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PROTEST/113: Über Lärm reden - Wie Kritik durch "Dialog" ihren Biss verlieren kann (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 123/4.2014

Verkehr
Über Lärm reden

Von Alexander Valerius



Wie Kritik durch "Dialog" ihren Biss verlieren kann - Beispiele aus dem Konflikt um den Frankfurter Flughafenausbau

Der Frankfurter Flughafen, Deutschlands größtes Luftdrehkreuz, Klimakiller, Waldfresser und Lärmschleuder par excellence, steht in einer langen Geschichte von Ausbau und Widerstand. Der Frankfurter Flughafen ist ein Staatskonzern. Bei der Auseinandersetzung um die Startbahn West in den 80ern wurde die zunächst friedliche, massenhafte Protestbewegung mit Polizeigewalt gebrochen, was zu großer Solidarisierung und auch zu Gegengewalt führte.

Als aber in den späten 90ern der Bau einer weiteren Landebahn angeschoben wurde, gab es ein großes staatliches Interesse, diesmal solche Szenen zu vermeiden. Das neue Zauberwort: "Dialog" statt Gewalt. Ein "Mediationsverfahren" mit VertreterInnen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sollte Bedingungen des Ausbaus aushandeln. Ob der Ausbau überhaupt wünschenswert sei, stand nie zur Debatte. Deshalb haben die Bürgerinitiativen und der BUND dieses Verfahren boykottiert. Sein Ergebnis: Ausbau und sechsstündiges Nachtflugverbot, wurde von den beteiligten KommunalvertreterInnen abgelehnt. Trotzdem: In der medialen Begleitmusik zum Landebahnbau wurde die Melodie: Gewalt damals - Dialog heute, als Schlafmittel für die BewohnerInnen des Rhein-Main-Gebiets in Endlosschleife gesungen. Vielleicht ein Mitgrund, warum in den Nullerjahren die Proteste gegen den Ausbau, tatkräftig mitgetragen auch von ROBIN WOOD, viel kleiner blieben als die Bewegung gegen die Startbahn West.

Im Herbst 2011 ging die neue Piste in Betrieb. Es wurde deutlich lauter und erst jetzt gingen wieder Tausende auf die Straße. Bis heute demonstrieren Woche für Woche jeden Montag hunderte Menschen im Flughafenterminal. Die Antwort von Staat und Luftverkehrswirtschaft ließ nicht lange auf sich warten. Zentrales Thema auch hier wieder: Dialog. Was ist davon zu halten? Drei Beispiele aus den letzten Jahren sollen etwas Klarheit schaffen.

Umwelthaus Kelsterbach - Wenn Aktionäre informieren

Ende April 2013 öffnete in Kelsterbach, nahe der neuen Landebahn, das Umwelthaus seine Türen. In einer Ausstellung will es scheinbar den Konflikt um den Flughafenausbau dokumentieren. Dabei sollen die unterschiedlichen Positionen neutral wiedergegeben und ein Dialog angestoßen werden. Einziger Gesellschafter des Umwelthauses ist das Land Hessen - der größte Aktionär des Flughafenbetreibers Fraport. Man stelle sich einmal vor, die Deutsche Bank wäre größter Anteilseigner der Fraport AG und würde ein Informationszentrum einrichten, um die Positionen aller am Flughafen streitenden Konfliktparteien neutral wiederzugeben... Der Vorstand des Umwelthauses besteht aus einem flughafenkritischen Kommunalpolitiker, einem Fraport-Vorstandsmitglied und einer dritten, angeblich neutralen Person: Johann-Dietrich Wörner. Wörner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Hauptziel der Luftfahrtforschung am DLR ist die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen und der europäischen Luftfahrtindustrie durch europaweite Steigerung der Flugbewegungen. Wörner gehört zu den Akteuren des Mediationsverfahrens am Frankfurter Flughafen und war am Versuch beteiligt, im Konflikt um Stuttgart 21 etwas ähnliches zu etablieren.

Seine politische Philosophie, hier Zitate aus einem Interview von 2011, ist beispielhaft für das Umwelthaus: Statt "Politik durch Macht" ist er ernsthaft für eine wesentlich stärkere Einbeziehung der BürgerInnen, aber unter einer nicht diskutierbaren Bedingung: "Wir brauchen Infrastruktur, Straßen, Stromnetze, Abwasseranlagen." "Wir"? Welches Interesse haben AnwohnerInnen von Flughäfen an den absurden Warenströmen der globalen Konzerne? Warum soll den durch neue Stromtrassen Geschädigten etwa der Energiebedarf der Rüstungsindustrie am Herzen liegen? Dahinter steht die Frage nach der Legitimität verschiedener Interessen. In der Ausstellung des Umwelthauses wird sie komplett ausgeklammert. Statements von BefürworterInnen und KritikerInnen stehen bezugslos nebeneinander. Welche Interessen die Sprechenden vertreten, ob die genannten Fakten stimmen, welche Bedeutung und Konsequenzen ihre Ziele haben, wird meist mit keiner Silbe erwähnt. Alles wirkt gleich richtig und wichtig.

So werden die Unterschiede schwer sichtbar: zum Beispiel zwischen der hauptsächlich virtuell existierenden Fraport-Lobbygruppe "Pro Flughafen" und dem BUND, einer der größten deutschen Umweltverbände. Oder zwischen den bis heute über hundert Montagsdemos der Bürgerinitiativen und der einmaligen, 2012 von einer PR-Agentur organisierten "Ja zu Fra"-Kundgebung. Angesichts dieser Strategie, haben die AusbaugegnerInnen, die sich für die Ausstellung zur Verfügung gestellt haben, ihrem Anliegen leider einen Bärendienst erwiesen.

Das Umwelthaus beansprucht einen sozialen Konflikt abzubilden. Tatsächlich fehlen in der Ausstellung Vorstellungen von sozialem Wandel komplett. Ganz am Ende erwartet die BesucherInnen dann ein Film mit überraschender Vision: Die Flughäfen rund um die Welt sind stillgelegt und in Vergnügungsparks verwandelt worden. Allerdings erst in einer fernen Zukunft, als würde uns keine Klimakatastrophe drohen. Eintreten soll dieser Fortschritt allein durch das Wechselspiel von technischem Fortschritt und Ressourcenverbrauch. Soziale oder gar revolutionäre Bewegungen, Menschen die für ein besseres Leben und eine andere Welt streiten, existieren überhaupt nicht. Das Flughafenproblem löst sich scheinbar ohne Konflikt.

Die Landebahn im Schulbuch

Der Schulbuchverlag Schroedel hat den Konflikt um die Landebahn in die lokale Auflage des Geografie-Buches von 2013 aufgenommen. Die Schüler der 5. Klasse des Gymnasiums können sich an Hand des "Streits um die neue Landebahn Nordwest" auf einer Doppelseite mit "Umweltproblemen im Heimatraum" auseinander setzen. Der Verlag ist unverdächtig, mit dem Flughafen verflochten zu sein, BefürworterInnen und GegnerInnen kommen bei ihm ausführlich zu Wort. Und trotzdem - in der Konsequenz erinnert seine Argumentation stark an das Umwelthaus.

Denn durch die Pro und Contra Gegenüberstellung wirken beide Positionen gleich richtig und legitim. Das sind sie aber nicht. So ist etwa die auch hier wiederholte Erzählung vom Jobmotor Flughafen schon rein sachlich falsch. Aber das Problem reicht noch tiefer: Dass die Wirtschaft auf Konkurrenz basiert und die meisten Menschen darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, liegt nicht in der Natur der Dinge. Es ist Ausdruck eines konkreten historischen Wirtschaftssystems.

Dass Lärm und Abgase viele Betroffene stören und Alle gesundheitlich belasten, sind naturwissenschaftliche Fakten. Für diese Einsicht braucht es ein Abstraktionsvermögen, das die meisten Fünftklässler wohl kaum aufbringen - und zu dem sie durch das Lehrbuch auch nicht angeregt werden.

Stattdessen lautet die Aufgabenstellung: "Entwickelt in der Klasse Lösungsvorschläge, die die Interessen der Gegner und der Befürworter berücksichtigen." Angesichts entgegengesetzter Interessen keine leichte Aufgabe. Da fällt der Blick auf ein kleines Kästchen, welches die Ergebnisse einer Umfrage präsentiert, in der sich eine Mehrheit für den Betrieb der Bahn plus einem Nachtflugverbot ausspricht. Wer eigentlich gefragt wurde, bleibt unklar. Den armen SchülerInnen wird so die Lösung auf dem Silbertablett geliefert. Ein Kompromiss, der einfach nur der Status Quo ist.

Fluglärmportal - Die Lärmlobby will reden

Im Juli diesen Jahres ging ein Fluglärmportal des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) online. Hat jetzt selbst der ein Interesse daran, dass über den von ihm verursachten Lärm geredet wird? Beinahe. Eine gesellschaftliche Debatte läuft längst, angestoßen nicht zuletzt von den Bürgerinitiativen. Jetzt gilt es für die Gegenseite auf den Zug aufzuspringen, Schadensbegrenzung zu betreiben, eine unhinterfragbare Grundannahme in der Diskussion zu verankern: "Die Debatte über Fluglärm und darüber, was Wirtschaft, Wissenschaft und Politik dagegen unternehmen können, ist wichtig. Denn in Zukunft werden noch mehr Menschen fliegen - privat und beruflich. Und noch mehr Waren werden mit dem Flugzeug transportiert. Dieses Wachstum braucht die Akzeptanz der Bürger: Und die wird es nur geben, wenn alle Beteiligten daran arbeiten, dass der Wunsch nach mehr Mobilität nicht in einen Dauerkonflikt mit dem Ruhebedürfnis der Menschen gerät, die rund um die Flughäfen wohnen." Sprich: Ihr dürft und sollt jetzt mal diskutieren, um dann langfristig Ruhe zu geben. Etwas ändern, unsere Geschäftsgrundlage in Frage stellen? Nö! Es ist wohl kein Zufall, dass für diese Art "Dialog" auf Material vom Umwelthaus Kelsterbach zurückgegriffen wird.

Auch hier scheinen alle Interessen gleich legitim zu sein: "Bürger im Umland der Flughäfen befürchten Lärmbelastungen und sorgen sich um den Wert ihrer Grundstücke. Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften denken an ihre Mitarbeiter und sind auf einen stabilen und wirtschaftlichen Betrieb ihrer Unternehmen angewiesen. [...] All diese Interessen sind legitim und müssen in Einklang gebracht werden."

Das Lobbyportal lobt die Fluglärmkommissionen, beratende Gremien aus Fluglärmgegnern, Gemeinden, Behörden und Flughafenbetreibern, in höchsten Tönen. Und will noch mehr kritische Stimmen einbeziehen.

So legitim die Interessen des Gegenübers auch sein mögen, so gerne man einen Dialog führen möchte - wenn menschliches Leben dem eigenen Profit im Weg steht, ist es damit vorbei. Denn für das Fluglärmportal sind es nicht etwa die expandierenden Flughäfen, die den menschlichen Siedlungen Raum zu Entwicklung und Leben nehmen. Es ist genau umgekehrt: "Wenn die Wohnbebauung immer näher an den Flughafen heranrückt, wenn in lärmbetroffenen Gebieten weiter Flächen für Schulen und medizinische Einrichtungen ausgewiesen werden, dann konterkariert das die Erfolge der Luftfahrt bei der Lärmminderung an der Quelle."

Hinter solchen Sätzen steht keineswegs nur die Luftverkehrswirtschaft. Zu den Mitgliedern des BDL gehört auch die Deutsche Flugsicherung, die zu hundert Prozent im Besitz des Bundes ist. Und ein linksliberales Blatt wie die Frankfurter Rundschau druckte die Eigenwerbung der MacherInnen des Portals als Artikel ab. Es ist erstaunlich, welche Türen das Zauberwort "Dialog" öffnet.

Was heißt das für die Umweltbewegung?

Am Beispiel Regenwald hat Peter Gerhardt in der letzten Ausgabe dieses Magazins nach Sinn und Unsinn von Verhandlungen mit Raubbaukonzernen gefragt. Dabei wurden z.B. Fragen nach der Glaubwürdigkeit veränderter Firmenpolitiken und der Wertschätzung lokaler PartnerInnen gestellt.

Mit den Erfahrungen des Frankfurter Flughafenausbaus lassen sich diese Überlegungen fortführen. Wen werten wir dadurch auf, dass wir uns an einen Tisch setzen? Dabei sollte klar sein: Ein legitimes Bedürfnis, unsere Lebensgrundlagen aus Profitinteresse zu zerstören, kann es nicht geben. Was sind die Grundannahmen des Dialogs? Egal, ob es die Notwendigkeit eines konkreten Großprojekts oder die heutige Art des Wirtschaftens ist - wir tun gut daran, sie zu hinterfragen. Schließlich braucht ökologische Politik sozialen Wandel. Eine Erkenntnis, die nicht in exklusiven Gremien wegdiskutiert werden darf.


Alexander Valerius, ROBIN WOOD-Aktivist, begleitet die Auseinandersetzung um den Frankfurter Flughafen seit der Waldbesetzung in Kelsterbach 2008/09

Wer sich über den Konflikt am Frankfurter Flughafen auf dem laufenden halten oder mehr über die hier besprochenen Beispiele lesen will, kann das auf www.waldbesetzung.blogsport.de tun.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Seit im Herbst 2011 die neue Piste in Betrieb ging, ist der Fluglärm in der Region stark gestiegen ...

-... und bringt nun bei den Montagsdemos am Frankfurter Flughafen jede Woche Hunderte von Menschen auf die Beine

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 123/4.2014, Seite 13 - 15
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2014