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ENERGIE/272: UNSER HAMBURG - UNSER NETZ. Volksentscheid und gut? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

UNSER HAMBURG - UNSER NETZ
Volksentscheid und gut?

von Wiebke Hansen



Am 22. September 2013 haben sich die Hamburger WählerInnen per Volksabstimmung mehrheitlich für den vollständigen Rückkauf der Hamburger Strom- und Gasverteilnetze und der Fernwärmeversorgung entschieden. Nach den harten Bandagen und den vielen Millionen Euro, mit denen die Rückkaufsgegner - allen voran Vattenfall, die Hamburger SPD und ein großindustriell geprägtes Bündnis - den Wahlkampf bestritten haben, ist die Volksentscheidung mit 50,9 Prozent Zustimmung ziemlich knapp ausgefallen.


Schon zu Zeiten der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren 2011 haben die allein regierende SPD-Fraktion und -Senat den Schulterschluss mit den damaligen Netzeigentümern Vattenfall und E.on gesucht und gefunden. Sie wollten der Initiative UNSER HAMBURG - UNSER NETZ, einem Bündnis aus über 50 Hamburger Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Kirche, Verbraucher- und Mieterschutz, den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie eine nur 25,1-prozentige Beteiligung Hamburgs an den Netzbetrieben vertraglich vereinbart und vollzogen haben.

Loyalitäten
Nach dem Volksentscheid hat sich der Hamburger Senat dann erstaunlich schnell im Januar 2014 mit Vattenfall über einen sofortigen Rückkauf der restlichen 74,9 Prozent des Hamburger Stromnetz-Betriebs geeinigt, für mindestens 495 Mio Euro, eine genaue Wertermittlung folgt. Damit hat das nun städtische Unternehmen eine gute Startposition, um das laufende Vergabeverfahren für die Stromnetzkonzession 2015 bis 2034 zu gewinnen.

Für die Fernwärme hat der Senat jedoch lediglich eine Option verhandelt, die Erzeugungsanlagen, Rohrleitungen und Kundenverträge 2019 zu übernehmen. Der Mindestkaufpreis scheint mit 950 Mio Euro sehr hoch, die Wertermittlung soll 2018 vorgenommen werden. Und darin liegt die Krux: Was macht der Senat der nächsten Legislaturperiode, wenn sich in fast fünf Jahren herausstellt, dass der tatsächliche Wert weit unter dem Mindestkaufpreis liegt? Dies ist absehbar, sollte sich der Wärmemarkt, wie es die Initiative wünscht, klima- und verbraucherfreundlich entwickeln.

Trotz der nachdrücklichen Willensbekundungen, den Volksentscheid konsequent umzusetzen, ist die Initiative angesichts der alten Loyalitäten zu den Energiekonzernen skeptisch, ob die Verträge halten, was Senat und Bürgermeister Olaf Scholz versprechen. Über die sofortige Übernahme der Gasverteilnetze verhandelt der Senat derzeit mit E.on.

Fuß in der Tür
Wir sind mit zwei VertreterInnen mit Rederecht im zuständigen Ausschuss des Landesparlaments, der Hamburger Bürgerschaft, vertreten, eine Neuerung im Umgang mit Volksinitiativen. Nur: Was können wir da erreichen? Die Verträge sind gemacht und unterschrieben, unveränderbar, sie müssen nicht einmal mehr von der Bürgerschaft bestätigt werden. Wir wurden vor Fakten schaffenden Schritten weder konkret informiert oder um Einverständnis gefragt, noch haben wir den Eindruck, dass unsere Warnungen, zum Beispiel vor zu hohen Kaufpreisen, Beachtung fanden. Die kritischen Punkte der ohnehin nicht veröffentlichten Verträge könnten wir zeitaufwändig analysieren und öffentlich ankreiden, am vorläufigen Ergebnis würde es nichts ändern.

Gucken wir doch lieber nach vorn: Was können wir mit dem erfolgreichen Volksentscheid im Rücken erreichen? Im Februar 2015 ist Bürgerschaftswahl. Im Ergebnis kann sich auch die Zufriedenheit der HamburgerInnen mit der Umsetzung des Volksentscheids niederschlagen. Zumal es unter den SPD-WählerInnen eine besonders hohe Zustimmungsrate gab.

Was wollen wir mit den Netzen?
Wenn es etwas gibt, das man den vielen unbekannten JA-Stimmenden unterstellen kann, ist es ihr Wille, dass die Stadt wieder energiepolitische Gestaltungshoheit im Sinne von Verbrauchern und Klimaschutz erlangt. In Zeiten der Energiewende, in der sich die Verhältnisse stark verändern werden, ist es sehr naheliegend, einem kommunalen Unternehmen mit Gemeinwohlverpflichtung mehr zu vertrauen als einem privatwirtschaftlichen. Die Energienetze betreffen die Daseinsvorsorge in mehrfacher Hinsicht: Sie sollen die Versorgungssicherheit bei Strom und Wärme zu fairen Preisen langfristig gewährleisten. Sie sind aber auch wichtige Instrumente für eine kosteneffiziente und regional verankerte zügige Energiewende, von großer Bedeutung ist hier das Wärmenetz. Nicht zuletzt erlangt die Stadt mit den MitarbeiterInnen und den Energieflussdaten viel notwendiges lokales Wissen. In ganz Deutschland wird in vielen Kommunen und Städten über die Rekommunalisierung der Netze debattiert.

Auch die Initiative UNSER HAMBURG - UNSER NETZ hat nicht zum Selbstzweck über drei Jahre für einen Eigentümerwechsel der EnergieInfrastruktur gestritten. Über allem steht das Ziel einer sozial gerechten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten Energieversorgung aus erneuerbaren Energien. Und da machen wir jetzt weiter.

Möglichkeiten nutzen
Die Stadt hat, wenn sie die Kaufoption wahrnimmt, erst in frühestens fünf Jahren vollen Durchgriff auf die Fernwärme, das klima- und verbraucherpolitische Herzstück der Energienetze, das immerhin fast 20 Prozent des Wärmemarktes abdeckt. Solange darf es keinen Stillstand geben.

Derweil stellen sich die MitstreiterInnen der Initiative neu auf. So hat zum Beispiel die Verbraucherzentrale die Fernwärmepreise und die Öffnung des Netzes für andere Wärmeanbieter fest im Blick. Ein nach dem Volksentscheid gegründetes BürgerInnenforum ist an der demokratischen Kontrolle dran. Die Umweltverbände drängen auf zukunftsfähige Klimaschutz- und Wärmekonzepte für Hamburg.

Konkret spitzen sich die Forderungen nach Bürgerbeteiligung und Klimaschutz bezüglich der Frage zu, wie in den nächsten Jahren ein altes Kohlekraftwerk zur Wärmeerzeugung ersetzt werden soll. Vattenfall behauptet, ein großes Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) bauen zu wollen, der Senat zieht notgedrungen mit. Die Planungen sind jedoch von Beginn an, seit 2011, hoch umstritten: nicht wirtschaftlich, der Standort direkt neben einem Wohngebiet stößt auf starken Widerstand vor Ort, das Monopol verfestigt sich, langfristig bessere Alternativen für die Wärmeversorgung wurden bisher nicht geprüft. Die Stadt soll sich aus der Abhängigkeit von Vattenfall lösen. Das kann sie auf politischem Wege: mit einem Wärmekonzept und einem Wärmegesetz, an die sich das Wärmeunternehmen auch schon vor 2019 halten muss.

Erste Erfolge
Nach dem Volksentscheid kommt endlich Bewegung in die Sache. Vattenfall verschiebt die endgültige Entscheidung zum Bau des Kraftwerks immer weiter nach hinten. Die Umweltsenatorin kündigt die Prüfung mehrerer Alternativen zum Gaskraftwerk und ein Konzept für den gesamten Hamburger Wärmemarkt an.

Es ist ein Erfolg, wenn der SPDFraktionsvorsitzende öffentlich ankündigt, über eine Beteiligung der BürgerInnen an der demokratischen Kontrolle zu diskutieren.

Es ist ein Erfolg, wenn die Umweltbehörde ein Wärmekonzept erstellt und es nicht sofort von der Bürgerschaft beschließen lässt, sondern es als Grundlage für Diskussionen mit Verbänden, Wissenschaft und Öffentlichkeit in den Raum stellt. In beiden Punkten müssen den Ankündigungen ernst gemeinte Taten und eine Umsetzung der Diskussionsergebnisse folgen.

Eines ist klar: Nur das Eigentum in öffentlicher Hand reicht nicht, wenn an der Spitze von Politik und öffentlichen Unternehmen ambitionierte Leute fehlen. BürgerInnen und Verbände müssen weiter politisch für ihre Ziele kämpfen. Nur sind die Voraussetzungen jetzt viel günstiger.


Autorin Wiebke Hansen Autorin ist Sprecherin der Volksinitiative UNSER HAMBURG - UNSER NETZ.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 10-11
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2014