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FORSCHUNG/526: Neue Theorie über größtes Massensterben der Erdgeschichte (idw/UFZ)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ - 30.03.2009

Neue Theorie über größtes Massensterben der Erdgeschichte


Das größte Massensterben der Erdgeschichte könnte durch riesige Salzseen ausgelöst worden sein, deren Emissionen an Halogenkohlenwasserstoffen schwere Schädigungen der Vegetation und die Zerstörung der Ozonschicht verursachten. Die Folge war ein Verlust der Lebensgrundlagen vieler Arten und könnte Auslöser für das größte Massensterben der Erdgeschichte gewesen sein. Das schreibt ein internationales Wissenschaftlerteam in der aktuellen Ausgabe des russischen Fachjournals "Doklady Akademii Nauk" (Proceedings of the Russian Academy of Sciences). An der Grenze vom Perm- zum Triaszeitalter vor 250 Millionen Jahren starben etwa 90 Prozent aller damaligen Tier- und Pflanzenarten aus.

Leipzig/Heidelberg. Das größte Massensterben der Erdgeschichte könnte durch riesige Salzseen ausgelöst worden sein, deren Emissionen an Halogenkohlenwasserstoffen schwere Schädigungen der Vegetation und die Zerstörung der Ozonschicht verursachten. Die Folge war ein Verlust der Lebensgrundlagen vieler Arten und könnte Auslöser für das größte Massensterben der Erdgeschichte gewesen sein. Das schreibt ein internationales Wissenschaftlerteam in der aktuellen Ausgabe des russischen Fachjournals "Doklady Akademii Nauk" (Proceedings of the Russian Academy of Sciences). An der Grenze vom Perm- zum Triaszeitalter vor 250 Millionen Jahren starben etwa 90 Prozent aller damaligen Tier- und Pflanzenarten aus. Bisher wurden als Ursache dafür Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge oder Methanhydrate vermutet. Die neue Theorie fußt auf einem Vergleich von biochemischen und atmosphärenchemischen Prozessen damals und heutzutage. "Unsere Berechnungen zeigen, dass die Luftschadstoffe aus großen Salzseen wie dem Zechsteinmeer katastrophale Auswirkungen gehabt haben müssen", so Mitautor Dr. Ludwig Weißflog vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Prognosen sagen eine zunehmende Ausbreitung von Wüsten und Salzseen im Zuge des Klimawandels voraus. Deshalb rechnen die Forscher damit, dass die Auswirkungen dieser Halogenkohlenwasserstoffe ebenfalls zunehmen werden.

Das Team von Wissenschaftlern aus Russland, Österreich, Südafrika und Deutschland prüfte, ob ein schon seit Urzeiten auf der Erde ablaufender Prozess zum globalen Massensterben der Arten, speziell am Ende des Permzeitalters, hatte beitragen können. Ausgangspunkt dieser Überlegungen war ihre Entdeckung in Südrussland und Südafrika, dass Mikroben in heutigen Salzseen auf natürliche Weise Halogenkohlenwasserstoffe wie Chloroform, Trichlorethan, Trichlorethen und Tetrachlorethen produzieren und in die Atmosphäre emittieren. Sie übertrugen nun diese Erkenntnisse auf das Zechsteinmeer, das sich im Perm-Erdzeitalter vor etwa 250 Millionen Jahren auf dem Gebiet des heutigen Europas gebildet hatte. Das Zechsteinmeer war mit rund 600.000 Quadratkilometern fast so groß wie das heutige Frankreich. Das stark salzhaltige Flachwassermeer war damals heißem Wüstenklima und intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt - wie die heutigen Salzseen auch. "Wir nehmen daher an, dass die klimatischen, geochemischen und mikrobiologischen Bedingungen im Bereich des Zechsteinmeeres mit den von uns untersuchten Salzseen der Jetztzeit vergleichbar sind", erklärt Dr. Ludwig Weißflog.

In ihrer aktuellen Veröffentlichung erläutern die Autoren Gemeinsamkeiten zwischen komplexen Prozessen des CO2-Kreislaufes im Perm-Zeitalter sowie der damaligen und jetzigen Klimaerwärmung. Auf der Basis vergleichender Kalkulationen von Halogenkohlenwasserstoff-Emissionen aus heutigen südrussischen Salzseen in die Atmosphäre berechneten die Wissenschaftler, dass allein für das Zechsteinmeer mit einer jährlichen Emissionsrate von mindestens 1.3 Millionen Tonnen Trichlorethen, 1.3 Millionen Tonnen Tetrachlorethen, 1.1 Millionen Tonnen Chloroform sowie 0.050 Millionen Tonnen Trichlorethan in die Atmosphäre auszugehen ist. Vergleichsweise beträgt die jährliche globale industrielle Produktionsmenge von Trichlorethen und Tetrachlorethen jeweils nur etwa 20 Prozent, von Chloroform sogar nur etwa 5 Prozent der von den Wissenschaftler für das Zechsteinmeer errechneten Emissionen. Die industrielle Produktion des Methylchloroform, welches die stratosphärische Ozonschicht besonders schädigt, ist seit 1987 durch das Abkommen von Montreal verboten. "Anhand von Steppenpflanzen konnte wir in der Vergangenheit nachweisen, dass Halogenkohlenwasserstoffe zur beschleunigten Ausbreitung von Wüsten beitragen", berichtet Dr. Karsten Kotte. "Die Kombination aus Trockenstress und dem gleichzeitig wirkenden chemischen Stressor 'Halogenkohlenwasserstoff' schädigt die Pflanze überproportional, was zu verstärkten Erosionsprozessen führt."

Aus beiden Erkenntnissen bildeten die Forscher ihre neue These. Danach waren am Ende des Perms die aus dem Zechstein-Meer und anderen Salzseen emittierten Mengen an Halogenkohlenwasserstoffen in einer komplizierten Wirkungskette für das weltweit größte bisher bekannten Massensterben verantwortlich, bei welchem ca. 90 Prozent der an Land lebenden Tier- und Pflanzenarten ausstarben.

Laut Prognose des Weltklimarates IPCC wird der derzeitige Klimawandel durch ansteigende Temperaturen und Trockenheiten auch zu einer Beschleunigung der Wüstenausbreitung führen. Salzseen, Salzlagunen und salzhaltige Marschen werden in Anzahl und Fläche zunehmen, was wiederum zum Anstieg natürlich gebildeter Halogenkohlenwasserstoffe führen wird. Die phytotoxischen Effekte dieser Substanzen werden sich in Verbindung mit weiteren atmosphärischen Schadstoffen und gleichzeitig zunehmender Trockenheit gegenseitig verstärken und so die ökotoxikologischen Folgen des Klimawandels potenzieren.

Die neue Theorie könnte ein Puzzlestück sein, das dazu beiträgt, das Rätsel um das größte Massensterben der Erdgeschichte zu lösen. "Ob die Halogenkohlenwasserstoffe aus den Salzseen dafür allein verantwortlich sind oder ob es eine Kombination verschiedener Faktoren war und Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge oder Methanhydrate ebenfalls eine Rolle spielten, bleibt offen", so Ludwig Weißflog. Fest steht aber, dass die Auswirkungen von Salzseen bisher unterschätzt wurden. Mit ihrer Veröffentlichung wollen die Forscher um Dr. Ludwig Weißflog vom UFZ und Dr. Karsten Kotte von der Universität Heidelberg darauf hinweisen, dass heutige Salzseen und Salzwüsten in Südost-Europa, Mittelasien, Australien, Afrika, Amerika nicht nur das regionale sondern auch das globale Klima beeinflussen können. Die neuen Erkenntnisse zur Wirkung dieser Halogenkohlenwasserstoffe sind wichtig für die Überarbeitung der Klimamodelle, die die Basis für die Klimaprognosen bilden.


Publikation:

L. Weissflog, N.F. Elanskii, K. Kotte, F. Keppler, A. Pfennigsdorff, K. Lange E. Putz, L.V. Lisitzina (2009): O wosmojnoi roli galogensoderjaschtschaich gasow w ismenenii sostojanija atmosferi i prirodnoi sredi w posdnii permskii period. Dokladi Akademii Nauk, 424:1-6 (in Russian).
http://www.maikonline.com/maik/showArticle.do?auid=VAFR1OI7XN

L. Weissflog, N.F. Elanskii, K. Kotte, F. Keppler, A. Pfennigsdorff, C.A. Lange, E. Putz, L.V. Lisitzina (2009): Late Permian Changes in Conditions of the Atmosphere and Enviroments Caused by Halogenated Gases. Dokladi Earth Sciences, Vol. 424, No. 6, pp.818-823 (in English). DOI: 10.1134/S1028334X09020263
http://www.springerlink.com/content/t8n5118h4w180566/?p=8383a07971444193bea480c152b84936&pi=25

Weitere fachliche Informationen:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Dr. Ludwig Weißflog
http://www.ufz.de/index.php?de=6784
und
Universität Heidelberg
Dr. Karsten Kotte
Tel. ’49 (0) 6221-544-803
http://umwelt-geochemie.uni-hd.de/personen_ger.htm
oder
über die UFZ-Pressestelle: Tilo Arnhold
Telefon: ’49 (0) 341-235-1269
E-mail: presse@ufz.de

Links:
Pressemitteilung vom 8. Februar 2005: "Mikroorganismen in Salzseen produzieren chlorhaltige Luftschadstoffe - neuer natürlicher Faktor für Wüstenausbreitung entdeckt": http://www.ufz.de/index.php?de=5329


Weitere Publikationen zum Thema:

Weissflog, L., C. A. Lange, A. Pfennigsdorff, K. Kotte, N. Elansky, L. Lisitzyna, E. Putz, and G. Krueger (2005). Sediments of salt lakes as a new source of volatile highly chlorinated C1/C2 hydrocarbons, Geophys. Res. Lett., 32, L01401 DOI:10.1029/2004GL020807

Weißflog, L., Krueger, G., Elansky, N., Putz, E., Lange, C. A., Lisitzina, L., Pfennigsdorff, A., Kotte, K. (2006). The phytotoxic effect of C1/C2-halocarbons and trichloroacetic acid on the steppe plant Artemisia lerchiana, Chemosphere 65 (6), 975-980 DOI:10.1016/j.chemosphere.2006.03.039


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Weitere Informationen finden Sie unter http://www.ufz.de/index.php?de=17896 - Pressemitteilung & Fotos

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image88120
So wie dieser ausgetrocknete Salzsee im heutigen Botswana könnten auch große Teile des stark salzhaltigen Zechsteinmeeres und seiner unmittelbaren Umgebung ausgesehen haben, das sich im Perm auf dem Gebiet des heutigen Mitteleuropas befand. Am Ende des Perms wurden die Verbindungen des Zechsteinmeeres mit dem offenem Weltmeer endgültig unterbrochen. Die noch bestehenden Meeresteile trockneten anschließend aus. Damit waren auch die mikrobiell bedingten Halogenkohlenwasserstoff-Emissionen aus dem Zechsteinmeer beendet und die Vegetation konnte sich langsam regenerieren.

http://idw-online.de/pages/de/image88122
Auf dem Luftbild ist zum Vergleich ein in Südrussland befindlicher, heutiger Salzsee in seiner natürlichen Umgebung abgebildet.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news307680

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution173


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ, Tilo Arnhold, 30.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2009