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GEFAHR/029: Brandsatz Fukushima - und sie bewegt sich doch ... (SB)


Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Die Küste Japans ist stärker radioaktiv verstrahlt als bislang angenommen. Bei Bohrungen an acht Strandabschnitten, die bis zu 100 Kilometer vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt liegen, hat eine amerikanisch-japanische Forschergruppe höhere Cäsium-137-Werte nachgewiesen, als sie heute in dem unmittelbar vor dem Akw liegenden Hafenbecken registriert werden.

Wie bekannt und hinlänglich beschrieben, wurden in den Wochen und Monaten nach Beginn der Fukushima-Katastrophe am 11. März 2011 besonders große Mengen an Radionukliden sowohl über das Grund- und Oberflächenwasser als auch den Fallout in den Pazifischen Ozean eingetragen, und zwar vorwiegend in küstennahe Gewässer. Diese Strahlenpartikel wurden mit der Strömung entlang der japanischen Küste weit davongetragen und mit der Brandung und dem Tidenhub an die Strände geschwemmt. Dort sind die Radionuklide versickert und haben sich im Brackwasser, das ist die Vermischungszone zwischen dem landseitigen Süß- und dem meerseitigen Salzwasser, an die Sandkörner geheftet.

Nun werden die Radionuklide unter dem Einfluß des Meerwassers nach und nach wieder von ihrer Bindung gelöst und ans Meer abgegeben, berichteten Virginie Sanial, Ken Buesseler und Matthew Charette von der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA und Seiya Nagao von der Universität von Kanazawa in den Proceedings of the National Academy of Sciences. [1]

"Niemand hat erwartet, daß heute die höchsten Cäsium-Konzentrationen des Meerwassers nicht im Hafen des Akw Fukushima Daiichi gefunden werden, sondern im Grundwasser der Sandstrände viele Kilometer entfernt", sagte Sanial in einer Pressemitteilung der Woods Hole Oceanographic Institution. [2] Sowohl die radioaktiven Einleitungen aus dem Akw als auch aus den Flüssen ins Meer seien gut überwacht, heißt es in dem Bericht. Doch daß mit den Stränden eine genauso große Quelle an Radionukliden besteht, habe man bisher nicht gewußt.

Die Strahlenpartikel wurden zwischen Mai 2013 und November 2016 bei verschiedenen Bohrungen in 90 bis 210 cm Tiefe nachgewiesen. Allein bei drei Messungen wurden radioaktive Belastungen des Brackwassers festgestellt, die über dem Grenzwert für Trinkwasser in Japan liegen. Dennoch erklärte die Forschergruppe, daß die Strahlung gegenwärtig kein öffentliches Gesundheitsproblem darstelle, weil niemand das Brackwasser trinke oder mit ihm in Berührung komme.

Es sei denn, man geht im Meer schwimmen oder baut eine Sandburg, möchte man ergänzen. Denn erstens sind die Strahlenpartikel ja auch mit dem Meerwasser von oben nach unten in die Sandstrände eingespült worden, zweitens werden sie nun offenbar entlang der Küste wieder ins Meer geschwemmt und drittens waren einige Bohrungen der Forschergruppe nur wenige Dezimeter tief und damit durchaus im Bereich, in dem Menschen ihrer Freizeitbeschäftigung des Sandburgenbaus nachgehen. Möglicherweise nicht an jenen acht Strandabschnitten, an denen die Bohrungen niedergebracht wurden, aber wer wollte ausschließen, daß radioaktives Cäsium auch in den höheren Schichten der beliebten Urlaubsstrände Ostjapans abgeladen wurde und durch menschliche Aktivitäten wieder ans Tageslicht geholt wird.

Die radioaktiven Einleitungen aus heutigen Quellen - dem Akw, den Flüssen und Stränden - betragen nicht einmal ein Tausendstel dessen, was in der ersten Zeit nach der Zerstörung des Akw Fukushima Daiichi durch zunächst ein Erdbeben und anschließend einen Tsunami an Radioaktivität ins Meer gelangt ist. Allerdings hat Cäsium 137 eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren, was bedeutet, daß nach nunmehr sechs Jahren seit der Havarie statistisch lediglich ein Fünftel davon zerfallen ist. Die Meßwerte erscheinen deshalb vergleichsweise gering, weil die Radionuklide über eine große Fläche verteilt wurden und heute noch werden. Die Kontamination des Pazifiks hält jedoch nach wie vor an. Wie zu erwarten, findet die Verteilung nicht gleichmäßig statt. Es kommt zu Aufkonzentrationen, aber daß dies ausgerechnet an den Sandstränden geschieht, widerspricht den Beschwichtigungsbemühungen der Regierung Japans, das in drei Jahren die Olympischen Sommerspiele ausrichtet und sich als sauberes Land präsentieren will.

Daß unmittelbar im Hafenbecken des Akw Fukushima Daiichi inzwischen nicht mehr so hohe Strahlenwerte wie einst registriert werden, bedeutet nicht, daß die Anlage keine Radionuklide mehr in die Umwelt entläßt, sondern daß man das Hafenbecken relativ gut mit einer Stahlspundwand zum Land hin abgedichtet hat. Das verstrahlte Grundwasser läuft nun entweder seitlich an der Stahlspundwand vorbei ins Meer oder wird zuvor aus Brunnen zwischen Hafenbecken und Akw abgepumpt, um es zu lagern und schließlich durch eine Dekontaminationsanlage laufen zu lassen. Angeblich ist diese so leistungsfähig, daß sie alle Radionuklide aus dem Wasser herausfiltert - mit Ausnahme von Tritium. Das will die Akw-Betreibergesellschaft Tepco ins Meer einleiten.

Die Entdeckung der Cäsium-Kontamination des Brackwassers unter den Stränden Japans zeigt, daß die Erwartung, die Radionuklide würden sich in dem gewaltigen Wasserkörper des Pazifischen Ozeans so verteilen, daß von ihnen keine Gesundheitsgefahr ausgeht, ein Irrtum ist.


Fußnoten:


[1] http://www.pnas.org/content/early/2017/09/26/1708659114.full.pdf

[2] http://www.whoi.edu/news-release/scientists-find-new-source-of-radioactivity-from-fukushima-disaster


3. Oktober 2017


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