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ALTLASTEN/003: Radioaktiver Wismut-Schotter als Baumaterial - Anfrage im Thüringer Landtag (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 658-659 / 28. Jahrgang, 5. Juni 2014

Verwendung von radioaktivem Wismut-Schotter als Baumaterial in Thüringen
Die Ergebnisse einer aktuellen Anfrage im Thüringer Landtag,

bewertet von Frank Lange(1)



Unter dieser Überschrift thematisierte Bündnis 90/Die Grünen in einer parlamentarischen Anfrage (Kleine Anfrage Nr. 3827 der Landtagsabgeordneten Anja Siegesmund) im Thüringer Landtag die frühere Verwendung von radioaktivem Haldenmaterial als Baumaterial. Hintergrund war die bewusste und unbewusste jahrzehntelange und in Ostthüringen und Westsachsen zu DDR-Zeiten häufige Nutzung uranvererzter Nebengesteine (Haldenmaterial) bzw. aufbereitungstechnischer Rückstände aus der Uranerzverarbeitung zu Zwecken des Strassen-, Landschafts- und Gebäudebaus. Die Anfrage wollte Licht in das Dunkel der vielen, aus heutiger Sicht der Öffentlichkeit völlig unbekannten Einsatzfälle und -orte mit sogenanntem "Wismut-Schotter" bringen. Daher interessierten sich die Abgeordneten für den Kenntnisstand von, die Herangehensweise bei und den Umgang der verantwortlichen Landesbehörde, dem Thüringer Landesbergamt (TLBA), mit Problemfällen des millionentonnenfach verbreiteten radioaktiven Materials. Weiterhin ging es um die Abfrage zur Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben der Strahlenschutzgesetzgebung. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigten bereits, dass gerade die Gesetzeslage einen ordnungsgemäßen, das heißt dem Schutz der Bevölkerung dienenden Umgang mit diesen Stoffen, erschwert. Es war zu befürchten, dass die Landesregierung und ihre zuständige Fachbehörde TLBA, wie schon öfter geschehen, unzureichende Pflichtvorgaben des Gesetzgebers zu gelassener Untätigkeit auf dem Gebiet der radiologischen Bergbaualtlasten Thüringens nutzt. Gezielte Nachfragen, z.B. konkrete Belastungsfälle und die Informationspflicht gegenüber der Bevölkerung betreffend, konnten unter diesen Vorzeichen durchaus ins Leere laufen.

Die Antworten der Landesregierung bestätigten nun Befürchtungen, die sich bereits aus der Praxis der letzten Jahre ableiteten. Eine Nichteignung der im Jahre 2001 neugefassten Strahlenschutzverordnung für die Altlastenproblematik des Uranbergbaus, die sogenannten natürlichen Strahlenquellen, ist somit erneut zu konstatieren. Folgt man der Interpretation des thüringischen Umweltministers Jürgen Reinholz in seiner Antwort vom 16. April 2014, so stellt sich die Sachlage zum Strahlenschutz kurz gefasst so dar: Uranhaltiges Haldenmaterial war schon immer bedenkenlos, d.h. konform mit der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) für Baulichkeiten unterschiedlicher Art verwendungsfähig. Während diese Stoffe über das im § 118 StrlSchV fortgeltende DDR-Recht auf dem ehemaligen DDR-Gebiet ab einer spezifischen Aktivität von 0,2 Becquerel pro Gramm (Bq/g) mit amtlicher Genehmigung und (damaligen) Auflagen in der Bauwirtschaft eingesetzt werden konnten (und können), ist eine Überwachung solcher heute schlummernden oder wieder aufgefundenen Strahlungsquellen erst ab 1,0 Bq/g erforderlich. Das aber auch nur, wenn ein jährlicher bevölkerungsrelevanter Expositionswert von 1,0 Millisievert (mSv) nachweislich überschritten wird. Da diese Forderung auch schon zu DDR-Zeiten galt, so der Umweltminister in der Stellungnahme seines Landesbergamtes, kann das Haldenmaterial überwachungsfrei bleiben, wo immer es sich befinden mag. Das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) im benachbarten Freistaat Sachsen hält es dagegen trotz oder wegen der StrlSchV 2001 für angebracht, allein für die Grundsätze der Antragstellung zur Beseitigung vorhandener radioaktiver Stoffe bei Baumaßnahmen einen 150 Seiten starken Leitfaden [3] herauszubringen und sorgt sich um den Verbleib dieser niedrig kontaminierten Stoffe(2) auf geeignetem Deponieraum. Da dieser auch in Sachsen zur Neige geht, sucht man nach Lösungen. Neue strahlenschutztechnische Verfahren mit Auflagen zum Verbleiben dieser Altlasten am Ort sind dabei zwar keine gute Lösung, aber es wird sich offen der Problematik gestellt. Ist etwa das Haldenmaterial in Sachsen kontaminierter als in Thüringen? Mitnichten, hier stammt fast die Hälfte (47,1 Prozent) aller offiziell für staatliche DDR-Unternehmen genehmigten Materialien von Uranbergbauhalden aus Sachsen.

Ungeeignete Strahlenschutzgesetzgebung

Die Festlegungen in Kapitel 3 der StrlSchV zu den sogenannten natürlich vorkommenden radioaktiven Stoffen kreisen um Zustimmungs-, Überwachungs- und Entlassungspflichten. Für eine Genehmigung zur Weiterverwendung, also z.B. den Umgang mit radioaktiven Stoffen im Rahmen von Baumaßnahmen, gilt für das Beitrittsgebiet DDR-Recht (VOAS(3) und HaldAO(4)). Die Überwachungsbedürftigkeit radioaktiver Rückstände nach § 97 StrlSchV ist auf diverse Grenzwerte für Entsorgungswege entsprechend den Vorgaben in Anlage XII, Teil B der Strahlenschutzverordnung ausgerichtet. Einem Verbleib an Ort und Stelle oder einer herkömmlichen, auflagenlosen Deponierung muss eine Entlassung aus der Überwachungspflicht nach § 98 StrlSchV vorausgehen. Aber auch bei Überschreitung des Aktivitätsgrenzwertes müssen keine besonderen Auflagen oder weitere Überwachungen erfolgen, sofern "Strahlenexpositionen ... für Einzelpersonen der Bevölkerung eine effektive Dosis von 1,0 Millisievert (mSv) im Kalenderjahr nicht überschreiten" (Anlage XII, Teil C StrlSchV). Und genau das setzt heute das TLBA bei allen Fällen des in der DDR verbauten Haldenmaterials voraus.

Die mögliche Strahlenbelastung der Bevölkerung wird unterschiedlich zugelassen, wobei man zweierlei Maß angelegt. Die Strahlenschutzverordnung billigt dem "sonstigen Atommüll" im § 29 (2) "... für Einzelpersonen der Bevölkerung nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert (µSv) im Kalenderjahr" zu, also im Vergleich zum "natürlichen", auf der Erdoberfläche abgelagerten Uranbergbau-Müll zwei Zehnerpotenzen weniger, ein Hundertstel! Die untaugliche Begründung mit Vorsorgeprinzip (Atommüll) und konkreter Strahlenbelastung der Bevölkerung (Uranbergbauabfall) ist aber nicht das alleinige Problem. Eine Dosisberechnung der Strahlenbelastung ist mit den Vorgaben der Verordnung gar nicht zu realisieren. Sie setzt jeweilige Mengenkenntnisse des aktiven Anteils der Baumaterialien sowie die Einbeziehung eines betroffenen Kollektivs voraus. Das ist mit den Grenzwertkonzentrationen in der Anlage XII nicht machbar. Die praktisch üblichen "alternativen" Kontrollmessungen der Gamma-Ortsdosisleistung können bestenfalls zur Auffindung von Strahlungsquellen verwendet werden aber nicht den Bewertungsmaßstab bilden. Selbst eine komplette Gammaspektrometrie gleicht das nicht aus, abgesehen vom enormen Aufwand. "Allgemeingültige Festlegungen zu Aufschluss- und Probenzahlen sind aufgrund unterschiedlicher Leitnuklide, Aktivitätsniveaus und Homogenitäten von Kontaminationen und anfallenden Mengen kaum möglich" [3], S. 53.

Fehlendes Problembewusstsein thüringischer Behörden

Wie ordnet nun der thüringische Umweltminister Jürgen Reinholz bzw. seine Überwachungsbehörde die Altlastproblematik radioaktiver Baustoffe aus Haldenmaterial ein? Der Extrakt der Aussagen [4] ergibt folgendes Bild: 1,9 Millionen Tonnen Haldenmaterial seien nach Kenntnis des TLBA in Thüringen verwendet worden, wovon 540.000 Tonnen sich mit amtlichen Genehmigungen untersetzen lassen. Das Material wurde demnach vorwiegend im Straßenbau als Tragschicht, zur Geländeauffüllung, bei Dammbauten und in geringem Umfang als Zuschlagstoff für Beton und Bitumen verwendet. Die Einsatzorte sind fast immer unbekannt. Angeblich nicht schlimm, denn im Regelfall handelt es sich um "taubes" Gestein der Schachtteufen oder normale Deckgebirge von ehemaligen Urantagebauen. Falls es tatsächlich aus dem Erzaufbereitungsprozess stammen sollte, dann ist es "wie im Fallder Bergehalde Crossen durch eine radiometrische Vorsortierung als 'taub' eingestuft" worden. Begrifflichkeiten der Verharmlosung aus einer längst vergessen geglaubten Zeit! Den Aktivitätsgehalt der Materialien bewertet der Umweltminister "... größtenteils gering (kleiner 1 Bq/g)". Als maßgebliches Nuklid wird Uran-238 genannt. In den vergangenen 24 Jahren gab es gerade einmal 39 Strahlenschutzverfahren, bei denen der Umgang mit Haldenmaterial außerhalb der Wismut-Sanierung zu regeln war. Als unproblematisch identifizierte Verdachtsflächen erhielten keine amtliche statistische Registrierung. Darüber hinaus existierten lediglich wenige Einzelfälle, deren Handlungsbedarf eigentlich ebenfalls nicht strahlenschutzrelevant zu begründen war. Solche Baustellen bzw. beantragten Prüfungen beruhten auf eigenverantwortlichen Vermutungen von jeweiligen Bauträgern. Dabei wurden 370.000 Tonnen Haldenmaterial in erster Linie im Raum Ronneburg-Gera entfernt, das "... nur gering radioaktiv und nach § 97 Abs. 2 StrlSchV als nicht überwachungsbedürftig zu klassifizieren" war. Informationen an die Bevölkerung gibt es insofern, als entsprechende Anfragen Betroffener beantwortet werden. Schließlich bewegen sich "... zusätzliche Expositionen durch den Einsatz von Haldenmaterial im Straßenbau und bei der Geländeregulierung im Schwankungsbereich der natürlichen Strahlungsexposition". "Im Übrigen liegt die Verantwortung für einen sachgerechten Umgang mit dem Haldenmaterial bei dem Genehmigungsinhaber oder dem heutigen Rechtsnachfolger" Das TLBA kann aber durch "... Vor-Ort-Begehungen und Screening-Messungen (seinen) Teil dazu beitragen, den Betroffenen die Ängste zu nehmen und den Umgang mit Haldenmaterial zu versachlichen." Zirka drei bis fünf Fälle treten pro Jahr auf. Da die Materialien auflagefrei auf normale Deponien verbracht werden können, nachdem zuvor eine offizielle Entlassung aus der (praktisch nie realisierten!) Strahlenschutzüberwachung erfolgte, sind keine gesonderten Deponieflächen nach Abschluss der Wismut-Sanierung 2024 notwendig.

Die Beantwortung des Fragenpakets macht die Pauschalisierung und Verniedlichung des Umgangs mit belasteten radioaktiven Abfällen geringer bis mittlerer spezifischer Aktivität durch thüringische Behörden deutlich. Offensichtlich kam es zur Entsorgung von bisher immerhin 370.000 Tonnen kontaminierten Baustoffen nicht wegen, sondern trotz des Landesbergamtes. Am Ende der Beantwortung steigert die Behörde ihr Bemühen um verbale Problemglättung noch. So werden aus versteckten und daher gefährlichen Altlasten harmlose "Hinterlassenschaften des Uranbergbaus" gemacht, die gesetzlich begründet von der Wismut GmbH alle saniert und gar rekultiviert werden. Den Begriff entlehnte die Landesregierung aus dem nur aktive Sanierungsflächen betreffenden Wismut-Gesetz von 1991. Leider besteht nach Auffassung des Sanierungsunternehmens kein Rechtsanspruch auf Rekultivierung, so dass auch hier die Landesregierung irrt. Aber das ist schon wieder eine andere Problematik.

Statistische Bewertung

Nun kann offenbar nicht verlangt werden, dass Behörden und Ministerien sich mit den jahrzehntelangen Erfahrungen und Erkenntnissen engagierter Bürger, selbst wenn diese in Form konkreter Forschungsergebnisse(5) vorliegen, auseinandersetzen. Was die Landesregierung daraus erfahren könnte, zeigt die Auswahl folgender Fakten, die den oben benannten Antworten gegenüberzustellen sind.

Statt bei nur 540.000 Tonnen ist die Einsatzmenge von über 1,8 Millionen Tonnen Haldenmaterial mit behördlichen bzw. staatlichen Genehmigungen untersetzt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Kategorien der Verwendung von Haldenmaterial in Thüringen 1974 bis 1990, Genehmigungslage und bekannte Mengen von Haldenmaterial in der Bauwirtschaft (ohne Wismut-Anteil)



Von den 332 Erlaubnissen, die zwischen 1974 und 1990 für thüringische Gebiete das damals zuständige Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR (SAAS) erteilte, lassen sich 286 mengenmäßig einem entsprechenden Verwendungszweck zuordnen (Abbildung 2). 14 Prozent der Erlaubnisscheine enthielten keinerlei Mengenbegrenzungen.

Abbildung 2: Jährliche Verteilung der Verwendungszwecke von Haldenmaterial in der Bauwirtschaft (ohne Wismut-Anteil)



Eine häufig vorgebrachte Argumentation, dass mehr erlaubt als tatsächlich eingebaut wurde, ist durch die Aufdeckung der tatsächlichen Defizite widerlegt. Die Verkaufsstatistik überstieg mehrheitlich die Genehmigungsumfänge. Von 1974 bis 1989 genehmigte das SAAS 2,76 Millionen Tonnen Crossener Haldensplitt und -kies für Betriebe der DDR-Volkswirtschaft. Dem steht eine registrierte Verkaufsmenge von 4,38 Mio. Tonnen gegenüber. [1]

Die in Abbildung 1 dargestellten Einsatzmengen berücksichtigen lediglich die heute bekannte Genehmigungslage. Die tatsächlich verwendeten Mengen waren von Anbeginn des Uranbergbaus bis Ende der 1980er Jahre deutlich höher und unterlagen über lange Zeiträume keinen wirksamen Reglementierungen. Zwar wurde seitens staatlicher Behörden immer wieder versucht, Haldenmaterial mit Bezug zum Uranbergbau von Weiterverwendungen auszunehmen, doch das scheiterte an den praktischen Gegebenheiten. Auf die Thematik wurde im Fachbeitrag "Die Verwendung radioaktiver Halden als Baumaterial" (Strahlentelex 642-643/2013)(6) ausführlich eingegangen.

Die vom Minister erwähnten 120.000 Tonnen des aus der Uranaufbereitung stammenden hoch belasteten "Crossener" Materials für Thüringen lassen sich nach [1] mengenmäßig bestätigen. Das ist ein auf den ersten Blick vergleichsweise geringer Anteil von 6,5 Prozent am vermuteten Gesamtaufkommen in Thüringen. Hier sind 49 Genehmigungen bekannt, davon 5 pauschal. Die bevorzugte Nutzung erfolgte im Straßen- und Wegebau und als bauwirtschaftlicher Zuschlagstoff im Beton-Elemente-Bau. Der Anteil beim Straßen- und Wegebau betrug immerhin 15 Prozent aller mit Haldenmaterial errichteten Objekte. Doch entscheidender ist, dass der eigene Baubetrieb der SDAG Wismut einfachen und weitgehend genehmigungsfreien Zugang zu Halden hatte und diese Materialien nicht nur im Schachtbau, sondern auch außerhalb der Betriebsanlagen im Industrie- und Gesellschaftsbau insbesondere im ostthüringischen Raum einsetzte. Beispielsweise bezog noch 1989 der Eigenbetrieb(7) allein schon rund 30 Prozent der Jahresverkaufsmenge des berüchtigten "Crossener" Materials. Die 49 Genehmigungen des SAAS betrafen Firmen (DDR-Betriebe) und staatliche Institutionen. Das viel größere, zudem unbekannte Volumen brachte jedoch der wismuteigene Baubetrieb nach Ostthüringen.

Problembewältigung statt Verdrängung

Wie ist die Herangehensweise des TLBA an die versteckten Altlasten im Zusammenhang mit der StrlSchV 2001 zu werten? Es wird davon ausgegangen, dass Haldenmaterial vorwiegend kleiner 1,0 Bq/g spezifische Aktivitätskonzentration bezogen auf die ganze Uran-238-Reihe aufweist. Dagegen betrug in Crossen allein die Gesamtdurchschnittskonzentration des Abgabematerials schon 1,3 Bq/g Radium-226. Da aber das TLBA pauschal von ordnungsgemäßen Genehmigungen durch das SAAS der DDR ausgeht und damit garantierte Strahlenexpositionen von unter 1 mSv stets voraussetzt, wird kein Handlungsbedarf für die Suche, Erfassung und Beseitigung von Altlasten mit radioaktivem Baumaterial gesehen. In bzw. aus Crossen wurde jedoch schon ab 1964 strahlender Kies im Straßenbau eingesetzt, da wusste man noch gar nichts von effektiven 1 mSv-Dosen. Viele der ab circa 1972 üblichen Genehmigungen erteilte das SAAS im Nachgang. Radiologische Messungen zur Feststellung der Materialeignung erfolgten bei manchen Halden gar nicht oder nur als Einzelmessungen. Aus der 1964 stillgelegten sächsisch-vogtländischen Lagerstätte Zobes wurden 11 von 13 großen Halden "nach Bergbaueinstellung (...) durch die Hartsteinwerke Oelsnitz alle mit Erzresten durchsetzten Kegelhalden abgefahren und zu Straßenbauschotter verarbeitet." [5]. Für den Zeitraum 1975 bis 1985 sind mindestens 250.000 Tonnen dieses Materiales für den Einsatz in Ostthüringen genehmigt worden (nach [1] mit 144 SAAS-Genehmigungen).

Selbst in Crossen fanden Messungen zur radiologischen Kontrolle durch das SAAS nur im Abstand von circa einem halben Jahr statt! Die vom Minister erwähnte radiometrische Vorsortierung hatte dort nichts mit der bautechnischen Verwendungseignung zu tun. Sie fand allein unter dem Gesichtspunkt der Eignung zur Erzaufbereitung (Freifallsortierung, Dichteklassierung etc.) statt. Das TLBA erwähnt noch nicht einmal die praktizierte radioaktive Klassifizierung des Haldenmaterials für Bauzwecke, nimmt aber einen ordnungsgemäßen und heutiger Strahlengesetzgebung genügendem Umgang an. Daher hierzu ein Auszug aus dem Forschungsprojekt [1]:

"Ohne genaue Konzentrationsangaben (Grenzwerte blieben geheim) legte man fünf Materialklassen der Halden fest und benannte Einsatzmöglichkeiten mit entsprechenden Auflagen. Die Klasse I soll unter 0,4 Bq/g Radium gelegen haben und war für alles verwendbar, einschließlich Streumaterial. Crossener Material ordnete man im Wesentlichen der Klasse III zu, mitunter weisen Genehmigungsauflagen des SAAS auch die Klasse II aus. Es musste in der Regel bei innerörtlicher Verwendung eine 15 cm starke Abdeckung mit Material der Klasse I (oder besser) erfolgen. Explizit war es dem BMB 17 erlaubt, das Crossener Material als Klasse II frei zu verwenden. Er durfte nämlich den eigentlichen oberen Grenzwert der Klasse II noch um 50% überschreiten (ca. 1,5 -2 Bq/g Radium!). Damit war das Material für den Baubetrieb außer bei Wohnungs- und Gesellschaftsbauten überall einsetzbar. Insofern sind die 227.268 Tonnen (...) in Ostthüringen für bauliche Anlagen viel zu niedrig ausgewiesen, da die Baumaßnahmen des BMB 17 in dieser Statistik nicht erscheinen. Er war z.B. im Jahre 1989 mit 34.000 Tonnen Bezugskontingent der zweitgrößte Abnehmer in Crossen und verwendete das Material vorzugsweise im Betonbau. In den Vorjahren verbaute man pro Jahr regelmäßig um 100.000 Tonnen radioaktiven Haldenkies, eher mehr als weniger."

Noch aufschlussreicher ist folgender Auszug [1]: "So wurde im Ronneburger Bau- und Montagebetrieb der Wismut, dem BMB 17, mit radioaktiven Beton und Betonfertigteilen gearbeitet, die in Bauten der Wismutschächte und -betriebe, aber auch des örtlichen Territoriums einschließlich zugehörigen Straßen- und Wegebau eingingen. Die wismuteigenen Genehmigungen für das BMB 17 untersagten die Verwendung im Wohnungs- und Gesellschaftsbau, sowie die Belieferung Dritter mit Beton. In wie weit man sich daran hielt, ist eine andere Sache. Crossener Material kam in Fundamente und Fußböden. In Wänden und Decken im 'Wesentlichen' nicht; ein Anteil bis zu 10 % galt jedoch als unrelevant. Sondergenehmigungen waren möglich und wurden durch SZS(8) oder Wismut (den Hauptstrahlenschutzbeauftragten) erteilt. Landwirtschafts- und Industriebauten erhielten 'Lüftungsvorgaben' zum Austausch des Rauminhaltes in einer bestimmten Zeit." Die Auflagen gingen sogar soweit, dass z.B. bei (zwangsbelüfteten) Stallbauten die dort tätige Personenanzahl begrenzt wurde.

Gegenstand der Landtagsanfrage war auch die Einhaltung von Genehmigungsauflagen mit zeitloser Gültigkeit und die damit verbundene Langzeitsicherheit. Die aufschlussreiche aber eigentlich erschütternde Antwort vom 16. April 2014 soll als Zitat wiedergegeben werden: "Die Kontrolle von Auflagen des SAAS, sofern die Zustimmungen überhaupt mit kontrollfähigen Auflagen verbunden waren, ist dem TLAB nicht möglich, da (...) der genaue Einsatzort nicht bekannt ist. Sie ist aber in der Regel auch entbehrlich, da (...) eine Neubewertung der Verwendung dieser Materialien auf der Grundlage der StrlSchV zu dem Ergebnis führt, dass eine Überwachung nicht erforderlich ist.

Unabhängig davon sei hier ausdrücklich angemerkt, dass die Verantwortung für einen sachgerechten Umgang mit dem verwendeten Haldenmaterial grundsätzlich beim Genehmigungsinhaber oder dem heutigen Rechtsnachfolger liegt."

Diese unbedarfte Auslegung der Strahlenschutzgesetzgebung hat nur negative Folgen. Ein Beispiel: Ehemals wirksame Abdeckungen des Straßenunterbaus zerbröseln nach 30 Jahren Nutzung zwangsläufig. Kaum ein Straßenbaulastträger in Ostthüringen kennt den Unterbau seiner Straßen. Aber das Landesbergamt schiebt ihnen und auch noch dem ehemaligen SAAS der DDR und damit dem jetzigen Bundesamt für Strahlenschutz eine alleinige Kontrollverantwortung zu. Mit Schutz von Bürgern und verantwortungsvoller Behördenarbeit hat das nichts mehr zu tun.

Der Abbildung 2 ist weiterhin ein aufschlussreicher Verlauf der Einsatzmengen zu entnehmen. Mit Einführung der heute noch gültigen gesetzlichen Regelungen Ende 1980 (HaldAO) und noch einmal Ende 1984 (VOAS) sank die Verwendung, und zwar die genehmigungspflichtige Verwendung von Haldenmaterial deutlich. Das war aber nicht der Verhinderung von Überschreitungen der 1 mSvGrenze für die Belastung der Bevölkerung mit ionisierender Strahlung geschuldet. Das SAAS reglementierte und beauflagte zunehmend, um den Einsatz solcher radioaktiv belasteten Baustoffe generell zu beschränken. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Erst die Aufdeckung der Probleme durch die DDR-Bürgerbewegung Ende der 1980er Jahre führte zu einem Umdenken.

Aber selbst die verantwortliche Behörde in der DDR hegte seit längerem wohlbegründete Zweifel am Einsatz uranhaltigen Haldenmaterials als Baustoff. Das belegt z. B. ein Zitat von 1978 (2): "Das Strahlenschutzproblem liegt vor allem in der Verwendung dieser Materialien im Mt-Bereich(9) und der damit verbundenen langzeitigen Belastung sehr großer Bevölkerungsgruppen bzw. in der Radonkontamination der Luft umbauter Räume."

Insofern hatte die DDR-Strahlenschutzbehörde dem thüringischen Landesbergamt einiges voraus.



Anmerkungen

(1) Dipl.-Ing. Frank Lange, Kirchlicher Umweltkreis Ronneburg, franklange44@web.de

(2) "Nach den Erfahrungen der Genehmigungspraxis überwiegen bei Baumaßnahmen radioaktive Stoffe mit geringen bis mittleren spezifischen Aktivitäten (0,2 bis 2,0 Bq/g). Seltener (...) bis 5 Bq/g (...) bis 10 Bq/g sind die Ausnahme". [3] S. 52

(3) Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz - VOAS vom 11.10.1984

(4) Anordnung zur Gewährleistung des Strahlenschutzes bei Halden und industriellen Absetzanlagen und bei der Verwendung darin abgelagerter Materialien - Hald AO, eigentlich StrlSAblAno, vom 17.11.1980

(5) "Geheime Verschlusssache Wismut", Forschungsprojekt des Kirchlichen Umweltkreises, 2012

(6) Frank Lange: Die Verwendung radioaktiver Halden als Baumaterial, Strahlentelex 642-643 v. 03.10.2014,
www.strahlentelex.de/Stx_13_642-643_S03-09.pdf

(7) Der zentrale Wismut-Baubetrieb war das Bau- und Montagekombinat 17 (BMB 17) mit Sitz in Ronneburg.

(8) dem späteren SAAS

(9) Man ging bereits 1978 von Millionen Tonnen (Mega-Tonnen; Mt) bauwirtschaftlich genutzten Haldenmaterials aus, obwohl die Reglementierungen erst wenige Jahre staatlich gesteuert wurden.



Literatur

1. Geheime Verschlusssache Wismut S. 142-149; Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg, 2012

2. "Instruktion zum Verkauf und zur Verwendung von Bergemassen und Haldenmaterialien zu Bauzwecken" der SDAG und des SAAS vom 31.05.1978, Wismut-Archiv

3. "Radioaktive Stoffe bei Baumaßnahmen", Schriftenreihe des sächsischen LfULG Heft 13/2013

4. Drucksache 5/7686: Antwort des Ministers für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz vom 16.04.2014 auf die Kleine Anfrage 3287

5. "Vor 50 Jahren stellte die SDAG Wismut die Aktivitäten im Vogtland ein" von Dr. Rudolf Daenecke, DIALOG 81 - April 2014, Mitarbeiterzeitschrift der Wismut GmbH


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_14_658-659_S08-12.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2014, Seite 8 - 11
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2014