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GEFAHR/028: Brandsatz Fukushima - die letzte Barriere ... (SB)




Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Die Bemühungen der japanischen Regierung und ihrer atomenergiefreundlichen ausländischen Verbündeten, nach dem Dreifach-GAU im Atomkraftwerk Fukushima vom 11. März 2011 den Eindruck von Normalität zu erzeugen, tragen zwar im allgemeinen Früchte, doch ist es noch nicht gelungen, sämtliche Unwuchten zu beseitigen. Widerspruch regt sich unter anderem im Europäischen Parlament, nachdem zunächst die EU-Kommission einen Plan vorgelegt hatte, wonach Reis und verschiedene Fischarten von der Liste der aus Japan importierten Waren, die einer besonderen Radioaktivitätsüberprüfung bedürfen, gestrichen werden sollen. Begründet wurde der Vorschlag mit einer angeblich umfassenden Analyse der Daten zur radioaktiven Belastung von Probenmaterial.

Doch der Ausschuß für Lebensmittelsicherheit des Europaparlaments hat nun eine Resolution eingebracht, in der die EU-Kommission aufgefordert wird, ihren Entwurf zurückzuziehen und bis Ende des Jahres neu zu schreiben. Wie die englischsprachige Ausgabe der Website EUobserver am 7. September berichtete, heißt es in der Resolution, es gebe hinreichend Gründe anzunehmen, daß eine Lockerung der Importbeschränkungen das Risiko erhöht, mit radioaktiv kontaminierten Lebensmitteln und damit einhergehend gesundheitlichen Folgen belastet zu werden. Die EU-Abgeordnete Christel Schaldemose aus Dänemark sagte gegenüber EUobserver, daß importierte Lebensmittel aus Japan mit Vorsicht zu genießen seien: "Wir würden uns vollständig auf Daten von der japanischen Seite verlassen. Ich würde nicht behaupten, daß wir diesen nicht trauen können, aber es lohnt sich, eigene Prüfungen durchzuführen."

Dagegen ist die britische EU-Parlamentarierin Julie Girling überzeugt davon, daß die europäischen Konsumenten hervorragend geschützt sind und die Resolution nur unberechtigte Ängste auslöst. Das Dokument sei voller Unwahrheiten, meinte Girling, und verglich es mit der Verbreitung alternativer Fakten à la Trump.

Der politische Hintergrund des EU-Kommissionsvorstoßes ist offensichtlich das geplante Freihandelsabkommen zwischen Japan und der Europäischen Union. Hatte doch im Juli auf dem EU-Japan-Gipfel EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem japanischen Premierminister Shinzo Abe zugesagt, daß die Importbeschränkungen für Produkte aus seinem Land gelockert werden. Diese Linie wurde auch bei den weiteren Verhandlungen zum Freihandelsabkommen, auf das sich beide Seiten bereits im Grundsatz geeinigt haben, beibehalten.

Hier verkommt Verbraucherschutz zur Verhandlungsmasse. Das überrascht allerdings nicht, haben doch bereits die Verhandlungen der EU mit Kanada zum Freihandelsabkommen CETA und mit den USA zu TTIP gezeigt, daß eine der Hauptfunktionen solcher Verträge darin besteht, alles, was der Industrie Schranken auferlegen könnte, zu beseitigen. Da sollen dann Umwelt-, Sozial- und Arbeitsschutzstandards geschliffen sowie öffentliches Eigentum an Privatunternehmen verscherbelt werden, damit sie Profite mit Dienstleistungen machen, für die zuvor der Staat zuständig war.

Die Bedenken des EU-Ausschusses für Verbraucherschutz hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit von Importen aus Japan sind nachvollziehbar. In den zurückliegenden sechs Jahren hat die japanische Regierung in Kooperation mit dem Akw-Betreiber TEPCO und unterstützt von den weitgehend gleichgeschalteten, da mit den Energiekonzernen verwobenen Fernsehsendern einiges unternommen, um die Bevölkerung über das Ausmaß der radioaktiven Verstrahlung zu täuschen. Sei es kurz nach Beginn der Katastrophe, indem Meßgeräte, die unerwünscht hohe Radioaktivitätswerte angezeigt haben, durch Geräte ersetzt wurden, bei denen der Sensor von mehreren Seiten durch Bleiakkus abgeschirmt ist, sei es aktuell durch die Streichung finanzieller Unterstützung der Evakuierten, damit sie in die freigegebenen Sperrgebiete rund um das Akw Fukushima-Daiichi zurückkehren, obgleich dort die Dekontamination allenfalls oberflächlich betrieben wurde, oder sei es durch die Ausstattung von Akw-Arbeitern mit Meßgeräten, die eine obere Begrenzung besaßen und gar nicht dafür ausgelegt waren, die tatsächliche Höhe der Strahlenbelastung am havarierten Akw Fukushima zu erfassen.

Wenn nun demnächst Fisch und andere Meerestiere aus Japan in die Europäische Union ausgeführt werden und hier gar nicht mehr nachgemessen wird, dann kann es zwar sein, daß die Angaben der japanischen Exporteure zutreffen, aber trotzdem stärker kontaminierter Fisch in die EU gelangt, als man es sich hierzulande wünschen sollte. Denn es kann niemals jeder einzelne Fisch, der aus Japan ausgeführt werden soll, von Kopf bis zur Schwanzflosse ausgemessen werden. Stichproben schützen jedoch nicht den einzelnen vor einer radioaktiven Belastung, sondern machen den Fischverzehr zu einem statistisch vielleicht harmlosen, individuell jedoch im Zweifelsfall verhängnisvollen Unterfangen.

Noch immer strömt Grundwasser von den Bergen kommend unter dem zerstörten Akw Fukushima-Daiichi hindurch, vermischt sich dabei mit dem aus dem brüchigen Fundament quellenden Löschwasser, das nach wie vor von oben in die havarierten Meiler gepumpt werden muß, und dringt, nun radioaktiv belastet, durch den Meeresboden in den Pazifischen Ozean. Schätzungen zufolge kommen so jeden Tag mehrere hundert Tonnen verstrahltes Wasser hinzu.

Ein Teil des Löschwassers wird aus den havarierten Reaktoren wieder abgepumpt, durchläuft eine Dekontaminationsanlage, die den Angaben des Betreiberunternehmens zufolge alle radioaktiven Substanzen bis auf Tritium herausfiltert, und wird dann in Tanks auf dem Akw-Gelände gelagert. Vor wenigen Monaten hat TEPCO seine Absicht bekanntgegeben, daß es aus diesen Tanks 770.000 Tonnen tritiumhaltiges Wasser ins Meer leiten will. Die örtlichen Fischer sind von diesen Plänen ganz und gar nicht begeistert.

Tritiumfreisetzungen stellen nicht nur in Japan ein Problem vor allem der älteren Akws dar. In der Regel werden die Akw-Betreiber verpflichtet, darauf zu achten, daß möglichst kein Tritium ins Grundwasser, vor allem aber nicht ins Trinkwasser gelangt. Allein diese Verpflichtung zeigt, daß das Wasserstoffisotop Tritium nicht harmlos ist, falls es eines Tages ins Meer gepumpt wird.

Sollte die EU ihre Importbeschränkungen aufheben und sich fortan komplett auf die Ergebnisse der Radioaktivitätsmessungen der japanischen Behörden verlassen, setzt sie darauf, daß der Bock einen recht passablen Gärtner abgibt. Mit anderen Worten, sie berücksichtigt nicht oder schätzt es nicht als Risiko ein, daß sie es hier mit einem Interessenkonflikt seitens der japanischen Regierung zu tun hat. Dieser ist sehr daran gelegen, daß Waren aus Fukushima auch ins Ausland verkauft werden. Schließlich sollen im Sommer 2020 die Olympischen Sommerspiele in Japan - unter anderem auch in der Provinz Fukushima - ausgetragen werden. The Show must go on.

8. September 2017


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