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MELDUNG/171: 31. Deutscher Naturschutztag in Erfurt verabschiedet Positionspapier (BfN)


Bundesamt für Naturschutz (BfN)
Pressemitteilung - Bonn, 21. September 2012

31. Deutscher Naturschutztag in Erfurt verabschiedet Positionspapier:

- Neue Stromnetze müssen naturverträglich gestaltet werden
- Naturschutzrecht achten - nicht aussetzen
- Bei Energiewende frühzeitig Bürger beteiligen
- Biomasse nachhaltig und naturverträglich produzieren
- Sorgfältige Standortwahl bei Windkraft verhindert Konflikte



Erfurt/Berlin/Bonn, 21. September 2012: Mit der Verabschiedung der "Erfurter Positionen" der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geht heute der 31. Deutsche Naturschutztag (DNT) in Erfurt zu Ende. Damit reagieren die rund 700 anwesenden Fachleute des Deutschen Naturschutzes auf die großen Herausforderungen, die sich für den Naturschutz heute und in den nächsten Jahren durch die Energiewende ergeben. Die Energiewende und der damit verbundene Ausbau der Leitungsnetze werden erhebliche Auswirkungen auf die Schutzgüter des Naturschutzes wie die Biologische Vielfalt, den Naturhaushalt und das Landschaftsbild haben. Der 31. DNT bot den Rahmen, sich insbesondere mit den Herausforderungen der Energiewende für den Naturschutz auseinanderzusetzen und die Auffassung und Forderungen der Naturschutzvertreter dazu zu präzisieren.

Fazit:
Die Energiewende mit ihren weitreichenden Folgen für Natur und Landschaft kann nur unter Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in einer nachhaltigen Entwicklung erfolgreich umgesetzt werden. Die natürlichen Lebensgrundlagen stellen unverzichtbare Grundlagen für alles menschliche Wirtschaften und alle gesellschaftlichen Entwicklungen dar. Dafür ist es notwendig, die dazugehörenden Fachthemen immer wieder neu in die jeweiligen Entscheidungsprozesse einzubringen.

Der 31. DNT unterstützt aktiv die Energiewende. Er appelliert daher an die Politik und alle gesellschaftspolitischen Akteure (u. a. Kirchen, Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Sportorganisationen), ihre Potenziale und Stärken einzubringen und die hier formulierten Forderungen des DNT zur Erhaltung von Natur und Landschaft und zur Umsetzung der Energiewende zu unterstützen.

1) Den Ausbau des Stromnetzes und der dazugehörenden Infrastruktur nachhaltig und naturverträglich gestalten!
Der DNT fordert, den Um- und Ausbau des Stromnetzes sowie der zugehörigen Infrastrukturbauten wie Umspannwerke und Speicheranlagen auf das unbedingt Notwendige zu beschränken und dem Prinzip Ausbau vor Neubau zu folgen. Die Weiterentwicklung und Vereinheitlichung der in der Praxis bewährten Methoden und Standards ist wünschenswert, darf aber keinesfalls zulasten ihrer fachlichen Qualität oder einer Absenkung der Schutznormen führen. Zur räumlichen Steuerung sind die Instrumente der Landschaftsplanung und Raumordnung wieder verstärkt zu nutzen und flexibel einzusetzen.

2) Für einen fairen Interessenausgleich das dazu entwickelte Naturschutz- und Verfahrensrecht erhalten und beachten!
Der DNT fordert, das bestehende Naturschutzrecht weiterhin einheitlich für alle Vorhabensarten anzuwenden. Es bedarf stets einer Abwägung der Belange im Einzelfall, um zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Daher müssen auch bei Vorhaben der Energiewende naturverträgliche Alternativen geprüft und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung und zum Ausgleich von Beeinträchtigungen ergriffen werden. Eine Aufweichung des Naturschutzrechts würde bewährte Verfahrensabläufe eher verlängern, Planungssicherheit verhindern und Akzeptanzprobleme vergrößern sowie Gefahr laufen, gegen Europarecht zu verstoßen.

3) Bei der Umsetzung der "Energiewende" eine frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung gewährleisten!
Der DNT fordert, offen zu kommunizieren, dass der Umbau unseres Energieversorgungssystems mit weitreichenden Veränderungen in unserer Landschaft und mit erheblichen Kosten verbunden ist. Die Öffentlichkeit und die Naturschutzvereinigungen sind in einer konsequenten Partizipation rechtzeitig und umfassend bereits auf vorgelagerter Ebene, in Zulassungsverfahren und politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Die Akzeptanzbildung ist für das Gelingen der Energiewende essenziell. Die Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle als Instrument der Verfahrensbeschleunigung wird strikt abgelehnt.

4) Schöne Landschaften als Voraussetzung für die landschaftsbezogene Erholung und für die touristische Nutzung erhalten!
Der DNT fordert, bei der Abwägung der Nutzung erneuerbarer Energiequellen die großräumigen Auswirkungen auf Natur und Landschaft umfassend zu berücksichtigen. Der Ausbau sollte durch eine vorausschauende Landschafts- und Raumplanung natur- und landschaftsverträglich gestaltet werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Anlagen regenerativer Energieerzeugung so in die Landschaft integriert werden, dass deren Erholungs- und Erlebnisfunktion nicht gemindert werden. Sensible Landschaften sind von störenden Anlagen und Nutzungen freizuhalten.

5) Biomasseproduktion naturverträglich gestalten!
Der DNT fordert, dass angesichts sich abzeichnender Konflikte und Akzeptanzprobleme hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit und Naturverträglichkeit der Erzeugung und Nutzung von Bioenergie gestellt werden. Dazu zählen u. a. die Vermeidung der Beeinträchtigung wertvoller Ökosysteme, das Unterlassen des Anbaus von Energiepflanzen auf organischen Böden und die Beachtung des Artenschutzes. Gleichfalls sind soziale Kriterien zu berücksichtigen und die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Die Nutzung von Reststoffen, z. B. Landschaftspflegematerial und Wirtschaftsdünger (Gülle und Festmist), zur Energieerzeugung sollte verstärkt erfolgen, ebenso eine vorrangige stoffliche Nutzung und eine darauf folgende energetische Verwertung (Kaskadennutzung).

6) Weitere Eingriffe in die Gewässer zum Bau von Wasserkraftanlagen sollen unterbleiben!
Der DNT fordert einen Verzicht auf weitere Eingriffe in Gewässer, die durch den Neu- und Ausbau der Wasserkraft verursacht werden. Noch frei fließende Gewässerstrecken sind weiterhin von Wasserkraftnutzung frei zu halten. Bestehende Wasserkraftanlagen sind durch geeignete Maßnahmen ökologisch aufzuwerten. Vergütungsregelungen für den Umbau der Wasserkraftanlagen müssen umgehend an klare und dauerhaft nachprüfbare ökologische Bedingungen geknüpft werden.

7) Windkraft: Konfliktminderung durch sorgfältige Standortwahl!
Der DNT fordert, bedeutende Brut-, Fortpflanzungs- und Rastgebiete sowie Zugrouten der störungsempfindlichen und kollisionsgefährdeten Arten in ausreichendem Umkreis von Windkraftanlagen freizuhalten. Die Einhaltung der von der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten empfohlenen Abstände ist fachlich sinnvoll. Sie wirkt verfahrens-vereinfachend, kostensparend und akzeptanzfördernd. Natürliche und naturnahe Wälder oder solche, die ein harmonisches Landschaftsbild prägen, müssen von Windkraft freigehalten werden.

8) Das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 stärken!
Der DNT fordert, die gemeldeten Natura 2000 - Gebiete zügig zu einem funktionsfähigen Netz zu verknüpfen. Dazu soll insbesondere ein länderübergreifendes Biotopverbundsystem entwickelt und rechtlich gesichert werden. Durch fachlich fundierte Managementpläne und ihre konsequente Umsetzung soll der Anteil der Arten und Lebensraumtypen, die einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen, deutlich erhöht werden. Dazu müssen spezifische Finanzierungsinstrumente geschaffen werden. Negative Auswirkungen auf Natura 2000 - Gebiete durch den vermehrten Anbau von Energiepflanzen sind auszuschließen. Diese Gebiete sollten zudem frei von Windkraft- und Solaranlagen sowie dem Anbau gentechnisch veränderter Organismen bleiben.

9) Unser Naturkapital erhalten!
Der DNT fordert, die biologische Vielfalt und die Ökosystemleistungen in ihrer gesamten Breite in ökonomischen Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Privaten stärker als bisher zu berücksichtigen. Finanzielle Anreize, z. B. der Landschaftspflegebonus im EEG, tragen zu einer naturverträglichen Landnutzung und zur Erhaltung unseres Naturkapitals und der Ökosystemleistungen bei. Alle umweltschädlichen Subventionen sind einzustellen!

10) Neue Wildnis braucht das Land!
Der DNT fordert, die in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossenen Ziele der Bundesregierung im Hinblick auf die natürliche Entwicklung von Ökosystemen rasch und konsequent umzusetzen. Dabei sind neben bestehenden Nationalparken und Kerngebieten von Biosphärenreservaten weitere Gebiete entsprechend zu entwickeln. In Frage kommen dafür vor allem Waldflächen der öffentlichen Hand und des Nationalen Naturerbes, Auen und Fließgewässer, Moorlandschaften, großflächige ehemalige Truppenübungsplätze und Abbaugebiete. Aufgrund des relativ geringen Flächenbedarfs halten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des DNT die dadurch verursachte Verminderung des Holzangebotes für verkraftbar. Durch eine angemessene Öffentlichkeitsarbeit soll die Wahrnehmung der Bedeutung von Wildnis in der Bevölkerung deutlich gesteigert werden. Die Ausweisung neuer Nationalparke ist dazu geboten.

Hinweis:
Den vollständigen Text des Positionspapiers des DNT erhalten Sie unter:
www.deutscher-naturschutztag.de

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Quelle:
BfN-Pressemitteilung, 21.09.2012
Herausgeber: Bundesamt für Naturschutz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2012