Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit
Biodiversity Offsetting
Beitrag zur Lösung der Biodiversitätskrise oder neue Bedrohung?
Von Friedrich Wulf
Jeder Naturschützer kennt sie in Deutschland, und sie ist seit Jahrzehnten Teil des deutschen Naturschutzinstrumentariums: die Eingriffsregelung. Dass man Eingriffe in Natur und Landschaft kompensieren muss, und dass es dazu eine Regelung gibt, erscheint selbstverständlich. Doch gibt es eine solche Regelung nur in wenigen anderen EU-Ländern und so hat sich die EU-Kommission im Rahmen ihrer Biodiversitätsstrategie 2020 unter anderem vorgenommen, eine No Net Loss (NNL) -Initiative zu starten. Mit ihrer Hilfe soll die Gesamtmenge an Biodiversität konstant gehalten werden. Wie dies geschehen könnte, wurde 2012 und 2013 im Rahmen einer von der Kommission gegründeten Arbeitsgruppe erörtert.(1) Ein zentrales Element, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Offsetting-Mechanismus.
Beim Biodiversitäts-Offsetting handelt es sich um einen Kompensations- beziehungsweise Ausgleichsmechanismus. Es geht dabei um das Versprechen, durch wirtschaftliche Aktivität zerstörte Natur an einem anderen Ort zu ersetzen.
Wie ein solcher Mechanismus aussehen könnte, wird aufbauend auf den Diskussionen der EU-Arbeitsgruppe in einem Auftragsgutachten vom Institute for European Environmental Policy(2) weiter angedeutet. Dieses orientiert sich in vielem an der als vorbildlich geltenden, deutschen Eingriffsregelung. Sie stellt auch klar, dass die Regelungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie Vorrang haben müssen. Doch kann trotz aller guter Absichten nach Durchlaufen des EU-Gesetzgebungsprozesses zu einem NNL-Instrument und im Angesicht vielfältiger gesellschaftlicher Interessen im Ergebnis ein Instrument herauskommen, das mehr schadet als nützt. Deswegen hat sich unter den Brüsseler NGOs im vergangen Jahr die deutliche und einhellige Meinung herausgebildet, doch besser die Finger von einer neuen EU-Regelung zu lassen. Auch viele in dem globalen zivilgesellschaftlichen Netzwerk CBD Alliance vertretene Organisationen teilen diese Meinung.(3)
NGOs befürchten:
Am 3. und 4. Juni fand nun in London ein weltweiter Kongress(4) zum Thema Biodiversitäts-Offsetting statt. Neben Regierungs- und Verwaltungsvertretern, Experten und NGOs waren auch viele Gutachter und Finanzexperten unter den 250 Teilnehmern. Wer sich nach den beschwichtigenden Äußerungen der Kommission in Sicherheit wiegen wollte, musste feststellen, dass die Befürchtungen durchaus ihre Berechtigung haben:
Der Streit, ob ein Offsetting-Mechanismus EU-weit eingeführt werden sollte und ob es gelingt, ihn so zu gestalten, dass er tatsächlich den Biodiversitätsverlust reduziert, wird sich in den nächsten Monaten zuspitzen - der nächste Schritt ist eine seit 6. Juni zugängliche Online-Konsultation.(5) und 2015 wird es einen Gesetzesentwurf geben. Der Kongress hat aber gezeigt, dass die Risiken hoch sind und mächtige Interessen bei der Verwaltung, bei der Wirtschaft und beim Finanzsektor an einem solchen Mechanismus bestehen. Die Position der Brüsseler NGOs, eine EU-weite NNL-Gesetzgebung abzulehnen und stattdessen eine bessere Vermeidung von Eingriffen und eine konsequentere Umsetzung bestehender Umweltgesetze wie der FFH-Richtlinie und der Umwelthaftungsrichtlinie zu fordern, wurde durch die Tagung eher bestätigt.
Autor Friedrich Wulf ist Koordinator der AG Biodiversität und arbeitet beim Schweizer Naturschutzbund Pro Natura als Projektleiter Politik und Internationales.
1) Ergebnisse unter: http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/Subgroup_NNL_Scope_Objectives.pdf
http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/NNL_Operational_Principles.pdf
http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/NNL_Glossary.pdf.
2) http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/Policy%20Options.pdf.
3) http://no-biodiversity-offsets.makenoise.org.
4) http://bbop.forest-trends.org/events/nonet-loss/.
5) http://ec.europa.eu/yourvoice/ipm/forms/dispatch?form=NoNetLoss&lang=en.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.
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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 32-33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014