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VIELFALT/164: Verlust der biologischen Vielfalt bedroht auch unsere Zukunft (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

TITELTHEMA:
Bedrohte Vielfalt

Von Severin Zillich


Die biologische Vielfalt, das kunstvolle Netzwerk der Pflanzen und Tiere und ihrer Lebensräume, stützt alles Leben auf dieser Erde. Ihr fortschreitender Verlust bedroht auch unsere Zukunft. Die Bewahrung der natürlichen Ressourcen ist das A und O jeder nachhaltigen Entwicklung. Als Anliegen liegt sie damit allen Zielen zugrunde, die der BUND seit seiner Gründung verfolgt. Worin besteht diese Vielfalt? Und wodurch ist sie heute bedroht?

Wie ist das Herz des Naturforschers erfüllt, wenn er so glücklich ist, einen unbekannten Distrikt zu entdecken, in welchem jeder Tag neue und unerwartete Schätze ans Tageslicht befördert!« Diese Worte schrieb Alfred Wallace 1857 unter dem Eindruck eines sechsmonatigen Aufenthalts auf den Aru-Inseln bei Neuguinea. Wie unendlich spannend müssen diese Reisen ins gänzlich Unbekannte einst gewesen sein. Und welche Gefahren und Entbehrungen haben Pioniere wie Charles Darwin, Georg Forster, Alexander von Humboldt oder eben Alfred Wallace damals auf sich genommen ... Auch dank dieser tollkühnen Entdecker können wir heute auf ein immenses Wissen über die Vielfalt des Lebens auf Erden zugreifen.

Jeden Tag werden neue Arten beschrieben. Sammlungen wie die des Berliner Naturkundemuseums beherbergen viele Millionen tierischer und pflanzlicher Exponate, zahllose noch unbestimmt. Die frühesten stammen von naturbegeisterten Forschungsreisenden des 18. und 19. Jahrhunderts. Manche Arten, die etwa der Weltumsegler James Cook nach Hause brachte, sind inzwischen längst ausgestorben. Das letzte, was von ihnen geblieben ist, sind ein paar Federn, Haare oder Knochen; oder eine kurze Filmsequenz, wie sie vom vermutlich letzten Beutelwolf existiert (auch wenn ihn nicht wenige noch bis in unsere Tage gesichtet haben wollen) - er starb 1936 im Zoo der tasmanischen Hauptstadt Hobart.


Was wir wissen

Unsere Kenntnis über die biologische Vielfalt der Erde wächst ständig. Zum Jahreswechsel waren weltweit etwa zwei Millionen Arten beschrieben - davon 51% Insekten und 14% »höhere Pflanzen«. Diese Zahl mag imposant klingen: Doch sicher ist, dass wir die Mehrzahl der Arten noch gar nicht kennen. Experten gehen davon aus, dass etwa 15 Millionen Arten auf der Erde leben, manche Schätzwerte liegen noch weit darüber. Selbst größere Tiere werden heute auf Expeditionen noch neu beschrieben. So ist die Zahl der bekannten Säugetiere seit 1993 um über 400 Arten gestiegen. Und die letzte neue Vogelart - ein etwa drosselgroßer Bülbül mit fast unbefiedertem Kopf - wurde erst vergangenes Jahr in Laos entdeckt.

Zumindest als Größenordnung aber dürfte die Zahl der Wirbeltiere heute bekannt sein. Gebietsweise nur schwach beleuchtet haben Zoologen dagegen die Welt der Insekten und anderen Kleintiere - obwohl diese schon heute die Mehrzahl der bekannten Arten bilden. Noch ist nicht abzusehen, wann wir die Fülle des Lebens auch nur annähernd werden überblicken können. Selbst wenn dies eines Tages der Fall sein sollte: Nie werden wir wissen, wie viele Tiere und Pflanzen bereits der Zerstörung ihrer Lebensräume zum Opfer gefallen sind, bevor ein Mensch sie in ihrer Einzigartigkeit beschreiben konnte.


Bedrohte Vielfalt

Der Mensch hat bislang also nur einen kleinen Teil des Lebens auf Erden identifiziert. Noch viel kleiner ist die Zahl der Arten, von denen wir ein aktuelles Bild ihrer Gefährdung haben (siehe Kasten). Dennoch wissen wir genug, um zu erkennen, wie bedroht diese Vielfalt heute ist. Dass Arten aussterben, ist ein natürliches Phänomen. Doch das heutige Artensterben vollzieht sich hundert- bis tausendfach schneller als in vorgeschichtlicher Zeit.

Überall auf der Welt vernichtet der Mensch natürliche Ressourcen. So ist bereits über die Hälfte des tropischen Regenwaldes gerodet. 80% der karibischen Korallenriffe sind genauso zerstört wie (allein seit 1990) ein Drittel aller Mangroven. Um den rapiden Verlust natürlicher Lebensräume möglichst gezielt in Grenzen zu halten, haben Wissenschaftler jene Regionen identifiziert, die eine besonders hohe und bedrohte Vielfalt aufweisen. Wo diese Kernzonen der Biodiversität liegen, zeigt die nebenstehende Karte.

Rasch wird klar: Die Vielfalt ist ungleich über den Globus verteilt. Ein Paradebeispiel ist Kolumbien im Nordwesten Südamerikas, gerade dreimal so groß wie Deutschland. Kein Land der Erde beheimatet mehr Brutvögel: 1635 (gegenüber 244 hierzulande). Und die Orchideen Kolumbiens sind mit 3500 bekannten Arten vielfältiger als all unsere knapp 3000 Blütenpflanzen zusammen.

Allgemein ist in den Tropen die Biodiversität am höchsten. So fand man auf einem einzigen Baum im Amazonas 95 Ameisenarten, ganz Deutschland beherbergt nur wenige mehr (105).

Andernorts zwingt die Konzentration von Arten, die nirgendwo sonst auftreten, zu schnellem Handeln. Besonders hoch ist der Anteil solcher Endemiten in isolierten Lebensräumen: auf In seln, in erdgeschichtlich alten Süßwasserseen oder im Hochgebirge. So gelten etwa auf Madagaskar über 85% der Pflanzenarten und sogar 99% der 300 Froscharten als endemisch, kommen also weltweit nur hier vor.


Zerstörung der Lebensräume

Für den gegenwärtigen Schwund der biologischen Vielfalt ist vor allem der Mensch verantwortlich. Als wichtigste Gefährdungsursache gilt die schon er wähnte globale Zerstörung von Lebensräumen. Anschauungsmaterial bietet unser eigenes Land zur Genüge. So haben wir in den letzten Jahrhunderten über 95% unserer Moore und über 80% unserer Fluss auen ent wässert. Der einst weithin dominierende Buchenwald wurde großflächig gerodet oder in relativ artenarme Nutzwälder umgewandelt. Am gründlichs ten ma ni festiert sich das Zerstörungswerk in unserem Flächen verbrauch: Über 100 Hektar unverbautes Land opfern wir Tag für Tag neuen Straßen, Siedlungen und Gewerbe - trotz sinkender Bevölkerungszahl.

Auch durch eine Übernutzung hat der Mensch viele Ökosysteme entwertet. Ob überfischte Weltmeere, ihrer Vielfalt beraubte Wälder oder eine immer intensivere Landwirtschaft: Wer nicht nachhaltig wirtschaftet, entzieht sich früher oder später selbst die Lebensgrundlage; sich selbst - und einem Großteil der ur sprünglichen Biodiversität. Eine Binsenweisheit, sollte man meinen. Doch selbst ein so reiches Land wie Deutschland mag es sich nicht leisten, mehr als 1% seines Waldes ungenutzt zu lassen. Mit dem Anstieg der Holzpreise hat sich der Einschlag in unsere Wälder zuletzt stark erhöht, seit 2001 gar verdoppelt. Weit über die Hälfte des Holzes wird mittels riesiger »Harvester« geerntet, die den Waldboden irreparabel schädigen. Ökologen halten unseren Buchenwald heute für ebenso bedroht wie den tropischen Regenwald.


Invasive Arten

Eine große Gefahr für die biologische Vielfalt stellen auch vom Menschen eingeführte oder unabsichtlich eingeschleppte Arten dar. Denn einige haben das Zeug, die ur sprüngliche Flora und Fauna zu verdrängen. Vor allem auf abgelegenen Inseln haben Ziegen oder Ratten eine Vielzahl endemischer Arten ausgerottet. Ein be kanntes Dra ma vollzog sich 1894 auf der winzigen Stephen-Insel bei Neuseeland: Hier verschwand nach dem Bau eines Leuchtturms noch im selben Jahr der - einem flugunfähigen Zaunkönig ähnliche - Stephenschlüpfer. Entscheidend beteiligt: die Katze des Turmwärters. Nur mit größtem Aufwand ist es bisher in Einzelfällen gelungen, eingeführte Tiere oder Pflanzen restlos wieder auszurotten, um lokale Insel-Arten - etwa auf den Galapagos - vor dem sicheren Aussterben zu bewahren.

Invasive Arten sind aber auch hierzulande eine Gefahr: So breitet sich die Pazifische Auster seit Jahren stark im Wattenmeer aus und verdrängt ursprüngliche Arten wie die Miesmuschel, mit unabsehbaren Folgen für das gesamte Ökosystem.


Klimawandel

Die Verbreitung der Arten ist von Natur aus einem ständigen Wandel unterworfen. So haben mit der Klima erwärmung Vögel wie der Bienenfresser oder die Zwergohreule ihre Brutgebiete nordwärts nach Deutschland ausgeweitet. Vögel, die kältere Regionen besiedeln, versuchen parallel nach Norden oder in höhere Lagen auszuweichen - was allerdings in beide Richtungen nicht unbegrenzt möglich ist. Je rascher die Temperaturen im Zuge des Klimawandels steigen, desto weniger Zeit bleibt dem natürlichen Lebensgefüge, sich an die Veränderung anzupassen. Wenn eine Anpassung überhaupt möglich ist. Allein im Alpenraum existieren etwa 500 Pflanzenarten, die nur hier vorkommen. Mit jedem Grad Erwärmung rückt ihre Vegetationszone um über hundert Höhenmeter nach oben. Hier und in allen anderen Gebirgen ist bei fortschreitendem Klimawandel ein Artensterben vorprogrammiert.


Verfolgung

Schließlich verliert die Erde noch immer Arten durch die direkte Verfolgung des Menschen. Davon könnte als eines der frühesten Opfer der Dodo auf Mauritius ein Lied singen - wenn er denn noch könnte (siehe »Zum Weiterlesen«). Sei es der stetig wachsende Hunger der Menschheit nach Fisch, dem direkt und indirekt (durch Beifang) ein Großteil der marinen Vielfalt geopfert wird; seien es die Auswüchse chinesischen Heilglaubens, die noch den letzten Tiger zur Strecke bringen werden; oder seien es die Hobbyjäger rund ums Mittelmeer, die Jahr für Jahr selbst seltenste Vögel in großer Zahl schießen: Wir sind weit davon entfernt, die Vielfalt des Lebens auf dieser Erde pfleglich zu behandeln. Besinnt sich die Menschheit ihres Schatzes nicht bald, so könnte sie sich eines nicht mehr fernen Tages fragen (was sich die umweltbewegten Musikanten der »Biermösl Blosn« schon in den 80ern fragten): »Was hamma denn gwunna, was hamma verlorn ...«


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Was ist biologische Vielfalt?

Biodiversität umfasst die Vielfalt der Lebensräume und Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten (zu der auch die Vielfalt der Tierrassen und Pflanzensorten in der Landwirtschaft beiträgt). Alle drei Aspekte sind eng verknüpft und be einflussen sich wechselseitig.


Bedrohtes Leben

Laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind von 47.677 untersuchten Tier- und Pflanzenarten derzeit 17.291 global gefährdet oder bereits ausgestorben. So sind von 9.998 bekannten Vogelarten seit dem Jahre 1500 genau 137 ausgestorben, jede achte Art ist in Gefahr: 192 drohen kurzfristig auszusterben, 362 sind stark gefährdet, 669 gefährdet. Von den untersuchten 5.490 Säugetierarten gelten 79 als ausgestorben, 188 sind vom Aussterben bedroht, 449 stark gefährdet und 505 gefährdet. Besonders schlecht steht es beispielsweise um die Amphibien: Von 6.285 untersuchten Arten könnten 484 schon bald aussterben, beinahe jede dritte Art ist in ihrer Existenz bedroht.


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Zum Weiterlesen

Neun Seiten im BUNDmagazin können etwas so Faszinierendes wie die Vielfalt des Lebens nur sehr oberflächlich streifen. Die folgenden Bücher gehören zum Besten, was zu diesem Thema erschienen ist:

Edward O. Wilson: Der Wert der Vielfalt, 1996, 512 Seiten, Piper; leider nicht mehr lieferbar - gebraucht ab 25 EUR erhältlich
David Quammen: Der Gesang des Dodo, 2001, 973 Seiten, 19,95 EUR, List
Bruno Streit: Was ist Biodiversität? Erforschung, Schutz und Wert biolologischer Vielfalt, 2007, 125 Seiten, 7,90 EUR, C.H. Beck
Exemplarisch: Georg Forster - Reise um die Welt; als illustrierter Sonderband (99 EUR) und Hörbuch (19,95 EUR) bei Eichborn, als TB (17 EUR) bei Insel
Spannende Links zum Thema: www.bund.net/bundmagazin

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die gefährdeten Kernzonen oder »Hotspots« der biologischen Vielfalt: Auf gerade einmal 1,4% der Erdoberfläche konzentrieren sich 44% aller Gefäßpflanzen und über ein Drittel aller Landwirbeltierarten. (Quelle: Conservation International)
Orchideen bilden die artenreichste Pflanzengruppe der Welt. (IUCN/Gabriel Davila)
Baumfrosch aus Ekuador (IUCN/Julián Davila)

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Quelle:
BUNDmagazin 1/2010, S. 12-14
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2010