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VÖGEL/999: Akrobatischer Jäger (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/15
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Akrobatischer Jäger
Der Habicht ist Vogel des Jahres 2015

Von Helge May


Hut ab, der Habicht weiß, was sich gehört. Kaum war die Wahl zum Vogel des Jahres 2015 bekanntgegeben, schaute er schon zum Antrittsbesuch vorbei. Im November saß er in Gestalt eines Jungvogels plötzlich im Innenhof der Berliner NABU-Zentrale und blickte aus einer Baumkrone eine gute Stunde lang auf das Treiben herab.

Dass sich ein Habicht so deutlich zeigt, ist keine Selbstverständlichkeit. Noch immer gilt des Verhaltensforschers Oskar Heinroths Bonmot, den Habicht erkenne man daran, dass man ihn nicht sehe. Über weite Strecken des Jahres ist der Habicht ein Heimlichtuer, der dunkle Baumverstecke liebt - sich für geübte Naturfreunde aber durchaus bemerkbar macht.

Balzflüge und Flaggen

Das gilt besonders für die Balzzeit. Männchen wie Weibchen legen dann ihre Zurückhaltung ab und werben in spektakulären Schauflügen umeinander. Selbst bei Paaren, die schon viele Jahre zusammen sind, finden im Spätwinter regelmäßig solche Flüge statt. Man will sich halt gegenseitig vergewissern.

Äußeres Zeichen der Balzstimmung sind die gespreizten Unterschwanzfedern; die Habichte sehen dann ein bisschen aus, als trügen sie einen weißen Tüll-Unterrock. Beim sogenannten Balzfüttern wird der Tüll besonders eindrucksvoll gezeigt, "Flaggen" nennen das die Vogelkundler. Das Füttern ist Teil des Rituals, das Männchen zeigt so symbolisch, dass es die Angebetete und vor allem den künftigen Nachwuchs ernähren kann. Die Beute legt das Männchen an einem vom Weibchen gut einsehbaren Übergabeplatz ab. Dann zieht es sich zurück und erst danach kommt das Weibchen und nimmt das Geschenk entgegen.

Von der Maus bis zur Taube

Im Unterschied zu manch anderen Greifen töten Habichte ihre Beute nicht per Biss, sondern mit den messerscharfen Krallen. Habichte sind nicht wählerisch, sie fressen, was sie am leichtesten erbeuten können - von der Maus bis zum Hasen, von der Amsel bis zur Taube, Krähe oder Gans. Habichte mögen dichte Baumkronen nicht nur, weil sie dort ihre Ruhe haben, sie können von dort aus auch am besten ihre Überraschungsangriffe fliegen. Habichte sind schnell und sie sind unglaublich wendig. Selbst im dichtesten Wald manövrieren sie gekonnt. Noch rascher als ein Eichhörnchen einen Baum umklettern kann, hat der Habicht den Baum schon umflogen und das Eichhörnchen geschlagen.


Der Habicht

Es haust im düstern Walde
Ein Habicht grimm und grau,
Er schont kein Tier der Halde,
Kein Vöglein auf der Au'.

Und was er sinnt, ist Schrecken,
Und was er blickt, ist Wut,
Und was er ruft, ist Grauen,
Und was er treibt, ist Blut.

Habt ihm sein Weib erschlagen,
Zerschossen stets die Brut,
Kennt nur noch wildes Jagen,
Und Rache peitscht sein Blut.

Doch nie war sein Geschlechte
So mörderisch wie Ihr!
Er jagt mit gleichem Rechte
Und schonender als Ihr!

Aus Fritz Engelmanns "Die Raubvögel Europas", Autor unbekannt.


Außerhalb der Brut- und Aufzuchtzeit gehen die Habichte getrennte Wege. Die Paare finden sich aber meist Jahr für Jahr in gleicher Zusammensetzung. Dass die Vögel zur Paarungszeit immer zum alten Horst zurückkehren, ist für diese lebenslange Monogamie sicher hilfreich. Auch der Horst ist bei Habichts Männersache, jedenfalls die Erstausstattung. Später baut das Weibchen gelegentlich mit. Ausgebessert muss immer wieder werden und liegen erst mal Eier im Nest, werden zusätzlich grüne Zweige und Blätter eingetragen.

Paarung in der Öffentlichkeit

Meist im März findet die Paarung statt, pardon: Mehrzahl, denn die Vögel paaren sich täglich des Öfteren. Bei der Begattung sitzt das Männchen obenauf - die Natur hat es weise so eingerichtet, dass es deutlich kleiner ist als das Weibchen. Dennoch ist das Ganze ein wackliger Balanceakt, das Männchen muss zudem darauf achten, das Weibchen nicht mit seinen Krallen zu verletzten.

Fand die Paarung noch gut sichtbar in aller Öffentlichkeit statt, beginnen sich nach der Eiablage Ende März/Anfang April die Bäume langsam zu belauben. Das Habichtleben wird nun wieder heimlicher. Knapp über einen Monat dauert es, bis die Küken schlüpfen, ständig bebrütet vom Weibchen, das seinen Platz nur verlässt, um vom Männchen Nahrung entgegenzunehmen. Auch dies geschieht wieder am Übergabeplatz, nie direkt am Horst.

Achtung, Bruchpiloten!

Die Entwicklung der Küken geht schnell. Noch kann es nachts sehr kalt werden, das Weibchen hudert den Nachwuchs die ersten anderthalb Wochen. Auch danach bleibt es zunächst unmittelbar am Horst, zu groß ist die Gefahr, dass in einem unbewachten Moment ein Marder, ein Rabe oder ein Uhu den Nachwuchs tötet.

Mit gerade einmal sechs Wochen treibt die Neugier die Junghabichte zu ersten Ausflügen in der Baumkrone. An Fliegen ist noch nicht zu denken und damit die Eltern den stets hungrigen Nachwuchs nicht verfehlen, machen sie mit Rufen auf sich aufmerksam.

Die Junghabichte lernen rasch und müssen so auch lernen, dass man von einem Baum herunterfallen kann. Dann werden Habichte notgedrungen zu Fußgängern. Dies aber nur vorübergehend, denn sie trainieren ihre Flugmuskulatur ständig und bald wird zum ersten Mal abgehoben. Haben von den zwei bis vier Jungvögeln bis dahin alle überlebt, folgt nun ein natürliches Trainingsprogramm: Im Wettstreit um die herangeschaffte Beute gilt es, sich gegenüber den Geschwistern durchzusetzen.

Nicht wasserscheu

Auch diese Phase ist bald zu Ende. Die Junghabichte, erkennbar am rotbraunen Gefieder und den tropfenformigen Brustflecken, machen sich selbständig und verlassen das Revier der Eltern. Diese können sich nun von der anstrengenden Aufzucht etwas erholen. Nachdem sich das Paar im Frühherbst noch einmal kurz balzend seine Zuneigung versichert hat, gehen beide ihrer Wege. Je nach Witterung streifen die Vögel mal kürzer und mal weiter umher. Habichte können dann auch vorübergehend vom Wald- zum Seeanwohner werden, denn dort versprechen im Winter Enten und Blässhühner reiche Beute.

Geht alles gut, beginnt das erfüllte Habichtjahr im Januar mit der Revierbesetzung durch das Männchen erneut. Wird der Habicht nicht vom Menschen verfolgt, sind die Chancen dazu gut. Wie gut, zeigt sich in Berlin. Dort ist der Habicht inzwischen vom scheuen Waldvogel zum Städter geworden, die Besiedlungsdichte ist rekordverdächtig. Und dies, weil das Nahrungsangebot stimmt, weil alte Bäume da sind und weil dem Habicht hier seit Jahrzehnten nicht nachgestellt wird. Das ist leider auch 2015 noch nicht selbstverständlich und deshalb hat der NABU den Habicht zum Vogel des Jahres gewählt.

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BÜCHER

Stadtvogel Habicht

Die Welt des Habichts ist in Bewegung. Immer öfter besiedelt er gut durchgrünte, baumreiche Städte, allen voran Berlin. Basierend auf ihren jahrzehntelangen Erfahrungen haben Berliner Habichtkundler nun eine Artmonografie verfasst, die durch die fundierte Beschreibung der Biologie des Vogels ebenso besticht wie durch die üppige Bebilderung. Erstaunlich, dass es bisher noch kein Habichtbuch dieser Art gab. Auch für Einsteiger bestens geeignet.

Lutz Artmann, Norbert Kenntner, Christian Neumann und Stefan Schlegl: Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner. - 144 Seiten. 19,90 Euro. Oertel und Spörer 2015. ISBN 978-3-88627-899-2.


Auf Habichtsuche

Conor Jameson, Mitarbeiter des NABU-Partners RSPB in Großbritannien, begibt sich auf die Suche nach dem Habicht. Wer des Englischen mächtig ist, kann ihn auf dieser literarischen Spurenlese begleiten. Als Jugendlicher durch den Anblick eines ausgestopften Habichts fasziniert, besucht er Zeitzeugen und Experten, um herauszufinden, warum die Art auf der Insel ausstarb und sie heute nur sehr langsam wiederbesiedelt. Dabei besucht er auch Berlin und Köln, wo der sonst so scheue Waldbewohner auf Spielplätzen und in Vorgärten brütet.

Das Kapitel über die Habichte in Berlin brachte Jameson in England den Titel des "BBC Nature Writer of the Year" ein und öffnet uns die Augen, was für einen Schatz unsere Städte mit dem aktuellen Vogel des Jahres beherbergen.

Conor Mark Jameson: Looking for the Goshawk. - 368 Seiten. Gebunden 25 Euro, als Taschenbuch 12 Euro. A & C Black 2013. ISBN 978-1408164877.


Nachbar Habicht

Als er seine Großeltern besucht, entdeckt Finn zufällig ein großes Vogelnest, das sich als Habichthorst entpuppt. Der Junge ist begeistert von den pfeilschnellen Greifvögeln. Was für ein Glück, dass Opa einen Hochsitz kennt, von dem aus beide prima beobachten können, was sich tut bei Familie Habicht!

Klaus Ruge vom NABU-Bundesfachausschuss Umweltbildung hat eine packende Geschichte für Kinder geschrieben, die mit zahlreichen faszinierenden Bildern das Leben des Habichts gibt.

Klaus Ruge: Unsere Nachbarn, Familie Habicht. - Erscheint im Frühjahr im Natur- und Tier-Verlag. Preis 12,80 Euro. ISBN 978-3-86659-273-5,


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Auch ein Habicht hat mal Durst. Hier kommt ein Jungvogel ("Rothabicht") an die Tränke.
- Die jungen Habichte wachsen rasch heran. schon im Alter von sechs Wochen unternehmen sie als "Ästlinge" erste Ausflüge.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/15, Seite 8-11
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
Internet: www.nabu.de/nabu/nh
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
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des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2015

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