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GESCHÄFTE/009: Kohle-Lobbyismus - Gesetz zur CO2-Verpressung riskiert Skandal (GRÜNE LIGA)


GRÜNE LIGA e.V. - Pressemitteilung vom 21. April 2009

Gesetz zur CO2-Verpressung riskiert Wiederholung des Cottbuser Stadtwerke-Skandals


Berlin/Cottbus, 21.04.2009. Die GRÜNE LIGA warnt die Bundespolitik beim geplanten Gesetz zur CO2-Verpressung vor Parallelen zum Skandal um das Cottbuser Heizkraftwerk von 2005. Durch angeblich fortschrittliche Braunkohlentechnik hatte sich Cottbus innerhalb von zehn Jahren finanziell ruiniert. Die Umweltgruppe Cottbus hat diese Auswirkungen des Kohle-Lobbyismus jetzt in einem Hintergrundpapier aufgearbeitet und zusammengefasst.

"Die im Gesetz geplante Haftungsübernahme armer Bundesländer zugunsten reicher Stromkonzerne erinnert an die dilettantischen Verträge zum Cottbuser Heizkraftwerk in den 1990er Jahren: Dem politischen Bekenntnis zur Braunkohlewirtschaft wird das eigene Denkvermögen bedingungslos geopfert. In Cottbus kam die Quittung nach exakt zehn Jahren durch den Ruin der Stadtwerke. Bei CCS könnte es zwar länger dauern, sich aber umso verheerender auswirken", sagt René Schuster von der Umweltgruppe Cottbus, Mitglied des Braunkohlenausschusses Brandenburg.

Die Lobbyisten sind dieselben geblieben: Die Gewerkschaft der Bergleute und die Potsdamer Landesregierung setzten schon in den Jahren 1993 bis 1995 die Entscheidungsträger unter Druck.

Die Konsequenzen der Fehlentscheidungen sind mannigfaltig und tiefgreifend. Im Frühjahr 2009 wurde beispielsweise die Entwicklung des Nahverkehrs in Cottbus, bis hin zu einer Abschaffung der Straßenbahn, sehr emotional diskutiert. Letztlich entstammen diese aktuellen Sparzwänge aber der Fehlentscheidung von 1995 zum Bau eines Braunkohle-Heizkraftwerkes.

Die Umweltgruppe Cottbus hat deshalb Quellen aus der regionalen Presse zusammengetragen, die Ursachen und Wirkungen des Kohle-Lobbyismus erkennen lassen. Das 18seitige Hintergrundpapier "Das Cottbuser Heizkraftwerk - Millionengrab dank Braunkohletechnik" ist die vielleicht erste Darstellung der Gesamtentwicklung von 1993 bis 2009, die öffentlich vorliegt. Das Papier ist auf der Internetseite www.lausitzer-braunkohle.de veröffentlicht. Das beiliegende zweiseitige Papier "Braunkohle-Lobbyismus - Was können wir aus der Vergangenheit lernen?" fasst die Ergebnisse zusammen und stellt einen anschaulichen Vergleich zur CCS-Debatte her...


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Hintergrundinformation:

Braunkohle-Lobbyismus - Was können wir aus der Vergangenheit lernen?

Als Vorreiter für den "umweltfreundlichen und langfristig kostengünstigen Einsatz von Braunkohle" beschloss die Stadt Cottbus in den 1990er Jahren ein Heizkraftwerk zu errichten. Diese Entscheidung fand unter politischem Druck statt, den vor allem die Gewerkschaft IGBE (heute IGBCE) und die Landesregierung Brandenburg aufbauten. Allein das politische Bekenntnis zur Braunkohlewirtschaft zählte, Bedenken technischer wie wirtschaftlicher Art traten weit in den Hintergrund.

Die nicht ausgereifte Technologie des Heizkraftwerkes brachte die Stadt bis 2005 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Statt der propagierten sicheren Energieversorgung gab es Havarie auf Havarie, statt der versprochenen Sicherung von Arbeitsplätzen in der Region ist die Stadtverwaltung zu massivem Personalabbau gezwungen. Letztlich verlor Cottbus durch diese Entscheidung seine eigenständigen Stadtwerke und damit eine maßgebliche Finanzquelle, auch für den derzeit heiß diskutierten städtischen Nahverkehr. Die Technologie des Cottbuser Heizkraftwerkes wird inzwischen in Forschung und Kraftwerksbau nicht weiter verfolgt. Doch auch heute soll innovative Braunkohletechnik wieder bezahlbare Energie, Sicherung von Arbeitsplätzen und Klimaschutz bieten, auch heute sind IGBCE und Landesregierung sich hundertprozentig sicher. Verheizt werden soll jedoch immer noch dieselbe Braunkohle, der CO2-intensivste Energieträger der Welt, dessen Gewinnung nicht ohne die Zerstörung von Landschaft und Siedlungen möglich ist. Vergleicht man die Entwicklung der Stadtwerke Cottbus und die aktuelle Debatte um die CCS- Technologie, so fällt eine Reihe von Parallelen auf:

Heizkraftwerk Cottbus CCS-Technologie

Anfang 1990er: Zukunftsfähigkeit der Braunkohle aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen in Frage gestellt
seit ca. 2002: Zukunftsfähigkeit der Braunkohle aus Klimaschutzgründen in Frage gestellt (Emissionshandel), Erneuerbare Energien bereits auf dem Vormarsch
Innovative Technologie "druckaufgeladene Wirbelschichtfeuerung" soll die Zukunftsfähigkeit beweisen
Innovative Technologie "carbon capture and storage"(CCS) soll die Zukunftsfähigkeit beweisen
Bei anderer Entscheidung angeblich 10.000 Arbeitsplätze in Brandenburg bedroht
Bei anderer Entscheidung angeblich 15.000 Arbeitsplätze in Brandenburg bedroht
1997: Grundsteinlegung mit Ministerpräsident Manfred Stolpe
2006: Erster Spatenstich für Forschungsanlage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Matthias Platzeck
Nominierung als Projekt der Weltausstellung "EXPO 2000"
Nominierung als "ausgezeichneter Ort"bei "Deutschland - Land der Ideen"2007
Stadt Cottbus schließt Finanzierungsverträge, bei denen sie das Hauptrisiko trägt
Entwurf des "CCS-Gesetzes"sieht Haftung der Bundesländer für Risiken der CO2-Speicher vor
Unwirtschaftlicher Betrieb durch regelmäßige Havarien führt zu Millionenverlusten
Noch unbekannt
2005: Stadtwerke-Skandal: Cottbus droht die Pleite, es verliert seine Stadtwerke zu drei Vierteln an eine Gläubigerbank, Vattenfall macht gleichzeitig Rekordgewinne
Noch unbekannt
2006: Abwahl der Oberbürgermeisterin - Noch unbekannt
2009: Finanzierung des Nahverkehrs unklar - Noch unbekannt

Das Hintergrundpapier "Das Cottbuser Heizkraftwerk - Millionengrab dank Braunkohletechnik" rekonstruiert die Entwicklung um das Cottbuser Heizkraftwerk anhand von Artikeln aus der Regionalpresse. Auf der Rückseite dieses Blattes befindet sich eine Zusammenfassung. Eine 18seitige Langfassung finden Sie auf www.lausitzer-braunkohle.de

Herausgeber: Umweltgruppe Cottbus e.V.
c/o Eine-Welt-Laden
03046 Cottbus
Straße der Jugend 94
Tel.: 0355-4837815
E-Mail: umweltgruppe@web.de

Der Lobbyismus:

Die Verherrlichung:
Knapp drei Jahre halten Stolz und Begeisterung nach dem Beschluss der Cottbuser Stadtverordneten an. Unter anderem präsentiert die zuvor als Treuhand-Chefin mit der Privatisierung der Braunkohlewirtschaft befasste Birgit Breuel das Kraftwerk als Objekt der Weltausstellung EXPO 2000. Je näher der Dauerbetrieb rückt, umso verhaltener werden jedoch Politikerjubel und die allgemeine Präsenz des Kraftwerkes in der Presse.

Der Stadtwerke-Skandal:
1993 werden kommunale Stadtwerke gebildet und vielerorts die Beschlüsse gefasst, veraltete Anlagen durch den Neubau von Heizkraftwerken zu ersetzen. Die brandenburgische Landesregierung versucht, insbesondere die Städte Potsdam, Cottbus, Brandenburg und Frankfurt/Oder zu Kraftwerken auf Braunkohle-Basis zu bewegen, auch um ein Beispiel für das Land Berlin zu geben. Sie bietet dazu einerseits Fördermittel und droht andererseits mit Repressionen im Falle der Entscheidung für andere Energieträger. Als Potsdam und Brandenburg sich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegen Braunkohle entscheiden, werden sie Zielscheibe von militanten Protesten der Gewerkschaft IGBE und unausgewogener Berichterstattung in Lausitzer Medien. Cottbus entscheidet sich unter diesem Druck für ein Braunkohle-Heizkraftwerk mit "druckaufgeladener Wirbelschichttechnologie". Im Frühjahr 2005 berichtet die Presse über zuvor verheimlichte Millionenverluste der Stadtwerke durch das Heizkraftwerk, der "Stadtwerke-Skandal"ist entstanden.

Die Technischen Probleme:
Bis ins Jahr 2008 berichtet die Presse in regelmäßigen Abständen von den technischen Problemen des Heizkraftwerkes, die aus der unausgereiften Technologie herrühren. Besserung wird regelmäßig in Aussicht gestellt, tritt aber jahrelang nicht ein.

Der Sanierungsprozess und die Rolle Vattenfalls:
Hinter dem Ruin der Cottbuser Stadtkasse stehen ausgerechnet die Geldforderungen eines Vattenfall-Tochterunternehmens. Gleichzeitig verdient Vattenfall (anfangs als Lausitzer Braunkohle AG) als Brennstofflieferant kontinuierlich am Heizkraftwerk und stellt sich in der Werbung als "Partner der Region" dar. Offenbar wurde auch nicht die optimale Kohlequalität geliefert - der Schaden daraus für die Stadt "in zweistelliger Millionenhöhe"trug zum Gewinn bei Vattenfall bei. Die Stadt Cottbus beginnt im Herbst 2005 kommunale Betriebe zu verkaufen und bittet das Land um finanzielle Hilfe. Letztlich muss sie ihre Stadtwerke zu drei Vierteln an eine Gläubigerbank abtreten. Vattenfall selbst weigert sich, das Kraftwerk zu übernehmen, das Tochterunternehmen Vasa Energy beteiligt sich schließlich zu einem geringen Teil an der Sanierung. Ende 2008 fällt Vattenfall der Stadt offen in den Rücken: in einer massiven Kampagne werden Kunden der Stadtwerke gezielt abgeworben.

Auswirkungen auf Beschäftigte und Kunden:
Entgegen den Versprechungen der 1990er Jahre hat das Braunkohle- Heizkraftwerk der Stadt Cottbus weder preiswertere Energieversorgung noch sichere Arbeitsplätze gebracht. Strom und Wärmepreise stiegen. Die Beschäftigten müssen durch Lohnverzicht zur Sanierung beitragen, ein Teil der Stellen wird abgebaut. Der Sparzwang nimmt auch beim Personal der Stadtverwaltung zu.

Die Schuldfrage:
Die sich in der "Lausitzer Rundschau" 2005 bis 2008 widerspiegelnde öffentliche Schulddiskussion beschäftigt sich an keiner Stelle mit der Rolle der 1993 bis 1995 als Lobbyisten in Sachen Braunkohle agierenden Personen. Nichtsdestotrotz werden natürlich Verantwortliche gesucht und gefunden. Stadtwerkechef und schließlich Oberbürgermeisterin müssen - sehr wahrscheinlich durch diese Entwicklung mit beeinflusst - den Hut nehmen.

Kein Geld für Bus und Straßenbahn?
In Städten vergleichbarer Größenordnung wie Cottbus sichern die Stadtwerke oft die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, da dieser selten kostendeckend arbeitet. In der Anfang 2009 geführten Debatte um die Streichung oder Verkleinerung der Cottbuser Straßenbahnlinien wird der fehlende Beitrag durch funktionierende Stadtwerke bereits als gegeben hingenommen. Als Cottbus sich nach Bürgerprotesten zur Beibehaltung der Straßenbahn bekennt, steht erneut die Frage "was woanders eingespart werden kann." Unausgesprochen bleibt, dass genau dieser Finanzmangel letztlich die Folge des Braunkohle-Lobbyismus der 1990er Jahre ist.


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Quelle:
Pressemitteilung, 21.04.2009
Herausgeber:
GRÜNE LIGA e.V. - Netzwerk Ökologischer Bewegungen
Bundesgeschäftsstelle
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Telefon: 030/204 47 45, Fax: 030/204 44 68
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Internet: www.grueneliga.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2009