichen und mit punktförmigen, hellen Warzen überzogenen Früchte müssen nämlich - schütteln funktioniert nicht - mit bis zu 12 Meter langen Leitern per Hand vom Baum geholt werden und zwar kurz bevor sie ganz reif sind.

Denn dann kommt die Konkurrenz und vor allem Schwarz-, Sing- und Wachholderdrosseln, aber auch Raben-Krähen fallen darüber her - und die sind alle sehr schnell! Nach der Ernte müssen, auch das geht nur per Hand, die Stiele von den Früchten "abgerebelt" werden. Es folgt nach einer kurzen Zeit der Nachreife das "Einmaischen" der Früchte für den Gärprozess. Und wenn der dann abgeschlossen ist, kann die Brennerei direkt aus der Elsbeerenmaische beginnen.

Zwei Regionen sind für ihren Elsbeerenbrand besonders bekannt, beide im benachbarten Ausland: Im Elsass wird der 'Alisier torminal' gebrannt und aus Niederösterreich bei Michelbach westlich vom Wiener Wald, aus der sogenannten Genussregion Elsbeerreich, kommt der Adlitzbeerenbrand. Früher wurden die Früchte der Elsbeeren hauptsächlich zur Linderung von Durchfall-Erkrankungen eingesetzt. Der botanische Name Sorbus torminalis bedeutet nichts anderes als "die Frucht gegen den Bauchschmerz", und genau so hieß sie auch schon vor zweitausend Jahren bei den Römern. Woher allerdings der deutsche Name stammt, ist unbekannt. Aber es muss ihn auch schon sehr lange geben, denn Martin Luther bestellte für seine Hausapotheke wie selbstverständlich 'Elsebeeren' bei seinem Kollegen und Freund Agricola.

Die schöne Else

Es gibt durchaus, auch ohne dass im Hintergrund immer Euro-Zeichen winken müssten, noch anderes Imposantes von der Elsbeere zu berichten. Beispielsweise, wenn sie Ende Mai, Anfang Juni über und über weiß blüht. Oder wenn sich ihre Blätter im Herbst zunächst leuchtend rot, und dann nach und nach orange, gelb und schließlich braun färben. Dann fällt sie - selbst, wenn sie im Wald etwas versteckt steht - jedem Spaziergänger sofort ins Auge.

Rudolf Fenner ist für ROBIN WOOD im Kuratorium Baum des Jahres (KBJ), dem Fachbeirat der Stiftung, Tel.: 040 380892-11, wald@robinwood.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Wenn sie genug Licht und Wärme bekommt, kann sich die Elsbeere zu einem imposanten Baum entwickeln. Im Herbst,wenn sich die Blätter von leuchtend rot, über orange und gelb, bis schließlich braun verfärben, fällt der seltene Baum jedem Spaziergänger ins Auge

• Im Mai, manchmal auch erst Anfang Juni, blüht die Elsbeere über und über weiß

• Aus den Früchten, die per Hand aus der Baumkrone geholt werden müssen, wird der "König der Obstbrände" hergestellt - 300 Euro und mehr kann der Liter Elsbeerenbrand kosten


*


Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 108/1.2011, S. 32-35
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Rosa-Luxemburg-Str. 24, 16303 Schwedt
Tel.: 03332/2520-10, Fax: 03332/2520-11
E-Mail: magazin@robinwood.de

Magazin zu beziehen über:
Robin Wood e.V. Bremen, Geschäftsstelle
Postfach 10 21 22, 28021 Bremen
Tel.: 0421/59 828-8, Tel.: 0421/59 828-72
E-Mail: info@robinwood.de
Internet: www.robinwood.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2011