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VÖGEL/911: Fernweh - Die gefährliche Reise der Zugvögel (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2012

Fernweh
Die Gefährliche Reise der Zugvögel

von Christof Ehrentraut



Wenn uns Gänse, Kraniche oder Störche im Herbst wieder verlassen, wollte wohl schon immer so manch einer am liebsten mit ihnen ziehen. Dabei wussten die Menschen lange Zeit noch nicht einmal, was aus den sommerlichen Gästen im Winter wurde. Der Naturforscher Albertus Magnus mutmaßte beispielsweise im 13. Jahrhundert, dass Störche dann in tiefen Schlaf verfielen. Andere wähnten sie gar auf dem Mond oder vermuteten eine jahreszeitliche Metamorphose in Gestalt anderer Lebewesen.


Das Problem Vogeljagd

Der Pfeilstorch zeigte aber noch etwas: Der Vogelzug ist eine gefährliche Angelegenheit. Gerade das Thema "Jagd" beschäftigt auch heute zahlreiche Ornithologen. Im Fokus ihrer Kritik steht seit langem die Mittelmeerinsel Malta. Hunderttausende Zugvögel nutzen die auf ihrer Hauptroute gelegene Insel als Zwischenstopp von Europa nach Afrika und zurück. Doch wenn sie dort ankommen, werden sie schon von den einheimischen Jägern erwartet. Angaben des NABU zufolge sollen derzeit rund 15.000 Malteser im Besitz einer Lizenz zur Vogeljagd sein - ungeachtet des 2004 erfolgten EU-Beitritts Maltas, der den Inselstaat prinzipiell zur Einhaltung der EU-Vogelschutzrichtlinie verpflichtet. In Heft 2/2009 berichteten wir über die bestehenden Konflikte und das nicht immer risikolose Engagement der Vogelschützer.

"Problematisch bei der Zugvogeljagd ist, dass den Jägern die Häufigkeit oder Gefährdung ihrer Beutetiere oft gar nicht bewusst ist."

Zu Konflikten zwischen Naturschützern und Jägern kommt es aber nicht nur im entfernten Malta. Auch in Deutschland werden Zugvögel aufs Korn genommen. Zwar geht es den Jägern hierzulande nicht um exotische Singvögel sondern vorrangig um Enten, Gänse, Schnepfen oder Tauben, doch gejagt wird mitunter auch in EU-Vogelschutzgebieten wie der "Emsmarsch zwischen Emden und Leer". Bei der Überführung der EU-Schutzgebiete in Landesrecht und der Umsetzung von Managementplänen nehme Niedersachsen eine Schlussposition ein, kritisierte der niedersächsische NABU Landesverband noch Anfang des Jahres. Problematisch an der Jagd sei nicht allein die Tötung schützenswerter Arten sondern auch die Störung der rastenden Vogelschwärme, was zwangsläufig mit Vitalitätsverlusten einhergehe, so Michael Steven, Leiter der NABU Geschäftsstelle Ostfriesland. "Problematisch bei der Zugvogeljagd ist, dass den Jägern die Häufigkeit oder Gefährdung ihrer Beutetiere oft gar nicht bewusst ist", erklärt der Brandenburger Ornithologe und Vorstandsmitglied des "Komitee gegen den Vogelmord e.V.", Thomas Hellwig. Allein in Deutschland seien im Jagdjahr 2008/09, 19.000 Waldschnepfen, 53.000 arktische Gänse, 470.000 Enten und 921.000 Tauben getötet worden. Hinzu kämen Zehntausende Graureiher, Rabenvögel und Kormorane. "Dabei stehen die Waldschnepfe sowie viele zum Abschuss freigebende Möwen- und Entenarten längst auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten", so Hellwig.


Natürliche und andere Gefahren

Doch nicht nur Jäger können Zugvögeln ein jähes Ende bereiten. Extreme Wetterlagen wie Dürre, Kälteeinbrüche und starke Winde - verbunden mit Nahrungsknappheit - führen unter ihnen oft zu erheblichen Verlusten. Hinzu kommen unzählige Opfer an Gebäudefassaden - speziell an solchen aus Glas - und Hochspannungsleitungen. Zumindest letztere ließen sich durch technische Vorkehrungen entschärfen, wir berichteten darüber in Heft 1/2012. Der Einfluss von Windkraftanlagen (WKA) auf den Vogelzug wird hingegen auch in Fachkreisen noch kontrovers diskutiert. Eine dänische Studie deute zumindest darauf hin, dass die Anlagen weitgehend ungefährlich seien, erklärt Hellwig. "Die Tiere erkennen die Anlagen offenbar früh genug und halten einen ausreichenden Sicherheitsabstand." Unstrittig ist jedoch auch, dass es an ihnen immer wieder zu Anflugopfern kommt. Speziell die an WKAs im Brutgebiet bei der Nahrungssuche verunglückten Rotmilane bereiten den Ornithologen Sorgen. Von der auf der Roten Liste der IUCN auf der Vorwarnliste geführten Art brüten in Deutschland über 50 Prozent ihres Weltbestands, Deutschland trägt daher eine besondere Verantwortung für den Erhalt der Art.

Das vielleicht schwerwiegendste Problem für viele Zugvogelarten ist jedoch der zunehmende Verlust geeigneter Lebensräume, in denen sie rasten und sich für den weiteren Weg ihrer langen Reise erholen können. Vor allem fehlt es an großflächigen natürlichen Feuchtgebieten. "Die Zugwege werden dann in suboptimale Bereiche verlagert und die Tiere kommen geschwächt im Überwinterungsquartier an", erklärt Hellwig. "Gehen auch dort wertvolle Lebensräume durch beispielsweise Trockenlegungen verloren, fehlt den Vögeln Nahrung und sie können ihre Fettreserven nicht für die weiten Wanderungen in die Brutgebiete auffüllen. Dann kommen sie dort geschwächt an und müssen vor der Brut erst noch einige Wochen nach Nahrung suchen. Dabei geht viel Zeit verloren, mit der Brut können sie dann erst später beginnen. Oft reicht die Zeit dann aber nicht mehr für eine erfolgreiche Aufzucht der Jungen. Fliegen dennoch Jungvögel aus, sind sie auf ihrer ersten Wanderung in das Überwinterungsgebiet schon nachhaltig geschwächt." Vielen durchziehenden und rastenden Arten wie der Feldlerche sind in Brandenburg in den vergangenen Jahren viele dieser dringend benötigten Lebensräume durch den massiven Anbau der Energiepflanzen Raps und Mais verloren gegangen. "Sicherlich sind die Zahlen der überwinternden und durchziehenden Kraniche im nordostdeutschen Tiefland auch aufgrund des verstärkten Maisanbaus stark angestiegen, da sie den Mais als Futterpflanze nutzen. Doch sollte uns dies eher nachdenklich stimmen, da dieser Anbau mit hohen Verlusten an Grünland einhergeht", gibt Hellwig zu bedenken. Um sowohl dem Klima- als auch dem Naturschutz gerecht zu werden, wünscht er sich daher anstelle von Monokulturen die Wiedervernässung von Niedermooren als die effizientere Maßnahme.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Auf Malta gehört die Vogeljagd für viele Jäger noch immer zur Tradition.

- Auf den Feldern Brandenburgs finden Kraniche reichlich Nahrung. Für viele inzwischen ein Grund, hier zu überwintern.

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Quelle:
NATURMAGAZIN, 25. Jahrgang - Nr. 3, August bis Oktober 2012, S. 12-14
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
Natur & Text in Brandenburg GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2013