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GEFAHR/019: Brandsatz Fukushima - Keine Umleitung für Wasser- und Sturmschäden ... (SB)


Wirbelsturm "Lionrock" nähert sich Standort des Akw Fukushima Daiichi

Behörden warnen die Bevölkerung vor schwerem Sturm

Premierminister Shinzo Abe bricht Auslandsreise vorzeitig ab

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Es lag nicht in der Hand des Menschen, daß in Folge der Zerstörung des Akw Fukushima Daiichi am 11. März 2011 nicht auch noch der Großraum Tokio vollständig und dauerhaft radioaktiv verstrahlt wurde. Zwar hatte der Wind radioaktive Fahnen in alle Himmelsrichtungen verteilt, aber die rund 240 Kilometer südlich des havarierten Akw gelegene Hauptstadt wurde nur über eine vergleichsweise kurze Zeitspanne getroffen. Deutlich mehr radioaktiver Niederschlag ging in der Provinz Fukushima herunter, und mit Abstand am meisten Strahlenpartikel mußte der Pazifische Ozean aufnehmen. Das Schadensausmaß war ausschließlich vom Wind abhängig, der wochenlang vom Land in Richtung Meer wehte.

Hätte der Großraum Tokio evakuiert werden müssen, hätte das nicht nur in Japan, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus eine schwere wirtschaftliche Krise ausgelöst, mit unabsehbaren sozioökonomischen Konsequenzen für große Teile der Weltbevölkerung. Die Tsunami-Katastrophe an sich war schon folgenschwer genug, doch durch das zerstörte Atomkraftwerk hat die gesundheitliche Schädigung der Bevölkerung erheblich zugenommen. So weisen Kinder und Jugendliche in der Provinz Fukushima eine signifikant höhere Rate an Schilddrüsenkrebs auf als der Landesdurchschnitt. Darüber hinaus sind noch immer große Teile der Wälder auch außerhalb der eigentlichen Sperrzone rund um das zerstörte Akw radioaktiv kontaminiert.

Aktuell befindet sich die Ruine des Akw Fukushima Daiichi erneut im Fadenkreuz. Der Taifun "Lionrock" nähert sich vom Pazifischen Ozean kommend dem japanischen Festland, das er voraussichtlich am Dienstagmorgen Ortszeit erreichen wird. Wo genau er schlußendlich eintrifft, entzieht sich der Berechenbarkeit, allzu sprunghaft verhalten sich Taifune. So hat "Lionrock", der in der Philippinischen See entstand und schon seit mehr als zehn Tagen intensiv beobachtet wird, bereits mehrmals radikale Schwenks um bis zu 180 Grad vollzogen. Doch nach allem, was die Meteorologen bis Montag absehen konnten, wird das Sturmzentrum nur 100 Kilometer vom Akw Fukushima Daiichi entfernt aufs Land treffen. [1]

Japans Premierminister Shinzo Abe hält die Lage offenbar für so brisant, daß er seinen Aufenthalt in Kenia vorzeitig beendet hat und zurückgeflogen ist. Seine Regierung hat die Bevölkerung vor den starken Winden, hohen Wellen und über die Ufer tretenden Flüssen sowie vor Hangrutschungen gewarnt.


Karte Japans und des Pazifiks mit Drei-Tage-Vorhersage des möglichen Taifunkurses - Karte: © Japan Meteorological Agency

Voraussichtlicher Kurs des Taifuns "Lionrock". Stand: 29. August, 18.00 Uhr Ortszeit.
Karte: © Japan Meteorological Agency

Doch selbst wenn "Lionrock" vollkommen an dem Nuklearkomplex mit seinen vier weitgehend zerstörten Meilern und noch immer unkontrolliert ablaufenden Kernschmelzen vorbeiziehen würde, änderte das nichts an der prinzipiellen Bedrohungslage. Denn nach dem Taifun ist vor dem Taifun - der nächste Wirbelsturm kommt bestimmt. Zwar wurde die Region Sendai auf der Insel Honshu, wo das Akw Fukushima Daiichi errichtet wurde, zuletzt 1951 direkt von einem Wirbelsturm getroffen, aber selbst die Ausläufer vorbeiziehender Stürme haben Fukushima schon häufiger sintflutartige Regenfälle beschert.

Angesichts dessen, daß fünf Jahre nach Beginn der Nuklearkatastrophe noch immer außerhalb der zerstörten Gebäude hohe Strahlenwerte gemessen werden, können Behauptungen unter anderem Abes, daß die Lage in Fukushima unter Kontrolle sei, nur als bloße Propaganda gedeutet werden. Sollte das Akw-Gelände von "Lionrock" getroffen werden, würden über das "normale" Maß hinaus radioaktive Partikel abgetragen, so daß diese bereits dekontaminierte Flächen erneut verseuchen oder ins Meer gespült werden - zusätzlich zu den mehreren hundert Tonnen verstrahlten Grundwassers, die täglich durch die zerstörten Fundamente in die Meiler eindringen, dort Radioaktivität aufnehmen und weiter ins Meer fließen. Es war offenbar keine sonderlich gute Idee, ein Akw ausgerechnet auf einem unterirdischen Fluß zu errichten ...

Auf dem Gelände des Akw Fukushima hat der Energiekonzern TEPCO (Tokyo Electric Power Company) mittlerweile über 1100 Tanks errichtet, in denen das verstrahlte Wasser, mit dem der geschmolzene Kernbrennstoff aus mehreren Meilern gekühlt werden muß, gelagert wird. Aus Platzgründen werden auch die bisherigen Lücken im Gelände mit Tanks aufgefüllt, so daß sie an vielen Stellen fast dicht an dicht stehen. Diese Tanks üben eine starke Gewichtsbelastung auf den Untergrund aus. Das Gelände ist jedoch abschüssig, so daß die schweren Regenfälle, die ein Taifun wie "Lionrock" mit sich bringt, die Basis der Tanks aufweichen könnten. Sollte ein Tank ins Rutschen kommen und aufbrechen, könnte das einen Kaskadeneffekt erzeugen, bei dem weitere Tanks mitgerissen werden. Ähnliches gilt auch beim Auftreten eines Erdbebens.

Der Taifun "Lionrock" hat sich von der Kategorie 4 auf Kategorie 1 der 5-stufigen Saphir-Simson-Skala abgeschwächt. Das bedeutet allerdings immer noch, daß Windgeschwindigkeiten von über 150 Stundenkilometer auftreten können. Die Betreibergesellschaft hat verschiedene Maßnahmen zum provisorischen Schutz des beschädigten Akws gegen den Sturm getroffen. Umsturzgefährdet sind unter anderem die Kräne auf dem Gelände, und daß zur Zeit das Dach des havarierten Reaktors 1 wegen der Aufräumarbeiten freiliegt, so daß der radioaktive Staub und Schutt abgetragen werden könnten, erhöht die Gefahr der Strahlenausbreitung.

Schwere Regenfälle haben auch Einfluß auf die Grundwasserdynamik. Durch sie erhöht sich der unterirdische Wasserdruck, der sowohl auf die zerrütteten Fundamente der Gebäude einwirkt als auch auf die sowieso offiziell für gescheitert erklärte künstliche Eisbarriere, die zur Eindämmung des Grundwasserstroms errichtet wurde. Und die Sturmflut, die auf die Küste trifft und wahrscheinlich ein bis zwei Meter höhere Wellen mitbringt, verstärkt gleichfalls das Gefahrenpotential. Es wäre nicht das erste Mal, daß bei einem Unwetter weitere Radioaktivität ins Meer gespült wird.

Besonders sturmgefährdet sind auch die Millionen Plastiksäcke, in denen verstrahltes Erdreich, Schutt, Blätter und andere Pflanzenreste sowie Hausrat gelagert werden und die Wind und Wetter ausgesetzt sind. Die Säcke könnten aufreißen, so daß ihr radioaktiver Inhalt wieder in die Umwelt gelangt und verteilt wird. Auch dazu gibt es Beispiele aus der Vergangenheit.

Wo auch immer der Taifun auf die Küste trifft, es liegt genausowenig in menschlicher Hand, das zu bestimmen, wie vor fünf Jahren die Richtung des Winds, der den radioaktiven Fallout hauptsächlich seewärts getrieben hat. Mit "Lionrock" verhält es sich genauso, als würde ein Asteroid entdeckt, der Kurs auf die Erde nimmt und entweder einschlägt oder knapp vorbeifliegt. Ein Treffer würde sich nicht vermeiden lassen - aber die Kernkraftwerke, die könnten abgeschaltet und somit deren Bedrohungspotential beseitigt werden.


Drei Arbeiter hieven per Kran einen großen schwarzen Plastiksack in das mehrschichtige Lager mit Müllsäcken - Foto: © Ricardo Herrgott (GLOBAL 2000), freigegeben als CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/] via Flickr

Besuch der Umweltorganisation GLOBAL 2000 in einem behelfsweise eingerichteten Lager für radioaktiven Abfall am 14. Dezember 2011.
Foto: © Ricardo Herrgott (GLOBAL 2000), freigegeben als CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/] via Flickr


Fußnote:

[1] http://www.bloomberg.com/news/articles/2016-08-29/typhoon-lionrock-set-to-hit-japan-prompting-early-abe-return-isfhwsp9

29. August 2016


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