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TOURISMUS/050: Wie der Klimawandel den Tourismus im Alpenraum beeinflußt (idw)


Hochschule München - 15.06.2009

Sommerfrische statt Winter-Blues?


Ein Experten-Hearing an der Hochschule München zeigt, wie der Klimawandel den Tourismus im Alpenraum beeinflusst - und dass er sogar Innovationen Flügel verleihen kann.

Palmen im Inntal, ein drohender "alpiner Ballermann", der Ruf nach Schneesicherheit und Sonnengarantie. Das waren die zentralen Themen des Experten-Hearings an der Hochschule München, zu dem die Fakultät für Tourismus als Auftakt des EU-Projekts ClimAlpTour am 28. Mai 2009 geladen hatte. Rund 70 Fachleute aus der Versicherungs- und Finanzwirtschaft, dem Naturraum-Management, NGOs und dem Tourismus erlebten drei hochkarätige Vortragende und produktive Workshops. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der Klimawandel den Tourismus im Alpenraum beeinflusst. Risiken und Chancen für Versicherer und Investoren wurden ebenso deutlich wie mögliche Strategien für heute und morgen. Zwar fördert ausgerechnet der Klimawandel Innovationen, gerade in Sommerangeboten - das Bewusstsein insgesamt für die nötige Anpassung an den Klimawandel ist laut Experten jedoch noch zu schwach.

"Wir brauchen dringend ein 'Wandelklima' als Tourismusansatz. Kurzfristig könnten weniger die eigentlichen Klimafolgen, als vielmehr ein verändertes Gästeverhalten Motor für Anpassung sein", betont Projektleiter Prof. Dr. Felix Kolbeck. Daher gehe die öffentliche Debatte um Konsequenzen für den alpinen Wintersport und die Gletscher am Thema vorbei. Der alpine Skisport geht schon seit Jahren zurück, er fordert hohe Investitionen und operative Kosten verbunden mit hohen Ausfallsrisiken. Die internationale Alpenschutzkommission CIPRA bezeichnet Wintersportinvestitionen in niedrigen Höhenlagen sogar als "Ruinen von morgen" und sieht dafür umso bessere Chancen für kreative, gute Angebote im alpinen Sommertourismus. Als größte deutsche akademische Ausbildungseinheit im Tourismus hat die Hochschule München sich die Themen "Nachhaltige Tourismusentwicklung" und "Kompetenz im Alpenraum" auf die Fahnen geschrieben. Als spannend und produktiv erwies sich die Mischung der TeilnehmerInnen. "Finanzierung und Versicherung stehen für das Geschäft mit Risiko und Gefahren, Tourismus hingegen ist das Geschäft mit der Sehnsucht", so brachte es Kolbeck zum Ausdruck.

Prof. Dr. Peter Höppe von der Münchner Rück - dem größten Rückversicherer weltweit - betonte, dass das Klima bei der Wahl eines Reiseziels als einer der wichtigsten Gründe genannt werde. Gerade Küsten und Berge, die besonders als "Frühwarnsysteme" im Klimawandel gelten, seien Tourismuszentren. Höppes Abteilung Geo Risiko Forschung verfügt über die weltweit größte Datenbank für Naturkatastrophen und erfasst etwa 600 - 900 Katastrophen pro Jahr. Die größte humanitäre Katastrophe in Europa im Sommer 2003 mit etwa 70.000 Hitzetoten ist hier ebenso dokumentiert wie die Jahrhundertflut von 2005 als bisher teuerste Naturkatastrophe. Der drastische Anstieg meteorologischer Ereignisse liegt auf der Hand. Ebenso deutlich zeichnet sich ab, dass er vom Menschen beeinflusst ist. Mehr Stürme, Überschwemmungen, Unwetter, Hagel oder Muren, kurz mehr extreme Wetter-Phänomene bedeuten für den outdoor-orientierten Tourismus ein höheres Risiko. Auf der Verliererseite stehen niedrig gelegene Skigebiete, Gebiete mit Wassermangel oder zunehmender Hitze, auch weil Infektionskrankheiten wieder zunehmen. Der Alpenraum könne laut Höppe vor allem beim Sommertourismus profitieren und davon, dass "CO2-Emissionen ein Preisschild erhalten", also eine kürzere Anfahrt an Reiz gewinnt.

Die "Alpine Pearls" - eine Kooperation von derzeit 21 Tourismusorten wie Interlaken, Arosa oder Berchtesgaden - nutzt diese neuen Chancen schon. 11 Mio. Übernachtungen generieren sie gemeinsam, beherbergen in Summe 2 Mio. Gäste. Dr. Peter Brandauer, Präsident der Pearls und Bürgermeister der Salzburger Gemeinde Werfenweng überzeugte das Plenum, dass das gemeinsame Qualitätsversprechen wirkt: Der 10-Punkte- Mix für sanfte Mobilität bei Anreise und vor Ort, aber auch Kooperationen mit Mobilitäts-Dienstleistern sorgen für schwarze Zahlen - und Klimaschutz. In Werfenweng konnte man so den Bahnreise-Anteil von 6% auf 25% steigern, die Übernachtungszahlen stiegen deutlich.

ClimAlpTour ist eines der drei Ableger des 2007 abgeschlossenen EU- Vorhaben ClimChAlp, an dem das Bayerische Umweltministerium federführend beteiligt war. Als dessen Vertreter sprach Dr. Jörg Stumpp im dritten Vortrag über internationale Zusammenarbeit und das Bayerische Klimaprogramm 2020, das auf den drei Säulen Minderung, Anpassung sowie Forschung und Entwicklung ruht. Erklärtes Ziel des Programms sei es, den pro-Kopf-Verbrauch in Bayern auf deutlich unter 6 Tonnen CO2 zu drücken. Derzeit liege Bayern mit 6,7 klar unter dem bundesweiten Schnitt von 10,3 Tonnen. Das Programm bedeute nun eine zusätzliche Investition von 350 Mio. Euro in klimaschützende Maßnahmen. Am 26. Mai 2009 verabschiedete das Kabinett die bayerische Klima-Anpassungsstrategie.

Workshop Natur (Moderation: Tanja Hanslbauer, Hochschule München, Dr. Thomas Probst, Alpenforschungsinstitut)

Bei allen Akteuren sehen die TeilnehmerInnen gute Ansätze zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz, dennoch stecke die Bereitschaft zu Anpassung noch in den Kinderschuhen. Sehr großen Handlungsbedarf sehen die TeilnehmerInnen auf kommunaler Ebene. Hier brauche es mehr vorausschauendes Denken, mehr gelebte Leitbilder. Allerdings fehle in Gemeinden oft die "Luft" zum Gestalten. Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen etwa seien laut Thomas Bausch 60 - 80% mancher Gemeindeflächen Schutzgebiete. Durch höhere Temperaturen - Palmen im Inntal - und einer verlängerten Sommersaison sehen viele Chancen für eine nachhaltige Regionalentwicklung.

Tourismusunternehmen, Touristen und Verkehrsträger seien hierzu ebenfalls gefordert. Weil weniger Flächen nutzbar sein werden, sind Konflikte zwischen Land- und Forstwirtschaft sowie Verkehr und Tourismus vorprogrammiert.

Workshop Finanzierung / Versicherung (Moderation Prof. Dr. Kolbeck)

Die Finanz- und Versicherungsbranchen müssen das Mehr an Risiko durch den Klimawandel in Preise umsetzen und absichern. Das verteuert das Produkt. Als Chancen sieht man jedoch einen Qualitätsschub, neue Versicherungsprodukte und einen deutlichen Impuls für Innovationen. Kostensteigerungen, vielleicht sogar "alpine Ballermanns" sowie die Notwendigkeit, mehr Transparenz und gefühlte Sicherheit zu schaffen, sind die Herausforderungen. Versicherer brauchen Transparenz in Risikofragen, während Anbieter befürchten, durch zu viel Offenheit Gäste abzuschrecken. Hier ist es Aufgabe der Versicherer insgesamt für mehr Risikobewusstsein bei Naturgefahren zu sorgen. Ein möglicher Interessenskonflikt besteht zwischen Versicherern und Finanziers: Investoren schreiben Projekte nach 10-15 Jahren ab, während für Versicherer das Risiko mit dem Alter von Anlagen steigt. Der Finanzbranche erscheint der Sommertourismus sicherer, aus Versicherungssicht birgt der Winter weniger Risiken.

Produktentwicklung (Moderation: Prof. Dr. Thomas Bausch, Hochschule München)

Die Alpen werden von den TouristikerInnen im Sommertourismus als doppelte Gewinner des Klimawandels gesehen. Denn für die

VerbraucherInnen im Quellmarkt Deutschland werden Flugreisen weniger attraktiv, Naherholungsziele gewinnen an Beliebtheit, die Alpen entwickeln durch ihre Authentizität eine sehr hohe Anziehungskraft. Zudem gehen einige TouristikerInnen davon aus, dass die Flugreisen in die Alpen aus entfernteren Quellmärkten zunehmen werden. Auf breiter Basis sieht man noch keine echte innere Überzeugung und starke Nachfrage nach klimafreundlichen Tourismusangeboten, in teureren Nischen durchaus. Allen erscheint der Klimawandel als willkommener Anlass längst fällige Innovationen zu wagen. Manche Regionen können jedoch mit dem Tempo des Wandels nicht mithalten. Laut CIPRA sind jedoch viele Neu-Investitionen - alpenweit rund 100 Erschließungen in den Hochlagen - geplant. Bergbahnen sollen Ersatzinvestitionen auch sommertauglich gestalten, mehr am Bergerlebnis arbeiten. Destinationen wollen auf Sommerfrische-Produkte setzen und ihre Winterprodukte diversifizieren. Frühjahr-/Herbst-Kampagnen sind heute schon an der Tagesordnung.

Die drei Workshops zu Wirkungen und Anpassung an den Klimawandel zeigten vor allem eines: Das Bewusstsein und die Bereitschaft für die nötigen Veränderungen ist noch halbherzig, marktfähige nachhaltige Angebote sind Mangelware. Alle außer den Versicherern setzen verstärkt auf den Sommer. Eine sensible, genaue Betrachtung und individuelle Anpassung ist gefragt. Insgesamt empfiehlt Projektleiter Prof. Kolbeck statt einer von Pessimismus, Katastrophen-Szenarien und kurzfristigen Reaktionsmustern geprägten Diskussion des Klimawandels ein positives Wandelklima; ein Klima für neue Chancen, strategische Anpassungen sowie ökonomisch und ökologisch nachhaltige Produkte.

Kontakt Projekt-Team Hochschule München:
Dipl.-Betriebsw. (FH) Tanja Hanslbauer
t.hanslbauer@hm.edu
Tel: 089-1265-2132

Prof. Dr. Felix Kolbeck
felix.kolbeck@hm.edu
Tel: 089 - 1265-2729

Mehr Information zum Projekt ClimAlpTour:
www.climalptour.eu oder www.alpine-space.eu

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.hm.edu - Fakultät für Tourismus

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image93651
Erosion als Folge von Hangrutschen im auftauenden Permafrost am
Tschenglser Bach Gemeinde Laas, Autonome Provinz Bozen, Südtirol

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution152


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschule München, Christina Kaufmann, 15.06.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2009