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SCHADSTOFFE/299: Chemikalien in der Umwelt - Die Mischung im Fokus (UFZ)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressemitteilung, 23. Januar 2020

Chemikalien in der Umwelt: Die Mischung im Fokus

Kombinierte chemisch/bioanalytische Methoden können Chemikalienmischungen effizient beschreiben


Einst genügte es, einzelne Chemikalien als Verursacher für schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auszumachen. Doch wie sich mittlerweile zeigt, greift dieser Ansatz zu kurz. Denn die reale Welt ist von multiplen Belastungen und Chemikaliencocktails geprägt. Der in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science erschienene Übersichtsartikel stellt methodische Ansätze vor, mit denen Chemikalien, die in komplexen Mischungen von Bedeutung sind, isoliert, charakterisiert und verfolgt werden können. Eine Kombination von chemischen und bioanalytischen Methoden sei dazu am besten geeignet - schreibt ein internationales Forscherinnen-Team unter Leitung von Umwelttoxikologin Beate Escher vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Chemikalien haben unsere Lebensqualität verbessert. Doch gleichzeitig geht von ihnen ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt aus: Pestizide, Pharmazeutika und Weichmacher gelangen in die Umwelt und in die Nahrungskette und bringen neben den erwünschten auch unerwünschte Effekte mit sich. Trotz gesetzlicher Bestimmungen werden diese Chemikalien nicht angemessen erfasst und unzureichend bewertet.

Das liegt u.a. daran, dass der derzeitige Ansatz, mit dem das Gefahrenpotenzial von Chemikalien bewertet wird, auf relativ wenigen Einzelkomponenten beruht. Mittlerweile weiß man aber, dass Mensch und Umwelt einem Cocktail von zehntausenden Chemikalien ausgesetzt sind. Nur ein Bruchteil davon wurde bislang identifiziert; die Wirkung auf biologische Systeme sowie die Rolle von einzelnen Chemikalien und Abbauprodukten im Cocktail ist weitgehend unklar. Zudem wächst die Zahl neu registrierter Chemikalien rasant an: Von 20 Millionen im Jahr 2002 auf 156 Millionen im Jahr 2019. Das alles macht es schwierig, Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufzudecken, und verlangt nach neuen Denkmodellen und methodischen Ansätzen.

In ihrem Review fassen die Autorinnen um Prof. Beate Escher vom UFZ deshalb Technologien zusammen, die sich eignen, Chemikalien in komplexen Mischungen zu identifizieren und ihre Wirkungen zu erfassen. Zudem bewerten sie deren Möglichkeiten und Grenzen.

Die Publikation macht deutlich, dass es nicht nur um analytische Methoden geht - auch das "Was" und "Wie" der Probenahme und -Aufbereitung entscheidet über den Erfolg der Analytik. Gemeinsame Ansätze für diverse Probenarten - von Wasser und Boden bis Blut oder Gewebe - erlauben, die Ergebnisse später zu vergleichen. Als besonders innovativ werden u.a. spezielle Wischtücher oder Silikonarmbänder hervorgehoben, die die persönliche Exposition von Menschen mit Schadstoffen erfassen können.

Die Möglichkeiten der chemischen Analytik haben sich mit der Entwicklung und der Zugänglichkeit der hochauflösenden Massenspektrometrie (HR-MS) extrem verbessert. Gekoppelt mit weiteren Technologien können damit zehntausende Signale in biologischen und Umweltproben nachgewiesen werden. Sie ist auch die Basis für ein "Verdachtsscreening" zur Identifizierung unbekannter Chemikalien in komplexen Mischungen. "Das versetzt uns u.a. in die Lage, neue problematische Schadstoffe in der Umwelt zu erkennen", so Beate Escher. "Aber alle Stoffe können wir damit niemals erfassen. Auch Stoffe unterhalb ihres Detektionslimits und unterhalb ihrer Effektschwelle können zum Risiko beitragen".

Die Forscherinnengruppe empfiehlt daher ergänzend zur chemischen Analytik bioanalytische Werkzeuge, die bei der Bewertung der Toxizität von Abwasser und Sedimenten insbesondere Mischeffekte erfassen können. Traditionell wurden dafür in vivo-Biotests mit ganzen Organismen durchgeführt, deren Nachteil u.a. ein geringer Probendurchsatz war. Mit der Weiterentwicklung zellbasierter in vitro-Biotests eröffnen sich nun weitere Möglichkeiten - sie können Tierversuche ersetzen und sind für Hochdurchsatzroboter geeignet. "Die Anwendung von in vitro-Hochdurchsatzverfahren zur Umweltrisikobewertung von Gemischen und komplexen Umweltproben ist erst im Entstehen, hat aber ein riesiges Potenzial", ist Beate Escher überzeugt.

Durch die Ergänzung der hochauflösenden Massenspektrometrie mit bioanalytischen Werkzeugen lassen sich Informationen über die Auswirkungen aller Chemikalien in einer Probe gewinnen. Die Kombination dieser beiden Werkzeuge habe laut Escher das Potenzial, die Umweltüberwachung zu revolutionieren. Auch aus diesem Grund wurde am UFZ die Technologie-Plattform CITEPro (Chemicals in the Environment Profiler) aufgebaut. Sie erlaubt die Vorbereitung und Testung von Proben mit analytischen und bioanalytischen Hochdurchsatzverfahren. Doch CITEPro ist mehr als reine Hardware. Es ist ein Konzept, um das Exposom zu charakterisieren - also die Gesamtheit aller Umwelteinflüsse zu erfassen, denen ein Individuum lebenslang ausgesetzt ist. Dazu gehören externe Faktoren (Chemikalien in der Luft, im Wasser oder in der Nahrung) und interne Komponenten, die ein Organismus als Reaktion auf verschiedene Belastungen produziert.

Fazit:
Die Zahl der Chemikalien, die in Umweltproben mithilfe ausgefeilter instrumenteller Analysen identifiziert werden, nimmt ständig zu. In den vergangenen Jahren wurden bessere Methoden entwickelt, um ihre kombinierten Wirkungen und Mechanismen der Toxizität zu untersuchen. Es bleibt dennoch eine Herausforderung, die Ursachen für chemischen Stress in der Umwelt zu erklären. Die Verbindungen zwischen Umwelt, Natur und Mensch können nur durch einen integrierten Ansatz für Monitoring und Bewertung hergestellt werden.

Die Verfolgung von Chemikalien und ihren Umwandlungsprodukten in der Umwelt und in unserem Körper ist eine immense (bio)analytische Herausforderung: Probenahme, Extraktion, chemischer Nachweis und Datenanalyse müssen aufeinander abgestimmt werden, um robuste Informationen zu erhalten.

Die Quantifizierung von Mischeffekten ist eine Möglichkeit, alle vorhandenen Chemikalien und ihre bioaktiven Umwandlungsprodukte zu erfassen. Angesichts der eindeutigen Relevanz von Gemischen und der Tatsache, dass Tausende von Chemikalien in der Umwelt und in unserem Körper vorkommen, ist ein Wechsel des bestehenden Regulierungsparadigmas hin zu Mischungseffekten dringend erforderlich.

Publikation:
Beate I. Escher, Heather M. Stapleton, and Emma L. Schymanski (2020): Tracking Complex Mixtures of Chemicals in our Changing Environment. Science,
https://doi.org/10.1126/science.aay6636


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
www.helmholtz.de

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Quelle:
UFZ-Pressemitteilung, 23.01.2020
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
E-Mail: presse@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2020

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