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INITIATIVE/556: Citizen Science - Patent aus Passion (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 3/2019
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BÜRGERWISSENSCHAFT
Patent aus Passion
Ehrenamtliche Artenkundige liefern wertvolle Daten für Wissenschaft und Naturschutz. Und verdienen dafür alle Unterstützung.

von Martina Löw und Magnus Wessel


Citizen Science hat in den vergangenen Jahren erheblich an Popularität gewonnen. Auch ist sie aus der Diskussion um die Zukunft der Forschung nicht mehr wegzudenken. Citizen Science - oft als »Bürgerwissenschaft« übersetzt - meint vor allem zweierlei: die Beteiligung von Laien an wissenschaftlichen Projekten. Und die eigenständige Forschungsarbeit von Menschen jenseits der universitären Wissenschaft (oder nur lose verknüpft damit). Ihr Einsatz erfolgt dabei freiwillig und nicht im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit.

Lange Tradition
Grundsätzlich ist das nichts Neues: Menschen mit Interesse an der Natur erfassen ehrenamtlich Arten, sammeln Daten oder ergründen Zusammenhänge und die Ursachen von Veränderungen in Natur und Umwelt. Das haben schon Goethe, Charles Darwin oder Jane Godall getan - große Namen, lange bevor über Citizen Science gesprochen wurde. Schon seit Jahrhunderten erforschen »Laien« Themen, die der institutionellen Wissenschaft oft abwegig erschienen. Sie entwickelten eigene Hypothesen und Theorien, zuweilen sehr erfolgreich, wie Darwins Evolutionstheorie bezeugt. Oder sie bleiben einer Passion wie der Pflanzen-Taxonomie treu, obwohl sie an vielen Unis längst aufs Abstellgleis rangiert wurde.

Was Laien leisten
Wie wichtig - und immer wichtiger - der bürgerwissenschaftliche Einsatz ist, zeigt das Beispiel der Roten Listen gefährdeter Arten: Ihr Fundament bilden ganz überwiegend Daten und Schlussfolgerungen, die außerhalb der universitären Forschungswelt entwickelt wurden. So stammt der wichtigste Nachweis dafür, dass unsere Insektenfauna nun seit Jahrzehnten verarmt, von privat tätigen Insektenkundlern. Auch zentrale Artenschutzprojekte des BUND fußen auf Citizen Science (s. Kasten). Welche Herausforderungen zeichnen sich dafür ab?

Anfang Texteinschub
WILDKATZEN UND SCHLAFMÄUSE

»Als wir Handschuhe bekamen, wurde mir klar: Jetzt wird es wissenschaftlich. Die Proben sollten ja nicht verunreinigt werden.«

So berichtet ein ehrenamtlicher Helfer von seiner Teilnahme am Citizen-Science-Projekt »Wildkatzensprung« des BUND. Freiwillige sammelten jahrelang Haare von Wildkatzen, begleitet von einem Forschungsinstitut. In sechs aufeinanderfolgenden Wintern kontrollierten sie regelmäßig über 3500 Lockstöcke. Damit lieferten eine beachtliche Datenbasis, um die Verbreitung der seltenen Art zu erforschen.

Wie erfolgreich Citizen Science beim BUND zum Einsatz kommt, zeigt auch unser aktuelles Projekt »Spurensuche Gartenschläfer«. Viele freiwillige Helfer*innen weisen die Schlafmaus hier mithilfe von »Spurentunneln« nach, die den Pfotenabdruck der Tiere dokumentieren. Außerdem kontrollieren sie Nistkästen und bringen Wildtierkameras in Aktion.
Ende Texteinschub

Unsere Gesellschaft steht vor der Jahrhundertaufgabe, schnell zu einer wirklich nachhaltigen Lebensweise zu finden. Der dafür nötige Wandel wird nur glücken, wenn Zivilgesellschaft und Wissenschaft eng kooperieren. Kundige Freizeitforscher*innen haben den Raum, über die Fachdisziplinen hinaus den Blick zu öffnen, ihr Fachgebiet breiter zu denken und zu überschauen. Wer ehrenamtlich forscht, hat die Freiheit, seinen Blick auf größere Zusammenhänge zu werfen. Und das, ohne überlegen zu müssen, welche Themen und Hypothesen sich wohl für die Wissenschaftsjournale eigneten. Wer nicht hauptberuflich forscht, kann auch mal eine Außenseitermeinung vertreten - faktenbasiert, versteht sich. Oder sich in vernachlässigte Bereiche vertiefen. Oder sein Wirken mit einem praktischen Naturschutzprojekt verbinden.

Was braucht Citizen Science?
Fruchtbar könnte sich ein engeres Miteinander von Wissenschaft und Bürgerwissenschaft auswirken. Und mehr Mut seitens der Institutionen, auf Augenhöhe mit den Laien zusammenzuarbeiten. Gemeinsame Standards und Methoden, technische Unterstützung und Möglichkeiten der Veröffentlichung schaffen die Basis der Kooperation - und sichern gleichzeitig die Qualität der Ergebnisse.

Für die Eigenständigkeit von Citizen-Science-Projekten ist es wichtig, die Rechte an Datengrundlagen und Ergebnissen zu wahren; sich intensiv auszutauschen; die Forschungsergebnisse transparent zu verwenden; und politische Einflussnahme kritisch im Blick zu behalten. Das schützt vor Missbrauch und »Greenwashing« und bietet Chancen für beide Seiten.

Damit Citizen-Science-Projekte gelingen und die Freiwilligen gut eingebunden werden, müssen sie begleitet und koordiniert werden. Wer ein solches Projekt plant, sollte deshalb immer einen Förderanteil für das Management der Freiwilligen beantragen. Auch der nicht-universitäre Partner sollte die Federführung und die Antragsrechte innehaben können. Ehrenamtlich Aktiven darf es zudem nicht zu schwer gemacht werden: Kurze Fristen für die Antragstellung, zu wenig Anerkennung ehrenamtlicher Zeit und Ressourcen (für den Eigenanteil) sowie hohe formale akademische Hürden haben der Citizen Science in der Vergangenheit oft Steine in den Weg gelegt.

Staat in der Pflicht
Schließlich sollten wir nicht vergessen: Bei bestimmten Aufgaben steht primär der Staat in der Verantwortung - zum Beispiel bei der kontinuierlichen Überwachung und Kontrolle europäischer Schutzgebiete. Wenn Behörden dieser Pflicht nicht ausreichend nachkommen, können und sollten Ehrenamtliche diese Lücke nicht füllen. Politisch bewegt sich sonst noch weniger. Auch darf zum Beispiel, wer bei einem Eingriff Natur und Umwelt schädigt, nicht aus der Pflicht entlassen werden, selber nachzuweisen, dass er diesen Schaden ausgeglichen hat (wie vom Gesetz gefordert).

Die biologische Vielfalt zu schützen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, genauso wie viele Aspekte des Umweltschutzes. Die Bürgerwissenschaft spielt dabei eine starke Rolle. Doch dauerhaft können Natur- und Umweltschutz nur erfolgreich sein, wenn der Staat seine Verantwortung hierbei angemessen wahrnimmt.


MARTINA LÖW leitet die Abteilung Freiwilligenmanagement
MAGNUS WESSEL leitet die Naturschutzpolitik des BUND

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Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2019, Seite 20 - 21
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2019

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