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STATISTIK/105: Interview zur Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland 2010" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 160 - Februar/März 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland 2010"


Michael Wehrspaun ist gelernter Industriekaufmann, Diplom-Soziologe und Dr. rer. soc. nach Studium in Berlin, München und Konstanz. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten im Umweltbundesamt zählt die Repräsentativumfrage "Umweltbewusstsein in Deutschland". Weitere Themen sind Förderung nachhaltiger Lebensstile und des bürgerschaftlichen Engagements im Umweltschutz, kulturelle Nachhaltigkeit sowie ökologische Gerechtigkeit.

Herr Dr. Wehrspaun, vielleicht könnten Sie zunächst die Herangehensweise der Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland 2010" erläutern?

Es ist eine Repräsentativumfrage, welche seit 1996 alle zwei Jahre stattfindet. Bundesweit werden mindestens 2.000 Personen (Wohnbevölkerung über 18 Jahre) interviewt. Zuerst erscheint immer eine Basisdatenbroschüre und im Anschluss daran werden vertiefende Studien betrieben, beides stellen wir in unserem Internetangebot (www.umweltbundesamt. de/umweltbewusstsein) zur freien Verfügung.

Kann man kurz allgemein sagen, wie Umwelthandeln und -bewusstsein in Deutschland zusammenwirken?

Es gibt seit langem eine Diskussion über die Kluft zwischen Umweltbewusstsein und -verhalten. Und diese Kluft hat sich in unserer aktuellen Erhebung auch wieder bestätigt. Das heißt, das Umweltbewusstsein ist in Deutschland - auch im internationalen Vergleich - recht hoch. Zudem wollen die Menschen, dass Deutschland Vorreiter in der Klimaschutzpolitik ist und dass die Regierung mehr tut. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass das alltägliche umweltrelevante Verhalten der Menschen ihrem hohen Umweltbewusstsein nicht entspricht. Die meisten Menschen versuchen im Alltag Kompromisse zu machen zwischen den gegebenen kulturellen Verhältnissen und den Anforderungen, vor die sie gestellt würden, wenn sie ihr Umweltbewusstsein konsequent umzusetzen versuchten.

Uns von der GRÜNEn LIGA als ökologisches Netzwerk ließ die Statistik des Bio-Lebensmittelkonsums aufhorchen. Wie erklären Sie sich den Rückgang? Wie korreliert das mit den Umsätzen der Branche?

Eine Repräsentativumfrage hat natürlich immer ihre jeweils spezifische eigene Logik. Wir haben gefragt, ob Bio-Lebensmittel für die Menschen eine große Rolle spielen. Dass heute weniger Menschen sagen, Bio- Lebensmittel spielten in ihrem Alltag eine große Rolle, muss nicht unbedingt bedeuten, dass die Marktanteile zurückgehen. Vor allem zeigt sich in unseren Daten, dass der Rückgang sehr stark vom Einkommen der Befragten abhängt. Biolebensmittel spielen in fast jedem zweiten Haushalt der Besserverdienenden eine große Rolle, aber nur in 16 Prozent der unter 1.000 Euro Verdienenden. Es kann also durchaus sein, dass die Marktanteile von Bio-Lebensmitteln weiter steigen, denn sie hängen auch von anderen politischen Faktoren ab - nicht allein vom Umweltbewusstsein. Umweltbewusstsein. Relevant sind nicht zuletzt auch die Wechselwirkungen zwischen Sozial- und Umweltpolitik.

Der Bevölkerung ist in Ihrer Rangliste politischer Aufgabenfelder die Wirtschafts-und Finanzpolitik weiterhin wichtiger als der Umweltschutz. Wieso bezeichnen Sie dessen Stellung dennoch als bemerkenswert?

Wir haben die Befragten gebeten, spontan die wichtigsten Probleme zu nennen, denen sich Deutschland heute gegenüber sieht. Die zwei ersten Nennungen wurden notiert. Bei 20 Prozent der Befragten war der Umweltschutz darunter - der damit auf Platz drei landete. landete. Aber in der Tat: Arbeitsmarktpolitik sowie Wirtschafts- und Finanzpolitik liegen vor ihm. Auch hier bildet sich die oben genannte Kluft ab. Keiner will zum sozialen Verlierer werden, auch wenn die Bereitschaft vorhanden ist, sich nach normativen Vorgaben zu verhalten. Denn Umweltschutz bewirkt erst dann wirklich etwas, wenn er sich verallgemeinert. Das heißt, wenn nur ich verzichte in meinem Konsum, aber alle anderen sich uneinsichtig verhalten, wird mein Verzicht als Tropfen auf den heißen Stein verpuffen. Dass die Bevölkerung auch nach der Finanzkrise dem Umweltschutz weiterhin einen so hohen Stellenwert einräumt, ist doch bemerkenswert.

Ist Klimaschutz bei den Deutschen ein Modetrend oder ein tatsächliches Anliegen?

Unsere Umfrage zeigt, dass er für die Menschen - auch unter den gegebenen schwierigen Bedingungen - mittlerweile ein wirkliches Anliegen ist. 34 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass ein hinreichender Umwelt-und Klimaschutz eine notwendige Bedingung für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben, wie zum Beispiel die Globalisierung, darstellt. Freilich: Auch hier spielt die angesprochene Kluft eine Rolle, und so setzt sich die Wirtschaftsund Finanzpolitik hier und heute eben doch durch. Es ist nun mal so, dass die Arbeit an Zukunftsaufgaben gar nichts bringt, wenn man heute in existentielle Schwierigkeiten gerät...

Die Studie teilt die Beantwortung der einzelnen Fragen in Bevölkerungsgruppen, Bildungsgrad und soziale Schicht ein. Wo sehen sie die größten Potenziale? Wer muss sich am meisten anstrengen?

Ich denke nicht, dass man eine Rangfolge aufstellen kann. Wir lassen die Milieustudien gerade deswegen machen, weil wir davon ausgehen, dass die verschiedenen soziokulturellen Milieus unterschiedliche Ansatzpunkte für ökologische Verhaltensänderungen haben. Keiner muss sich mehr als ein anderer anstrengen. Jedes Milieu hat seine besonderen Potenziale. Es sind in der Regel die sozial Bessergestellten mit dem höheren Bildungsgrad, die das größere Umweltbewusstsein und die höhere Verhaltensbereitschaft haben. Sozial schwächere Milieus haben soziale Ängste und sind daher defensiver. Pauschaler Verzicht darf von niemandem gefordert werden. Wir brauchen auch keine bloße Umverteilung, sondern ein neues Kulturmodell.

Glauben die Menschen noch an die Politik oder versuchen sie nicht vielmehr selbst Natur- und Umweltschutz zu betreiben?

Die Menschen verlangen das wesentliche Handeln von der Politik. Bis zu 90 Prozent setzen auf politische Maßnahmen, inklusive technologischer Innovationen. Die Wichtigkeit individueller Verhaltensänderungen erkennt aber mindestens die Hälfte ebenso an. Gleichzeitig gehen viele davon aus, dass die Politik ihren Aufgaben heute noch nicht wirklich gerecht wird. Sie wollen von der Politik befähigt werden - im Sinne von Empowerment, aber natürlich auch durch strukturelle Änderungen - wirklich ökologisch handeln zu können. Was die meisten im Grunde ja wollen. Dann wäre eine Überwindung der Kluft möglich.

Im Bereich Umwelt und Gesundheit gibt es nach Aussage der Befragten positive Entwicklungen.

Richtig, der Anteil der Menschen, die sich durch Umweltbelastungen wie Chemikalien in Produkten des täglichen Bedarfs oder Feinstaub gesundheitlich belastet fühlen, ist tatsächlich zurückgegangen. Wenn politisch etwas passiert, nehmen es die Menschen durchaus wahr. Das sollte die Politik motivieren. Dazu muss es aber auch vernünftig kommuniziert werden, inklusive dem Hinweis auf die Chancen eines ökologischen Kulturwandels.

Wie bringen die Menschen die Begriffe Umwelt und Zukunft in Verbindung?

Teilweise auf paradoxe Weise! Denn auf der einen Seite wird sehr deutlich, dass Klima- und Umweltschutz für die Befragten vorrangig Zukunftsaufgaben sind. Aber auf der anderen Seite herrscht bei den Befragten ein ziemlich starker Zukunftspessimismus. So glauben beispielsweise nur 19 Prozent, dass der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen wird. Hier spielt auch ein mangelndes Vertrauen in die Akteure eine große Rolle. Denn fast 90 Prozent meinen, dass die Industrie für den Klimaschutz nicht genug tue. 62 Prozent bescheinigen das auch der Bundesregierung und 54 Prozent sogar sich selbst, nämlich den Bürgerinnen und Bürgern. Die große Ausnahme bei der Vertrauensfrage sind die Umweltverbände. Fast drei Viertel stellen ihnen ein gutes Zeugnis aus.

Die Deutschen sind Mülltrennweltmeister. Würden Sie aber insgesamt zustimmen, dass die Menschen hierzulande einen ökologisch verträglichen Lebensstil pflegen? Wo sind die wichtigen Stellschrauben?

Davon, dass sich wirklich ökologische Lebensstile ausgebreitet hätten, kann noch keine Rede sein! Die drei wichtigsten Stellschrauben sind die Bereiche Verkehr, Ernährung sowie Bauen und Wohnen. Im Letztgenannten ist durch die Pläne und Maßnahmen zur Steigerung von Energieeffizienz etwas Bewegung geraten. Aber bei der Ernährung und vor allem bei der Automobilität passiert abgesehen von gelegentlichen Ansätzen zu einer Ökologisierung nicht viel. Bisher ist es ohnehin so, dass der Rebound-Effekt weiterhin stark ist. Das bedeutet, dass die immer noch vorhandenen Trends zur Steigerung von Konsum und Produktivität die Ausbreitung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster behindern. Auch das Streben nach der steten Steigerung der Exportraten wirkt daran mit, dass sich global immer noch eher ökologisch unverträgliche Verhaltensweisen ausbreiten. Hier ist noch viel an Aufklärung zu leisten.

Gerade im Bereich Ressourcen- und Energieeffizienz muss die Industrie umsteuern. Sehen die Menschen trotzdem eigene Beitragsmöglichkeiten zum Klimawandel?

Wir haben in einzelnen Bereichen sehr deutliche Bewegungen. Der Bezug von Ökostrom hat sich fast verdreifacht - auf nun 8 Prozent der Befragten. Das ist angesichts der 85 Prozent, die sichd für einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien aussprechen, nicht gerade viel - aber erfreulich ist ein Anstieg von 3 auf 8 Prozent in zwei Jahren ja doch. Auch die Geldanlagen in erneuerbare Energien haben sich verdoppelt. Zudem: Immer mehr Menschen geben an, energiesparende Geräte zu kaufen und gerade nicht benötigte Geräte auszuschalten. Bei den Bio-Lebensmitteln spielt das Geld eine große Rolle (siehe oben). Generell ist etwa die Hälfte der Befragten nicht bereit, einen Aufpreis für besonders klimaverträgliche Produkte zu bezahlen. Aber: 2008 waren das noch fast 60 Prozent!

Kann ein umweltverträgliches Gesellschaftsleben nur mit einem Kulturwandel und Wertewechsel einhergehen?

Das nicht mehr wirklich deutlich zu machen, ist, glaube ich, die größte Schwäche der heutigen Ökologiebewegung. Nach der offiziellen Einführung des Nachhaltigkeitsleitbildes bei der berühmten Rio-Konferenz 1992 ist ein bisschen auch das Utopische und Visionäre der 70er-Jahre verloren gegangen. Wenn die Umweltkommunikation vorankommen will, müsste sie Stichworte wie Kultur- und Wertewandel wieder viel stärker aufgreifen. In den 70er-Jahren war ökologisches Denken noch ein Teil der sogenannten neuen sozialen Bewegungen, der Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung. Unter Stichworten wie Postmaterialismus ging es im Wesentlichen um einen neuen Lebensstil. Dieser war es, den die Leute anstrebten und die Rettung der Welt war das, was sich nebenbei auch so ergeben sollte. Inzwischen hat sich die ökologische Kommunikation stark geändert. Mittlerweile soll die Welt gerettet werden und die Menschen fragen sich: Was brauchen wir für einen Lebensstil?

Ein Viertel aller würden zugunsten von Car-Sharing auf das Auto als eigenes Statussymbol Nr. 1 verzichten?

Es ist die Frage, ob sie dann tatsächlich verzichten. Ein schönes Beispiel für Kulturwandel respektive für das Thema soziokulturelle Innovationen. Statussymbole haben sich in der Geschichte immer sehr stark gewandelt, und es ist kein göttliches Gesetz, dass der Privatbesitz eines Autos unbedingt ein Statussymbol sein muss. Das ist in unserer Gesellschaft aus bestimmten Gründen heraus so geworden. Es kann aber ebenso gut ein Statussymbol sein, souverän zu entscheiden, über welchen fahrbaren Untersatz man gerade zu verfügen gedenkt.

Letztendlich ist es immer so gewesen, dass die Menschen eine Zunahme an Optionalität schätzten. Das eigene Auto, welches vor der Tür steht und mit dem man lange einen Parkplatz sucht, wird kurioserweise immer noch geradezu automatisch mit erhöhter Optionalität gleichgesetzt, obwohl man mit Car-Sharing sogar aus verschiedenen Autoklassen und - modellen wählen kann. Aber: Damit sich entsprechende Systeme verbreiten können, stehen infrastrukturpolitische Aufgaben an, die solche pluralistischen Formen der Bewegung im öffentlichen Raum deutlich unterstützen. Dann ergeben sich neue Bedingungen für die Akzeptanzfrage: Autofreie Siedlungen kommen heute schon gut an.

Aber nicht nur die Politik ist bei der entsprechenden Umorientierung gefordert, sondern auch der Kulturbetrieb sowie die Bürgerinnen und Bürger. Denn alle Verhaltensweisen brauchen immer auch eine soziale Bestärkung im Sinne einer Förderung von zwischenmenschlicher Anerkennung. Wird diese vorenthalten, kann es zu schweren soziokulturellen Konflikten kommen.

Werden die vielen Bio- und Fair-Trade-Siegel geschätzt oder als störend empfunden?

Die Siegelflut wird als verwirrend empfunden. Aber: Wenn wie im Fair-Trade-Bereich in einer klaren Richtung gearbeitet wird und die Anliegen gut nachvollziehbar kommuniziert werden, dann sehen wir auch in unseren Umfragen deutliche Zuwächse; sowohl bei Bekanntheit als auch Akzeptanz. Ein Siegel sollte ein Signal sein, das Komplexität abbaut.

Was war für Sie die größte Überraschung und was das Erfreulichste der Studie?

Beides trifft zusammen. Ich hatte doch gedacht, dass in der Folge der Finanzkrise ein gewisser Einbruch sein könnte. Aber wir haben beispielsweise mit der deutlichen Zunahme der Bekanntheit des Fair-Trade-Siegels, mit der Verdreifachung der bekennenden Ökostromkunden, mit der klaren Forderung einer Vorreiterrolle Deutschlands und anderen positiven Trends sogar einen weiteren Schub im Umweltbewusstsein zwischen 2008 und 2010. Das ist vor allem bemerkenswert, weil die Medienpräsenz der Umweltthemen, wie überhaupt die öffentliche Bedeutsamkeit der Umweltkommunikation, noch immer eher bescheiden ist. Unsere Umfrage zeigt, dass sich dennoch vieles von den wesentlichen Herausforderungen und Inhalten sozusagen in den Menschen festgesetzt hat, und das ist positiv für Umwelt- und Klimaschutz!

Vielen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte Felix Eick


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Frage: Was, glauben Sie, ist das wichtigste Problem, dem sich unser Land heute gegenübersieht?
Umweltschutz (1. und 2. Nennung bei einer offenen Fragestellung)
Grafik: Umweltbundesamt


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 160 - Februar/März 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2011