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DEBATTE/054: Lokale Zukunftsfähigkeit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Lokale Zukunftsfähigkeit
Was heißt nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene?

von Christine Pohl



Mit der Debatte um eine globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda nach 2015 sollen Lösungen für die multiplen Krisen gefunden werden: Hunger und Armut, Klimawandel, Umweltverschmutzung und Ressourcenverknappung. Dafür ist jedoch eine umfassende Transformation unseres gegenwärtigen Wirtschafts- und Konsummodells sowie die Entwicklung von lokal angepassten Strategien notwendig - denn globale Zukunftsfähigkeit hängt von den Beiträgen jeder einzelnen Region ab.


Auf globaler Ebene wird derzeit über die Prioritäten und Strategien für eine zukünftige Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 diskutiert. Gleichzeitig sollen globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals - SDGs) formuliert werden und entsprechend Einfluss finden. Diese Debatte bietet die Chance für Diskussionen über planetarische Grenzen, neue Definitionen von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt sowie globale Gerechtigkeit und Solidarität.

Rhetorische Transformation
Bislang spricht allerdings wenig dafür, dass sich die internationale Staatengemeinschaft in diese Richtung bewegt. Zwar rufen sowohl der Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon zur Post-2015-Entwicklungsagenda als auch die Zwischenberichte zur Formulierung der SDGs angesichts der multiplen globalen Krisen zu einer umfassenden Transformation auf. Dies bleibt jedoch rein rhetorisch - auf Ebene der Details und Lösungsvorschläge sucht man die »große Transformation« vergeblich. Statt einer fundamentalen Veränderung von Produktions-, Konsum- und Denkmustern bleibt der Fokus auf inklusivem, grünem Wachstum, ohne die Frage nach der ökologischen Tragfähigkeit dieses Modells ernsthaft zu stellen. Grenzenloses Wirtschaftswachstum ohne kontinuierlich steigenden Gesamtressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung ist jedoch bislang nicht in Sicht und auch in Zukunft unwahrscheinlich.

Ernährung jenseits des Wachstumsparadigmas?
Wie aber könnte eine umfassende Transformation hin zu einem System jenseits des Wachstumsparadigmas ganz konkret bei uns in Deutschland aussehen? Ob ein neues globales Rahmenwerk menschenwürdiges Leben innerhalb der planetarischen Grenzen ermöglichen kann, hängt schließlich maßgeblich von den Aktivitäten auf nationalstaatlicher Ebene ab. Deutschland kommt dabei wie den meisten Industriestaaten eine besondere Verantwortung zu: unser ökologischer Fußabdruck ist immens, und wie wir hier leben und konsumieren hat globale Auswirkungen.

INKOTA stellt die Frage der lokalen Verantwortung insbesondere für unser Ernährungssystem. Dies beruht gegenwärtig auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen weltweit, verursacht ein hohes Maß an Emissionen und Umweltverschmutzung und verletzt Menschen- und Arbeitsrechte vor allem im globalen Süden. Wie aber kann ein zukunftsfähiges Ernährungssystem aussehen, dass allen Menschen Zugang zu ausreichend gesunden Lebensmitteln garantiert - hier und global, heute und für zukünftige Generationen?

Lokal angepasste Strategien
Darauf gibt es nicht nur eine Antwort - denn Strategien für eine zukunftsfähige Welt müssen lokal angepasst sein. Gerade im Ernährungsbereich gibt es hier bereits viele Initiativen, die den Weg in eine lokale, solidarische und menschliche Ökonomie praktisch vorleben. Ökologischer Anbau auf stadtnahen und innerstädtischen Flächen verringert den Ressourceneinsatz für Maschinen, Chemikalien und Transport und die damit verbundenen Emissionen. Zudem lösen sich viele Initiativen wie zum Beispiel Stadtgärten und solidarische Landwirtschaftsprojekte durch Eigenarbeit vom Zwang zur Lohnarbeit, sind nicht auf Wirtschaftswachstum angewiesen und fördern ganz nebenbei das subjektive Wohlbefinden der Beteiligten.

Auch für den Handel und die Weiterverarbeitung von Nahrungsmitteln gibt es Projekte, die sich jenseits der Wachstumslogik verorten. Handelskollektive bauen direkte Kontakte mit KleinstproduzentInnen im globalen Süden auf und sorgen dafür, dass Kaffee und Zitrusfrüchte tatsächlich fair bezahlt werden. Kleine Vertriebs- und Einkaufskooperativen unterstützen regionale und ökologische Produktionsgemeinschaften und bauen auf direkte Kontakte mit KonsumentInnen. Und nicht zuletzt entstehen immer mehr Projekte, die sich gegen die massive Verschwendung von Lebensmitteln einsetzen.

INKOTA unterstützt solche Initiativen und informiert regelmäßig mit Veranstaltungen und Informationsmaterialien über die Rolle, die sie bei der Erreichung internationaler Nachhaltigkeitsziele spielen können. Wir bringen verschiedene Akteure zusammen und entwickeln gemeinsam Visionen für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Auch das Engagement jedes Einzelnen ist wichtig: über die Teilnahme an Veranstaltungen und Prozessen zur Entwicklung neuer Visionen genauso wie über die praktische Beteiligung an einem Stadtgarten oder die Mitgliedschaft in einem solidarischen Landwirtschaftsprojekt. So stärken wir gemeinsam Alternativen, die auf lokaler Ebene praktische Lösungsansätze für globale Probleme entwickeln und können deren Berücksichtigung in der globalen Debatte um die Post-2015-Agenda einfordern. Denn nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene kann letztendlich nur durch die Beiträge jeder einzelnen Region Realität werden.


Autorin Christine Pohlist Referentin für zukunftsfähiges Wirtschaften beim INKOTA-netzwerk im Rahmen des Berliner Eine-Welt-Promotor/innenprogramms »Berlin entwickeln - für Eine Welt«

INKOTA berät Sie gerne über die Möglichkeiten des Engagements. Mehr Informationen finden Sie unter
www.inkota.de/zukunftsfaehigeswirtschaften.de


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 21
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2014