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REPTILIEN/023: Der katastrophale Rückgang der Süßwasserschildkröten (CI)


Conservation International - 10. September 2010

Erschütternde Nachricht:

Der katastrophale Rückgang der Süßwasserschildkröten der Erde


Laut einer neuen Analyse von Conservation International werden die Süßwasserschildkrötenpopulationen der Welt durch einen absoluten Ansturm von Lebensraumverlust, Bejagung und lukrativem Haustierhandel dezimiert, und rasches Handeln tut not, um sie zu retten.

Die neue Analyse, die anläßlich der Weltwasserwoche erstellt wurde, kommt zu dem Schluß, daß der besorgniserregende Schwund bei vielen Schildkrötenarten der Erde beweist, daß der Umgang der Menschheit mit den lebenswichtigen Süßwasserökosystemen tiefgreifende und schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hat, die Menschen sowie wildlebende Tiere und Pflanzen gleichermaßen in Mitleidenschaft ziehen werden.

Dr. Peter Paul van Dijk, der Leiter des (Land-)Schildkröten- und Süßwasserschildkröten-Programms von Conservation International erklärte: "Die Kernprobleme, denen sich diese Tiere gegenübersehen, sind - abgesehen davon, daß sie zu Nahrungszwecken und für den ausgesprochen lukrativen Haustierhandel mit seltenen Schildkröten gejagt werden -, Veränderungen ihres Lebensraums insbesondere aufgrund der Stauung der Flüsse, in denen sie leben, zur Wasserkraftnutzung. Über 40 Prozent der Süßwasserschildkrötenarten des Planeten sind vom Aussterben bedroht, was sie mit zu den bedrohtesten Tieren auf dem Planeten macht. Ihr Rückgang ist ein Indikator dafür, daß die Süßwasserökosysteme, die Millionen Menschen für Bewässerung, Nahrung und Wasser nutzen, auf eine Weise geschädigt werden, die schlimme Konsequenzen für Menschen und Schildkröten gleichermaßen haben könnte."

Die Analyse behandelt eine Reihe von Wasserschildkröten, die besonders gefährdet sind, und Dr. van Dijk hat zehn von ihnen aufgelistet, die er für sehr ernstlich bedroht hält:

Sehr kompaktes Tier mit Elefantenhaut, langem Hals und kurzem Rüssel in Frontansicht - © Asian Turtle Program

Foto: © Asian Turtle Program

Shanghai-Weichschildkröte, Rafetus swinhoei:

Da nur noch vier Exemplare weltweit am Leben sind, könnte dies die gefährdetste aller Schildkröten sein. Zwei Tiere, die sich seit langem in chinesischer Gefangenschaft befinden, wurden vor drei Jahren zusammengebracht und haben Eier produziert, die sich jedoch nicht weiterentwickelt haben. Ein einzelnes Tier wird im Hoan Kiem See in der Innenstadt von Hanoi gehalten und als Symbol für Vietnams Unabhängigkeit verehrt. Und das letzte Tier, das sich in freier Wildbahn befindet - auch in Vietnam - wurde das unfreiwillige Objekt eines Geiseldramas, als sein heimatliches Wasserreservoir im November 2008 den Damm durchbrach, es flußabwärts mitgerissen und von einem Fischer gefangen wurde, der es nur nach langen Verhandlungen an Naturschützer wieder freigab: Der Tag endete gut für alle Beteiligten, insbesondere für die Schildkröte, die spät am Abend wieder in ihr heimatliches Feuchtgebiet entlassen wurde.

Kleines Tier mit bunterem Kopf und ein etwa viermal größeres: glänzender, dunkler Panzer, gelblicher Kopf, Himmelfahrtsnase - © CI / Peter Paul van Dijk

Foto: © CI / Peter Paul van Dijk

Bengalische Flußschildkröte, Batagur kachuga:

Historisch war sie in den großen Flüssen Nordindiens, Bangladeschs und Nepals weit verbreitet; exzessives Sammeln der Eier, der Fang ausgewachsener Tiere zum Verzehr sowie Staudämme und Flußverschmutzung hatten so starke Auswirkungen, daß nur eine einzige überlebensfähige Population im 'unheiligen' Fluß Chambal in Zentralindien übriggebleiben ist. Die männlichen sind viel kleiner als die weiblichen Tiere und tragen spektakuläre Farben in der Paarungszeit.

Seitenansicht: Glatter Kopf mit Himmelfahrtsnase und 'Lächeln', Panzer wie ein Gebirge mit mehreren Bergspitzen, grün-grau - © Brian D. Horne

Foto: © Brian D. Horne

Birma-Flußschildkröte, Batagur trivittata:

'Zwillingsspezies' von B. kachuga - Seit 1935 fürchtete man, sie sei ausgestorben, bis sie 1993 wiederentdeckt wurde. Diese Spezies trat einst in großer Zahl im Irrawaddy Flußgebiet in Myanmar (Burma) auf, bis die Population infolge von Eiersammeln, Jagd und Lebensraumvernichtung einschließlich Staudammbau und Goldgräberei auf weniger als ein Dutzend erwachsene Tiere am Oberlauf des Chindwin Flusses schrumpfte. Die Eier dieser letzten Tiere wurden in den letzten Jahren unter Schutz gestellt, und die Jungtiere werden im Zoo von Mandalay für die Auswilderung aufgezogen.

Vorderansicht von Kopf und Panzer in Großaufnahme - langer Hals, runder Kopf, oben dunkel, unten hell - © Anders G.J. Rhodin, M.D.

Foto: © Anders G.J. Rhodin, M.D.

Schlangenhalsschildkröte, Chelodina mccordi:

Als sie 1994 auf der kleinen indonesischen Insel Roti entdeckt wurde, entstand sofort eine große Nachfrage für den Zoohandel in Amerika, Europa und Japan, und um das Jahr 2000 herum hatte man die Species fast bis zur völligen Ausrottung gesammelt. Die Zucht in Gefangenschaft für die Auswilderung ist im besten Falle ein langsames und langfristiges Unternehmen.

Ansicht von oben: kompaktes, glattes Tier; Panzer und Hals haben helle, dunkel umrandete Flecken und Linien - © CI / Peter Paul van Dijk

Foto: © CI / Peter Paul van Dijk

Jangtse-Riesenweichschildkröte, Chitra chitra:

Eine der größten Schildkröten der Welt (mit einem Gewicht von bis zu einer Viertel Tonne), die heute auf vereinzelte Individuen reduziert ist, die sich auf zwei eher kleine Flüsse in West-Thailand und auf Java (Indonesien) verteilen, wo sie weiterhin durch die Jagd für den Verzehr, das Sammeln von Eiern sowie durch Umweltverschmutzung und die Stauung dieser Flüsse unter starker Bedrohung stehen.

Seitenansicht: Nur der schwarze, schlangenhafte Kopf mit ein wenig Gelb, vor mittelblauem Hintergrund - © Henk Zwartepoorte

Foto: © Henk Zwartepoorte

Yunnan Scharnierschildkröte, Cuora yunnanensis:

Hielt man für ausgestorben, bis 2005 einige wenige Exemplare an einem Ort in der chinesischen Provinz Yunnan gefunden wurden, der nach wie vor geheimgehalten wird. Diese Tiere stehen im Mittelpunkt eines erhofften Erhaltungszuchtprogramms für die Art. Der Schmarzmarktpreis im Tierhandel könnte 10.000 US-Dollar übersteigen.

Ein Helfer hält das Tier hoch: grau, kompakt; Kopf wie ein Fisch mit riesigen Augen, Rüsselnase - © Thomas Rainwater

Foto: © Thomas Rainwater

Tabascoschildkröte, Dermatemys mawii:

Eine riesige, vegetarische Schildkröte, die man vorwiegend in Mexiko, Guatemala und Belize findet, die letzte Art einer Gattung, deren Vorfahren bis zurück zur Zeit der Dinosaurier zu verfolgen sind und die keine offensichtlichen Veränderungen im Erscheinungsbild durchgemacht zu haben scheint. Ihr Fleisch erzielt einen hohen Preis in Zentralamerika für die Fastenzeit, Ostern und andere religiöse Feierlichkeiten. Dadurch wird es so wertvoll, daß Charterflugzeuge mit Sammlern in entlegene Feuchtgebiete fliegen, diese Schildkröten einsammeln und sie ausfliegen.

Seitenansicht: Dunkler Panzer, geklüftet und schimmernd wie Kohle; Kopf wie eine Eidechse, braun mit ein wenig Orange - © CI / Peter Paul van Dijk

Foto: © CI / Peter Paul van Dijk

Mühlenberg-Schildkröte, Glyptemys muhlenbergii:

Die winzige (Panzerlänge 10 cm) Schildkröte aus den Vorgebirgen im Osten der USA ist ein Lebensraumspezialist, der Grasniederungen im Quellbereich und andere kleine Sumpfgebiete bewohnt, wo sie Tunnel gräbt wie ein Maulwurf, um nach Würmern, Schnecken und Larven zu jagen. Etwa 98% ihres Lebensraums wurde in Agrarland verwandelt, es sind nur verstreute Populationen zwischen New York und Tennessee üriggeblieben.

Seitenansicht: Panzer wie eine dunkle Muschelschale, Kopf eher schlangenartig mit gelber Zeichnung - © CI / Peter Paul van Dijk

Foto: © CI / Peter Paul van Dijk

Vietnamesische Sumpfschildkröte, Mauremys annamensis:

Eine Spezies, die auf sumpfige Feuchtgebiete in Zentral-Vietnam beschränkt ist. Sie wurde in den 1990ern zur Versorgung des chinesischen Nahrungsmittelhandels intensiv gesammelt, und nur eine Handvoll Tiere sind in der Wildnis verblieben. Es gibt gute Populationen in Gefangenschaft, mit gutem Zuchterfolg, und eine Auswilderung nach Vietnam als ein erster Schritt zur Wiedereinführung der Art hat bereits stattgefunden.

Seitenansicht: Panzer grau-weiß gefleckt wie Stein; Kopf eidechsenartig, grün-schwarz mamoriert - © Jennifer Howeth

Foto: © Jennifer Howeth

Coahuila-Dosenschildkröte, Terrapene coahuila:

Alle anderen Dosenschildkröten (so benannt, weil die zwei Hälften des unteren Panzers angehoben werden können und den Panzer wie eine Schachtel schließen) leben zumeist an Land, aber diese Art aus der Halbwüste Nordmexikos ist darauf zurückgekommen, sich permanent im Süßwasser aufzuhalten - in ihrem Fall sind das die Quell- und Sumpfgebiete von Cuatro Cienegas, einem Oasenkomplex in der Wüste, der aufgrund der Entwässerung durch das Abpumpen von Grundwasser für Landwirtschaft und Haushalte sowie der Umwandlung von Land in der Cuatro Cienegas Flußebene in Agrarland unter starker Bedrohung stehen.


Dr. Tracy Farrell, die Leiterin des Süßwasser-Teams von Conservation International, setzte hinzu: "Es wird Zeit, daß die internationale Gemeinschaft erkennt, daß wir eine ganzheitliche Herangehensweise für das Management unserer Süßwasser-Ökosysteme brauchen. Wenn wir nicht die Quelle, den Fluß und die Gewinnung von Süßwasser auf eng miteinander verbundene Weise schützen, mindert das den Nutzen für Spezies und Menschen. Wir haben bereits die Hälfte unserer Feuchtgebiete verloren und zwei Drittel unserer wichtigen Flüsse gestaut. Staudämme an der einen Stelle können dramatische Folgen an anderer Stelle unten am Fluß haben, und wenn wir nicht das gesamte System mitbedenken, bedrohen wir nicht nur wichtige Tierpopulationen - wie Schildkröten -, sondern auch Populationen von Menschen, die bezüglich Nahrung, Bewässerung, Trinkwasser und auch Transport auf diese Wasserwege angewiesen sind."

Peter Paul van Dijk bemerkte zudem: "Wenn wir jetzt nicht handeln, um die Lebensräume zu schützen, von denen diese Lebewesen abhängen, und nicht verstärkt in Aktion treten, um die internationalen sowie die heimischen Märkte für diese Tiere als Haustiere und Nahrungsmittel anzugehen, dann riskieren wir ganz real, daß wir sie für immer verlieren."



Bildnachweis:

Alle Bilder © by CI respective CI-Partnerorganisationen

Namen:
www.schildkroeten-brandenburg.de/gattung_art.html
Letztes Update: 10. September 2009
info[at]schildkroeten-brandenburg.de

URL des englischen Originaltextes:
http://www.conservation.org/newsroom/pressreleases/Pages/shell_shock_turtles_in_danger.aspx


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Quelle:
CI-Pressemitteilung, 10.09.2010
Conservation International
2011 Crystal Dr. Suite 500
Arlington, VA 22202 United States
Tel.: 1 (703) 341-2400
Internet: www.conservation.org
mit freundlicher Genehmigung von Conservation International
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2010