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VÖGEL/472: Grausame Beobachtung im Südatlantik - Mäuse fressen Albatrosse (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2009

Grausame Beobachtung im Südatlantik: Mäuse fressen Albatrosse

Von Anita Schäffer


Eingeschleppte, gebietsfremde Tierarten haben weltweit zum globalen Aussterben von mehr Vogelarten geführt als jeder andere Faktor. Vor allem auf ozeanischen Inseln sind die Folgen der absichtlichen oder unabsichtlichen Einbringung von Tierarten auf die dort heimische Fauna oftmals verheerend. Zahlreiche Tragödien ausgestorbener Vogelarten, von Neuseeland bis zu den Azoren und Hawaii bis Ascension, belegen dies. Aus der Gruppe der Säugetiere sind es meist Ratten und Katzen, die den größten Schaden anrichten. Daneben können sich aber auch Iltisse, Ziegen, Schweine oder sogar Igel verheerend auswirken. Bis vor einigen Jahren weitgehend unbekannt waren räuberisch lebende Hausmäuse als Hauptfeinde von Vögeln.


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Es klingt wie eine Szenerie aus einem billigen Horrorfilm - und ist doch wahr: auf der Insel Gough im Südatlantik fressen sich riesenhafte, auf die Insel eingeschleppte Hausmäuse regelrecht durch lebende, wehrlose Albatrosjunge.



Tragödie auf Gough Island

Die unbewohnte, abgelegene Insel Gough gehört zur Inselgruppe Tristan da Cunha, dem britischen Überseeterritorium (UK Overseas Territories) St. Helena. Auf Gough Island brüten insgesamt 22 Vogelarten, 20 davon sind Seevögel. Die als Weltnaturerbe ausgezeichnete Insel gilt als einer der wichtigsten Lebensräume für Seevögel weltweit.

Nach Schätzungen von Wissenschaftlern der britischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB, BirdLife Partner im UK) leben hier mittlerweile aber auch fast eine Million Hausmäuse, die auf die Insel eingeschleppt wurden. Zum Erstaunen der Wissenschaftlicher sind die Mäuse dreimal so groß wie ihre Verwandten beispielsweise in Europa. Noch mehr verwunderte die Beobachtung, dass sich Hausmäuse auf Gough Island regelmäßig auf die Küken beispielsweise der dort brütenden Tristan-Albatrosse (Diomedea dabbenena) setzen und die Jungvögel bei lebendigem Leibe auffressen. Die Vogelart entwickelte sich auf Inseln frei von Beutegreifern und verfügt daher über keinerlei Verteidigungsstrategien gegenüber landlebenden Feinden. Im Jahr 2008 verzeichneten die Wissenschaftler den bisher schlechtesten Bruterfolg der Art: von 1764 Brutpaaren der Tristan-Albatrosse auf Gough Island - ihrem einzigen Verbreitungsgebiet weltweit - wurden nur 246 Jungvögel flügge, fünf Mal weniger als zur Erhaltung der Art rechnerisch nötig wären.

Die räuberische Lebensweise der Mäuse wird seit dem Jahr 2000 von Mitarbeitern der RSPB und der Universität Kapstadt untersucht. Hierbei konnte das Verhalten der Mäuse in Form dramatischer Videoaufnahmen festgehalten werden. Dabei wiegen die jungen Albatrosse bis zu 10 Kilogramm, die sie verspeisenden Mäuse dagegen nur gerade 35 Gramm. Während den Küken im Nest die Ausrottung durch Gefressenwerden droht, fallen Hunderte ausgeflogener und erwachsener Tristan-Albatrosse bei der Nahrungssuche im offenen Meer der Langleinenfischerei zum Opfer. John Croxall, Seevogelbeauftragter bei BirdLife International, hat wenig Hoffnung, dass die Art ohne massive Hilfsmaßnahmen vor dem Aussterben bewahrt werden kann.



Opfer: Nicht nur Tristan-Albatrosse

Auch andere Vogelarten auf Gough Island haben unter den Mäusen zu leiden. Etwa 1,8 Millionen Brutpaare (= 99 % vom Weltbestand) des global in seinem Bestand bedrohten Hakensturmtauchers (Pterodroma incerta) leben auf Gough. Auf der Roten Liste bedrohter Arten der IUCN ist die Art in der Kategorie "gefährdet" zu finden. Mehr als zwei Drittel der Jungvögel sterben, bevor sie flugfähig werden - wahrscheinlich durch Mäuse.

Die Naturschützer stellten fest, dass Mäuse auch die Bestände der Gough-Ammer (Rowettia goughensis) stark dezimieren. Die Gough-Ammer zählt zu den größten Finken überhaupt und ist auf Gough Island endemisch. Innerhalb von nur 20 Jahren gingen die Bestandszahlen der Art um mehr als die Hälfte zurück. Wissenschaftler schätzen, dass heute nur noch 400 bis 500 Brutpaare auf Gough leben. Der Räuberdruck durch Mäuse wird als Hauptgrund für den Bestandsrückgang gesehen. Die Ammern konkurrieren bei der Suche nach Sämereien mit den Mäusen, wodurch die Ammern wohl aus den günstigsten Brutgebieten in suboptimale Flächen in den Hochlagen der Insel verdrängt wurden. Daneben fressen die Mäuse auch Eier und Jungvögel der Ammern. Aufgrund der rapiden Bestandsrückgänge wurden Tristan-Albatross und Gough-Ammer im Jahr 2008 in die Kategorie "critically endangered" (vom Aussterben bedroht) der Roten Liste aufgenommen, der höchsten Gefährdungsstufe vor dem Aussterben.


Eine Tier- und Naturschutztragödie, die vermeidbar wäre

Die Hausmaus auf Gough Island ist nur ein Beispiel für ein drängendes Problem. Wie das britische Joint Nature Conservation Committee (JNCC) feststellte, leben alleine in den 17 UK Overseas Territories und Crown Dependencies insgesamt 2900 nicht-einheimische Tier- und Pflanzenarten mit zum Teil verheerenden Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna.

Die britische Regierung stellte bisher rund 80000 Euro aus ihrem UK Gouvernements Overseas Territories Environment Programm für weitere wissenschaftliche Studien an Hausmäusen auf Gough Island zur Verfügung. Zusammen mit Neuseeländischen Kollegen führten Mitarbeiter der RSPB eine Machbarkeitsstudie für die Lösung des Problems durch, die Ergebnisse sind vielversprechend. Mögliche Maßnahmen, die Mäuse auf der Insel auszurotten, beinhalten das Abwerfen vergifteter Köder aus Hubschraubern. Ausschlaggebend ist, dass keine Mäuse auf der Insel verbleiben - der Nachwuchs nur eines Mausepaares könnte alle Bemühungen zunichte machen. Die Naturschützer gehen davon aus, dass eine Rettung der Vögel möglich, aber sehr kostspielig und nur mit massiver Hilfe der britischen Regierung durchführbar sein wird.

Bis sich die bedrohten Vogelarten auf einer Beutegreifer freien Insel erholt haben, ist es noch ein weiter Weg.

Quelle: RSPB Presseinfo, 11.12.2008; BirdLife Presseinfo, 11.12.2008


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2009
56. Jahrgang, Februar 2009, S. 76-77
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009