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GESCHICHTE/034: Oppositionelle Umweltbewegung gegen Uranabbau und die friedliche Revolution der DDR (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 766-767 / 32. Jahrgang, 6. Dezember 2018 - ISSN 0931-4288

Uranbergbau in Sachsen und Thüringen
Der Einfluss der oppositionellen Umweltbewegung gegen Uranabbau auf die friedliche Revolution der DDR

Von Frank Lange (Kirchlicher Umweltkreis Ronneburg)


Umweltaspekte als wichtige zivilisatorische Triebkräfte unterliegen der ökologischen Potenz und Toleranz menschlicher Lebensgemeinschaften, je nach Staatsform allerdings mit recht unterschiedlichen Maßstäben. Welchen Einfluss können Umwelt und hierfür engagierte Menschen auf gesellschaftliche Entwicklungen speziell unter diktatorischen Bedingungen eigentlich nehmen? Diese Frage stellte sich das Deutsch-Koreanische Konsultationsgremium für Wiedervereinigung. Als eine der ältesten und bis heute aktiven Umweltgruppe im Osten Deutschlands wurde der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg in diese Thematik einbezogen. Neben einem Gesamtüberblick standen die speziellen Erfahrungen mit den Folgen des Uranbergbaus im Mittelpunkt. Aus Anlass des diesjährigen 30. offiziellen Gründungsdatums des Umweltkreises sollen nachfolgende Auszüge aus diesem Beitrag [1] der Öffentlichkeit vorgestellt werden.


Wird heute und besonders im kommenden Jahr der friedlichen Revolution vor nunmehr schon dreißig Jahren in der DDR gedacht, so setzt man im Allgemeinen den Schwerpunkt auf eine DDR-Bürgerrechtsbewegung, die durch ihre mutigen Demonstrationen eine Diktatur zu Fall brachte, die sich als "Diktatur des Proletariats" verstanden hat. Eventuell tiefergehend folgt der Hinweis auf Friedens- und Menschenrechtsgruppen, vielleicht noch flankiert von Umweltengagierten und dem Schutzdach der Kirche. Der nachgeborene Betrachter erfährt so von der Saat, die dann im Herbst 1989 in Initiativen und neuen Parteien aufging und die sich in bahnbrechenden gesellschaftlichen Änderungen realisierte. So einfach war es aber nicht. Die damaligen Protagonisten waren viel zu Wenige. Heute sind sie, soweit überhaupt noch aktiv, politisch von rechts bis links verteilt. Den gesellschaftlichen Wandel aktiv herbeigeführt haben die Menschen und zwar des gesamten Bevölkerungsspektrums, abgesehen von letztlich relativ wenigen Antagonisten. Anders wäre ein friedlicher Verlauf nicht zu haben gewesen, der zudem der unbedingten Duldung durch die sowjetische Besatzungsmacht bedurfte. Die Herbeiführung, ja selbst die Auslösung der sogenannten Wende, ist nicht auf ein einzelnes Momentum reduzierbar. Die gesellschaftliche Situation in den 1980er Jahren war durch zunehmende Widersprüche im Land gekennzeichnet. Im komplexen Zusammenwirken mit weiteren Einflussfaktoren und den internationalen Bedingungen zeichneten sich Veränderungen ab, wurde die Entwicklung unabhängiger Oppositionsströmungen vor 1989 begünstigt. Vereinfacht auf den Punkt gebracht, entstand Oppositionsspielraum durch die Reformunwilligkeit einer überalterten Staatsführung, die den eigenen Ansprüchen und besonders den eingegangenen internationalen Verpflichtungen mit Bezug auf die Menschenrechte, Wirtschaftsstandards u.a. entgegen dem Trend der Zeit immer weniger gerecht werden konnten. Die internationale Einbindung erschwerte es, die restriktiven Unterdrückungsmethoden der Vergangenheit einfach fortzusetzen.

Ein wesentlicher Missstand war die Umweltsituation in der DDR. Am Beispiel des Uranbergbaus wurde das ökologische Defizit zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Sozialismus poststalinistischer Prägung als ein überaus wichtiges Momentum des gesellschaftlichen Umbruchs (nicht nur in der DDR) deutlich. In der heutigen Zeit der antagonistischen Standpunkte zum Klimawandel entwickelt sich die Umweltthematik nach Jahren der Stagnation wieder zum gesellschaftlichen Motor. Das Ergebnis bleibt offen.

Nicht wenige Bürger widmeten sich in der DDR durchaus einer engagierten Umweltarbeit. Dabei stellten kirchliche, oft kirchennahe Umweltgruppen eine absolute Minorität dar. 1988 registrierte die Staatssicherheit hierfür landesweit 39 Umweltgruppen. Aus dem Kreis der Friedensgruppen ordnete sie 23 zusätzlich eine ökologische Ausrichtung zu [2, S. 151]. Man schätzte ihre Personenzahl auf 550 bis 850. Als Gegenmittel und Ventil und möglichst staatlich kontrolliert wurde mit Beginn des letzten DDR-Jahrzehntes innerhalb der staatlichen Massenorganisation Kulturbund die "Gesellschaft für Natur und Umwelt" gebildet, die aus den bis dahin wirkenden "Heimat- und Naturfreunden" hervorging. Hier widmeten sich fast flächendeckend bis zu 60.000 Menschen einer breiten Palette von Naturschutzaufgaben. Mehr als 20 Wissenschaftsgebiete in über 2.500 Fachausschüssen von Landschaftsschutz, Botanik, Geowissenschaften bis hin zu sämtlichen Pflanzen- und Tierweltsparten deckten alles Vorstellbare ab [3]. Selbst für die urbanen Problemfelder bildete man einen Fachausschuss Stadtökologie mit 380 Arbeitsgruppen; 7.000 Mitglieder sollen es gewesen sein. Ein weißer Fleck blieben die abgeschotteten Uranbergbaugebiete des Landes.

Die staatlich "kanalisierte" Vielfalt leistete zwar überwiegend eine wertvolle und fachkompetente Arbeit und trug zur Hebung des Umweltbewusstseins unter der Bevölkerung bei. Doch bei gravierenden Umweltproblemen stieß man an unüberwindbare Grenzen. Eine wirksame öffentliche Thematisierung konnten diese Arbeitsgemeinschaften keinesfalls ausprägen [4], grundsätzliche Veränderungen nicht erreicht werden. Die relativ wenigen unabhängigen Umweltgruppen waren im Land verstreut, aber oft an Brennpunkten enormer Umweltbelastungen. Deren Aktivitäten reichten von Baumpflanzaktionen, Behördenanfragen, der Verbreitung ungeschönter Informationen, Solidaritätsbekundungen (z.B. mit der Berliner Umweltbibliothek in der Zionskirche) weiter bis zu vielfältigen Beteiligungen an Aktionen der Friedens-/Menschenrechtsbewegung (Treffen, Foren, Friedensgebete, ab 1988 Schweigemärsche und erste Demonstrationen).

In der DDR existierten offiziell keine unabhängigen Druckerzeugnisse. Ab den 1980er Jahren kamen dann in geringen Stückzahlen, aber immerhin mehr als 100 verschiedene Publikationen [6] in Umlauf; oft als "innerkirchlicher Dienstgebrauch" getarnt, mitunter von westdeutschen Journalisten unterstützt.

Die spezifischen Probleme in den urbanen Zentren der Republik betrafen Luftverschmutzung, Gewässerverunreinigungen, verfallende Innenstädte. Die latent vorhandene Umwelt-Gleichgültigkeit der Bevölkerung nahm unter diesen Bedingungen ab. Restriktive Maßnahmen, wie die Geheimhaltung von immer mehr, auch essentiellen Umweltdaten, konnten diesen Trend nicht aufhalten. Ein Ministerratsbeschluss 02-67/I.2/82 von 1982(1) verhinderte jede seriöse Zustandsbeschreibung der tatsächlichen Umweltbedingungen, übrigens auch für staatliche Stellen untereinander. Insbesondere der Uranbergbau der SDAG Wismut(2) stellte für Außenstehende und selbst für die meisten Beschäftigten in diesem Punkt eine absolute Tabuzone dar. Der Uranabbau hatte bis zum Beginn der 1980er Jahre höchste staatliche Priorität. Bereits 1953 war er ausschlaggebender Faktor dafür, dass die Sowjetunion an der DDR festhielt [7]. Der vormalige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker äußerte nach der Wende, dass die enormen Kosten, die die DDR infrastrukturell und als Beteiligung des unökonomischen Uran-Abbaus beisteuern musste, ein Hauptgrund für das wirtschaftliche Scheitern des Landes gewesen sei [8].

Wie auch der flächenintensive Braunkohleabbau bedeutete die Urangewinnung in der DDR eine totale Devitalisierung von Landschaft, Wasserhaushalt, Atmosphäre und die Zerstörung von Lebenskultur (z.B. durch Umsiedlungen). Radioaktive Bergbaulasten durch Förderung von 1,2 Milliarden Tonnen Gesteinsmengen aus ständig wandernden Schachtanlagen und Tagebauen strapazierten dicht besiedelte Lebensgemeinschaften in Form zahlloser Halden und zahlreicher Reststoffdeponien der Uranerzaufbereitung. Die radioaktive Staub- und Luftbelastung gelangte in hohen und (bis heute offiziell) unbekannten Dimensionen in die bewohnte und unbewohnte, in die nähere und fernen Umgebung der Urananlagen. Den belasteten Einflussbereich im Süden der DDR bewertete man nach 40 Jahren Uranförderung auf 180 bis 240 Quadratkilometer aufsummierte Flächen.(3) Die Ausmaße der Umwelt- und Lebensraumzerstörung verdrängte die Bevölkerung lange Zeit. Viele Menschen verdienten dort ihren Lebensunterhalt. Die vielen staatlichen Sondermaßnahmen, positive wie negative, sorgten für Beruhigung aber auch "Ruhigstellung" bei Widerspruch. Zur radioaktiven Belastung durch Bergbautätigkeit, schweren Unfällen (z.B. Bruch kontaminierter Dämme, radioaktive Ausbrüche etc.) und besorgte Anwohneranfragen gab es lediglich gezielte Desinformationen, Falschdarstellungen und Datenfälschungen.

Bezeichnenderweise richtete sich oppositionelle Kritik in den radioaktiv belasteten Gebieten lange Zeit vor allem gegen sichtbare Probleme, wie Smogbelastung [4] oder Vogelsterben [9] und weniger gegen die unsichtbare und unbekannte Strahlenbelastung. Der radioaktive GAU am 26.04.1986 in Tschernobyl [10] löste ein schrittweises Umdenken aus. Die seit 1986 entstehenden meist kirchennahen Umweltbibliotheken in Berlin, Zwickau, Gera und andernorts konnten speziell für den Uranbergbau vorerst keine Aufklärung beitragen. Erst eine Einzelarbeit von Michael Beleites,(4) die "Pechblende" [11], die mit Unterstützung der IPPNW,(5) des Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und Dr. Sebastian Pflugbeil(6) illegal erscheinen konnte, löste einen Schub aus, den insbesondere der Ronneburger Pfarrer Wolfram Hädicke(7) und seine Mitstreiter in der Wismut-Region wirksam publik machten. Damit sind stellvertretend wichtige Protagonisten des damaligen Umweltengagements auf dem Gebiet Uranbergbau benannt. In der unmittelbaren Verwendezeit befassten sich einige Einzelinitiativen (meist zu Belastungen aus der Nachnutzung von Uranaltlaststandorten im Erzgebirge) und Umweltgruppen direkt mit der Uranbergbauproblematik.

Drei Beispiele: Der Kirchliche ökologische Arbeitskreis Dresden (ca. 60 Mitglieder), unter anderem ausgerichtet auf die beabsichtigte Umstrukturierung des damals aktiven Uranbergbaus Dresden-Gittersee; der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg (ca. 20 Mitglieder) mit Bezug auf das Bergbaugebiet um Ronneburg und Seelingstädt; die Kirchliche Umweltgruppe Neukirchen zu stark verbreiteten radioaktiven Baumaterialien aus Uranhalden im Erzgebirgsvorland.

Die Systemkritik in den nicht staatlichen Umweltgruppen nahm sich zunächst relativ harmlos aus. Die bescheidenen Mittel in der Uran-Region Gera-Ronneburg betrafen kleine Ausstellungen ("Wandzeitungen"), Diskussionsforen mit zunehmender Öffentlichkeit, eine gezielte Eingabetätigkeit zu Umweltproblemen an die staatlichen Verantwortungsträger bis hin zu persönlichen Vorsprachen oder Vorladungen [5]. Das erforderte unter DDR-Bedingungen bereits eine enorme Portion Zivilcourage und reichte für das Aktivwerden der Staatsicherheit aus.

Die unabhängigen Umweltgruppen bewirkten bis 1988/89: "Mit der unabhängigen Verbreitung von Umweltinformationen bildete sich vielerorts eine kritische Öffentlichkeit heraus, die sich immer mehr zu einem Potential der politischen Opposition entwickelte." (M. Beleites in [12, S.4], so auch in den "Uranprovinzen".

"... eine Ursache dafür, dass ein Neubeginn in der DDR nicht mehr aufzuhalten war, ist ja gerade das sachliche, kritische, mündige Engagement (der Umweltbewegung) gegen staat- und parteilichen Widerstand versucht zu haben, bestehende Missstände aufzudecken und zu beheben." (H.P. Gensichen in [13]). Auf jeden Fall erreichte die Sensibilisierung der Bevölkerung für die akuten Umweltprobleme landesweit hohe Priorität. Aus Resignation und Gleichgültigkeit gegenüber der Landschafts- und Umweltzerstörung entstand stetig Widerspruch.

Es ist wichtig, auch auf den Standpunkt der Kirchen einzugehen. Dass die Anbindung der Oppositionellen in vielen Fällen an die Kirche erfolgte, wurde oft mit dem dort möglichen Freiraum begründet. Im Nachhinein kam immer wieder Kritik auf, dass dies zu oft auf staatlichen Druck nicht ausreichend genug gewesen wäre etc. Neben wichtigen subjektiven Faktoren darf die Aufgabe der Kirche nicht außer Acht bleiben, die in der DDR nicht im Umsturz des Sozialismus bestand. Doch warum ließ die Kirche oppositionelle Umwelt- und Friedensarbeit zu, wo sie durchaus tun ein gutes Verhältnis zur Staatsmacht bemüht war und dies auch oft genug unter Beweis stellte? Zu erklären ist dies mit einem globalen Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der über Konfessionen hinweg im ökumenischen Raum zunehmend zum Tragen kam, bezeichnet als "Konziliarer Prozess".

"Der Konziliare Prozess war bei uns eine christliche Basisbewegung, die Mitte der 80er Jahre Fahrt aufnahm und Ende der 80er Jahre in die vorliegenden Dokumente mündete, die von Ökumenischen Versammlungen (Basisgruppentreffen verbunden mit kirchlichen Delegierten) verabschiedet wurden (...). Angesichts vielfältiger Bedrohungen wie Nachrüstung, zunehmende Ungerechtigkeit, Naturverbrauch und Zerstörung wurde nach der spezifischen Antwort des christlichen Glaubens gesucht. (...) Damit verbunden war bei uns vor allem die Erkenntnis: "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein" (darum: Schwerter zu Pflugscharen) und die Entdeckung, dass der Auftrag der Schöpfimgsbewahrung von Anfang an vorhanden war (ökologische Verantwortung). Ende der 80er Jahre gab es dazu einen Konsultationsprozess, an dem sich ca. 10.000 Einzelpersonen und Gruppen beteiligten. Die Ergebnisse bildeten die theologische Legitimationsgrundlage für unser ökologisch-politisches Engagement." [14]

Dieser Konsultationsprozess gestaltete sich außerordentlich vielfältig und phantasiereich. Friedensseminare, Friedensdekaden, Ökoseminare, synodale Beschlüsse zum Umweltschutz seien stellvertretend genannt. Regional unterschiedlich füllten sich ab 1988 zunehmend Kirchen mit unzufriedenen Menschen. Das Thema Umwelt war dabei ein ausschlaggebendes Moment, wobei gerade beim Uran höchste staatliche Aufmerksamkeit garantiert war. Ein Beispiel für Ronneburg ist die letztlich vom Ministerpräsidenten(!) der DDR beauftragte staatliche Vorgehensweise gegen eine kirchliche Informationsveranstaltung zum Uranbergbau im November 1988 (Einschränkung des Rederechts, Stasi-Unterwanderung und repressive Folgemaßnahmen etc.).

Noch vor dem Herbst 1989 kam es neben kirchlichen u.a. in Gera und Dresden (09.02.1989) nun auch zu öffentlichen, staat(sicherheit)lich organisierten Informationsveranstaltungen des bis dahin streng geheimen Uranabbaus, die zur Beschwichtigung dienen sollten, stattdessen aber sich zur Protestbühne hunderter Bürger entwickelten. Die Friedensgebete in Dresden (dort "Bittgottesdienst" genannt) beinhalteten insbesondere die breite ökologische Problemthematik der Region incl. Ostsächsischer Uranstandorte. "Die Besucherzahlen steigerten sich von 250 am 2. Juli 1989 auf 8.000 am 5. November 1989."; am 6. August kam es zu einem gewaltsamen Polizeieinsatz. [15, S.111]. Ähnliche Vorfälle gab es am 04.06.1989 in Leipzig (Demonstration zur Verschmutzung der "Weißen Elster/Pleiße" durch Industrie und Uranbergbau).

Mit den vielerorts nun wöchentlichen Friedensgebeten und den sich anschließenden Demonstrationszügen begann bekanntlich die politische Wende in der DDR. Als Bestandteil der entstehenden Demokratiebewegung forcierte nun auch der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg seinen Protest in Form konkreter Forderungen zur Aufklärung und Verbesserung der Lebenssituation im Uranbergbaugebiet. Dabei kam die Auseinandersetzung mit den staatlichen Institutionen endlich spürbar voran [16, S. 17ff]. Die Bergbaubetriebe selbst blieben tabu, bis durch die friedliche Revolution 1990 auch deren Öffnung erwirkt wurde. Das Schlagwort der Stunde hieß damals "Dialog". Wer erinnert sich nicht an den berühmten Leipziger Aufruf, verlesen von Kurt Masur am 09.10.1989 um 18 Uhr, dessen letzter Satz lautete: "Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird." (Aufruf der Leipziger Sechs). So gelang die Überleitung der Aktivitäten in den Prozess der friedlichen Umgestaltung. Viele Gruppen nabelten sich von der Kirche ab und gingen in den neuen politischen Gruppierungen, Parteien und später in den bundesdeutschen Umwelt-Verbänden auf. Die Mitglieder des Kirchlichen Umweltkreises engagierten sich ebenfalls in verschiedenen Richtungen der anbrechenden neuen Zeit, behielten den Umweltkreis aber als Bürgerinitiative andauernd bei und richteten ihre Aktivitäten innerhalb des Kreises auf den komplexen und langwierigen Dialog mit den Uranbergbaubetrieben und deren Folgeunternehmen. Dabei steht bis heute die sachlich-kritische Begleitung der seit 1991 andauernden Bergbausanierung im Mittelpunkt.

Mit und nach der Wende organisierten sich in vom Uran-Bergbau beeinflussten Kommunen 1989/90 zahlreiche weitere Bürgerinitiativen, die sich mit den Folgen des Uranbergbaus in ihren unmittelbaren Lebensraum auseinandersetzten. Dabei bauten diese meist auf vorangegangene Aktionen von "Einzelkämpfern" auf, für die nun Öffentlichkeit hergestellt wurde. Beispielorte sind Oberrothenbach (bereits im August 1989 formierte sich eine wirkungsvolle Bürgerinitiative Umwelt), Crimmitschau, Großkundorf und Schneeberg. Das schützende Dach der Kirche war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr erforderlich. Zwischen den dort beheimateten Umweltgruppen und dem neuen Bürgerengagement kam es zu engerer Zusammenarbeit und Vernetzung, die einige Jahre anhielt. Allerdings konstituierten sich bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder anlassbezogene Initiativen, die z.B. strahlende Straßen (mit radioaktivem Schotter im Unterbau) erneuert haben wollen oder auf sonstige radioaktive Altlasten stoßen.

Ein Resümee: Die zahlenmäßig kleine unabhängige DDR-Umweltbewegung vor 1989, der auch der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg angehörte, erreichte eine überproportionale Wirkung. Unter DDR-Bedingungen erlangten oppositionelle Regungen schnell eine hohe Priorität, erst recht, wenn es um Uran ging. Da die Umweltgruppen im Gegensatz zu anderen Strömungen durchaus Veränderungen innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Situation anstrebten, ließen sie sich nicht ohne weiteres in die staatsfeindliche Ecke stellen und erreichten so größere öffentliche Akzeptanz. Allerdings unterlagen sie den gleichen Verfolgungsstrategien der Beobachtung und Zersetzung durch den Staatssicherheitsdienst Waldsterben, Schwefeldioxid der Braunkohlenutzung, Extremverschmutzung von Luft und Wasser durch Industrie und Bergbau, Massenproduktion in der Landwirtschaft - es brannte an allen Ecken und Enden im Land. Und je staatstragender die von den Umweltgruppen aufs Korn genommenen Probleme wurden, umso mehr gerieten Verantwortungsträger in Erklärungsnot, verfielen in Beschwichtigungen und Beschönigungen. Das verfing durch die Zunahme der Fachkompetenz dieser Gruppen und mutiger Einzelpersonen immer weniger. Umso mehr veranlassten angegriffene betriebliche oder staatliche Verantwortliche Behördenwillkür und schalteten die Staatssicherheit ein. Ganz oben in der Wirkungskette rangierten dabei die Urangebiete. Hier fuhr der Staat die größten Gegenmaßnahmen auf und trotzdem setzte sich eine Oppositionsbewegung in Gang. Über deren Bilanz vor Ausbruch der Herbstdemonstrationen 1989 kann man aus jetziger Sicht meinen, dass lediglich Selbstverständliches erreicht wurde. Heute ähnliches zu erlangen, erfordert allerdings einen langen Atem und vor allem sehr viel mehr Unterstützer. Es gelang, auf das Agieren staatlicher Stellen in Bezug auf Umweltschutz einen gewissen Einfluss auszuüben. Unter anderem wurde das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) zu Vor-Ort-Kontrollen genötigt. Als Ergebnis folgte eine reduzierte Verwendung radioaktiver Halden als Baumaterial; ganz unterbinden aber konnte es selbst dieses "Überwachungsamt" nicht. Erstmals wurden Wohn- und Arbeitsbereiche außerhalb der aktiven Uranbetriebe in eine strahlungstechnische Überwachung einbezogen. Die Regierung fasste gar einen Ministerratsbeschlusses zur Klärung der Strahlungssituation stillgelegter Uranbergbauflächen, immerhin die Grundlage des heutigen Uran-Altlastenkatasters. Hohe und höchste Regierungsstellen mussten Umweltprobleme zur Kenntnis nehmen; gerade zur radioaktiven Strahlung wurde hektisch die Erstellung von recht allgemein gehaltenen Informationsmaterialien für die bis dahin völlig unwissenden unteren und mittleren Leitungsebenen der Kommunen, Kreise etc. ausgelöst. Die Staatssicherheit sah sich zunehmend zur Hinterfragung von Umweltdaten bei Verantwortungsträgern des Uranbergbaus und Umweltbehörden veranlasst. Nun erst setzte auch hier eine gewisse Sensibilisierung für das Tabu-Thema der tatsächlichen radioaktiven Belastungen im und außerhalb des Bergbaus ein. Zum Thema der Strahlenbelastung der Bevölkerung gab es bis 1989 bei zunehmenden Bürger-Anfragen lediglich permanente Beschwichtigungen durch staatliche Stellen wie das SAAS. Hierbei leisteten umweltengagierte Pfarrer und Bürger wertvolle Unterstützung, dass es nicht dabei blieb. Trotzdem hielt man Strahlungsdaten bis zuletzt geheim.

Die Summe der oppositionellen Aktivitäten in der ganzen Republik wirkte und bewirkte als "Graswurzelbewegung", dass ökologische Themen im Verlauf der friedlichen Revolution die Proteste der Bevölkerung ebenso bestimmten wie Menschenrechte, Reisefreiheit etc.; bereits die ersten Demonstrationen 1988/89 hatten in vielen Regionen oft einen direkten Umweltbezug. Allerdings verdrängte dann nach dem 9. November das Thema "Wiedervereinigung" ziemlich schnell die ursprünglichen Zielsetzungen.

Die Umweltbewegung lieferte dann im Prozess des Umbruches Strukturen für die Konstituierung und Durchführung von Dialogen, runden Tischen und war Ansprechpartner für Bürger, Journalisten, staatliche Vertreter usw.. Nicht zu unterschätzen war die Vorbildwirkung auf die vielen neu entstehenden Bürgerinitiativen und der Beitrag zum friedlichen Charakter der Revolution sowie zur Auflösung der Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im ganzen Land. Michael Beleites und Oberpfarrer Roland Geipel(8) waren 1989/1990 bei der Auflösung der Staatssicherheit in Gera maßgeblich beteiligt und trugen wesentlich zum Erhalt des Aktenbestandes für die Nachwelt bei. Ihr Hauptverdienst lag aber in ihrer besonderen Verantwortung, die sie zur Sicherung von Gewaltfreiheit und friedlichen Verlauf bei Demonstrationen und Veranstaltungen mit an vorderster Stelle übernahmen [17].

Die vom Umweltkreis Ronneburg ab Oktober 1989 realisierten Dialoge, Beteiligungen an Bürgerversammlungen, Informationsveranstaltungen, Gesprächen auf allen Ebenen trugen nicht nur zur Beendigung des Uranabbaus bei. Sie mündeten im September 1990 in eine richtungsweisende wissenschaftliche Fachtagung,(9) die ausschlaggebender Wegbereiter einer Uranbergbau-Sanierung wurde, deren Niveau bisherige bergbauliche Verwahrungen weit übersteigt. Es ist Europas größtes Umweltprojekt, das für insgesamt rund 7 Milliarden Euro bis wenigstens 2040 laufen wird. Doch hier beginnt schon wieder ein neuer Abschnitt der Arbeit des bis heute aktiven Kirchlichen Umweltkreises Ronneburg.

Was treibt Bürger über eine solch lange Zeitspanne an? Sie erlebten als Opposition im letzten DDR-Jahrzehnt und den darauffolgenden nunmehr 28 Jahren ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im vereinten Deutschland ein Auf und Ab der gesellschaftlichen Prioritäten mit unterschiedlicher Akzeptanz. Ein kontinuierliches, über einen langen Zeitraum gehendes Wirken einte sie im Bestreben für die Wiederherstellung einer lebenswerten Region, die von einer außergewöhnlichen Umweltbelastung betroffen war. Radioaktivität verändert die Dimensionen!


Anmerkungen

1. "Anordnung zur Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR"

2. Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut

3. Als aktive Betriebsflächen kamen 1990 15 km² in die Sanierung; eine bis heute andauernde defizitäre Problematik.

4. Michael Beleites war wichtiger Akteur der kirchlichen Umweltbewegung der DDR; heute lebt er als Landwirt und freier Autor bei Dresden.

5. IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

6. Der Physiker Sebastian Pflugbeil kommt aus der kirchlichen DDR-Friedensbewegung; heute Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz.

7. Wolfram Hädicke, Pfarrer i.R., lebt heute in Dessau; er war 1988-1999 Pfarrer in Ronneburg, Gründer des Kirchlichen Umweltkreises Ronneburg; damals intensiv an den Ereignissen der Friedlichen Revolution beteiligt.

8. Oberpfarrer i.R. Roland Geipel, 1978-2004 Pfarrer in Gera-Lusan und 1989 Vorsitzender des Bürgerkomitees zur Auflösung des MfS; er war ein maßgeblicher Unterstützer von M. Beleites; heute u.a. noch Mitglied und Nestor im Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg.

9. "Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen"; erste und wichtigste öffentliche wissenschaftliche Tagung zur Bewältigung dieser Umweltkatastrophe, trug enorm zur Akzeptanz der Sanierung in der Bevölkerung bei; Vorbild für Folgeveranstaltungen überregional.


Literatur

[1] Protokolle zur 7. Sitzung des Deutsch-Koreanischen Konsultationsgremiums zu Vereinigungsfragen; Ministory of Unification Korea und BMWi (Mai 2017)

[2] F. Lange "Geheime Verschluss-Sache Wismut", Forschungsprojekt des Kirchlichen Umweltkreises Ronneburg, 2012

[3] Stundienarchiv Umweltgeschichte Nr. 15, 2010, IUGR e.V. an der Hochschule Neubrandenburg

[4] Grünheft des Kirchlichen Forschungsheims Wittenberg von 1990 zur ökologischen Situation in der DDR aus Sicht der kirchlichen Umweltgruppen

[5] "Prinzip Hoffnung"; Roland Geipel, Hrsg. Gedenkstätte Amthordurchgang, Gera 2013

[6] Ehrhart Neubert "Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989"; Chr. Links Verlag Berlin 1997

[7] H. Bentzien "Was geschah am 17. Juni?" edition ost 2003

[8] R. Anden u. W. Herzberg "Der Sturz - E. Honecker im Kreuzverhör", Aufbau Verlag 1990

[9] Chronik der Gemeinde Oberrothenbach, 2001

[10] A. Jaroshinskaja "Verschlußsache Tschernobyl"; Basisdruck Berlin 1994

[11] M. Beleites "Pechblende. Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen", Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1988

[12] M. Beleites "Pflanzzeit - Stationen der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR", Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1999

[13] H.P. Gensichen "Das Umweltengagement in den evangelischen Kirchen in der DDR" in "Umweltgeschichte, Wissenschaft und Praxis", Marburg 1994

[14] Wolfram Hädicke; Mitteilung vom 19.03.2017 an den Autor

[15] "Glück Auf - Von der Kohle zum modernen Gewerbe in Coschütz/Gittersee"; Hrsg. Umweltamt Stadt Dresden; Sandstein Verlag 2015

[16] Chronik des Kirchlichen Umweltkreises, Teil 1 1988-1999

[17] "Aufbruch 1989 - Zeitzeugen aus Gera", Verlag Dr. Frank GmbH Gera, 2009


weitere Informationen zum Strahlentelex siehe:
www.strahlentelex.de

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2018, Seite 3 - 7
Herausgeber und Verlag:
Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2019

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