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VÖGEL/494: Eiersuchen für den Vogelschutz - Gelegeschutzprojekt in Niedersachsen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009

Eiersuchen für den Vogelschutz: Gelegeschutzprojekt in Niedersachsen

Von Johannes Melter, Bernward Abing und Bettina Hönisch


Trotz aller Anstrengungen, die in den letzten Jahren zum Schutz unternommen wurden, gehören viele Wiesenvögel zu den stark gefährdeten Vogelarten. Für den Schutz kommen diverse Instrumentarien zur Anwendung, von der Schutzgebietsausweisung bis zum Vertragsnaturschutz. Angesichts der weiter abnehmenden Bestände wird über den Erfolg der Programme diskutiert. Dabei ist eine zentrale Frage, ob wir mit den bestehenden Konzepten auskommen, um das Ziel "Erhalt der Biodiversität" erreichen zu können. In Niedersachsen werden für den Schutz der Wiesenvögel jetzt auch Gelegeschutzprojekte durchgeführt - eine Maßnahme, die auch außerhalb von Schutzgebieten angewendet werden kann.


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Den Wiesenvögeln, Uferschnepfe, Kiebitz, Großer Brachvogel und Co., geht es bekanntlich nicht gut! Die Brutbestände fast aller Wiesenlimikolenarten sind in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig. Dabei stehen vor allem die Wiesenlimikolen seit Jahren im Fokus des Naturschutzes, denn insbesondere die norddeutschen Bundesländer haben für den Erhalt dieser Vogelarten eine hohe nationale bis internationale Verantwortung. Die in vielen Bundesländern begonnenen Schutzprogramme konnten jedoch den negativen Bestandstrend leider bis heute nicht stoppen.


Ursachen bekannt

Die Ursachen der Bestandsverluste der Wiesenlimikolen sind im Wesentlichen bekannt und liegen vor allem in den großflächigen Landschaftsveränderungen und der Intensivierung der Landwirtschaft. In jüngster Zeit beschleunigt sich in weiten Teilen Deutschlands zudem der Trend der hohen Grünlandverluste durch den Boom regenerativer Energien, größtenteils durch den Bedarf von Biogasanlagen. Ein Großteil der sensibel auf Landschaftsveränderungen und Grünlandverluste reagierenden, stark gefährdeten Arten wie z. B. Rotschenkel und Uferschnepfe konzentriert sich schon jetzt nur in Schutzgebieten und den küstennahen Marschen. Doch selbst in vielen Schutzgebieten sind die Bestände nicht stabil (Hötker et al. 2007). Einige Arten wie der ebenfalls gefährdete Große Brachvogel und der Kiebitz brüten allerdings überwiegend außerhalb von Schutzgebieten. Zum Teil halten die Vögel noch sehr lange an traditionellen Brutplätzen fest und weichen dann auch auf Ackerflächen aus. Dort sind die Gelege allerdings durch die landwirtschaftlichen Arbeiten meist noch höheren Risiken ausgesetzt als im Grünland.

Es ist fraglich, ob die Arten allein über die Einrichtung von Schutzgebieten dauerhaft gerettet werden können. Für den landesweiten Erhalt der Wiesenlimikolen sind zweifellos auch die Vorkommen außerhalb von Schutzgebieten von hoher Bedeutung.


Entwicklung des Projektes in Neuenkirchen

Aus dieser Erkenntnis wurde im Jahr 2002 im Landkreis Osnabrück in der Gemeinde Neuenkirchen ein Projekt zum Wiesenvogelschutz auf weitgehend konventionell landwirtschaftlich genutzten Flächen initiiert, dass auf den Gelege- und Kükenschutz von Wiesenlimikolen zielte. Dabei wurden u. a. auch Erfahrungen aus niederländischen Wiesenvogelgebieten ("Nestbescherming") einbezogen. Das Projekt wurde von der Naturschutzstiftung des Landkreises Osnabrück gefördert und in Kooperation mit dem Hegering durchgeführt. Es bezog sich in den ersten Jahren nur auf das Gebiet "Schneckenbruch/Koelzen" von ca. 110 ha und darin ausschließlich auf Grünlandflächen (etwa 50% des Gebietes). Umfangreiche Informationsarbeit begleitete das Projekt und stieß vor Ort bei den meisten Landwirten auf großes Interesse. 2006 wurde das Projekt dann mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) auf ein Gebiet von über 1200 ha deutlich ausgeweitet, das zu sehr hohem Anteil ackerbaulich genutzt wird (über 80%). Mit dem Einstieg der DBU konnten nun auch Gelege auf Ackerflächen in das Programm aufgenommen werden. Auf gemeinsame Initiative der Länder Niedersachsen und Bremen wird seit dem Jahr 2008 ein neues Programm zur "Förderung von Maßnahmen zur Entwicklung von Natur und Landschaft sowie zur Qualifizierung für Naturschutzmaßnahmen" angeboten, gefördert durch das Land Niedersachsen unter finanzieller Beteiligung der Europäischen Union. Wesentliche Komponenten des Programms sind die freiwillige Teilnahme und die Erfolgsorientierung und -honorierung der ökologischen Leistung von Landwirten. Diese nehmen zum Schutz von Gelegen und Jungvögeln eine Einschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung in Kauf. In das Förderprogramm wurde nun auch das Gelege- und Kükenschutzprojekt in Neuenkirchen aufgenommen. Das Programm wurde gleichfalls auch in anderen Gebieten in Ostfriesland, in der Wesermarsch, in Bremen, im Emsland und in den Radde-Niederungen durchgeführt.


Die Maßnahmen

Im Rahmen des neuen Programmes werden insbesondere folgende Maßnahmen gefördert:

- Nestersuche:
Sowohl auf Grünland als auch auf Ackerflächen werden die Nester von Wiesenvögeln (v. a. der Wiesenlimikolen) durch Gebietsbetreuer gesucht und im Abstand von ca. 3 m mit kleinen Stöcken markiert. Um die Störung gering zu halten, wird jede Fläche höchstens einmal pro Tag betreten. Im Rahmen regelmäßiger Erfassungsarbeiten werden die Nester oder die brütenden Vögel aus der Entfernung mit Ferngläsern oder Spektiven kontrolliert. Unbesetzte Nester werden erneut aufgesucht und das Schicksal der Gelege dokumentiert. Landwirte erhalten eine zusätzliche Honorierung, wenn sie auf den Flächen selbst Nester markieren und den Gebietsbetreuern anzeigen.

- Gelegeschutz:
Der Schutz der Gelege kann durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden. Zur Auswahl stehen folgende Möglichkeiten:
a) Umfahren und Aussparen der Nester bei allen Bewirtschaftungsschritten auf Grünland oder bei der Bodenbearbeitung bzw. der Einsaat bei Ackerkulturen (Belassen unbearbeiteter Streifen).
b) Auf Ackerflächen auch kleinräumiges Umsetzen von Gelegen. Die Gelege werden inklusive Nistmaterial bis maximal zwei Meter auf eine bereits bearbeitete Ackerspur versetzt. Diese Option ist nur bei Kiebitzen möglich, andere Arten nehmen die versetzten Nester in der Regel nicht wieder an.
c) Bei höheren Brutdichten kommen auch flächenhafte Maßnahmen wie das Aussetzen einzelner Bewirtschaftungsgänge, die verzögerte Einsaat, das Verschieben des Mahd- oder Auftriebstermins bis zum Abschluss der Brutzeit, die Reduzierung der Beweidungsdichte oder das befristete Auszäunen auf größeren Weideflächen oder Teilparzellen in Betracht. Die Landwirte erhalten pro Gelege eine Prämie, wenn die Brut erfolgreich ist oder definitiv nicht durch landwirtschaftliche Arbeiten zu Schaden kommt. Der Erfolg wird durch die Gebietsbetreuer anhand von Spuren in der Nestmulde überprüft.

- Kükenschutz:
Zum weiteren Gelege- und Kükenschutz werden folgende Maßnahmen durchgeführt
a) Verzicht auf Schleppen und Walzen nach dem 15. März eines Jahres ("Frühjahrsruhe").
b) Vorsichtiges, langsames Mähen von innen nach außen und Begrenzung der Mähgeschwindigkeit auf max. 8 km/h bei einer Mähwerksbreite von max. 3 m.
c) "Fluchthilfe": Vertreiben der Jungvögel mit "Vogelscheuchen", die einen Tag vor der Mahd auf den Flächen aufgestellt werden. Nach eigenen Erfahrungen und Daten aus den Niederlanden verlassen etwa 80% der Uferschnepfen die Flächen innerhalb von 24 Stunden nach dem Aufstellen.

Während der Maßnahmen findet eine enge Kooperation sowie ständiger Informationsaustausch zwischen den Landwirten und Gebietsbetreuern statt. Neben der systematischen Erfassung der Wiesenlimikolen-Brutbestände im Projektgebiet führen die Gebietsbetreuer im Schneckenbruch/Koelzen (Neuenkirchen) weitergehende Untersuchungen, u. a. ein Beringungsprogramm (Farbmarkierung) durch.


Die Erfolge

Im Jahr 2008 beteiligten sich in Neuenkirchen 37 Landwirte an dem Projekt. Es konnten dort insgesamt 168 Nester (Erst- und Nachgelege) folgender Arten gefunden werden: Austernfischer (1), Kiebitz (154), Großer Brachvogel (4), Uferschnepfe (8) und Feldlerche (1); davon wurden 48 Gelege von Landwirten markiert.

Die hohe Anzahl der Kiebitzgelege (154) erlaubt eine genauere Analyse. Nur in acht Fällen konnte das Schicksal der Gelege aus verschiedenen Gründen nicht verfolgt werden. Über 90% der Nester lagen auf Ackerflächen.

Sechs der verbleibenden 146 Gelege (ca. 4%) fielen landwirtschaftlichen Arbeiten zum Opfer: In zwei Fällen wurden umgesetzte Nester aufgegeben, vier weitere Nester wurden trotz Markierung bei landwirtschaftlichen Arbeiten zerstört. Diese Nester lagen auf von Lohnunternehmern bestellten Flächen. Es ist für die Gebietsbetreuer kaum möglich zu allen, zudem oft wechselnden Mitarbeitern der Lohnunternehmen den gleichen intensiven Kontakt aufzubauen wie zu den örtlichen Landwirten. Insgesamt sind die geringen Gelegeverlust als Erfolg der Nestermarkierung zu werten.

Der Schupferfolg war in diesem Jahr mit 68% auf den Ackerflächen ähnlich hoch wie auf den Grünlandflächen mit 70%. Die Verluste wurden jeweils im Wesentlichen von Beutegreifern verursacht, Spuren an den Nestern deuten vor allem auf Raubsäuger hin.

Die geringsten Schlupfraten wurden auf Wintergetreide ermittelt, die höchsten mit fast 80% auf noch unbestellten alten Maisstoppelfeldern. Diese Unterschiede sind allerdings nicht unbedingt typisch für jedes Jahr. Die Prädationsrate kann im Gebiet ebenfalls von Jahr zu Jahr erheblich variieren; in einigen Jahren lag sie unter 10%. Mögliche Ursachen sollen in nächster Zukunft genauer analysiert werden.


Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten

Bei dem vorgestellten Projekt handelt es sich zweifellos zu allererst um klassischen Artenschutz. Von einigen Maßnahmen - wie vor allem der "Frühjahresruhe" - profitieren aber nicht nur die Wiesenlimikolen, sondern auch andere Bodenbrüter und Tierarten. Die Ergebnisse des Jahres 2008 mit nahezu 70% Schupfrate beim Kiebitz zeigen, dass die Maßnahmen durchaus als erfolgreich zu bewerten sind und quasi als erster Schritt einen wichtigen Beitrag zu guten Reproduktionsraten liefern können. Der Bruterfolg ist darüber hinaus natürlich von weiteren, wesentlich schwerer zu beeinflussenden Faktoren abhängig (vor allem Nahrungsangebot für Jungvögel, Witterung, Räuberdruck, Flächennutzung). Die Bruterfolgsraten des Kiebitz schwankten in den letzten Jahren zwischen 0,18 und 1,02 Jungvögeln/Brutpaar - dies könnte im Mittel zur Erhaltung des Bestandes ausreichen. Die Bestandsentwicklung der Wiesenlimikolen ist in Neuenkirchen seit Beginn des Projektes für alle Arten relativ stabil und hebt sich damit positiv vom landesweiten Trend ab.

Das Projekt hat darüber hinaus weitere nachhaltige Effekte, die sich jedoch (noch) nicht unbedingt empirisch messen lassen. Von den meisten Landwirten wird das Projekt sehr positiv aufgenommen, viele Landwirte interessieren sich für "ihre" Wiesenvögel und informieren sich über die Biologie der Arten und deren Bestandsentwicklung. Weiterhin hat das Projekt zu einem vertrauensvollen Umgang zwischen Naturschützern, Landwirten und Jägern geführt. Außer bei den beteiligten Landwirten findet das Projekt auch in der breiten Öffentlichkeit gute Resonanz und sensibilisiert so für die Belange des Natur- und Artenschutzes.

Der Ansatz der erfolgsorientierten Honorierung der ökologischen Leistung und speziell des gezielten Gelegeschutzes kann in Schutzgebieten eine flankierende Maßnahme verschiedener Instrumentarien darstellen. Besonders sinnvoll ist diese Idee jedoch außerhalb von Schutzgebieten, um den dort brütenden Arten einen notwendigen Mindestschutz zu gewähren. Damit bestehen gute Chancen der weiteren Verinselung der Vorkommen durch Konzentration in wenigen Schutzgebieten vorzubeugen und die Chancen auf einen Erhalt der einst in Norddeutschland charakteristischen Arten wie beispielsweise des Kiebitz zu erhöhen.



Literatur zum Thema:

Beintema, A., O. Moedt & D. Ellinger (1995): Ecologische Atlas van de Nederlandse Weidevogels. Haarlem.

Hötker, H., H. Jeromin & J. Melter (2007): Entwicklung der Brutbestände der Wiesen-Limikolen in Deutschland - Ergebnisse eines neuen Ansatzes im Monitoring mittelhäufiger Brutvogelarten. Vogelwelt 128: 49-65.

Langgemach T. & J. Bellebaum (2005): Prädation und der Schutz bodenbrütender Vogelarten in Deutschland. Vogelwelt 126: 259-298.

Wir danken allen beteiligten Landwirten in Neuenkirchen, der Naturschutzstiftung des Landkreises Osnabrück, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, dem Land Niedersachsen und der Europäischen Union für die Förderung des Projektes.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009
56. Jahrgang, April 2009, S. 144-148
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009