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STADT/347: Lebensraum auf Zeit - Berliner Brachflächen (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2013

Lebensraum auf Zeit
Steinschmätzer, Brachpieper & Co. auf Berliner Brachflächen

von Peter Meffert



In wellenförmigem Flug trägt der Brachpieper sein lieblich-monotones Lied vor. Es passt wunderbar zur aufsteigenden Sommerhitze. An einem Steinhaufen füttern Steinschmätzer ihre Jungen, umgeben von einem riesigen bunten Blütenmeer. Deutschlandweit fast ausgestorben, finden wir diese Vögel diesmal jedoch nicht in einem Schutzgebiet, sondern auf dem ehemaligen Rangierbahnhof in Pankow-Heinersdorf im Norden Berlins. Auf solchen vegetationsarmen Flächen brüten neben einigen typischen Stadtarten wie Hausrotschwanz und Haussperling, Kohl- und Blaumeise, Grünfink oder Stieglitz auch Bewohner von Offenlandschaften, die nicht zum alltäglichen Stadtbild gehören. Steinschmätzer, Feldsperling, Girlitz, Haubenlerche, Bachstelze, Brachpieper, Flussregenpfeifer und Neuntöter sind einige von ihnen.

Welche Vogelarten auf einer Brache vorkommen, hängt nicht nur von der Beschaffenheit der Fläche selbst ab, sondern auch vom Einfluss ihrer Umgebung. Dabei mögen es die Vogelarten sehr verschieden urban: Neuntöter, Hänfling oder Haubenlerche kommen nur am Stadtrand vor und meiden dicht besiedelte Bereiche. Für andere macht die Umgebung keinen Unterschied. Feldsperling, Brachpieper oder Steinschmätzer sind überall zu finden - solange die Fläche ihren Ansprüchen genügt. Der Turmfalke bevorzugt hingegen Brachen inmitten dicht bewohnter Gebiete, weil er dort seine Hauptbeute, den Haussperling, häufiger antrifft.


Ersatz für natürliche Lebensräume
Die am stärksten gefährdeten Arten, die sich auf Berlins Brachflächen finden lassen, sind ausgesprochene Offenlandbewohner. Denn vielerorts verloren sie ihre Lebensräume, weil der Mensch inzwischen die natürlichen Prozesse verhindert, die die Landschaften seit jeher offen gehalten haben: Brände werden gelöscht, Wind- und Schneebruchflächen aufgeforstet, Flüssen wird ihr Bewegungsspielraum genommen, Wanderdünen werden am Wandern gehindert. Darüber hinaus hinterlässt die industrielle Landwirtschaft kaum noch lebenswerten Raum für Offenlandbewohner. Paradoxerweise schafft aber gerade der Prozess der Urbanisierung Ersatzlebensräume für so manche gefährdete Art. Biotope entstehen versehentlich und manchmal bleiben sie auch länger erhalten, als ursprünglich geplant. Irgendwann jedoch verschwinden die Offenflächen auch dort von selbst wieder, da sie zuwachsen. Zwischennutzungen können jedoch - möglichst außerhalb der Brutzeit - Abhilfe schaffen: Zirkusse oder Großveranstaltungen mit vielen Besuchern wirken kostengünstig der Sukzession entgegen.


Artenreich mit hohem Niveau
Stadtökologen haben bereits früh erkannt, dass Städte wegen ihrer großen Strukturvielfalt viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten beherbergen. Um die Frage zu beantworten, ob Stadtbrachen für ihre gefiederten Bewohner auch ein qualitativ wertvoller Lebensraum sind, untersuchte ich im Rahmen stadtökologischer Forschungen zwei Jahre lang 55 Brachflächen in Berlin und insbesondere den Bruterfolgs des Steinschmätzers, eines typischen Offenlandbewohners. Das Ergebnis war erfreulich: Aus mehr als drei Vierteln der 87 beobachteten Nestern flogen Jungvögel aus - deutlich mehr als in Weinbaugebieten Baden-Württembergs oder Heidegebieten Englands, wo viele Nester Wieseln zum Opfer fallen. Städtische Lebensräume scheinen also durchaus wertvolle Habitate zu sein. Zu Zeiten der Berliner Mauer besiedelten Steinschmätzer vor allem den Grenzstreifen. Kaninchenhöhlen zum Brüten und stets kurz gehaltener Rasen boten der Art optimalen Lebensraum. Heute brüten die meisten Paare - etwa 20 - im Landschaftspark Johannisthal, ein gelungenes Beispiel für eine Nachnutzung, die verschiedene Ansprüche miteinander verbindet. Das 26 Hektar große Naturschutzgebiet ist umgeben von einer Rollbahn für Skater, Spiel- und Sportplätzen; Bänke laden zum Verweilen und Genießen der offenen Landschaft ein, der zentrale Bereich wird von Schafen offen gehalten und wird von Gabionenmauern umfasst. In ihnen brütet die Mehrzahl der Steinschmätzer.


Voraussetzungen
Damit selten gewordene Offenlandarten wie Brachpieper oder Steinschmätzer Stadtbrachen besiedeln, müssen diese nicht nur weitgehend gehölzfrei, sondern auch mindestens acht Hektar groß sein, wie Analysen der Berliner Daten ergaben. Diese Erkenntnis kann Stadtplanern bei der schwierigen Aufgabe helfen, zwischen konkurrierenden Nutzungsinteressen abzuwägen: Einerseits ist der Expansion urbaner Räume ins Umland grundsätzlich immer die Innenverdichtung vorzuziehen. Andererseits eröffnet urbane "Wildnis" viele Möglichkeiten der Naherholung, der Umweltbildung und des Artenschutzes. Prominentes Beispiel für den Wert solcher Flächen ist der ehemalige Flughafen Tempelhof. Jeder, der die Weite des Tempelhofer Felder gespürt und in die entspannten Gesichter der Besucher gesehen hat, kennt diesen großen Wert von Offenflächen. Im letzten Jahr brüteten auch dort wieder Steinschmätzer, nachdem ihnen Steinhaufen als Nistmöglichkeit angeboten wurden.

Während das Tempelhofer Feld hoffentlich erhalten bleibt, wird das Areal des Rangierbahnhofs Pankow-Heinersdorf bald erschlossen - der Besitzer eines großen Möbelhauses kaufte im Jahr 2009 einen Großteil der Fläche. Es bleibt zu hoffen, dass die Brachpieper und Steinschmätzer anderswo einen Platz zum Leben finden.


Autor Peter Meffert wurde im Rahmen des Graduiertenkollegs "Stadtökologische Perspektiven" über die Avifauna von Brachflächen in Berlin promoviert


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Steinschmätzer-Männchen an seinem Brutplatz auf einer Baustelle am Blankensteinpark in Friedrichshain.
- Brache an der Heidestraße, im Hintergrund der Hauptbahnhof. Hier brüteten bis zu vier Paare des Steinschmätzers und der vom Aussterben bedrohte Brachpieper.
- Die Haubenlerche benötigt offenen Boden und Kurzrasen zur Nahrungssuche. Vielerorts sind die Bestände stark rückläufig.

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Quelle:
NATURMAGAZIN, Nr. 1, Februar bis April 2013, S. 12-13
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur + Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013