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GEFAHR/009: Brandsatz Fukushima - von Kontrolle keine Rede ... (SB)


Tödliche Strahlung

Betreibergesellschaft TEPCO mißt außerhalb eines Reaktors des havarierten Akw Fukushima Daiichi extrem hohe Strahlenwerte

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Noch immer weiß niemand, wo genau sich jene Corium genannten, stark radioaktiven Klumpen aus zusammengeschmolzenen Brennelementen und anderen Materialien der havarierten Reaktoren des Akw Fukushima Daiichi befinden. Möglicherweise haben sie sich durch den Betonboden durchgeschmolzen. Niemand gelangt in ihre Nähe, selbst robotische Systeme versagen auf ihrem Weg zu ihnen. Doch die Regierung, die eine Politik der Beschwichtigung betreibt, erteilt seit vergangenem Monat einem Reaktor nach dem anderen die Freigabe, als habe sie alles unter Kontrolle.

Japan hatte sämtliche Akws vom Netz genommen, um sie einem Streßtest zu unterziehen, nachdem etwas eingetreten war, was als nahezu ausgeschlossen galt: Aufgrund eines Seebebens vor der Küste und einem vierzehn Meter hohen Tsunami waren am 11. März 2011 sowohl die Strom- als auch die Notstromversorgungen des Akw Fukushima Daiichi zusammengebrochen. Daraufhin setzte in drei der sechs Reaktoren die Kernschmelze ein. In den folgenden Tagen ereigneten sich drei Wasserstoffexplosionen, durch die es zu einer massiven Freisetzung von Radionukliden kam. Ein Abklingbecken mit teilweise heißen Brennstäben geriet in Brand, wodurch ebenfalls radioaktive Substanzen in die Umwelt gelangten.

Nun berichtet die "Japan Times", daß außerhalb des Reaktordruckbehälters des Reaktors 1 des Akw Fukushima Daiichi an einer Rohrverbindung, die zum Reaktor 2 führt, radioaktive Strahlung von bis zu 9,4 Sievert pro Stunde gemessen worden ist. Eine 45minütige Exposition mit diesem hohen Strahlenwert gilt als tödlich. [1]

Festgestellt wurden die hohen Strahlenwerte, die auch bei kürzerer Expositionszeit Schädigungen hervorrufen können, bereits bei Messungen zwischen dem 4. und 25. September 2015, aber die Akw-Betreibergesellschaft TEPCO hat diese schlechte Nachricht nicht der Öffentlichkeit bekanntgegeben - im Unterschied zu vermeintlichen Erfolgsmeldungen wie die, daß nun eine tief in den Boden reichende Betonsperre am Hafenbecken verhindert, daß weiterhin täglich 300 Tonnen radioaktiv kontaminiertes Grundwasser ins Meer fließen. Laut offizieller Darstellung wird der größte Teil des nach wie vor radioaktiv verstrahlten Grundwassers mittels mehrerer landseitiger Brunnen vor der Betonsperre abgepumpt, von Radionukliden gereinigt und dann erst ins Meer geleitet.

Bereits im Juni dieses Jahres muß TEPCO gewußt haben, daß an der besagten Stelle eine starke Strahlenquelle existiert, meldete die Website Fukuleaks. [2] Da aber der Bereich des Meßgeräts nicht über 1 Sievert hinausgegangen sei, habe man nur einen Wert von 999,9 Millisievert/Stunde registriert und somit nicht gewußt, was dort los war.

Vielleicht wollte man es auch damals nicht so genau wissen. Allem Anschein nach ist TEPCO von seiner taktisch-strategischen Öffentlichkeitsarbeit keinen Deut abgerückt. Wenn es dem Unternehmen nicht paßt, hält es unliebsame Nachrichten so lange zurück - offiziell war man mit der Auswertung der Daten befaßt -, bis sich entweder die Vertuschung nicht mehr aufrechterhalten läßt oder bis sie mit gleichzeitig lancierten "Erfolgsmeldungen" verdaulich gemacht werden können.

Die hohen Strahlenwerte außerhalb des Reaktorkessels stehen den Dekontaminationsarbeiten im Wege. Wie in der Vergangenheit wird TEPCO hierfür auch Kontraktarbeiter einsetzen und dabei aller Voraussicht nach regelrecht verbrauchen. Das heißt, die Arbeiter, die in den stark verstrahlten Bereichen tätig sind, würden abgezogen, wenn sie "zuviel" Strahlung erhielten. In der Vergangenheit wurden allerdings die Grenzwerte schon mal überschritten, da die Arbeiter durch ihre Vorgesetzten angehalten wurden, ihre Dosimeter mit Blei abzuschirmen. Dadurch ließ sich die zulässige Arbeitszeit verlängern. [3] Es ist wohl bloßes Wunschdenken, anzunehmen, daß solche gesundheitlich ruinösen Anweisungen inzwischen ausgeschlossen sind.

Vor kurzem teilte die japanische Regierung mit, daß 38 Prozent von rund 3000 Soldaten, Feuerwehrleuten und Polizisten, die zwischen dem 12. und 31. März 2011 bei der Evakuierung von Einwohnern in einem 20-Kilometer-Radius um das Akw Fukushima Daiichi herum geholfen haben, Strahlungswerten von über der zulässigen Jahresdosis von 1 Millisievert ausgesetzt waren; bei 5 Prozent dieser Personengruppe lagen die Werte sogar zwischen 5 bis 10 Millisievert. [4]

In fünf Jahren sollen die Olympischen Sommerspiele in Japan ausgetragen werden. Seit Beginn der Nuklearkatastrophe ist schon fast die Hälfte der Zeit bis zu dem Termin verstrichen, aber wesentliche Bereiche des Akw Fukushima Daiichi sind bis heute aufgrund der starken Strahlung vollkommen unzugänglich. Die japanische Regierung hat inzwischen die Medien unter Kontrolle gebracht, indem sie ihnen einen Maulkorb verpaßt hat, aber ganz sicher nicht die dreifache Kernschmelze in dem havarierten Akw Fukushima Daiichi.


Fußnoten:

[1] http://www.japantimes.co.jp/news/2015/10/30/national/deadly-9-4-sieverts-detected-outside-fukushima-reactor-2-containment-vessel-checks-stop/#.VjOkaHwvfF0

[2] http://www.fukuleaks.org/web/?p=15132

[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/akw-fukushima-arbeiter-sollen-dosimeter-manipuliert-haben-a-845688.html

[4] http://www.aerztezeitung.de/panorama/k_specials/japan/article/897525/fukushima-soldaten-evakuierung-verstrahlt.html

1. November 2015


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