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ENERGIE/174: Chance auf atomfreie Welt - Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA) und wie sie helfen kann, sowohl Bombe als auch Reaktor zu verbieten

Von Alice Slater, Xanthe Hall


Forderungen, wie die von Obama und Medvedev, nukleare Waffen abzuschaffen und sich für eine atomfreie Welt einzusetzen, lassen die Welt neue Hoffnung schöpfen. Die Gründung einer internationalen Agentur für Erneuerbare Energien gibt uns nun die Möglichkeit, den Atomwaffensperrvertrag tatsächlich zu verwirklichen.


Im Januar gründeten Deutschland, Dänemark und Spanien die IRENA in Bonn. 75 Völker unterzeichneten das Gründungsstatut. IRENA ist nicht nur die Abkürzung für International Renewable Energy Agency, sondern auch das griechische Wort für Frieden. Ein besonders guter Name für diese vielsprechende Initiative, die im Wesentlichen vier Ziele verfolgt: die Verbreitung sicherer, sauberer und erneuerbarer Energien; die Nichtverbreitung von Kernwaffen; den Einsatz gegen den katastrophalen Klimawandel sowie die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Zugang zu freien, erneuerbaren Energieressourcen.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) entstand Ende der 50er Jahre und fördert die Atomenergie. Die Internationale Energieagentur (IEA) wurde in der Ölkrise der 70er gegründet, um die Versorgung mit fossilen Brennstoffen zu lenken. Die Gründung der IRENA ist also mehr als überfällig vor dem Hintergrund, dass die Welt mit einer doppelten Krise kämpft: auf der einen Seite die Verbreitung nuklearer Waffen und auf der anderen Seite die Erderwärmung.


IRENA möchte der Abhängigkeit von fossilen, nuklearen und ineffizienten traditionellen Biomasse-Energien eine Ende bereiten. Warum? Hier einige Argumente:

• Die Verbreitung von Atomenergie unterläuft die Anstrengungen, eine Weitergabe von Atomwaffen zu verhindern.

• Es besteht eine gesundheitlichen Gefährdung durch Atomenergie: neuere Studien beweisen, dass in der Nähe von Atomreaktoren Krebs, Leukämie und Geburtsschäden häufiger auftreten.

• Es gibt noch immer keine Lösung für die Lagerung von Atommüll, die Konsequenzen für die Biosphäre der Erde sind nach wie vor ungeklärt.

• Atomunternehmen auf der ganzen Welt haben mit Schulden und extremen Kosten bei Störfällen zu kämpfen - z.B. in Japan, wo ein Erdbeben sieben Reaktoren beschädigt hat.

• Die Atomenergie kann den Klimawandel nicht abmildern. Im Gegenteil. Die Finanzierung von nuklearer Energie verhindert Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Darüber hinaus ist die Atomenergie keineswegs CO2-neutral: für den Abbau und die Verarbeitung von Uran, sowie für die Stillegung von Reaktoren und die Entsorgung des radioaktiven Mülls werden fossile Brennstoffe verwendet; zudem sind die Reaktoren von einem meist mit Kohle gespeisten Stromnetz abhängig. Schließlich müssten, um die CO2-Emissionen signifikant verringern zu können und die notwendige Stilllegung älterer Reaktoren auszugleichen, in den nächsten 42 Jahren 1.070 neue Reaktoren gebaut werden. Das wären 25 Reaktoren jährlich! Aufgrund eines globalen Mangels an Kernreaktor-Komponenten wird man aber zumindest in den nächsten zehn Jahren nicht mehr als 10 Reaktoren pro Jahr errichten können.

• Die Beherrschung von Atomtechnologie ist kein Grund für nationalen Stolz. Diese Denke ist wahnwitzig und obsolet - ein Überbleibsel aus den 60er Jahren, als Atomenergie in den Industriestaaten entwickelt wurde und Wissenschaftler aus Entwicklungsländern im Rahmen des "Atoms for Peace" Programms in den USA, Russland und Europa fortgebildet wurden.

• Die nukleare Renaissance ist keine Lösung der Probleme, sondern nur ein Weiterreichen an die nächste Generation. Tatsächlich werden die Probleme sogar größer. Die enormen Kosten und Sicherheitsprobleme sind nach wie vor vorhanden. In den Industrieländern fehlen nun zudem Atom-Ingenieure.

• Diskriminierende Ansätze sind zum Scheitern verurteilt. Forderungen nach Kontrolle von ziviler Nutzung von Atomenergie wecken bei bisher atomfreien Ländern ein neues Interesse an der Nukleartechnologie. Eine hierarchische, zentral kontrollierte nukleare Apartheid wird zu einer neuer Klasse von "Habenichtsen" führen, denen man nie vertrauen wird, "friedliche" Kernreaktoren nicht zum Bomben-Bau umzunutzen. Eine atomenergiefreie Welt dagegen bräuchte keine gedachten oder geplanten Atombomben im Keller. Man könnte atomenergiefreie Länder unterstützen, diese antiquierte Technologie zu überspringen, und finanzielle sowie intellektuelle Ressourcen in saubere und sichere erneuerbare Energien zu investieren. So könnten man auch sie für die Abschaffung von Atomwaffen gewinnen.

• Atomenergie ist kein unveräußerliches Recht ! Im Atomwaffensperrvertrag ist zwar von einem unveräußerlichen Recht auf "friedliche" Atomtechnologie für die ratifizierenden Staaten die Rede, unveräußerliche Rechte sind aber im Allgemeinen z.B. das Recht auf Leben oder das Recht auf Freiheit. Wie passt friedliche Atomenergie da hinein? Artikel V des Atomwaffensperrvertrags, das Recht auf "friedliche Atomexplosionen", wurde mit der Unterzeichnung des umfassenden Verbots von Atomtests außer Kraft gesetzt. Mit einem Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das die Beteiligung an der neu gegründeten IRENA anordnet, könnte auf gleiche Weise Artikel IV, das Recht auf "friedliche" Nukleartechnologie, aufgehoben werden.


Erneuerbare Energien sind die Zukunft. Um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden, müssen wir jetzt bei unseren Energieinvestitionen kritische Entscheidungen treffen. Alle 30 Minuten erreicht soviel Sonnenenergie die Erdoberfläche, dass es den globalen Energiebedarf eines ganzen Jahres decken würde. Windkraft hat das Potenzial, die Elektrizitäts-Nachfrage der Welt 40 mal und den globalen Energiebedarf fünf mal zu decken. Geothermische Energie, gespeichert in den oberen zehn Kilometern der Erdkruste, enthält geschätzte 50.000 mal mehr Energie als die bekannten Öl- und Gasvorkommen. Wellen-, Gezeiten-, und Laufwasserkraft sind noch weitgehend unerschlossene, saubere Energieressourcen.

IRENA ist dazu bestimmt, Völkern bei der Entwicklung und Beteiligung an Forschung und Technologie zu unterstützen und damit reichlich vorhandene, freie Energie nutzbar zu machen. Der Entwurf einer Atomwaffenkonvention durch die Zivilgesellschaft, nun ein offizielles UN-Dokument, beinhaltet ein optionales Protokoll bezüglich Energie-Hilfeleistungen. Dies ermöglicht Ländern ein Auslaufen von Atomenergie bei gleichzeitiger Finanzierung und Förderung des Wechsels zu erneuerbaren Energiequellen. Verhandlungen über die Abschaffung von Atomwaffen benötigen nicht nur ein weltweites Engagement in IRENA, sondern auch ein Abkommen über neue Reaktoren und Brennstoffproduktion. Gleichzeitig muss durch die Förderung sicherer und erneuerbarer Energien das Auslaufen von Atomenergie gewährleistet werden. Seit IRENA im Januar mit 75 Ländern gegründet worden ist, haben drei weitere Staaten, Weißrussland, Indien und Guinea das Statut unterzeichnet. Nichtregierungsorganisationen werden sich in Hinblick auf die Überprüfungskonferenz 2010 für die Teilnahme aller Staaten an IRENA einsetzen.


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Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 20-21
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2009